Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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10. Alte Römer

Um der Berliner Geheimratstochter möglichste Ehre zu erweisen, putzte sich Prisca zu dem Besuch nach Kräften heraus und machte sich dann auf den Weg.

Es war Nordwind und grimmig kalt. Selbst Priscas hell glühende Begeisterung mußte zugeben, daß der Mensch auch in Rom gehörig frieren konnte; und sie bedauerte lebhaft, Muff und Pelzkragen in München zurückgelassen zu haben. Das Glöcklein hatte jedoch bei dem Gedanken, nach Rom Muff und Pelzkragen mitzunehmen, vor Entrüstung geradezu Sturm geläutet.

»Aber ich bitte dich, liebe Lange, du wirst damit in Rom einfach ausgelacht!«

Und ausgelacht zu werden, war für das arme lächerliche Glöcklein eine entsetzliche Sache; nur eines konnte noch schrecklicher sein: beim Cercle von den höchsten Herrschaften geschnitten zu werden.

Der Knabe Checco mußte die Neue bei der Signorina feierlich anmelden, welche Zeremonie er mit der Gewandtheit eines erfahrenen Hoflakaien ausführte. Er blieb lange aus und kehrte zu der im Garten wartenden und vor Frost zitternden Prisca mit dem Bescheid zurück: es würde der Signorina sehr angenehm sein.

Dann schilderte er mit den Gesten und der Mimik eines Komikers par excellence die Szene, wie die Signorina mit dem San Sebastian, der zufällig bei ihr war, Rat abgehalten, und wie darauf die beiden alten Römer einen feierlichen Empfang der Neuen vorbereitet hatten. Padre Angelico wollte in das Atelier seiner Freundin etwas Ordnung bringen und sogar abstäuben, was jedoch das Fräulein absolut nicht gelitten hatte.

Halb neugierig, halb befangen betrat Prisca das Atelier ihrer Landsmännin, fand jedoch nur die Dame anwesend.

Die Geheimratstochter empfing sie mit steifer Würde in einem abgetragenen schwarzen Merinokleid, einem schwarzen Spitzentüchlein um den ergrauten Kopf, am Arm den bewußten famosen Pompadour.

Sie mochte ehemals eine sehr reizende Dame gewesen sein, die jedem Berliner geheimrätlichen Salon zur Zierde gereichte; jetzt war sie, trotz der stattlichen Haltung, ein vertrocknetes Geschöpf, das etwas Verkümmertes, ja Verkommenes hatte. So wenigstens war Priscas erster Eindruck; und das Mitgefühl, das sie sogleich für die deutsche Kollegin empfand, wuchs augenblicklich zu einem warmen, starken Mitleid. Verfehlte Hoffnung, schwere Enttäuschung, langes, tief verschwiegenes Leid, heimlich erduldete große Not – von allen diesen trostlosen Dingen erzählte das würdevolle, welke Gesicht des armen alten Fräuleins eine lange, traurige Geschichte.

Prisca wurde mit dem steifen Anstand des ersten Empfanges auf einen Gegenstand, der einen Diwan vorstellen sollte, zum Sitzen genötigt; Fräulein Friedrike Baumbach nahm neben ihr Platz, hielt sich kerzengerade und leitete alsdann mit der Neuen, die sicherlich nicht die mindeste Befugnis hatte, nach Rom zu kommen, das Gespräch ein.

»Also, Sie sind aus München?«

Prisca mußte einräumen, daß sie aus dieser Stadt sei.

»Und Sie sind Malerin?«

Auch das konnte Prisca nicht leugnen.

»Und Sie kamen nach Rom? ... Mein Gott, jetzt kommt alle Welt nach Rom, seitdem es überall Eisenbahnen gibt. Mein alter Freund Peter Paul – Sie werden ihn kennen lernen, ein großer Künstler, der eines Tages weltberühmt sein wird, kam mit dem Vetturin von Viterbo durch die Porta del Popolo hier an. Das waren damals andre Zeiten! Aber davon können Sie sich natürlich keine Vorstellung machen. Überhaupt – was wissen denn diese Neuen von Rom? Von Roma vecchia, wissen Sie!«

Prisca gestand schüchtern, daß sie nichts davon wüßte, gar nichts! Und daß ihr das schrecklich leid täte; daß sie hoffte, von Fräulein Baumbach etwas davon zu erfahren. Es würde sie so interessieren!

Die Geheimratstochter schaute aus ihren matten Augen auf das Münchner Kind, welches gar nicht so übel zu sein schien. Wenn es sich nur nicht in den Kopf gesetzt hätte, ebenso wie alle Welt auch, gerade nach Rom zu kommen.

»Lieber Gott, was wollen Sie denn eigentlich in Rom?«

Prisca begann sich ganz schuldig zu fühlen. Ja, was wollte sie eigentlich in Rom?

Schüchtern legte sie das Geständnis ab, daß sie hergekommen sei, um in Rom zu malen.

»Zu malen!«

Es sollte ein Auflachen sein, klang jedoch mehr wie ein ersticktes Stöhnen. Prisca war erschrocken zusammengefahren, so schrill und dabei so tief schmerzlich war der Ton gewesen.

Eine Pause entstand.

Während derselben ließ Prisca ihre Augen durch das Atelier der Berlinerin schweifen ... Also so sah es bei einer alten Römerin aus! Fetzen von verschossenen Stoffen garnierten die Mauern, Lappen von alten Teppichen lagen auf dem häßlichen, selten gesäuberten Fußboden aus Ziegelsteinen. Fetzen und Lappen auf Kisten und Kasten, hingen als Draperie an dem schmutzigen Fenster, über dem feuerlosen Kamin; Fetzen und Lappen überall, wo Armseligkeit verdeckt werden sollte. Und zwischen den vielen, vielen bunten Fetzen und Lappen, aus denen sozusagen die ganze Einrichtung der alten Römerin bestand, bemalte Tamburins und bunte Wasserkrüge mit verstaubten Palmenblättern, mit verstaubten Zypressen-, Öl- und Steineichenzweigen, verstaubten Disteln, Kannenrohr und Tiberschilf.

Dann ein Museum antiker Marmorstücke, Ton- und Glasscherben, in dem großen schwarzen Pompadour mühselig herbeigeschleppt: ein Stücklein vom alten Rom.

Ja, und dann die Bilder! Alle die unverkauften Kopien der völlig talentlosen armen Berliner Geheimratstochter ... Kopien von Tizians »Irdische und himmlische Liebe«, von Guido Renis »Aurora«, von Carlo Dolces »Heilige Agnes«, Raffaels »Fornarina« und von dem populärsten römischen Frauenbildnis: der unglückseligen, holden Beatrice Cenci. Kopien der Beatrice Cenci zu Dutzenden, in allen Größen!

Prisca überlief ein Schauder. Sie war ganz blaß geworden, so blaß, das Fräulein Baumbach besorgt fragte, ob sie sich unwohl fühle.

»Es ist so kalt.«

»Kalt? Aber meine Liebe, wie können Sie es kalt finden? Kalt in Rom! Ich lebe volle dreißig Winter hier und habe es noch niemals kalt gefunden. Wenn Sie es schon jetzt und bei mir hier kalt finden, werden Sie sich niemals eingewöhnen. Da hätten Sie besser getan, in ihrem München zu bleiben, wo ja wohl die vielen modernen Kunstausstellungen sind und alle die modernen Maler wohnen. In Rom friert der Mensch nicht. Merken Sie sich das!«

Prisca, deren Schuldbewußtsein wuchs und wuchs, senkte ganz verzagt den Kopf. Aber nur einen Augenblick. Dann sah sie aus ihren mächtigen, strahlenden Augen der niemals Frierenden lächelnd ins Gesicht, faßte, ehe diese sich dessen versah, ihre beiden Hände und drückte sie herzhaft.

Wie eisigkalt diese armen, fleißigen Hände waren, die alle diese vielen, vielen unverkauften Kopien gemalt hatten! Ganz erstarrt und steif vor Frost, trotzdem der Mensch in Rom nicht fror. Zugleich entdeckte Prisca auf dem Tisch einen kleinen Henkeltopf aus glasiertem Ton. Das Gefäß füllte Asche, in deren Mitte einige verglühende Kohlen funkelten.

Es war dies jedenfalls der »Ofen«, der die alte Römerin seit dreißig Jahren wärmte, bei dessen Glut sie niemals fror!

Ganz verdutzt durch den plötzlichen herzhaften Händedruck der Neuen, die auch nach Rom gekommen war, um in Rom zu malen, wozu sie sicher durchaus keine Befugnis besaß, wollte die Geheimratstochter sich noch steifer auf ihrem mit Kissen belegten und mit Fetzen bedeckten, einen Diwan repräsentierenden Koffer in die Höhe richten. Aber Priscas Augen waren zu groß, ihr Blick zu glanzvoll, ihr Lächeln zu heiter, um solche zeremoniöse Pose zuzulassen. Und so geschah es, daß Fräulein Friedrike Baumbach die jungen, trotz des Frostes lebenswarmen Hände in ihren vor Kälte ganz blauen Fingern behielt und mit einem eigentümlichen Zucken der welken Lippen dem Eindringling in das von Mitgefühl und Güte leuchtende, so unschöne und doch so schöne Gesicht blickte. Dabei rief sie aus:

»Lieber Gott, Sie scheinen ja eine ganz nette junge Dame zu sein! Wenn Sie doch nur nicht hergekommen wären, um hier zu malen ... Verzeihen Sie einer alten Römerin, sie meint es gut mit Ihnen,« setzte sie fast herzlich hinzu.

Die Bekanntschaft des Herrn Peter Paul machte Prisca an diesem für sie so denkwürdigen Vormittage nicht. Fräulein Friedrike entschuldigte ihren langjährigen Freund:

»Er hat mich zwar heute vormittag ausnahmsweise in einer wichtigen Angelegenheit besucht; aber fremde Menschen sieht Peter Paul um diese Zeit nie. Es würde ihn ganz aus der Stimmung reißen. Und wenn er nicht in Stimmung ist, kann er nicht arbeiten. Stimmung ist bei Peter Paul alles. Und wo auf der Welt könnte er diese leichter finden als in Rom? Darum ist Rom auch der einzige Ort, wo er ...«

Mitten im Satze brach sie ab, als wäre sie im Begriff gewesen, dieser wildfremden Person ein Geheimnis zu verraten. Sie nahm eine womöglich noch hoheitsvollere Haltung an und fuhr mit ihrer würdevollsten Miene zum Lobe ihres Freundes fort:

»Er läßt in sein Atelier niemals sogenannte Romreisende ein; darum ist er auch lange nicht so bekannt, als er verdient. Er ist stolz. Ein stolzer Künstler hat es natürlich viel schwerer, bis er durchdringt. Aber mein Freund wird durchdringen! Überhaupt – ginge es auf der Welt gerecht zu, so müßte er längst ein berühmter Mann sein. Nun, das tut weiter nichts. Peter Paul ist darum doch ein großer Künstler. In seinen San-Sebastian-Darstellungen ist er unerreichbar. Sie werden ja selbst sehen. Er wird sich gestatten, Ihnen seine Aufwartung zu machen, was er eigentlich noch niemals getan hat, indem er noch mehr als ich es vermeidet, fremde Menschen kennen zu lernen. Noch dazu Deutsche! Und vor allem Künstler! Verzeihen Sie, liebes Fräulein; aber wenn Sie erst vierzig oder auch nur dreißig Jahre in Rom gelebt und die deutschen Künstler in Rom kennen gelernt haben, werden Sie unsre Zurückhaltung begreifen. In Rom braucht der Mensch überhaupt keinen Verkehr. Werden Sie glauben, daß wir: ich, die ich schon dreißig Jahre, und Peter Paul, der schon vierzig Jahre hier lebt, eigentlich noch immer nicht gut Bescheid in Rom wissen? Man braucht dazu mehr als ein Menschenleben. Hüten Sie sich also vor der Einbildung, daß Sie sich sobald auch nur annähernd hier auskennen werden.«

Prisca versprach ihr möglichstes, sich von diesem Wahn freizuhalten, eine Versicherung, die Fräulein Friederike sehr wohlwollend aufnahm.

»Ich sehe, Sie werden einmal eine Ahnung bekommen von dem, was Rom ist, was es immer noch bedeutet, trotz aller Verwüstungen dieser modernen Barbaren, die sich die neuen Römer nennen, und die verdienen, durch die Verachtung der ganzen gebildeten Welt gebrandmarkt zu werden. Die Bedeutung Roms nach einer Reihe hier verlebter Jahre auch nur zu ahnen, ist ein köstliches Glück. Ihnen werden die Augen aufgehen, wenn Sie erst gelernt haben, sie in Rom zu gebrauchen. Das erste ist, daß Sie sehen lernen müssen. Lassen Sie sich also um Himmels willen nicht einfallen, hier gleich zu malen. Fangen Sie nicht eher mit dem Malen an, als bis Sie sehen lernten. Also vielleicht in drei bis vier Jahren! Aber daß Sie überhaupt malen wollen? ... Mein liebes Fräulein, ich meine es wirklich gut mit Ihnen.«

Prisca fühlte das. Und weil sie das warme Gutmeinen der armen Geheimratstochter erkannte, so konnte sie nicht verhindern, daß ihr etwas beklommen zumute ward; »wieder einmal«, wie sie sich selbst ausschalt. Als sie nach einem fast herzlichen Abschied durch die Rosen- und Lorbeerhecken nach ihrem geliebten, aber ach! so kalten Studio zurückging, ward ihre Seele von einem Frosthauche durchweht, den sie aus dem Zimmer der Berlinerin mit sich genommen hatte, und alle Pracht der Blüten ringsum, aller Glanz des sonnigen Tages kam ihr unwahrscheinlich vor wie märchenhafte Dinge. Und immer wieder tönte es in ihrem Innern nach: ›Erst Rom sehen lernen und dann erst ...‹ Und auch dann hätte sie, die Kleine, Armselige, Zwerghafte, in dem Rom eines Michelangelo, eines Raffael keinen Pinsel anrühren dürfen.

So riet ihr jemand, der es gut mit ihr meinte und der es wissen mußte.

Genau nach der Regel der guten Welt wurde Priscas Visite den zweiten Tag darauf erwidert. Fräulein Friedrike erschien in einem schwarzen Federhut und einer schwarzen, mit langen Seidenfransen besetzten Mantille nach der Mode der sechziger Jahre. Sie wurde von Herrn Peter Paul begleitet, der in einem kaffeebraunen, altväterischen Leibrock prangte und einen grauen, breitrandigen Filzhut bei sich führte, eine Form der Kopfbedeckung, wie sie die Häupter der Rompilger zu Anfang des Jahrhunderts geziert hatte.

Selbstverständlich trug der alte Herr bis auf die Schultern herabfallendes Haar. Es war schneeweiß und umrahmte ein feines, rosiges Gesicht mit einem Kinderausdruck und hellen, unschuldigen Augen. Zu diesem liebenswürdigen Antlitz, an dem Prisca sogleich ihre herzliche Freude hatte, paßte die zarte und zierliche Gestalt des alten Römers ausnehmend gut.

Auf den Besuch vorbereitet, hatte Prisca die deutsche spießbürgerliche Ordnung und Sauberkeit, die in dem im übrigen sehr öden Raum herrschte, dadurch zu erhöhen gesucht, daß sie ihr bereits am dritten Tage – man denke! – in Rom angefangenes Bild »Römischer Lorbeer mit Rosen« und sämtliche aus München mitgebrachten Skizzen voll ängstlicher Scheu versteckt hatte: aus Feigheit, wie sie sich ehrlich gestand. Auf dem Tische prangte als einziger Schmuck in einem hübschen bunten Tonkrug, den Checco für das Dreifache seines Wertes für seine Signorina eingehandelt hatte, ein mächtiger Strauß frischen Grüns, dessen Knospen – es war noch nicht erblühter Laurustinus – rosig glänzten.

Das Gespräch kam natürlich auf Rom, auf die alten Römer, die alten Zeiten, die alten Künstler, die alten Ideale. Herr Peter Paul plauderte allerliebst von diesen Dingen, mit einem feinen, hellen Stimmchen in der Sprache seiner Heimat, die er in Rom verleugnete, wie auch die Tochter des Herrn Geheimrats trotz ihres Berliner Dialektes sich durchaus als echte Römerin fühlte. Prisca fiel auf, wie sehr gerade diese beiden das ihrer Nationalität Eigentümliche beibehalten hatten, so daß beide noch jetzt als Typen ihrer Heimat gelten konnten.

Einigemal schwenkte die Unterhaltung von Rom ab, was Prisca benutzte, um ein Wörtlein zu Ehren ihres lieben, alten Münchens einzuschalten, wobei sie auch das dortige Kunsttreiben berührte. Sie nannte die gefeierten Namen Lenbachs und Stucks und sprach von der Sezession und deren siegreichen Kämpfen. Da sie von diesen scharfen Tagesfragen sich selbstredend ganz fern gehalten hatte, für sich nichts andres verlangte, als ihr Talent voll ausleben zu lassen, und da sie ferner alles gelten ließ, was mit wirklichem Können dargestellt und zugleich ehrlich empfunden war, so redete sie von dem deutschen Kunstwesen mit leidenschaftsloser Objektivität, freudig anerkennend und nur ungern und zaudernd absprechend.

Bald jedoch wurde sie aus ihrem ruhigen Wesen aufgeschreckt, indem sie gewahrte, wie Fräulein Friedrike ihr verstohlen heftige Zeichen machte, sie bittend, zu schweigen. Als sie in ihrer Verwirrung ihren andern Besuch ansah, erschrak sie über den Ausdruck, den das feine Greisenantlitz plötzlich angenommen hatte. Unruhe, Angst und noch ein andres, wofür Prisca nicht gleich den Namen fand, malte sich auf den Zügen des alten Heiligenmalers in solcher Stärke, daß sie sogleich verstummte.

Um das Peinliche der Situation zu mildern, erklärte Fräulein Friedrike in möglichst gleichgültigem Tone:

»Sie sind, ich muß es Ihnen wiederholen, noch vollständig unbekannt damit, wie der Mensch, für den Rom keine Stadt mit Ruinen, sondern ein erfülltes Ideal bedeutet, hier lebt, wie wir, Herr Peter Paul und meine Wenigkeit, hier leben. Uns beiden bedeutet Rom die ganze Welt. Sie sprachen von Lenbach und Stuck, von Sezession und so weiter. Mein Gott, wir beiden wissen kaum, wer Lenbach und Stuck sind, und was für ein Wesen die Sezession in München ist. Wir kümmern uns nicht um diese Menschen und diese Dinge. Wir kümmern uns nur um Rom, um unser Rom! Peter Paul malt seit vierzig Jahren seine lieben, herrlichen Heiligen, besonders seinen unübertrefflichen San Sebastian – Sie sind darin unübertrefflich, mein Bester! – und meine Wenigkeit kopiert seit dreißig Jahren Raffael und Guido Reni, Tizian und Leonardo da Vinci.

»Das sind Namen, das waren Männer, das ist Kunst! Und das bleibt ewig Kunst, das einzig und allein.«

»Wir wissen hier also von keiner modernen Zeit; ausgenommen das eine, daß sie eine Barbarin ist und Rom zerstört hat. Wir wissen hier von keiner modernen Richtung. Sie haben mit dem ewigen Wesen Roms nichts zu tun. Auch Sie, mein liebes Fräulein, sind absolut kein moderner Mensch, wenn Sie sich vielleicht auch einbilden, ein solcher zu sein. Sie sind ein so unmoderner Mensch, daß Sie verdient hätten, mit dem Vetturin von Viterbo nach Rom gekommen zu sein, anstatt mit dieser abscheulichen Eisenbahn. Deshalb eben gefallen Sie Herrn Peter Paul und meiner Wenigkeit. Ich hoffe, wir werden gute Bekannte; und Sie werden mit unsrer Hilfe wenigstens einmal ahnen, was Rom ist. Nur tun Sie uns beiden alten Römern den großen Gefallen, zu uns nicht von Menschen und Dingen zu sprechen, die uns hier ganz und gar nichts angehen, und die wir hier bei unserm Raffael und Guido Reni, im Vatikan und auf dem Palatin, in der Campagna und in Frascati absolut nicht brauchen können.«

Diese bedenkliche Rede hielt die alte Dame mit so heiliger Überzeugung, solchem fanatischen Glauben an das Dogma: Rom sei das Universum, daß Prisca nichts zu entgegnen vermochte. Aber ihre lebenswarme Seele fühlte sich durch das gespenstische Wesen der zwei alten Römer angeweht wie von einem Geisterhauch.


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