Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20. Don Benedetto

Als Fürst Alexander vor vielen Jahren einen Winter in Rom zubrachte, nahm er seinen jüngsten Bruder Stephan mit. Der Knabe war zart und sollte dem nordischen Klima entrückt werden. Er war der Liebling des ganzen Hauses, dessen Erziehung ein alter, frommer französischer Priester leitete, ein weiches, liebenswürdiges, aber sehr phantastisches Kind. Besonders Fürst Alexander, der um volle fünfundzwanzig Jahre älter war, liebte seinen Bruder leidenschaftlich, mit fast väterlicher Empfindung. Damals war er fest entschlossen, niemals zu heiraten, und er freute sich, daß der geliebte Knabe einstmals sein einziger Erbe sein würde. Übrigens wollten sich die Brüder so wenig als möglich trennen.

In Rom sollte Prinz Stephan mehr seiner Gesundheit als seinen Studien leben. Fürst Alexander selbst leitete die Erziehung des überaus sensitiven Knaben, der ohne die besondere Billigung seines Bruders kein Buch in die Hand bekam, keine Ausfahrt und keinen Spaziergang unternehmen durfte. Außer jenem würdigen Geistlichen befand sich noch ein junger, sehr sorgsamer Arzt und ein dem Hause Romanowski mit Leib und Seele ergebener Kammerdiener um des Prinzen Person.

Die Seele voll hoher und heißer Erwartungen kam Stephan nach Rom. Die Größe des antiken Rom bestand für ihn so wenig wie die Herrlichkeit der Renaissance. Rom galt ihm nur im christlichen Sinn als das Einzige und Ewige. Aber in diesem Gefühl begeisterte ihn die Vorstellung, in Rom zu sein, bis zur Ekstase.

Der Ort, wo die erste Christengemeinde gebetet und gelitten, wo die ersten Märtyrer gestorben waren, deuchte ihn beinahe so ehrwürdig wie die Schollen des Heiligen Landes selbst. Zu allen diesen geweihten Stätten zu pilgern, an allen Märtyrergräbern heiße Andacht zu halten, die Katakomben zu besuchen, die Stufen der heiligen Treppe zu küssen, an den Grüften der beiden großen Apostel zu knien, erschien ihm als höchste irdische Glückseligkeit.

Der Arzt beobachtete den Prinzen, wurde besorgt und bat Fürst Alexander, den Aufenthalt in Rom möglichst abzukürzen und nach Cannes oder Palermo zu gehen. Der zarte Organismus des Prinzen könnte durch die Gewalt der römischen Eindrücke ernstlich Schaden leiden.

Sofort ließ Fürst Alexander eine Villa an der Riviera mieten. Bevor sie jedoch Rom verließen, wollte er seinem Bruder die feierlichsten und erhabensten Augenblicke gönnen, welche ein frommer Christ erleben kann: eine Audienz beim Heiligen Vater.

Der Arzt hatte ernste Bedenken, doch der Fürst war von seinem Vorhaben nicht abzubringen, um so weniger, als Leo XIII. in seiner Teilnahme für die Romanowski bereits nach dem jungen Prinzen gefragt hatte.

Also wurde Stephan auf die große Stunde, die im Vatikan seiner harrte, vorbereitet und geriet schon in der Erwartung in eine Stimmung der Andacht und Ergriffenheit, als sollte er eine Weihe empfangen, die wie der heilige Geist über ihn sich ausgießen würde.

Den Tag vor der Audienz fastete der Knabe, und die ganze Nacht brachte er in heimlichem Gebet zu, damit er der bevorstehenden Heiligung würdig sein möge.

Als dann die schwache, lichte Gestalt des hehren Greises vor ihm stand, als das weiße Gewand, das einen bereits verklärten Leib zu umschimmern schien, erstrahlte, als er in das wachsbleiche, leuchtende Antlitz schaute, dessen Züge nur Geist waren, Geist vom Geist Gottes – da wurde der Jüngling von einer Bewegung erfaßt, daß man ihn unter den segnenden Händen des Heiligen Vaters fortnehmen und bewußtlos hinaustragen mußte.

Er erkrankte. Täglich schickte der Papst einen Kämmerer, um über den Zustand des Prinzen eingehenden Bericht zu erstatten, und er ließ dem Fürsten sagen, daß er für die Genesung seines Bruders bete.

Stephan genas und erklärte, der Welt entsagen und Priester werden, in Rom bleiben und dort die Weihen empfangen zu wollen. Von diesem Entschluß würde nichts ihn abbringen können.

Fürst Alexander war außer sich. Als guter Katholik vermochte er gegen das fromme Vorhaben nichts einzuwenden, als guter Bruder konnte er dasselbe nicht zugeben! Es war vorauszusehen, und der Arzt mußte dem beipflichten, daß die Aszese, welcher der Prinz zweifellos verfallen würde, seine überempfindliche und zärtliche Natur vollends untergraben müßte.

So drang denn Fürst Alexander mit den liebevollsten Vorstellungen, den innigsten Bitten, schließlich mit leidenschaftlichem Flehen in seinen Bruder. Aber vergebens! Darauf machte er geltend: wenn er seiner brüderlichen Bitte nicht Gehör gäbe, so hätte er seinem brüderlichen Gebot Folge zu leisten.

Trotz der Schwäche des Rekonvaleszenten befahl Fürst Alexander sogleich die Abreise. Auch das vergebens! Der Prinz weigerte sich, Lebensmittel zu sich zu nehmen, und drohte durch freiwilliges Hungern sich zu töten.

Es gab nur eine halb überirdische Macht, die den Jüngling von seinem Entschlüsse abbringen konnte: der Papst! Fürst Alexander warf sich Leo XIII. zu Füßen und erbat sein direktes Einschreiten gegen die Wünsche seines Bruders. Der Heilige Vater erklärte jedoch, solches nicht tun zu können und nicht tun zu wollen.

Um Prinz Stephan nicht Hungers sterben, nicht durch Selbstmord endigen zu lassen, mußte Fürst Alexander einwilligen.

Der Prinz trat in Rom in ein geistliches Seminar, das sich der besonderen Vorliebe des Papstes erfreute. Mit Leidenschaft gab sich der Jüngling dem Studium der Kirchenlehre hin und genoß vorahnend schon jetzt alle ekstatischen Wonnen, die ihm als Priester aus dem Dornenkranz Christi erblühen würden. Am liebsten wäre der Prinz in die Propaganda getreten, um sich ganz der Mission zu widmen, ein hoher Beruf, zu dem ihn jedoch seine immer zarter werdende Gesundheit untauglich machte. Als einem Prinzen Romanowski war ihm einstmals der Kardinalhut sicher, doch der Prinz erklärte schon jetzt, zeit seines Lebens ein einfacher Priester bleiben zu wollen. Da er sein Ideal eines Missionsgeistlichen nicht zu erfüllen vermochte, wäre er am liebsten der Hirt einer Gemeinde von lauter Armen und Kranken geworden.

In Rom empfing er die ersten Weihen. Der Heilige Vater selbst erteilte sie ihm in seiner Hauskapelle.

Fürst Alexander war bei der heiligen Handlung zugegen. Während der junge Diener des Herrn, der den schönen Namen Benedetto erhielt, sich in einem Zustand von Verzückung befand, war der Fürst in tiefer und schmerzlicher Bewegung. Er hatte Tränen in den Augen, die ersten seines Lebens.

Bald darauf kam das Ereignis seiner Vermählung. Don Benedetto war der einzige, dem Fürst Alexander vorher davon Mitteilung machte: an dem Tag vor seiner Abreise nach Paris. Der junge Priester umarmte ihn schweigend, lehnte jedoch ab, seine zukünftige Schwägerin zu sehen.

Diese Weigerung war der einzige Schatten, der damals auf des Fürsten Bräutigamsglück fiel.

Don Benedetto wußte es durchzusetzen, daß ihm ein Amt in einer kleinen Diözese in der Nähe von Rom übertragen wurde, wo er seiner Neigung, unter lauter Mühseligen und Beladenen zu wirken, ganz sich hingeben konnte. Drei volle Jahre hielt er an dieser trostlosen und öden Stätte aus, wo er sicher zugrunde gegangen wäre, hätte nicht das Schicksal eine bedeutsame Wendung gebracht.

Ein typhöses Fieber befiel ihn. Und obzwar er mit seiner letzten Besinnung verbot, seine Erkrankung nach Rom zu berichten, geschah dies dennoch. Die Nachricht von Don Benedettos lebensgefährlichem Zustand traf in Rom gerade zu einer Zeit ein, wo Fürst Alexander nach dreijähriger Abwesenheit dort anlangte, um seine Frau in die große römische Welt einzuführen. Er eilte nach Tolfa, brachte seinen Bruder, sobald es anging, nach Rom und in die Villa, wo Don Benedetto nach langer Krankheit unter der sorgsamsten Pflege genas. Während dieser ganzen Zeit bekam er die Frau seines Bruders mit keinem Blicke zu sehen. Auch drückte er niemals diesen Wunsch aus, so ungeduldig Fürst Alexander darauf wartete.

Bereits konnte der Patient sein Bett verlassen, bereits sprach er von seiner baldigen Abreise, zurück in sein winterliches, trostloses Tolfa.

Fürst Alexander kannte seinen Bruder, wußte, daß dieser noch sterbend seinen Willen durchsetzen würde. Er würde ihn ziehen lassen müssen, um ihn vielleicht schon nach einigen Wochen als Leiche nach Rom zu führen. Aber auch jetzt noch immer nicht die Frage: wann kann ich deine Frau kennen lernen?

Nicht einmal ihren Namen nannte er, den aus höchster Rücksicht für diesen zärtlich geliebten Bruder auch der Fürst niemals vor ihm aussprach.

Die Zimmer Don Benedettos lagen im Erdgeschoß und führten auf eine Terrasse, von der aus man in den Park hinabgelangte. Über die flach geschnittenen breiten Wipfel der Steineichenallee hinweg fiel der Blick auf die trümmerbesäte Campagna und das Albanergebirge mit dem schirmenden Kranz seiner Städte. Der Gipfel des Monte Cavo mit Rocca di Papa und die Höhen von Tuskulum mit Frascati lagen dieser Terrasse gerade gegenüber.

Eines Vormittags fiel der Herbstsonnenschein so warm und wohlig durch die weit offenen Türen in das Krankenzimmer, daß eine Regung nach Daseinsfreude, ein Drang nach Leben den jungen Priester hinauslockte. Ohne nach einer Hilfe zu rufen, wankte er an seinem Stock hinaus, schlich wie auf verbotenen Wegen die Terrasse hinunter und in die Laubgänge des Parkes, deren schwarze Schatten ein Heer flimmernder Sonnenstrahlen wie Schwärme goldiger Schmetterlinge umgaukelten.

Das Leben war doch schön! Ach, es war viel zu schön, und eine Sünde war's, es zu lieben ...

Plötzlich trat aus einem Seitengang ihm eine hohe, weiße Frauengestalt entgegen. Wie eine Erscheinung stand sie in der Dämmerung der Steineichen, bewegungslos auf den jungen Priester schauend.

Dieser ging auf sie zu.

So lernte Don Benedetto die Frau seines Bruders kennen und – von seiner Abreise nach dem mörderischen Tolfa war niemals mehr die Rede.

Fürst Alexander war glückselig, den Bruder behalten und ihn bis zu seinem letzten Augenblick in Liebe und Sorge förmlich einhüllen zu dürfen. Letztere Absicht wurde ihm indessen mehr als erschwert.

Sobald Don Benedetto stillschweigend in sein längeres Verweilen gewilligt hatte, verließ er seine sonnige, schöne Wohnung und wählte sich selbst sein Zimmer. Das bescheidenste und unfrohste Gelaß im ganzen Hause, ein kleiner, nach Norden gelegener Raum mußte ihm überlassen werden, nur mit dem Notdürftigsten ausgestattet. Der Fürst machte den Versuch, den Steinboden mit einem Teppich zu belegen und einen etwas bequemeren Sessel einzuschmuggeln. Doch ließ Don Benedetto sogleich beides entfernen. Aus Furcht, ihn nach dem schrecklichen Tolfa zu verjagen, wagte der Fürst keine Widerrede, ja nicht einmal eine Bitte.

In der römischen Zelle lebte nun Don Benedetto, wie er in seinem trostlosen Priesterhause gelebt hatte. Sobald er ausgehen konnte, suchte er sich seine Gemeinde von Elenden und Kranken zusammen, die er in einem der modernen römischen Quartiere nur zu zahlreich fand und die sich von Tag zu Tag vergrößerte. Don Benedetto predigte nicht Nächstenliebe, sondern er übte sie. Seine Worte bestanden in Werken. Der Fürst hatte ihm eine Summe zugestellt, die den Priester in den Stand setzte, wie der Almosenier eines Königs zu verfahren.

Seine Mahlzeiten ließ er sich mittags und abends auf sein Zimmer bringen. Sie durften nur aus Wein und Brot, aus Früchten und Gemüsen bestehen. Er genoß nur das Notwendigste und hielt häufig strenge Fasten.

In das Weltleben seines Bruders sich zu mischen und Aszese zu predigen, kam ihm nicht in den Sinn. Don Benedetto war immerhin ein Prinz Romanowski! Und als solcher kannte er die Pflichten, die dem Chef des Hauses der Gesellschaft gegenüber oblagen.

Als Fürst Alexander seinen ständigen Aufenthalt in Rom nahm, hatte er beabsichtigt, einen römischen Geistlichen, einen Kaplan, seinem Hausstand einzuverleiben und wegen dieser wichtigen Persönlichkeit selbst im Vatikan Anfrage gehalten. Bevor dies geschah, erschien in der Villa der todkranke Benedetto. Er genas, kehrte nicht nach Tolfa zurück. Nun übernahm, ebenso wortlos wie er geblieben war, Don Benedetto die Funktionen eines fürstlichen Hausgeistlichen. In der ersten Zeit verkehrte er mit seinem Bruder und dessen Frau fast nur bei feierlichen Gelegenheiten, bei der Messe, der Abendandacht und – der Beichte.

Kurze Zeit, nachdem Don Benedetto sich dieser Art in der Villa Romanowski installiert hatte, wurden in München von priesterlicher Seite vorsichtige Erkundigungen nach einer gewissen Prisca Auzinger eingezogen, nach Rom berichtet und dort fortgesetzt.

Auch über den Bildhauer Karl Steffens informierte man sich.

Einmal jede Woche lag die Fürstin vor dem todkranken und todblassen jungen Priester auf den Knien und flehte ihn an, ihr ihre Schuld zu vergeben, was im Namen Gottes zu tun Don Benedetto sich weigerte. Sie müßte denn ihre Schuld erst gesühnt haben.

Aber die Sühne, welche der Priester von der schönen Frau forderte, war für sie zu groß und schwer.

Bisweilen – allerdings sehr selten, nahm Don Benedetto an der Familientafel teil; jedoch nur, wenn kein einziger Gast anwesend war. Er rührte dann von den gastronomischen Kunstwerken des Chef de cuisine, der, nebenbei gesagt, den Gehalt eines Ministers erhielt und allein für Trüffeln das Jahreseinkommen einer anständig lebenden Familie verbrauchte – keinen Bissen an, sondern es wurden ihm eigens seine nur in Wasser gesottenen Gemüse serviert. Erfuhr die Fürstin Maria, daß Don Benedetto zum Diner erscheinen würde, was ihr jedesmal gemeldet werden mußte, so trug sie stets ein hohes Kleid und legte nie Schmuck an, obgleich der Fürst seine schöne Frau auch dann gern festlich gekleidet sah, wenn sie allein speisten.

Der Platz der Fürstin an dem runden Familientisch war dem Fenster gegenüber, denn sie liebte es, beim Lunch auf die Landschaft hinauszusehen. Eines Tages, als die Winterluft so klar war, daß man in der Campagna jede Ruine, von Frascati jedes Haus deutlich erkennen konnte, fragte Don Benedetto seinen Bruder:

»Was ist dort über Frascati, gerade unter dem Gipfel von Tuskulum, für ein großes, leuchtendes Haus?«

»Die Villa Mondragone.«

»Nicht doch.«

»So ist es die Villa Falconieri.«

»Ist dort nicht ein berühmter Zypressenteich?«

»Das kann ich dir wirklich nicht sagen, aber ich glaube, Maria weiß dort Bescheid.« Und er wendete sich an seine Frau:

»Du warst gewiß oft in Frascati?«

»Ich war einmal dort.«

»Kennst du die Villa Falconieri und den Teich?«

»Ja.«

Dann sprach man von etwas anderm.

Als Don Benedetto das nächste Mal mit seinen Verwandten frühstückte, bemerkte er, daß die Fürstin ihren Platz gewechselt hatte. Sie konnte nun nicht mehr die Campagna sehen, nicht mehr die Villa Falconieri mit den schwarzen Schatten der Zypressen neben dem leuchtenden Hause. Und sie behielt fortan diesen Platz.

Ein andres Mal war die Rede von einem schönen und leichtfertigen Mädchen, dessen Seele Don Benedetto retten wollte. Fürst Alexander erkundigte sich nach den Verhältnissen des armen Geschöpfes. Der Priester berichtete darüber.

»Sie wurde bereits als ganz kleines Kind von ihrer Mutter verlassen. Die Schuld an den Verirrungen dieser Unglücklichen trifft in erster Linie diese unnatürliche Mutter. Denn außer unsrer heiligen Religion ist Mutterliebe diejenige segensvolle Kraft, die uns für das Gute und Reine im Leben erzieht. Ein Mädchen, dem eine fromme Mutter zur Seite steht, wird den Weg der Tugend schwerlich verlassen. Hätte jenes beklagenswerte Wesen nicht eine sündhafte, treulose Mutter besessen, so wäre sie jetzt vielleicht die tüchtige Frau eines ehrenwerten Mannes.«

Fürst Alexander stimmte seinem Bruder mit Lebhaftigkeit bei; die Fürstin schwieg.

Am nächsten Vormittag, eine Stunde nach der Messe, welche niemand im Hause versäumte, pochte es leise an die Tür von Don Benedettos Zimmer, und auf des Priesters »Herein!« trat die Fürstin Maria ein.

Der junge Geistliche grüßte stumm und holte für seine Schwägerin einen Sessel herbei. Aber sie blieb stehen. Don Benedetto sprach kein Wort und wartete auf ihre Anrede.

»Ich möchte Ihnen eine Bitte vortragen.«

»Daß ich das Haus Ihres Gatten verlassen und nach Tolfa zurückkehren soll? ... Ich werde jedoch bleiben. Sie wissen, warum.«

»Um meine Seele zu retten.«

»Ich muß sie retten. Es ist das meine Pflicht, nicht nur als Bruder, sondern auch als Priester. Diese Pflicht werde ich erfüllen und danach aus dem Leben gehen. Denn nicht eher werde ich sterben, als bis ich diese Pflicht gegen Ihre schuldbeladene Seele und meinen Bruder erfüllt habe.«

»Ich soll ihm alles sagen?«

»Sie sollen sühnen.«

»Sie wissen, wie Ihr Bruder mich liebt.«

»Sie sollen sühnen!«

»Das will ich. Aber ich will Ihren Bruder nicht unglücklich machen.«

Aber zum dritten Male sprach der junge Priester sein erbarmungsloses: »Sie sollen sühnen!«

»Wie kann ich das, ohne den Fürsten unglücklich zu machen? Sie lieben ihn ja doch auch!«

»Bekennen Sie sich zu der Tochter, die Sie treulos und schändlich verließen. Nicht nur Ihrem Mann gegenüber, vor aller Welt bekennen Sie sich zu ihr.«

»Lassen Sie mich eine Wallfahrt tun: zur allerheiligsten Mutter von Genazzano auf nackten Füßen.«

»Die Mutter des Herrn wird Sie abweisen, solange Sie sich nicht zu Ihrem Kinde bekannten.«

Die Fürstin erwiderte: »Ich kann nicht.«

»Ihre Tochter hätte werden können, was jene andre Mutterlose geworden, und es wäre Ihre Schuld gewesen.«

»Ich kann nicht, kann nicht!«

Don Benedetto fühlte sich an diesem Morgen besonders erschöpft und elend, so daß er, um nicht umzusinken, einen Halt an seinem Tische suchen mußte. Aber keine Miene verriet seinen Zustand, und er wendete seine brennenden Augen von der Fürstin nicht ab. Mit schwerem Atem sagte er:

»Ja, ich liebe meinen Bruder, ich leide um ihn. Ich leide, weil ich seine Leidenschaft für Sie erkannt habe und weil ich diese verdammen muß. Ich leide, weil Sie ihn täuschten. Anstatt ihm alles zu bekennen, waren Sie feige, betrogen Sie ihn. Das taten Sie, die Sie ein stolzes Weib sein wollen.«

Er sah, wie seine Worte sie gleich Dolchspitzen trafen, wie sie ein Stöhnen erstickte, wie sie litt: so grausam fast, wie er selbst. Es tat ihm wohl, sie so blutig leiden zu sehen. Ihr Leiden würde dieser Sünderin zur Besserung und Läuterung dienen, würde sie zur Buße und Sühne führen, sie Gott in die Arme werfen, den sie verlassen hatte, als sie ihr Kind verließ.

Um die wunderschöne, schuldbeladene Frau wieder in Gottes Arme zu führen, hätte dieser Priester sie mit Wonne kreuzigen und martern können.

Sie war gekommen, um Don Benedetto eine Bitte vorzutragen. Das tat sie jetzt mit leiser Stimme und demütig gesenktem Blick.

»Sie erzählten uns gestern von jenem Mädchen. Ich möchte Ihnen gern helfen.«

»Helfen, wobei?«

»Die Ärmste von ihrer Umgebung zu befreien.«

»Und dabei wollen Sie mir helfen?«

»Ich bitte Sie darum.«

»An der Fremden möchten Sie sühnen, was Sie an der eignen Tochter verübten?«

Die Fürstin stammelte:

»Ich war so jung, so kindisch jung, haben Sie doch Erbarmen mit mir!«

»Sühnen Sie an Ihrer eignen Tochter.«

Da brach es aus ihr heraus: »Ich würde mich vor meiner eignen Tochter zu Tode schämen müssen. Überdies hält sie mich für längst gestorben ... Don Benedetto, gestatten Sie mir, die Fremde in mein Haus zu nehmen.«

»Nein!«

*

Sandro Botticelli machte Prisca schwer zu schaffen. Dem ersten guten Anfang folgten viele Tage neuer Mutlosigkeit, neuer höflicher Selbstgespräche und nicht immer neues Gelingen.

Zu verschiedenen Malen vernahm Prisca hinter sich jenes knisternde Rauschen eines schleppenden Seidengewandes, und jedesmal empfand sie sogleich eine heftige, ihr immer unerklärlicher werdende Erregung. Sie trat dann von ihrer Staffelei zurück und grüßte die Fürstin ehrfurchtsvoll.

Bisweilen ging diese, ohne sie eines Blickes zu würdigen, mit einem leichten Nicken vorüber; bisweilen blieb sie stehen und sprach Prisca an. Diese überkam dabei stets das Gefühl: es kostet ihr starke Überwindung, dich anzureden. Aber warum tut sie's dann? Sie kann dich nicht ausstehen. Wahrscheinlich bist du ihr zu häßlich, und sehr schöne Menschen können sehr häßliche Leute nicht leiden. Sie brauchte dich ja aber gar nicht anzureden, wenn du ihr so widerwärtig bist.

Prisca fiel auf, daß die Fürstin nie ihre Kopie betrachtete und daß in ihrem ganzen Wesen etwas lag, als ob sie mit ihrem flüchtigen Gruß und ihrer kurzen Anrede eine Pflicht erfülle. So sehr sie die schöne Frau bewunderte, erwachte doch zuletzt mehr und mehr ein stolzer Trotz in ihr, so daß sie der Fürstin nur das Notwendigste erwiderte und sich jedesmal zwingen mußte, das Wenige möglichst gelassen zu sagen.

Groß war ihr Erstaunen, als eines Tages die Fürstin ihr den Vorschlag machte, während der Dauer ihrer Arbeit in der Villa zu wohnen. Sie hätte erfahren, wie weit ihr Weg täglich sei; das Wetter sei im März meist sehr schlecht. Es würde sie freuen, wenn die Künstlerin das Anerbieten annehme, sie solle durchaus ungestört bleiben.

Dankend lehnte Prisca ab. Aber sie zerbrach sich vergeblich nach einer Erklärung den Kopf. Schließlich kam sie zu dem Schluß, daß es nur eine Laune der Fürstin sei. Diese Damen der großen Welt waren sicher schrecklich kapriziös! Die majestätische Art der Fürstin Maria hatte Prisca bisher ganz vergessen machen, daß sie nicht immer eine große Dame gewesen.

Als Fräulein Friedrike von dem Anerbieten erfuhr, geriet sie in hochgradige Erregung.

»Und Sie lehnten ab? Aber um Gottes willen, weshalb denn nur? In einer römischen Villa wohnen zu können, das ist ja geradezu unsagbar. Sie hätten sicher die gesamte römische Aristokratie kennen gelernt, alle diese Herzoginnen und Prinzessinnen, die von den alten Römern abstammen, wissen Sie, von den ganz alten. Und solches Glück lassen Sie sich entgehen? Was wird Peter Paul dazu sagen? Sie sind aber auch wirklich ein schwer zu verstehendes Geschöpf.«

Prisca behauptete lachend, das normalste, nüchternste, uninteressanteste Wesen unter der Sonne zu sein. Sie passe in die Villa Romanowski so wenig, wie die alte Schwabinger Dorfkirche in eine Großstadt und ihre liebe Signorina Rica nach Berlin unter die Linden. Letzteres war das größte Kompliment, welches ein Mensch dem guten Fräulein Riekchen sagen konnte, was die listige Prisca sehr wohl wußte. Ihre Freundin strahlte denn auch sofort über das ganze Gesicht und erklärte: Prisca verstünde sie vollkommen.

Die beiden Frauen kamen überein, Karl Steffens von der Einladung nichts zu sagen; seiner daß Fräulein Friedrike an einem der nächsten Vormittage in die Villa kommen solle, um Priscas Kopie zu begutachten.

»Meinen Pompadour nehme ich lieber nicht mit. Denn es ist das nun einmal meine schlechte Eigenschaft, wenn ich in einer der Villen bin und die schönen Blumen sehe, um die kein Mensch sich kümmert, und wenn ich dann meinen lieben, großen Pompadour bei mir habe, stehle ich in Gottes Namen Blumen, soviel ich nur kann. Aber verlassen Sie sich darauf, in die Villa Romanowski komme ich ohne meine Diebstasche. Ich werde Sie doch nicht kompromittieren!«

Sie hielt denn auch Wort und erschien, von dem fast höflichen Lakaien geführt, ohne ihre geliebte, umfangreiche Begleiterin in der Galerie. Aber sie war so erregt, daß sie anfänglich Priscas Bild gar nicht beachtet?.

»Stellen Sie sich vor, daß der Portier mich gar nicht hereinlassen wollte. Und die Römer sind doch sonst die höflichsten Leute von der Welt!« (Das war eine jener zarten Illusionen, an welcher Signorina Rica trotz aller bösen Enttäuschungen mit rührender Beharrlichkeit festhielt.) »Und dieser ist noch dazu ein solch schöner Mensch, daß ich ihn beinahe gefragt hätte, ob er mir nicht Modell stehen würde. Später war er freilich gleich sehr artig ... Sie werden sich nicht denken können, wer mich hereinließ. Raten Sie einmal.«

Prisca riet auf den Fürsten.

»Bewahre! Niemand anders als Ihr interessanter junger Geistlicher. Was für ein Kopf! Aber so bleich! Der arme junge Mensch kann ja keine Woche mehr leben. Ich erzählte ihm, daß ich in Rom katholisch geworden sei, und er meinte auch, in Rom müßte man katholisch werden. Auch von Ihnen sprach er, und wie leid es ihm täte, daß Sie nicht besonders fromm wären. Natürlich verteidigte ich Sie. Er meinte, Sie müßten einen großen, großen Schmerz erfahren, dann würden Sie gewiß das Heil finden. Aber so sehr ich Ihnen gönnen würde, auch im Glauben ganz glücklich zu sein, so wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen, daß dieser große Schmerz Ihnen erspart bleiben möge. Wir Künstler machen genug durch, wovon niemand etwas ahnt ... Aber das Wichtigste habe ich ja ganz vergessen. Was sagen Sie dazu, daß Don Benedetto Karl Steffens kennt? Nicht persönlich zwar, aber sonst sehr genau. Ist das nicht merkwürdig?«

»Sollte vielleicht die Fürstin von Steffens gesprochen haben?«

»Das gerade wäre das Merkwürdige. Und wenn man bedenkt, daß Don Benedetto der Beichtvater der Fürstin ist ...«

»Was könnte sie ihm über Karl Steffens zu beichten haben? Nach so vielen Jahren. Daß er sie unsinnig liebt, ist ja doch nicht ihre Schuld.«

»Ach, lieber Gott, nein! Sie war ja doch immer kalt gegen ihn, wenn sie ihn auch damals in seiner schweren Krankheit wie eine barmherzige Schwester gepflegt hat.«

»Was sagte Ihnen denn Don Benedetto über Steffens?«

»Stellen Sie sich vor, er sprach von der ›Tochter der Semiramis‹.«

»Wie seltsam.«

»Nicht wahr?«

»Und was sagte er über das Werk?«

»Warum Steffens die Gruppe noch nie ausgestellt hätte? Es solle ein Meisterwerk sein und der Künstler könne damit sein Glück machen. Es sei ein Unrecht, ein solches Werk nicht auszustellen.«

»Das sagte Ihnen Don Benedetto, der Bruder des Fürsten Romanowski?«

»Das sagte er.«

»Und Sie?«

»Natürlich verteidigte ich Karl Steffens. Er sei solche seine Natur, durch und durch Gentleman. Und da die ›Tochter der Semiramis‹ nun doch einmal nach einem Modell gemacht worden sei, welches ... Aber der seltsame Mensch blieb dabei, Steffens müsse sein Werk ausstellen.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Zuletzt sagte ich ihm ...«

»Nun?«

»Wenn die Fürstin selbst Steffens die Erlaubnis erteilen würde, wäre er vielleicht dahin zu bringen. Aber auch gewiß nur dann. War das nicht kühn von mir?«

»Sehr kühn. Don Benedetto erwiderte natürlich, daran wäre nicht zu denken.«

»Das meinte er durchaus nicht.«

»Wie?«

»Er sagte wörtlich: ›Sie haben recht. Die Fürstin muß selbst dem Künstler die Erlaubnis geben.‹«

»Das tut sie niemals.«

»Dasselbe sagte ich Don Benedetto; er aber meinte ...«

»Was, was?«

»Vielleicht tut sie's doch ... Aber nun will ich mir endlich Ihr Bild ansehen ... Sehr gut! Ganz vorzüglich! Ich gratuliere Ihnen. Wie wird Peter Paul sich freuen!«


 << zurück weiter >>