Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel.

Was ist nun das wieder? dachte Sascha, langsam der Teeschenke zuschlendernd. Was will sie von mir? Wenn ich Wladimir Wassilitsch wäre. Aber so! Es kann nichts daraus werden, es ist unmöglich. Was würde Anna Pawlowna von mir denken. Sie müßte mich ja verachten. Das müßte sie.

Er blieb stehen; am liebsten wäre er wieder umgekehrt. Ein heftiger Unwille gegen Wladimir bemächtigte sich seiner.

Wie kann er das von mir verlangen? Es ist abscheulich! Was kümmert's mich, daß sie schön ist und die Männer verrückt macht. Wer weiß, was das für eine ist. Aber nein, damit tue ich ihr unrecht. Warum sie wohl zuweilen so traurig sein mag? Und wie sie mich immer ansieht! Übrigens sind wir ihr Dank schuldig, sie tut viel für die Sache. Aber deswegen kann ich doch unmöglich zu ihr gehen und ihr sagen, daß ich sie lieb hätte. Es wäre ein Betrug und eine große Lüge. Was soll ich tun?

Er überlegte.

Wenn ich nur nicht gehorchen müßte. Aber es ist eine Aufgabe, die mir von meinem Vorgesetzten aufgetragen wurde. Wie darf ich da nicht gehorchen? So will ich mich denn bemühen, möglichst freundlich gegen sie zu sein, übrigens halte ich sie für eine anständige Frau. Sobald sie eingesehen haben wird, daß ich nichts für sie empfinde, nichts als Dankbarkeit, daß ich also ihr Liebhaber nicht werden kann, wird sie alles begreifen. Es ist am besten, ich rede ganz offen mit ihr. Sie wird sich schämen und alles wird gut werden. Wahrscheinlich kann sie mich dann nicht mehr leiden. Um so besser.

So ermutigte sich Sascha, dabei immer tiefer sich in eine Art von moralischer Entrüstung hineinredend. Zugleich begeisterte er sich für den Gedanken, Marjas Seele zu retten. Auch über die »Sache« wollte er mit ihr reden und sie flehentlich bitten, ihren Groll gegen ihn nicht auf diese zu übertragen.

In solcher Verfassung erreichte er die Teeschenke. Aber Marja Carlowna befand sich nicht im Gastzimmer, was Sascha sehr angenehm war. Er setzte sich in einen Winkel, bestellte Tee und schielte bei jedem Öffnen der Tür hinüber, in der Furcht, die hohe Gestalt eintreten zu sehen. Doch sie kam nicht. Schließlich wurde er ganz unruhig.

Seltsam! Warum kommt sie nicht, wenn sie mich doch erwartet? Wladimir wird böse sein. Aber ich kann wirklich nichts dafür. Ich habe es gleich gesagt, daß es Unsinn ist; sie denkt gar nicht an mich. Nun, mich freut's. Wenn es nur der Sache nicht schadet.

Dieser letzte Gedanke beunruhigte ihn sehr. Er begriff plötzlich, welche Wichtigkeit es für die Sache hatte, die Wirtin bei guter Laune zu erhalten.

In seiner Unruhe fragte er nach ihr. Sie würde wohl irgendwo sein, gab man ihm zur Antwort. Endlich faßte er den Entschluß, sich hinauf in sein Laboratorium zu begeben; vielleicht begegnete er ihr im Hause.

Er bezahlte, verließ das Zimmer und stieg die dunkle Treppe hinauf, deren Stufen unter seinem Tritt ächzten und knarrten. Seit Wochen hatte er nicht gearbeitet, das heißt, kein Dynamit verfertigt, das einzige, was ihm zu tun erlaubt worden war. Alles, was er fabrizierte, wurde stets sogleich abgeholt, des Nachts von Frauen. Welche Quantitäten hatte allein Natalia Arkadiewna mit ihren schwachen Kräften fortgeschafft!

Wozu sie es wohl brauchen? dachte er. Wenn ich Wladimir Wassilitsch frage, lächelt er nur. Sie werden doch nicht den Kreml in die Luft sprengen wollen? Ein solches Verbrechen! Alle die schönen Heiligenbilder! Und warum wohl? Als ob man damit – –

Aber er wagte es nicht, den Gedanken auszudenken.

Da hörte er Marja Carlowna singen; leise, klagend. Die Stimme kam aus ihrem Schlafzimmer, daran er vorüber mußte und dessen Tür offen stand. Unschlüssig, was er beginnen sollte, tat er noch einige Schritte und blieb dann stehen. Jetzt sah er sie. Sie stand, das Gesicht von ihm abgewendet, am Tische, mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt; die Kerze beleuchtete das reine und stolze Profil. Sie sah merkwürdig jung aus.

Und wie sie sang!

Um ihres Gesanges willen war sie berühmt. Wie oft hatte Sascha in seinem Laboratorium mit Entzücken zugehört, wenn sie unter ihm in ihrem Schlafzimmer ihre wilden Tatarenlieder sang. Dann hatte er sich hinaus auf die Treppe geschlichen und gelauscht; oft bis tief in die Nacht hinein. Er verstand von der fremden Sprache kein Wort, er verstand nicht einmal die Empfindung, welche die bald wilden und leidenschaftlichen, bald sanften und zärtlichen Weisen beseelte.

Und doch befand er sich während ihres Gesanges unter einem Bann, aus dem er sich erst befreien konnte, wenn der letzte Ton verhallt war. Mit todestrauriger Seele schlich er dann jedesmal zu seiner Arbeit zurück.

Auch heute erging es ihm wunderlich. Wie hatte er sein Inneres gegen sie gewappnet, wie wollte er sie erniedrigen und beschämen! Nun sang sie und nun dauerte sie ihn; so wehmütig und traurig klang ihr Lied.

Er nahm sich vor, die Treppe vollends hinaufzusteigen und später, wenn sie nicht mehr sang, ihr alles zu sagen, was er gegen sie auf dem Herzen hatte. Aber er war bereits von ihr bemerkt worden. Ihren Gesang abbrechend, rief sie seinen Namen: »Alexander Dimitritsch!«

Sie blieb am Tische stehen und sah ihn an; mit jenem funkelnden Blick, den er an ihr kannte und fürchtete.

Ob sie wieder ihre bösen Stunden hat? dachte er. Aber dann singt sie nicht.

Und er ging langsam auf die Tür zu.

»Darf ich hineinkommen?« fragte er, unwillkürlich mit gedämpfter Stimme redend.

»Kommen Sie nur herein. Ich habe auf Sie gewartet. Es ist spät.«

»Ich dachte, Sie würden hinunter ins Schenkzimmer kommen.«

»Nein.«

Er war eingetreten und hatte in seiner Verwirrung die Tür hinter sich zugemacht.

Das hätte ich nicht tun sollen, dachte er in demselben Augenblick. Was muß sie davon denken! Als ob ich mit ihr allein sein wollte. Und er ärgerte sich über sich selbst, fühlend, wie er unter ihren mächtigen Augen, die sie nicht von ihm wandte, bis an die Haarwurzeln errötete.

Sie liest in deiner Seele, sie weiß alles. Um so besser! so brauche ich es ihr nicht zu sagen.

»Es ist spät,« wiederholte Carlowna; »du hast mich lange warten lassen.«

Sie ging zu einem Schrank, dessen Türen seltsam groteske Schnitzereien bedeckten, nahm daraus eine Flasche und ein Glas hervor und schenkte ein: eine Mischung von Kwas und allerlei Essenzen, die sie selbst braute. Dann holte sie eine Schale mit Backwerk, die sie auf den Tisch setzte.

»Trink und iß und sei mir willkommen!«

Sascha zauderte.

»Es ist kein Liebeszauber,« sagte Marja mit ruhigem Spott. »Wenn du bei mir bist, mußt du dich als meinen Gast behandeln lassen. Einem Tataren ist sein Gast heilig; und heilig sollst du mir sein.«

Sie sagte das mit solchem Ernst, daß Sascha nicht wagte, ungehorsam zu sein. So trank er von dem Gebräu, daß sehr kräftig schmeckte und aß von dem Gebäck.

»Nun habe ich dich mit Trank und Speise gelabt, nun werde ich dich nicht verraten können.«

»Verraten? Wollten Sie mich verraten?«

»Du hörst ja daß ich es jetzt nicht mehr kann.«

»Aber ich bitte Sie, sagen Sie mir – –«

»Nichts sage ich dir. Setze dich!«

Es lag etwas in ihrem Wesen, das ihr Gewalt über ihn gab. Sie deutete auf einen Sitz und er nahm Platz. Während Marja Carlowna vor ihm stand und ihn ansah, dachte sie: Er liebt eine andere und er ist ein Mann, für den es auf der Welt nur eine Frau gibt. Das wußte ich, da ich ihn zum erstenmal sah. Und ich wußte, daß ich niemals jene eine Frau sein würde. Jetzt fürchtet er sich vor mir, aber er ist in meiner Macht. Wenn ich wollte, könnte ich die erste Frau sein, die er auf den Mund küßt. Was hülfe es mir? Und ihn würde es verderben. Doch was will ich eigentlich von ihm?

»Du denkst Übles von mir,« sagte sie endlich, »weil ich dich bei Nacht in mein Zimmer lockte. Es ist dir unleidlich und du möchtest gern fort von mir. Dennoch bleibst du. Übrigens warum bist du gekommen?«

»Wladimir Wassilitsch befahl es mir,« stieß Sascha hervor. Mein Gott, dachte er, welche Lage! Was gibt es für Sachen. Wenn Anna Pawlowna das wüßte!

Marja Carlowna war nicht beleidigt.

»Wladimir Wassilitsch befahl dir zu kommen? Das wußte ich. Und ich weiß, daß du ihm gehorchen mußt. Deshalb schmückte ich mich und setzte mich hierher und erwartete dich. Ich hatte Sehnsucht nach dir und wollte dich ansehen; die ganze Nacht hindurch. Du warst so lange fort und ich liebe dich so unsäglich.«

Sie sprach, ohne eine Bewegung zu tun, ohne eine Miene zu verziehen mit fast tonloser Stimme.

Sascha wollte aufstehen. Sie verwehrte es ihm.

»Bleibe und höre mich, sonst halte ich dich mit meinen Lippen zurück; du weißt nicht, wie ich küssen kann. Wer von mir geküßt wird, ist verloren und mir verfallen, und wenn die Heiligen selbst ihn retten wollten. Ich ließ dich von Wladimir Wassilitsch herschicken, um dir zu sagen, daß du Ruhe vor mir haben sollst; du bist zu gut für mich. Wenn du wärest wie Wladimir Wassilitsch oder wie Boris Alexeiwitsch, so würde ich mir kein Gewissen daraus machen, dich zu verderben. Aber freilich, dann würde ich dich auch nicht so unsinnig lieben. So wie du nun einmal bist, habe ich über deine Seele keine Gewalt, und wen ich liebe, der muß mir mit Leib und Seele gehören, oder ich käme von Sinnen. Ich habe noch niemals geliebt. Du bist der erste und wirst der letzte sein. Und gerade dich darf ich nicht anrühren.«

Ihr Gesicht wurde fahl, sie begann zu zittern. Aber sie machte noch immer keine Bewegung, wendete noch immer nicht den Blick von ihm.

Sie ist von Sinnen gekommen, dachte Sascha. Denn wie ist es sonst möglich, daß ein Weib so reden kann? Die Ärmste!

Marja Cailowna fuhr fort: »Also ich ließ dich von Wladimir Wassilitsch zu mir schicken, weil du mich kennen lernen sollst. Weißt du, warum ich dir von meinem Wein zu trinken und von meinem Brote zu essen gegeben? Um dich vor meiner Rache zu schützen. Denn bei uns Tataren darf ein Weib einen Mann, den es gespeist und getränkt hat, nicht töten.«

Sascha erhob sich.

»Was reden Sie da?« fuhr er heftig heraus, »Sie vergeben sich in Ihrer Würde und das dürfen Sie nicht. Beruhigen Sie sich doch! Bedenken Sie doch!«

»So will ich denn gehen!« rief er endlich, da sie ihm keine Antwort gab.

»Bleiben Sie,« bat sie demütig. »Hören Sie mich an.«

»Gute Marja Cailowna, ich würde Sie doch nicht verstehen.«

Er wollte gehen. Da löschte sie das Licht.

»Was tun Sie? Gleich zünden Sie das Licht an!« rief Sascha zornig.

Aber Marja antwortete nicht.

»Wo sind Sie? He, Marja Carlowna!«

Alles blieb still. Er tastete nach bei Tür, fand sie aber nicht.

Was tu' ich? dachte Sascha. Rufe ich, so kommt das Gesinde; und was müssen die Leute von ihrer Herrin denken, wenn sie mich im Dunkeln hier finden? Was gibt es für Weiber! Es ist nicht zu glauben.

Er blieb stehen.

»Marja,« rief er leise und bittend. »So hören Sie doch, Carlowna! Wo sind Sie?«

Da fühlte er sich von ihren Armen umschlungen. Er wollte sich losreißen; aber sie glitt an ihm nieder und blieb auf den Knien vor ihm liegen.

Was war das?

Sie weinte.

Er erschrak bis ins Herz hinein. Vor diesem erstickten Schluchzen schwand sein Zorn. Dem Jammer des Weibes zu seinen Füßen vermochte er nicht zu widerstehen.

»So stehen Sie doch auf. Um Gottes willen – – Was tun Sie nur?«

Er beugte sich zu ihr herab und wollte sie aufheben; aber als er ihren warmen, zuckenden Leib fühlte, ließ er sie los.

»Sie sind unglücklich! Kann ich Ihnen helfen? So reden Sie doch!«

Er wartete auf Antwort, angstvoll mit laut pochendem Herzen. Sie weinte stärker, es schüttelte sie wie im Krampf.

Aber sie stammelte und lallte, so daß er anfänglich nichts verstand. Endlich sprach sie zu ihm: »Ich bin so schlecht, so verworfen. Ich bin nicht wert, deinen Fuß zu küssen. Aber stoße mich nicht fort. Erlöse mich! Reinige mich mit deiner reinen Seele! Ich will alles tun, was du verlangst; ich will so demütig sein, so gehorsam. Seit ich dich kenne, weiß ich erst, was ich gewesen bin. Sei barmherzig! Tritt mich mit Füßen, beschimpfe mich, nur laß dir gefallen, daß ich dich liebe, damit die brennenden Spuren auf meinen Lippen verlöschen.«

»Marja Carlowna!«

Seine Stimme zitterte.

»Richte mich!«

»Wir sollen nicht richten. Aber – welches ist deine Schuld?«

Sie sagte es ihm. Zu seinen Füßen, schluchzend und weinend erzählte sie ihm ihre Geschichte, die Geschichte einer Verworfenen. Sascha hörte zu, das Herz zerrissen von Entsetzen und Mitleid. Dann sprach er ihr zu, leise, mit stockender Stimme, lange, lange; dann hob er sie auf und küßte sie auf die Stirn.

Sie erbebte und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Der Morgen dämmerte, als sie ihm die Tür öffnete.

»Arme Marja! Arme, arme Marja,« murmelte Sascha, die Treppe zu seinem Laboratorium hinauf steigend. »Wer hätte das gedacht. Aber wer kann sie verdammen?! Wladimir Wassilitsch hat recht: sie sind unsere Verderber, unsere Mörder.«


 << zurück weiter >>