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Fünfzehntes Kapitel.

In einem der Vorzimmer stießen die beiden auf Boris Alexeiwitsch.

»Sieh doch, Freund Sascha!« rief er in der ihm eigenen liebenswürdig-nachlässigen Weise, mit seiner weichen, einschmeichelnden Stimme. »Wie geht es Ihnen? Was machen die Studien? Sie wollen sich schon wieder entfernen? Das ist unrecht. Anna Pawlowna hat Sie so gern. – – Ist das Ihre Schwester?«

Er sah Wera flüchtig an. Diese stand da, wie damals, als sie von ihm den Schlag empfangen.

»Das ist ja Wera Iwanowna!«

»Welche Wera Iwanowna, wenn ich fragen darf?«

»Wera Iwanowna aus Eskowo,« stammelte Sascha vollständig fassungslos, daß Boris Alexeiwitsch, auf dessen Vorschlag hin man Wera hatte kommen lassen, diese gar nicht mehr zu kennen schien.

»O wirklich! Wera Iwanowna aus Eskowo. Welches merkwürdige Zusammentreffen!« rief Boris Alexeiwitsch und lächelte in einer sonderbaren Art. »In der Tat; Wera Iwanowna aus Eskowo. Welche Überraschung! Nun, wir kennen uns.«

Diese Worte waren direkt an Wera gerichtet, welche, statt aller Antwort, zu Sascha sagte: »Wir müssen gehen.«

»Ich werde Sie begleiten.«

»Ich muß zu Natalia Arkadiewna; Sascha, gehe du mit dem Herrn.«

»Natalia Arkadiewna läßt Ihnen sagen, daß sie ausgegangen sei. Sie wüßten, wohin,« meldete ein Diener in schnarrendem Tone.

»Also kommen Sie!« rief Boris Alexeiwitsch fröhlich. »Sie begeben sich gewiß zu Wladimir Wassilitsch.«

»Ja. Wir wollen in die Nowaja-Andronowka-Vorstadt.«

»Nichtswürdige Gegend! Was treibt dieser schöne Fanatiker? Ein Prachtexemplar von einem Gesinnungsgenossen!« Und er lächelte wieder. Dann meinte er nachlässig: »Ich will ihn bald aufsuchen. Er interessiert mich. – – Nicht dort, meine Herrschaften. Dort ist der Ausgang für das Gesinde. Wera Iwanowna, so kommen Sie doch.«

Er wußte sehr wohl, daß sie schwankte, ob sie nicht, trotz seiner Aufforderung, die andere Treppe hinuntersteigen sollte; und er triumphierte, als sie, obgleich mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Brauen, ihm folgte. Er geriet in die beste Stimmung und lachte innerlich über das verstörte Aussehen Saschas, dessen Gesicht ganz deutlich sagte: Boris Alexeiwitsch, Brüderchen, du bist doch eigentlich ein widerwärtiger Patron.

Lebhaft plaudernd stieg er neben ihnen unter Palmen und blühenden Rhododendren die Marmortreppe hinunter, auf welcher Wera ihn in der Frühe an der Seite der Fürstin gesehen hatte. Im Vestibül grüßte der Portier nur Boris Alexeiwitsch. Dieser stellte sich vor den Mann hin und schrie ihn an: »Du Hund von einem Wortschik; siehst du nicht, daß sich in meiner Gesellschaft eine Dame befindet?«

Hätte er eine Reitgerte bei sich gehabt, so würde das Gesicht des Menschen sie sicher zu fühlen bekommen haben. Wera zuckte zusammen, als ob es geschehen und sie selbst getroffen worden wäre.

Boris Alexeiwitsch ging neben Sascha, zu dem er eifrig sprach. Von Alexander Herzen, der bald ein überwundener Standpunkt sein werde; von John Mill, den er einen Schwärmer und von Moleschott, den er einen Salon-Atheisten nannte. Er schwatzte von Poesie und Kunst, welche die Nihilisten verneinten, was ihnen bei Puschkin und Raffael etwas schwer gelingen würde. Apropos: Puschkin! Sein »Onegin« sollte in jedem russischen Bürgerhause zu finden sein, ebenso wie in Deutschland in jedem Bauernhause der »Faust« und in England Byrons »Don Juan«. Boris erklärte, daß die moderne Literatur »gar nichts« wert sei und daß Turgenjew in lächerlicher Weise überschätzt werde; allerdings nur im Auslande. Dostojewsky sei viel großartiger, aber in Deutschland und Frankreich kenne man ihn nicht. Was das für ein geschmackloses Volk sei, diese Deutschen! Kneipen und Renommieren sind ihre besten Tugenden. Und die langweiligen deutschen Frauen. Scheinbar tugendhaft, während sie doch im Grunde ihrer Seelen frivol wären wie eine Französin auf dem bal mabil. Er kenne welche von Baden-Baden und Ischl. Freilich die Wienerinnen – –

So ging es fort. Sascha verstand wenig von dem eleganten Geschwätz und Wera gar nichts. Trotzdem mußte sie immer dabei denken: Gott sei mir gnädig! Welche Welt! Welche Welt! Und sich Zwang antun, es Boris Alexeiwitsch nicht ins Gesicht zu sagen, was diesen wahrscheinlich höchlichst amüsiert hätte.

Auf dem Taganskaja-Platz blieb Boris Alexeiwitsch stehen; ihm fiel plötzlich ein, daß er für den Abend eine Einladung angenommen hatte. Wie lästig! Wann sollte die nächste Versammlung sein? Er würde seine Freunde in jedem Falle noch früher in ihrem Hause aufsuchen und für Wera den »Onegin« mitbringen. Sie wollten das Gedicht zusammen lesen, das würde reizend werden.

Er pfiff einer Droschke und befahl dem Kutscher, nach der Eremitage am Neglinny-Projesd zu fahren. Unterwegs dachte er sich mit allem Behagen das Menü aus: Austern, potage à la reine; filets de sole frîte; pain de volaille au suprème; selle de chevreuil rôtie à la romaine; Artischocken; moscovite aux framboises. Vielleicht zog »Franzi« ein soufflet à la Schmankerle vor.

Also ein leidlich verbrachter Abend! Nach dem Souper vielleicht ein kurzer Besuch in der »Alhambra«, Franzi walzte superb.

Und Wera Iwanowna – – Das war ein merkwürdiges Geschöpf. Sie hatte sich ganz so entwickelt, wie er es sich vorgestellt. Was für ein brillanter Einfall von ihm, sie nach Moskau zu bringen. Es würde eine »Hetz« geben, wie Franzi in ihrem allerliebsten Wienerisch es nannte. Sie fing an etwas langweilig zu werden, die gute Franzi, mit ihrem ewigen Wienerisch und ihren ewigen Mehlspeisen. Aber – sie walzte superb!

Ob die Bäuerin und Nihilistin Wera Iwanowna Martjanow aus Eskowo auch superb walzen konnte –

Die Vorstellung: Wera Iwanowna in dekolletierter Ballrobe auf einem Fest in der Alhambra walzen zu sehen, hatte etwas so unwiderstehlich Komisches für ihn, daß er laut auflachte. Dann gähnte er.

Was für ein lächerlicher Mensch, dieser Sascha! Und Anna Pawlowna konnte sich ernstlich für einen solchen Flegel interessieren? Ein Weib – für Boris Alexeiwitsch gab es nur Weiber – war niemals auszukennen; selbst nicht von ihm, der doch ein Kenner war.

Er phantasierte sich in eine angenehme Aufregung hinein. Es gab wirklich noch Neues in dieser alten, alten Welt! Die nächste Nihilistenversammlung wollte er jedenfalls besuchen, um sich die Sache wieder einmal anzusehen. Mit welchem ernsthaften Gesicht Wera Iwanowna dasitzen wird. Wenn es dabei nur nicht nach Fusel und Kommunismus röche! Ob sie wirklich Ernst machten? Pah, es war doch alles Geschwätz und Unsinn.

Da hielt der Wagen, Boris Alexeiwitsch stieg aus und wurde von einem jungen Tataren ehrfurchtsvoll in das Lokal geführt.

»Separates Zimmer!«


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