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Zweiunddreißigstes Kapitel.

In derselben Nacht sollte sich auch Anna Pawlownas Schicksal erfüllen.

Als sie von der Fürstin nach Hause kam, teilte der Wortschik ihr mit, daß der Prinz eingetroffen sei. Anna Pawlowna runzelte die Stirn.

Was soll das heißen, dachte sie. Hat er Argwohn, daß er mich so überfällt? Sollte er eifersüchtig sein? Als ob er ein Recht auf mich hätte! Wurde ich ihm doch verkauft. Er soll es nicht wagen!

Verkauft! Verkauft! hallte es in ihr wider, während sie die Treppe hinaufstieg und sich in ihre Gemächer begab.

»Wo befindet sich Karl Petrowitsch?«

»Im Speisezimmer.«

Sie ließ sich ihre Umhüllung und ihren Schleier abnehmen und begab sich in das Speisezimmer.

Er soll es nicht wagen! war von neuem ihr Gedanke. Sie preßte die Zähne zusammen, daß sie knirschten. Wie war es möglich gewesen, es so lange zu dulden? Wie abscheulich von ihr!

In dieser feindseligen Stimmung trat sie dem Prinzen entgegen.

»Sie sind zurückgekehrt?« begrüßte sie ihn, mit eisiger Kälte in Ton und Blick, sich der aufwartenden Diener wegen der französischen Sprache bedienend. Karl Petrowitsch hatte sich ein in aller Eile zubereitetes Souper servieren lassen, bei dem der Champagner die Hauptsache war. Er erhob sich, ging auf seine Frau zu und küßte sie auf die Stirn.

Wie widerwärtig! dachte Anna Pawlowna, als sie den Druck seiner kalten Lippen fühlte.

»Sie haben mich nicht erwartet?«

»Nein. Warum telegraphierten Sie nicht?«

»Ich wollte Sie überraschen.«

»Hätten Sie Ihre Ankunft angezeigt, so würden Sie ein besseres Souper vorgefunden haben. Nun müssen Sie vorlieb nehmen.«

»Wie geht es Ihnen? Sie waren in Gesellschaft?«

»Bei der Fürstin Danilowsky.«

»Hm.«

»Sagten Sie etwas?«

»Sie wissen, daß ich es nicht gern sehe, wenn Sie die Fürstin besuchen.«

»Sie ist meine Freundin.«

»Ich muß Sie wirklich bitten – – «

»Um was?«

Sie sah ihn an. Schnell wandte er sich ab, trat Zum Tisch zurück und ließ sich einschenken.

»Beenden Sie Ihr Souper. Ich werde Ihnen Gesellschaft leisten.«

Sie setzte sich ihm gegenüber und begann langsam ihre langen bis an den Ellbogen reichenden Handschuhe aufzuknöpfen. Der hohe bronzene Armleuchter, der zwischen ihnen stand, verdeckte ihm ihr Gesicht.

»Sie haben meinen Brief erhalten?« fragte der Prinz nach einer Weile.

»Ich hätte Ihnen morgen geantwortet.«

»Was ist Ihre Meinung?«

»Es ist eine große Auszeichnung.«

»Sie sagen das so gleichgültig,«

Anna Pawlowna zuckte die Achseln.

»Wann gedenkt der Zar die Reise anzutreten?«

»Das ist unbestimmt. Es hängt noch von Verschiedenem ab. Eben deshalb kam ich her.«

»Deshalb?«

»Auch wollte ich Sie persönlich um Ihre Ansicht befragen. Sie sind eine kluge Frau, Man hat Sie bei Hofe vermißt; ich mußte Sie entschuldigen. Es war sehr peinlich für mich.«

»Das bedaure ich.«

»Ich muß einige Tage hierbleiben. Vielleicht haben Sie die Güte, mich dann nach Petersburg zu begleiten.«

»Unmöglich.«

»Warum?«

»Sie kennen meine Ansichten über Petersburg, Warum quälen Sie mich also? Ich lasse Ihnen vollständige Freiheit, zu gehen, wohin Sie wollen, zu tun, was Sie wollen. Ich werde Sie niemals fragen, Sie niemals belästigen. Nur lassen Sie auch mir meine Freiheit. Ich bin ein Mensch für mich und will es bleiben.«

»Sie sind vor allen Dingen meine Frau,« murmelte der Prinz zwischen den Zähnen und stürzte ein Glas Sekt hinunter. In seinen matten, von tausend Fältchen umrahmten Augen sprühte es auf; im übrigen veränderte sich keine Miene in dem vornehmen Gesicht, in dessen fahlem Teint der geschwärzte Schnurrbart und die gefärbten Augenbrauen finstere Schatten zogen.

Der eine Handschuh war aufgeknöpft. Anna Pawlowna warf ihn auf den Tisch und fragte statt aller Antwort: »Wird der Zar wirklich nach Moskau reisen?«

»Moskau ist vorgeschlagen worden. Wenn nichts dazwischen kommt, wird der Zar jedenfalls Moskau besuchen.«

»Was sollte dazwischen kommen?«

»Die Nihilisten – Gott verdamme sie! – machen wieder viel Lärm – Michailitsch, nehmen Sie den Leuchter fort; das Licht blendet.«

»Die Nihilisten machen wieder viel Lärm?« wiederholte Anna Pawlowna gleichmütig und begann den zweiten Handschuh aufzuknöpfen. »In Petersburg oder in Moskau?«

»In ganz Rußland.«

»Ich habe davon gehört. Sie finden in allen Schichten der Gesellschaft Anhänger. Das kann ich verstehen.«

»Das können Sie verstehen?«

»Mein Gott, gewiß. Es muß vieles anders bei uns werden. Sie, der Sie unser Staatswesen so genau kennen, sollten das am besten wissen.«

»Sie überraschen mich. Was sind das für Gesinnungen!« murmelte der Prinz und heftete seine matten Augen auf seine Gemahlin.

»Sie wissen es recht gut,« bemerkte Anna Pawlowna ruhig, »Sie gestehen es sich nur nicht ein, sich über gewisse Dinge klar zu werden, ist sehr unangenehm.«

»Haben Sie das an sich selbst erfahren?«

»Wohl möglich. Wenn ich recht verstanden, kommt der Zar nur unter gewissen Bedingungen nach Moskau?«

»Sie haben mich recht verstanden.«

Diese Bedingungen muß ich ergründen, dachte Anna Pawlowna. Es geht etwas gegen den Nihilismus vor. Ich muß es erfahren, laut sagte sie: »Dürfen Sie mir Näheres mitteilen?«

»Warum nicht? Sie sind ja meine Frau. Aber es wird Sie kaum interessieren.«

»Vielleicht doch.«

»Viel kann ich Ihnen nicht sagen. Übrigens wird in den nächsten Tagen der Staatsrat Arkad Danilitsch Niklakow hier eintreffen.«

»Der Staatsrat? Was will er hier?«

»Die Lage der Dinge studieren.«

»Er will Jagd auf Nihilisten machen?«

»Wie man's nimmt. Befindet sich Natalia Arkadiewna noch immer im Hause?«

»Befehlen Sie, daß sie es verläßt, jetzt, da ihr Vater kommt?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Aber Sie dachten es.«

»Sie müssen mir zugeben, daß Natalia Arkadiewna sich höchst ungebührlich gegen ihren Vater benommen hat. Ihre Familie erkennt sie nicht mehr an. Sie sind die einzige, die noch zu ihr hält.«

»Weil ich sie bewundere.«

»Sie ist offenbar eine Nihilistin.«

»Das ist möglich. Was schadet das? Heutzutage sind viele Russinnen aus den besten Familien Nihilistinnen.«

»Nun ja, reden wir nicht mehr davon. Der hauptsächlichste Grund, der mich hergeführt, war, mit Ihnen die Vorbereitungen zu dem Feste zu besprechen.«

»Würde der Zar geruhen, unser Haus zu besuchen?«

»Es wäre nicht unmöglich. Jedenfalls müßte man sich vorsehen.«

»Wen wünschen Sie einzuladen?«

»Davon morgen. Es wird eine lange Liste werden. Übrigens ist es spät.«

Anna Pawlowna erhob sich.

»Sie haben recht, ich bin müde. Gute Nacht,«

»Gute Nacht. Ich sehe Sie noch.«

Sie sah ihm fest in die Augen. Wage es nicht! sagte ihr Blick. Dann entfernte sie sich.

Etwas muß geschehen sein, dachte der Prinz, ihr nachsehend. Aber was? Liebt sie einen anderen?

Er ließ sich noch eine Flasche Sekt bringen und schickte die Diener hinaus. Eine heftige Aufregung bemächtigte sich seiner. Die Vorstellung, auf die er in der Tat zum erstenmal verfiel, daß seine Frau einen anderen lieben könnte, brachte sein Blut in Wallung. Sie gab ihm fast ein Gefühl von Jugend; in seine Eifersucht mischte sich eine eigentümliche Empfindung, die beinahe Befriedigung zu nennen war. Sie liebt einen anderen, reflektierte er, aber sie gehört mir. Jetzt habe ich sie in der Hand und kann ihr die mir zugefügten Qualen vergelten. Sie verabscheut mich, aber sie ist meine Frau. Ihr Abscheu wird ihr nichts helfen; denn ich habe das Mittel, sie zu demütigen. Und das will ich.


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