Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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22. Das Gartenfest

In der Kolonie lebten die Künstler bereits seit Wochen im Freien, das heiterste Sommerdasein führend.

Die milde Wärme des Frühlings war der Zauber, der die römische Existenz mit einem Schlage zu einer wahrhaft elysäischen machte. Laurustinus und Lorbeer waren verblüht, und verblüht waren Glyzinen und Bansiarosen; aber andre Rosen durchglühten die dunkeln Büsche, und andre Blumen wucherten überall in einer Fülle ohne Ende. Der prächtige Akanthus trieb seine unscheinbaren Dolden, der Hügel strahlte von goldigem Ginster und den gelben Blumen des wilden Fenchels, der mit seinem schimmernden Blattwerk ganze Abhänge versilberte.

Abends saßen die Freunde vor dem Atelier der guten Signorina Rica. Unter ihnen lag das von Lichtern funkelnde Rom, wo es bereits anfing, heiß und schwül zu werden; von der Via Flaminia her drang gedämpft der Lärm der Vorstadt herauf, bisweilen der Klang einer Gitarre und ein volkstümlicher melancholischer Gesang. Man blieb bis spät in die Nacht hinein beisammen, aß Erdbeeren vom Nemisee und saftige japanische Mispeln, welche Leckerbissen der eine oder der andre mitgebracht hatte, und verlebte behagliche Stunden.

Ungefähr eine Woche nach Ostern erhielt Prisca eine große gedruckte Karte, auf welcher Le Prince Alexandre Romanowski und La Princesse Maria Romanowska sich die Ehre gaben, Mademoiselle Auzinger zu ihrem Gartenfest einzuladen. Dasselbe sollte am ersten Mai stattfinden, und die Gäste wurden ersucht, in antikem Kostüm zu erscheinen.

Prisca las die Einladung, wunderte sich sehr und freute sich ebensosehr. Es war liebenswürdig von den Herrschaften, an sie gedacht zu haben, wo sie obendrein wahrhaftig nicht geschaffen war, das Fest, welches die sämtlichen aristokratischen Schönheiten Roms und der Fremdenkolonie vereinigte, durch ihre Person zu schmücken, selbst wenn sie sich auch in ein Kostüm steckte, oder besser gesagt, sich darin versteckte. Natürlich würde sie dankend ablehnen, aber ihre Freude hatte sie doch gehabt.

Spät abends trug sie diese Freude frisch aus dem Herzen hinüber zu Fräulein Friedrike, wo nur Peter Paul anwesend war, der in nächster Zeit nach Berlin reisen sollte.

Als die beiden alten Römer von der Einladung hörten, gerieten sie sogleich in Ekstase. Fräulein Friedrike rief:

»Ablehnen wollen Sie? Aber Kind, das wäre ja geradezu eine Versündigung, gar nicht davon zu reden, daß es undankbar aussehen müßte. Eine solche Einladung ablehnen? Daraus wird nichts, das erlauben wir nicht. Gleich morgen werden Sie der Fürstin schreiben, daß Sie dankend annehmen. Selbstredend! Vielleicht können Sie es ihr morgen persönlich sagen. Jetzt wollen wir aber gleich beraten, in welchem Kostüm Sie gehen werden. Es muß natürlich ungeheuer echt sein. Dafür lassen Sie nur uns sorgen.«

Prisca versuchte lachend gegen die Liebestyrannei der Freunde sich aufzulehnen, wurde jedoch scharf abgewiesen.

»Sie wollen mich doch nicht ernstlich böse machen und Peter Paul betrüben, der schon so bald nach Berlin reist, wo er ganz bestimmt frieren wird. Ich weiß recht gut, und Peter Paul weiß es auch, warum Sie so eigensinnig sind. Es ist pure Eitelkeit! Denn kommen Sie uns gefälligst nicht damit, daß es sich nicht schicken würde, allein auf das Fest zu gehen. Erstens sind Sie nicht nur eine selbständige junge Dame, sondern auch eine Künstlerin, und zweitens besuchen Sie ein römisches Fest, was etwas ganz andres ist als eine Münchner oder gar Berliner Festivität. Dort drüben kann sich allerdings ein junges Mädchen nicht allem über die Straße wagen, ohne eine Brutalität zu riskieren.«

Prisca rief ganz entsetzt: »Ich wäre eitel? Ich!«

»Jawohl, Sie, mein Fräulein. Wir beide wissen nämlich ganz genau, was Sie von sich halten.«

»Also wissen Sie auch, daß ich mich häßlich finde?«

»Aus purer Eitelkeit.«

»Das nennen Sie eitel?«

»Sie tun sich nämlich schrecklich viel darauf zugute, sich einzubilden: ich kenne mich! Ich weiß genau, daß ich häßlich bin und sage es mir ins Gesicht hinein, was von mir doch eine große Heldentat ist... Sie sind aber ganz und gar nicht häßlich. Fragen Sie nur Peter Paul.«

Peter Paul sagte Prisca natürlich genau dasselbe, und Fräulein Friedrike fuhr erbarmungslos fort:

»Sie mit Ihrer prachtvollen Gestalt... Bitte, seien Sie ganz still! Ihre Gestalt ist prachtvoll, wenn auch noch etwas zu mager, doch das gibt sich. Und Sie mit Ihrem herrlichen Haar! Und vor allem mit Ihren echt römischen Augen! Und dann wollen Sie mit Gewalt häßlich aussehen? Seien Sie so stolz, wie Sie wollen, aber das Frühlingsfest in der Villa Romanowski werden Sie jedenfalls besuchen, und Sie werden in Ihrem Kostüm einfach pompös aussehen.«

Prisca war übers ganze Gesicht rot geworden, lachte herzlich und ergab sich schließlich in den Willen ihrer freundschaftlichen Despoten. Jetzt wurde das Kostüm beraten, das Peter Paul sogleich entwerfen wollte. Es mußte sehr, aber sehr echt sein und durfte nur wenig, sehr wenig kosten. Darüber waren alle drei einig.

Später erschien Steffens. Da Prisca nun einmal schwach gewesen war und nachgegeben hatte, besaß sie jetzt wenigstens den Mut, dem Freunde die Sache mitzuteilen. Zu aller Erstaunen blieb er sehr gelassen und war ganz der Meinung der beiden Alten: Prisca müsse jedenfalls hingehen. Der schwierigen Kostümfrage nahm er sich voll Eifer an, und im gemeinsamen Rate wurde beschlossen, einen schön fallenden, weichen Stoff von indigoblauer Farbe zu wählen. Das Zeug sollte in reichem Faltenwurf an Prisca selbst drapiert und mehrfach mit einer starken Schnur von tiefem Violett gegürtet werden. In dem aufgelösten Haar einen dichten, völlig blattlosen Kranz von großen blaßlila Malven, sonst keinen Schmuck, nicht das kleinste Stück falschen Geschmeides. Steffens selbst wollte den Stoff aussuchen, die Farbentöne abstimmen und beim Drapieren helfen. Er schien sich darauf zu freuen, so daß die vier in bester Stimmung sich trennten.

Beim Abschied konnte Fräulein Friedrike nicht unterlassen, Prisca zu umarmen und ihr zuzuflüstern:

»Sie werden wunderschön aussehen!«

Der nächste Tag sollte Priscas letzter Arbeitstag in der Villa Romanowski sein. Sie hatte immer von neuem eine Unfertigkeit, einen Mangel entdeckt, und sie wollte doch ihr Allerbestes leisten. Aber sie übertrieb ihre Ehrlichkeit und Ängstlichkeit mehr zum Schaden als zum Nutzen des Bildes. Zu ihrer Überraschung fiel ihr der Gedanke ganz schwer, nicht mehr durch die hohe Pforte, die ihr jetzt sogar mit einer – allerdings etwas herablassenden Verneigung aufgetan ward, in das stille Paradies des Gartens einzugehen, nicht mehr in den edeln Räumen in Gegenwart so vieler Unsterblichen zu verweilen und nicht mehr jenem geheimnisvollen Zauber verfallen zu sollen, der für sie begann, sobald sie hinter sich das Rauschen des schleppenden Seidenkleides vernahm. Diesen ganzen letzten Vormittag stand sie ziemlich untätig hinter ihrer Staffelei, horchte und wartete. Die Stunden verrannen indessen, ohne daß die Fürstin erschienen wäre.

Als es Zeit wurde, die Galerie zu verlassen, packte Prisca ihre Malsachen zusammen, warf noch einen letzten Blick auf das, ach, so unerreichbare Original ihrer Kopie und ging dann, um den ihr bekannten Lakaien aufzusuchen, der ihr einen Wagen besorgen sollte, denn sie wollte das Gemälde mit sich nehmen und es sofort abliefern. Von der Fürstin dachte sie sich schriftlich zu verabschieden, zugleich ihren Dank für die gewählte Gastfreundschaft in der Galerie und für die Einladung zum Gartenfest auszusprechen. Aber der Lakai sagte ihr, die Frau Fürstin habe befohlen, die Dame, sobald diese mit dem Bild fertig sei, bei ihr zu melden.

Seit jenem Ostermorgen hatte sie die schöne und, wie ihr jetzt scheinen mußte, schuldbeladene und unglückliche Frau nicht mehr zu Gesicht bekommen. Im Geist immer noch jenes jammervolle Stöhnen hörend, war sie fast voller Furcht, ihr gegenüberzutreten, so sehnlich sie auch den ganzen Vormittag darauf gewartet hatte. Daß der Zufall sie in ein Geheimnis eingeweiht, von dem vielleicht nicht einmal der Fürst wußte, erweckte in ihr eine eigentümliche Empfindung.

Der Lakai kam zurück mit der Meldung, daß die Fürstin Prisca empfangen wolle. Sie war nicht ganz wohl und befand sich in ihrem Schlafzimmer. Sie lag im Morgenanzug auf einem Diwan, sah in der Tat leidend aus, hatte schwarz umrandete Augen, was ihrem Blick etwas Müdes und Apathisches gab, und einen starren Zug um den Mund, der Prisca fremd war. Bei ihrem Eintritt blieb sie liegen, mit einer matten Handbewegung auf einen Sessel deutend, der in ihrer Nähe stand.

»Sie sind mit Ihrer Arbeit fertig?«

»Ich liefere sie heute noch ab und danke Durchlaucht vielmals.«

»Sie haben mir nichts zu danken.«

»Durchlaucht waren sehr gütig gegen mich.«

»Oh, nicht doch. Ich konnte nichts für Sie tun. Mein Anerbieten, während Ihrer Arbeit in der Villa zu wohnen, schlugen Sie aus.

Prisca lächelte.

»Ich darf mich nicht verwöhnen, und nichts verwöhnt mehr als Schönheit. Ich würde hier in Schönheit geschwelgt haben und hätte hernach vielleicht doch etwas zu starke Sehnsucht empfunden.«

»Aber es geht Ihnen doch gut?«

»Es geht mir herrlich.«

»Werden Sie noch lange in Rom bleiben?« »Hoffentlich noch sehr lange, am liebsten mein Leben lang.«

»Ihr ganzes Leben...«

Die Fürstin sah so ermüdet und angegriffen aus, daß Prisca sich erhob, um sich zu verabschieden.

»Bleiben Sie nur. Sie stören mich gar nicht. Sie haben solche angenehme Stimme.«

Prisca errötete vor Freude und setzte sich wieder.

Die Fürstin schloß die Augen und fragte:

»Also an Ihre Mutter haben Sie gar keine Erinnerung?«

»Gar keine. Sie starb bald nach meiner Geburt.«

»Bald nach Ihrer Geburt... Und der frühe Tod Ihrer Mutter brach Ihrem Vater das Herz?«

»Er blieb leben, aber... Ja, Durchlaucht, ihr Tod brach sein Herz.«

»Sagten Sie mir nicht, daß er Sie lehrte, Ihre Mutter hoch zu verehren?«

»Wie eine Heilige.«

Wieder derselbe jammervolle Seufzer, den Prisca aus diesem schönen und stolzen Mund schon einmal vernommen hatte. Jetzt klang er freilich wie erstickt. Aber Prisca hatte ihn doch gehört und mußte sich Gewalt antun, es sich nicht merken zu lassen.

Der Fürstin Teilnahme an ihrem Schicksal war plötzlich erloschen. Sie fragte nichts mehr, und als Prisca bald darauf aufstand, wurde sie nicht länger zurückgehalten. Die Fürstin sah so elend aus, daß Prisca über die freundliche Einladung zum Gartenfest nur einige Worte äußerte, die gar nicht gehört zu werden schienen. Auch reichte ihr die Dame beim Abschied nicht die Hand.

Das war nicht besonders gütig; aber vor dem Tore der Villa hielt statt des Vetturins eine fürstliche Equipage, darin alle ihre Sachen bereits untergebracht waren. Neben dem Bild lag ein großer Strauß herrlicher weißer Rosen. Ihre Durchlaucht hatten den Wagen und den Rosenstrauß für die Dame befohlen.

Beim Wegfahren wurde Prisca von dem Riesen in Weiß und Silbergrau tief gegrüßt.

Der Kunsthändler hatte das Bild in Empfang genommen, es flüchtig betrachtet, einige höfliche Worte darüber gesagt und es sogleich fortstellen lassen, während er ihr den Rest des hohen, viel zu hohen Honorars überreichte. Zaudernd nahm Prisca das Geld, aber – sie nahm es. Welches Glück, daß sie so ehrlich und fleißig gearbeitet hatte!

Die große Persönlichkeit teilte ihr dann noch mit, daß das Bild umgehend an den Besteller abgehen würde. Der generöse Unbekannte befand sich noch immer im Ausland und wünschte durchaus nicht genannt zu werden, was Prisca unangenehm war. Sie hatte gehofft, zu erfahren, für wen sie gearbeitet, wer sie dafür so übermäßig honorierte.

Das Kostümfest in der Villa Romanowski beherrschte inzwischen das Interesse der römischen und internationalen Gesellschaft und wurde lebhafter debattiert als die Rennen bei den Campanelle, die Kriegslage in Afrika und der bedenkliche Gesundheitszustand des Papstes. Die lange Liste der Eingeladenen mußte täglich verlängert werden. Aus Paris, Wien und London, aus Kairo und von der Riviera wurden Gäste erwartet, es hieß sogar, daß Damen der weißen Partei sich im geheimen eifrig um Zutritt bemühten; sie würden, um unerkannt zu bleiben, natürlich tiefverschleiert erscheinen.

Alle römischen Künstler waren beschäftigt, entwarfen Kostüme, zeichneten Schmuckgegenstände, setzten sich mit Stofflieferanten und Juwelieren in Verbindung, als ob sie Kaufhäuser gründen wollten. Vor dem Palast Borghese warteten stundenlang die Equipagen der vornehmsten Damen und glühten Schönheiten, um mit dem allgemeinen Liebling der großen Welt, dem Commendatore Mario di Mariano, wegen ihres Kostüms Beratungen zu halten. Hocharistokratische Römerinnen, die außer ihrem Gebetbuch und einem französischen Roman in ihrem ganzen Leben noch kein Buch zur Hand genommen hatten, studierten Kostümwerke, und die nämlichen Damen, von denen bekannt war, daß sie weder eine der römischen Galerien noch die Statuensammlung im Vatikan und auf dem Kapitol je besucht hatten, erschienen plötzlich in den Museen, um den Antiken ihren Faltenwurf abzusehen. Gewisse Statuen, wie die Agrippina, die schlafende Ariadne und die Pudicitia wurden von der eleganten Damenwelt förmlich umlagert. Wäre die einfache Draperie richtig nachzumachen nur nicht so verzweifelt schwer gewesen!

Als was diese oder jene berühmte Schönheit wohl erscheinen würde, bildete einen unendlichen Gesprächsstoff. Besonders erregt ward die Debatte, wenn das Kostüm der Fürstin Romanowska in Frage kam, das tiefes Geheimnis war. Einige wollten wissen, sie werde ihre Gäste als Kleopatra empfangen, andre hatten gehört, Siemiradzki kleide sie an, wieder andre, sie werde in Gold und Juwelen förmlich eingehüllt sein, sonst nur mit florartigem Stoff angetan, und die Boshaften fügten hinzu: endlich werden wir die Tochter der Semiramis zu sehen bekommen.

Auch Karl Steffens, wie alle übrigen einheimischen und fremden Künstler, erhielt eine Einladung. Natürlich konnte er nicht annehmen. Aber Priscas junger Siegfried ging. Das hatte er ihr zwar nicht gesagt, denn die beiden machten stets die mühsamsten Umwege, um einander nicht begegnen und anreden zu müssen. Der Knabe Checco hatte es Prisca verraten und zugleich die Meinung abgegeben, daß der bel biondo auf dem Fest der Schönste sein würde. Dabei so wundervoll groß! Geradeso groß wie die Signorina, über deren vermutliches Aussehen im Kostüm er im übrigen entschieden geringere Erwartungen hegte als die alte Idealistin, Signorina Rica.

Richtig! Signorina Rica...

Sie besuchte ebenfalls das Fest! Als römische Matrone, von Kopf bis zu Füßen in graue Gewebe gehüllt. Das erste Ballkleid aus rosigem Tarlatan hatte seinerzeit die junge hübsche Geheimratstochter nicht so beglückt wie jetzt das graue wollene Gewand, das sie in helles Entzücken versetzte. Ihre sonnige Vorfreude wurde nur dadurch getrübt, daß Peter Paul nicht als altrömischer Senator erscheinen konnte, denn er mußte schon vorher die Berliner Reise antreten. Übrigens hätte Peter Paul seine wallenden Künstlerlocken zum Opfer bringen müssen. Denn die alten Römer trugen das Haupthaar kurz geschoren, und Peter Paul wäre unter allen Umständen nie anders als »echt« erschienen, selbst um den Preis dieses Abzeichens seines stolzen Berufes.

Die Freunde überlegten, ob er die Reise nicht aufschieben könnte. Aber mit geschorenem Haar nach Berlin zu kommen und einer gestrengen Jury, einem kunstverständigen Publikum und der Nationalgalerie in solch verstümmelter Gestalt als der Maler des großen Bildes sich vorzustellen – nein, es ging wirklich nicht. Berlin rettete also Peter Pauls ehrwürdige Locken.

Steffens hielt Wort und sorgte für Priscas Kostüm, dessen drei Farben: Tiefblau, ein ganz dunkles und ein ganz lichtes Violett, prächtig zusammenstimmten. Nun Fräulein Friedrike sie begleitete, freute sich auch Prisca, ihren glücklichen Stern preisend, der sie das überhaupt erste Fest ihres Lebens in Rom feiern ließ und in einer so außergewöhnlich künstlerischen Weise.

Ehe der glänzende Tag erschien, kam eine gar trübe Stunde: Peter Pauls Abreise! Fräulein Friedrike packte für ihn ein und vergaß nichts, was den Reisenden im kalten Norden vor dem Erfrieren schützen konnte, das wärmste Unterzeug, die wärmsten Socken, eine Magenbinde aus Flanell, eine Flasche Kognak und als Krönung all dieser Mittel gegen Tod durch Erkältung der eigenhändig gestrickte, lange und breite Schal aus stärkster Wolle! Diesen grauen Gegenstand bereits in Bozen anzulegen, mußte der Ärmste feierlich geloben. Für die Eiseskälte auf dem Brennerpaß erhielt er noch eine extra Reisedecke aufgeladen.

Wenn Peter Paul damals gedacht hätte, als er vor vierzig Jahren mit der Post über den Brenner fuhr und in dem berühmten Wirtshaus zum Elefanten in Brixen übernachtete, wenn er damals gedacht hätte, daß er dereinst mit dieser ekligen Eisenbahn zurückfahren würde! Es war nur wenigstens gut, daß er schnell hinüberkam und ebenso schnell wieder hier sein konnte!

Den letzten Abend verbrachten die vier Freunde vor Priscas Atelier. Prisca hatte für ein kleines Festmahl gesorgt und – nach Checcos Rezept, Risotto all sugo zubereitet, dem aus der Trattorie ein am Spieß gebratenes fettes Zicklein folgte. Checco hatte dringend zu Hühnern geraten, sein Vorschlag war jedoch abgelehnt worden, und schließlich hatte er das Zicklein unter der Bedingung akzeptiert, daß es sehr fett und sehr groß sein müßte, womöglich kein Zicklein, sondern eine Ziege. Er hatte den Braten persönlich besorgt, genau besichtigt und so lange mit der Wirtin sich herumgezankt, bis das Zicklein ganz nach seinem Wunsch ausfiel. Auch hoffte er stark auf die Abschiedsstimmung, die den Appetit gewiß beeinträchtigen würde. Der Knabe Checco kannte seine »Tedeschi«.

»Den Wein werden sie aber bis auf den letzten Tropfen austrinken,« schloß er, etwas weniger freudig, seine Betrachtung, des Dursts gedenkend, den auch Karl Steffens mit seinen Landsleuten teilte.

Priscas Risotto war sublim, das Zicklein köstlich gebraten, und Checcos Hoffnung wurde zum Glück für seinen Glauben an die Güte der Menschheit nicht getäuscht: der Appetit der vier war miserabel! Leider entwickelte Signor Carlo einen selbst für ihn ausgezeichneten Durst, der den Weinvorrat vertilgte. Es war noch dazu Chianti gewesen!

Zur Bahn begleitete den Abreisenden Fräulein Friedrike allein. Prisca hatte den ganzen Tag nur den einen Gedanken: wie wird er zurückkehren?

Daran dachte auch Fräulein Friedrike, und sie tröstete sich in ihrer betrübten Stimmung immer von neuem mit der leuchtenden Vorstellung dieser Rückkehr als preisgekrönter Triumphator. Als sie vom Bahnhof kam, begab sie sich direkt zu Prisca, um ihr zu erzählen, wie sie sich unterwegs den Empfang bei der Rückkehr Peter Pauls ausgedacht hätte. Es mußte sehr feierlich werden.

Für die Gäste des Gartenfestes war die Erwägung beruhigend, daß man zu dieser Jahreszeit sich in Rom nicht zu sorgen brauchte: wird das Wetter auch schön sein? Im Mai war es eben schön! Selbst das ängstlichste Gemüt brauchte keinen Regenhimmel, kein aufziehendes Gewitter, keinen Hagelschlag zu fürchten. Niemand kümmerte sich um den Barometer, was dem Leben ein wundervolles Gefühl von Ruhe und Sicherheit gab. Mochte es in der Welt zugehen, wie es wollte – in Rom blieb das Wetter schön!

Und schön, sommerlich leuchtend und sommerlich warm war es auch an diesem ersten Mai. Um sechs Uhr sollte das Fest beginnen, um bis tief in die Nacht hinein zu dauern. Fackeln und Pechfeuer würden Garten und Park erleuchten, überdies war gerade Vollmond. Auf einer Wiese fanden hellenische Spiele statt, auf der Terrasse und den Rasenplätzen vor dem Hause waren Speisebetten aufgestellt. Wer also ganz »altrömisch« sein wollte, der konnte nach der Antike soupieren. Für die weniger hellenisch Gesinnten gab es ein Büfett in der Villa. So lautete in großen Umrissen das Programm.

Schon mittags begann auf dem Hügel vor der Porta del Popolo das Kostümieren, denn Fräulein Friedrike wollte sowohl an Priscas jungem Leibe wie an ihrem eignen Gewande jede Falte antik haben, und: »Ums Himmels willen kein Unterkleid! Nicht einen einzigen Rock! Nur Trikots. Die Alten trugen nicht einmal das. Aber – Trikots müssen wir nehmen.«

Nachdem dies geschehen und die Sandalen angelegt worden, wurde Prisca in den indigoblauen Stoff gehüllt. Jetzt war der Anstand gewahrt, und jetzt wurde Steffens gerufen, unter dessen artistischer Leitung Fräulein Friedrike eine Stunde und länger an Priscas schlanker, hoher Gestalt drapierte, steckte und nähte, mühsam Vollbrachtes wieder aufriß, um von neuem zu drapieren, zu nähen, zu stecken, bis der Meister und sie selbst ihr Werk loben konnten. Nach diesem schwierigen kam der erfreuliche Teil der Arbeit; Priscas prächtiges Haar wurde aufgelöst, wie ein goldiger Mantel um sie gebreitet und der blaß violette Malvenkranz aufgesetzt. Fräulein Friedrike schrie laut auf, so wunderschön fand sie die »garstige« Prisca. Steffens sagte kein Wort, aber er betrachtete die feierlich Geschmückte mit einem langen, staunenden Blick, als wäre sie ihm eine Fremde geworden.

Als Prisca sich endlich im Spiegel ansah, wurde sie ganz bleich, so betroffen machte sie ihr eigner Anblick. Gleich darauf faßte sie sich, schob alles auf das prachtvolle Indigoblau und den poetischen Malvenkranz. Aber – hätte ihr Vater sie heute sehen können!

Natürlich hatten sich sämtliche Modelle der Kolonie versammelt, um die Kostümierten zu sehen. Der Knabe Checco war stolz auf seine Signorina, die auch den Beifall der andern fand. Auch Fräulein Friedrike als würdige Matrone wurde mit jubelnden Evvivas begrüßt, welche Huldigung sie sich mit wahrhaft antiker Ruhe gefallen lieh. Sie hätte die Mutter der Gracchen vorstellen können, wenn auch, wie sie Prisca später eingestand, ihre großartige Haltung etwas gezwungen war und sie sich ohne Untergewänder trotz des dicken Wollstoffes, der sie vom Scheitel bis zur Sohle umwallte, fast zu Tode schämte. Aber:

»Ich konnte doch unmöglich anders gehen als in Trikots! Es wäre doch sonst gar zu unecht gewesen! Welch Glück, daß ich den allerdicksten Stoff genommen hatte und mein Kostüm ein Mantelgewand war. Meinen Schleier hätte ich am liebsten vors Gesicht gezogen, so schämte ich mich. Auch daß Peter Paul mich nicht sah, war mir lieb, es wäre mir gar zu genierlich gewesen.«

Etwas schwer fiel es ihr, den Pompadour zu Hause zu lassen.

Priscas jungen Siegfried bekam kein Auge zu sehen. Aber Checco erzählte Wunderdinge von seinem Kostüm: nichts als Fell und so was!

Auch auf dem Wege zur Villa erregte Prisca Aufsehen. Viele Leute blieben stehen, einige Herren liefen ihr mit echt römischer Gentilezza Komplimente in den Wagen, und ihr Haar erregte sogar das laute Entzücken der Frauen. Prisca empfand, was je zu fühlen sie nicht für möglich gehalten hatte, aber banale Eitelkeit war es nicht. Es war ein heißes, unnennbares Gefühl von stiller Ergriffenheit, eine fast feierliche Lebensfreude: sie war wirklich nicht häßlich!

Ihr erster Gedanke bei dieser ihr so ganz fremden Empfindung hatte ihrem Vater gegolten – sonderbar, daß sie gleich darauf eines andern Mannes gedenken mußte, der aussah, wie sie sich ihren Vater vorstellte, als er jung und mit ihrer schönen Mutter strahlend glücklich gewesen. Denn – so recht wie ein Siegfried, wie ein Sieger des Lebens mußte Joseph Auzinger einmal ausgesehen haben.

Schöne Knaben empfingen die Gäste am Eingang, der in einen Triumphbogen umgewandelt war. Eine Architektur aus lauter Rosen wuchs aus dem Boden. Die Knaben trugen vergoldete Körbe mit Kränzen und bunten oder goldenen Bändern. Jeder Gast, der unbekränzt kam, erhielt ein Gewinde oder ein Stirnband.

Eine Schar von Haussklaven und Freigelassenen jeden Alters und aller Nationen erwartete die Geladenen, die auf einer festlichen Bahn in die Gärten gefühlt wurden. Der Weg war mit Goldsand und Rosen bestreut, und zu beiden Seiten erhoben sich hohe vergoldete Stäbe, durch Rosenketten miteinander verbunden.

Viele der vornehmen Römerinnen kamen in Sänften, von einem Schwarm von Sklavinnen, Freigelassenen und Klienten begleitet.

Einige Ritter und Vertreter der altrömischen Jugend erschienen sogar in der Biga, dem altrömischen Zweigespann. Jede besonders prachtvolle Erscheinung, jede Schönheit wurde von dem Publikum, das die Straße vor der Villa anfüllte, mit brausendem Jubel begrüßt, und der prachtvollen Erscheinungen, der strahlenden Schönheiten waren eine solche Menge, daß der Jubel nie aufhörte.

Auf dem Festplatz, einer Wiese, die ein bunter Rand von feuerfarbenen Lilien einfaßte, wurden die Gäste von dem Dominus und der Domina bewillkommt. Diese letztere trug ein schleppendes Mantelkleid aus dunkler, fast schwärzlicher Purpurwolle und um die Stirn einen Kranz weißer Tazetten. Unter- und Obergewand waren mit großen Rubinen umsäumt.

Zunächst waren alle von der Erscheinung der Wirtin enttäuscht, dann ebenso entzückt; nie war die schöne Frau so schön gewesen! Aber man hatte etwas unerhört Glanzvolles erwartet und sah sich plötzlich dieser fast düsteren Majestät gegenüber.

Als Prisca die Fürstin von fern begrüßte, traf sie ein fragender Blick, der ihr sagte, daß sie nicht erkannt worden war. Plötzlich ging der zerstreute und gleichgültige Ausdruck in Überraschung und Staunen über, aber ebenso plötzlich wendete sie sich ab, um einer englischen Königstochter entgegenzugehen. Während des ganzen Verlaufs des Festes fand Prisca dann keine Gelegenheit mehr, sich der Purpurgekleideten zu nähern.

Was doch Farbe und Faltenwurf ausmachten! Alle diese edeln Menschengestalten gekleidet, wie auf dem nämlichen Boden ihre Vorfahren einstmals gekleidet waren! Und das antike Rom wie in Abgründe versunken, wie unter Aschenregen begraben!

Und die Farben, die lebensfreudigen leuchtenden Farben! Rot, Gelb, Blau, Violett in allen Tönen unter diesem Himmel, in dieser Luft, auf diesen Blumenwiesen, diesen Blütendickichten, in diesen Laubgängen...

Prisca ging umher wie im Traum, wie in stiller Verzückung. Daß die Menschen so schön sein konnten, daß die Welt so schön war! Sie wurde oft angesprochen, man sagte ihr freundliche und anmutige Dinge; sie antwortete nur mit einem strahlenden Blick, einem glanzvollen Lächeln. Sie mußte an alle die Gebilde denken, von denen ihr armer Vater ihr so oft vorphantasiert hatte, die er in seiner Seele getragen, aber niemals auf der Leinwand hatte verkörpern können. Hier waren jene Visionen eines Künstlergeistes leuchtende Wirklichkeit geworden.

Das gute Fräulein Friedrike hielt sich dicht an Priscas Seite und würde sich im siebenten Himmel befunden haben, wenn auch Peter Paul die Herrlichkeit hätte sehen können. Aber auch so war sie noch selig genug und hörte nicht auf zu staunen und vor Entzücken laut zu stöhnen, wenn die Worte nicht mehr ausreichten. Prisca erwiderte auf alles: »Ich höre Ihnen gar nicht zu, aber sprechen Sie nur, sprechen Sie nur! Es ist zu schön, ich bin zu glücklich!«

Sie begegneten dem jungen Siegfried. Er war als Germane gekommen, hatte den Pelz eines mächtigen Bären umgeworfen, die Stirn festlich mit Eichenlaub bekränzt. Er überragte alle um Haupteslänge, und die zierlichen Römer wichen ihm schier erschrocken aus. Dafür schauten alle Frauen auf ihn. Aber er ging dahin, als schritte er durch einen deutschen Urwald, ebenso unbekümmert um die einen, welche ihn mit Mißtrauen, als um die andern, die ihn mit unverhohlener Bewunderung ansahen. Als er die beiden bekannten Frauen erblickte, schien er unentschlossen, ob er sich ihnen anschließen und sie als ihr Ritter begleiten solle oder nicht. Er sah Prisca an, die ihn mit ihrem glücklichen Lächeln, ihren strahlenden Augen stumm grüßte. Ohne den Gruß zu erwidern, ging er vorüber.

Fräulein Friedrike war empört: »Da sehen Sie es wieder! Auf der ganzen weiten Welt kann nur ein Deutscher sich so barbarisch benehmen. Wie wundervoll höflich sind dagegen diese Römer! Und sie kennen uns nicht einmal. Ich versichere Sie, manchmal schäme ich mich, von dort drüben zu sein. Wir sind doch zu grobe Leute!«

Prisca antwortete nicht. Ihr Lächeln war seit der Begegnung womöglich noch glücklicher, ihr Blick noch glänzender geworden. Jetzt wußte sie's: er war eifersüchtig, er hatte sie gern, er! Wenn Prisca, dank Karl Steffens, jetzt auch beinahe schon wie ein Mann malte, so war sie doch im Herzen ganz ein Frauenzimmer geblieben – dem Himmel sei Dank! Wie es erst sein mußte, alle diese Herrlichkeiten zu erleben und dabei zu wissen, daß man heimlich gerngehabt, heimlich geliebt wird, vielleicht leidenschaftlich geliebt – Prisca wagte nicht, diesen Gedanken auszudenken.

Dann ging die Sonne unter, und nun erst war es recht eigentlich eine Herrlichkeit ohnegleichen. Gelbe und purpurne Himmelsgluten die Rasenplätze überschwemmend, Blumen und Dickichte durchfunkelnd, in die düstern Steineichenwölbungen eindringend und darin wie ein blutiges Flammenspiel gaukelnd! Und all der Glanz ausgegossen über das bunte Gewühl der schönen Kinder der Welt und der festlichen Lebensfreude.

Den bekränzten Germanen erblickten die beiden Frauen nicht wieder. Aber als die Gluten des Sonnenuntergangs verblaßten, als in dem schnell hereinbrechenden Zwielicht auch die Menschen im Garten großen, märchenhaften Blumen glichen, da sah Prisca einen andern Bekannten, Don Benedetto.

Als wäre er heimlich herbeigeschlichen, stand er plötzlich in dem mächtigen Schatten eines Lorbeerganges und spähte hinüber nach diesem Bacchanal des Lebens, schaute regungslos auf eine hohe Frauengestalt, die sich mit der Miene eines Marmorbildes huldigen ließ. Der junge Priester war so versunken in Anschauen, daß er Prisca, die dicht an ihm vorbeiging, gar nicht bemerkte. Sie sah in sein Gesicht und mußte gewaltsam einen Aufschrei ersticken. Nie, niemals hatte sie einen solchen Ausdruck von Leiden und Qual, von Verlangen und Sehnsucht gesehen. Es war wie das Antlitz eines in ewiger Nacht Lebenden, der den Tag sucht, eines Sterbenden, vor dem das wonnigste Dasein ausgebreitet liegt, und der seine ewige Seligkeit hingeben würde für eine Stunde des Glücks. Auch das wußte sie plötzlich: dieser junge, dem Tode verfallene Mann liebte die Fürstin, die schöne Frau seines Bruders! Und er liebte sie mehr als seinen Gott und Heiland, dem er doch sein ganzes Leben zum Opfer gebracht hatte.

Aber dieses Opfer war nutzlos geworden, denn Gott würde es von seinem schuldig gewordenen Verkündiger nicht annehmen.


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