Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Als Anna Pawlowna in den Hof trat, begoß Tania gerade ihre Bohnenpflänzchen. Dabei war sie niedergekniet, um die zarten Triebe an dem verdorrten Stamm des Birnbaums aufzubinden. Bei dem Anblick der Fremden erhob sie sich, blieb jedoch unter dem Baum stehen. Anna Pawlowna trat auf sie zu.

»Sie sind Tania Nikolajewna?«

Tania neigte ihr Köpfchen.

»Nun, ich bin Anna Pawlowna. Ist Wladimir Wassilitsch zu Hause?«

»Er ist ausgegangen.«

»Ich muß ihn aber sprechen.«

»Darf er vielleicht zu Ihnen kommen?«

»Nein.«

Sie stand unschlüssig, was zu tun sei und sah Tania an, erstaunt über die Schönheit des Mädchens. Was für schwermütige Augen sie hatte!

»Also Sie sind die Frau von Wladimir Wassilitsch?«

Die arme Tania traf diese Frage wie ein Dolchstoß. Wenn sie wüßte! dachte sie. Ich bin ja so schlecht, daß ich keinem Menschen mehr in die Augen sehen kann. Gott möge mir barmherzig sein.

»Ist, Wladimir Wassilitsch freundlich gegen Sie? Reden Sie offen, liebes Kind, ich meine es gut mit Ihnen. Ihr Mann hat eine rücksichtslose Natur, die Ihre scheint sehr zart zu sein.«

»Wladimir Wassilitsch liebte mich schon, als ich noch ein Kind war; er rief mich zu sich und ich bin hergekommen und habe um seinetwillen Vater und Mutter verlassen. Er wird mich gewiß in Ehren halten.«

»Sie wissen, was er hier treibt?«

»Ich weiß es. Es ist furchtbar, aber es wird wohl notwendig sein, sonst würde er es nicht tun.«

»Sie haben ein starkes Vertrauen zu ihm.«

»Sollte ich ihm mißtrauen?«

»Hoffentlich ist seine Liebe zu Ihnen groß genug, Sie von allem fernzuhalten.«

»Wohin er geht, muß ich ihm folgen. Das ist meine Pflicht. Wenigstens darin will ich sein Weib sein, daß ich alles mit ihm teile.«

Ich möchte wohl wissen, dachte Anna Pawlowna, ob eine so große Leidenschaft unter den Frauen der Gesellschaft gefunden würde. Dabei sind die Empfindungen dieser Leute aus dem Volke so einfach. Wir müssen uns alles komplizieren, bei uns spielt alles in hundert Nuancen. Das Volk liebt und haßt. Alle Schattierungen und Färbungen fallen gänzlich fort. Beneidenswerte Menschen! Sie frug: »Kann ich mit Wera Iwanowna reden?«

»Wera Iwanowna ist mit Natalia Arkadiewna auf dem Lande. Aber wollen Sie nicht ins Haus treten?«

»Und Sascha?«

»Sascha ist hier. Wünschen Sie ihn zu sprechen?«

»Wo ist er?«

»In der Druckerei. Colja kann ihn rufen.«

»Das ist nicht nötig. Ich kann zu ihm gehen.«

»Es ist beschwerlich.«

»Was tut das? Rufen Sie nur jemanden, der mich hinführt.«

»Colja weiß Bescheid.«

»Wer ist dieser Colja?«

»Ein Knecht.«

»Ist es nicht gefährlich, ihm solche Geheimnisse anzuvertrauen? Wird der Mann treu sein?«

»Sie kennen ihn nicht.« Und Tania muhte lächeln bei dem Gedanken, daß Colja nicht treu sein könnte.

Colja wurde gerufen und kam nach einer Weile angezottelt. Seit dem nächtlichen Kampf mit Wladimir Wassilitsch war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen; es war als habe er dabei eine schwere innere Verletzung davongetragen. Tania bemerkte sein verwandeltes Wesen kaum, obgleich er um sie her schlich wie ein treuer Hund.

»Das ist Anna Pawlowna, unsere Barina. Sie wünscht zu Sascha geführt zu werden. Eile dich!«

Während Colja sich beeilte, dachte er: So, das ist unsere Barina? Ei, der sollte man doch! Was hat sie ihre Seelchen freizugeben. Die guten Hunde müssen auch an der Kette liegen. Läßt man sie los, werden es schlechte Hunde, stehlen und beißen, stehlen ihrem eigenen Herrn das Hammelfleisch. Will er sie hauen, beißen sie ihren eigenen Herrn ins Bein. Geschieht ihm schon recht, warum hat er den Hund von der Kette gelassen. Na warte, Anna Pawlowna, Täubchen!

Die Falltür ward aufgehoben; Anna Pawlowna stieg in die Tiefe, aus der ein matter Lichtschein heraufdämmerte. Colja schloß hinter ihr zu.

»Bist du es, Wera?«

Er saß über seine Arbeit gebeugt und hob den Kopf nicht. Über ihm an der Wand hing eine Laterne, deren Schein voll auf seiner Gestalt lag. Anna Pawlowna fiel die Kraft dieser Gestalt auf; vor solchen Männern mußte das verweichlichte Geschlecht der entarteten Gesellschaft vergehen, solchen Männern gehörte die Zukunft.

Ohne sich umzuwenden, sprach Sascha weiter: »Also, ihr seid wieder zurück? Setze dich. Ich bin gleich fertig. Nun, wie war's. Ist dieser Grischa wirklich ein solcher Prachtmensch? Ich mußte immer denken, wie er dir gefallen würde.«

»Lassen Sie sich bei Ihrer Arbeit nicht stören, Alexander Dimitritsch. Ich werde warten, bis Sie fertig sind.« Und sie setzte sich auf die Kiste, darin sich die Dynamitpatronen befanden.

Sascha sprang auf.

»Sie sind's, Anna Pawlowna! Sie wagen es, hierher zu kommen? Wie gütig Sie sind! Und so mutig! Was wird Wladimir Wassilitsch sagen! Aber worauf sitzen Sie? Um Gottes willen, stehen Sie auf!«

Es war nicht die geringste Gefahr vorhanden, doch zitterte der Riese wie ein Kind und war ganz fahl im Gesicht geworden. Wera hatte er die Kiste ohne Bedenken als Sitz angewiesen.

»Warum erschrecken Sie so?«

»Stehen Sie auf!«

»Was befindet sich in dieser Kiste?«

»Sie ist voller Sprengstoff. Ihr Inhalt könnte den Kreml in die Luft sprengen.«

»Wirklich?« Sie lächelte ungläubig, ohne ihren Sitz zu verlassen. Erst als Sascha sich ihr näherte, erhob sie sich. »Und diese Mittel sollen in Anwendung kommen?« fragte sie, neugierig auf die Kiste blickend.

»Sie wurden nicht angefertigt, um unbenutzt zu bleiben.«

»Wer verfertigte sie?«

»Ich.«

»Sie verstehen etwas von Chemie?«

»Genug, um Dynamit bereiten zu können.«

»Ist es schwer zu fabrizieren?«

»Nichts ist leichter.«

»Und mit so leichter Mühe können solche furchtbaren Wirkungen erzielt werden? Dann ist es mir unbegreiflich – – «

»Was ist Ihnen unbegreiflich?«

»Daß der Nihilismus so lange gezaudert hat, sich des Dynamits zu bedienen, daß er damit nicht längst das halbe Rußland in die Luft gesprengt hat. Im Besitz solcher mörderischen Kräfte muß es nicht schwer sein, Terrorist zu werden; eine einzige Patrone gelegt und entzündet, und man hat sich einen unsterblichen Namen erworben.«

Sie sagte das in einem leichten, beinahe leichtfertigen Tone; jedes andere Ohr als das Saschas hätte daraus die Ironie gehört.

»Und wann gedenkt Wladimir Wassilitsch von diesen Mitteln Gebrauch zu machen?«

»Das weiß ich nicht, das kommt darauf an. Aber wir werden wohl vorgehen müssen, sobald sich eine Gelegenheit bietet.«

»Das kann bald geschehen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Der Zar wird eine Reise nach Odessa unternehmen. Prinz Petrowsky begleitet ihn.«

»Ihr Gemahl? Mein Gott, welches Unglück!«

»Der Prinz kann gewarnt werden.«

»Ganz gewiß,« rief Sascha erleichtert. »Gott sei Dank, daß er gewarnt werden kann. Es wäre sonst gräßlich.«

»Sie reden, als wäre bereits ein Plan entworfen!«

»Sie meinen ein Attentat auf das Leben des Zaren?«

»Nun ja.«

»Mir ist nichts davon bekannt. Aber ich weiß, daß die Unseren sich auf ein großes Ereignis vorbereiten.«

»Der Zar wird auch nach Moskau kommen.«

»Was für Nachrichten!« rief Sascha und sah Anna Pawlowna an, entsetzt über deren Ruhe und Gleichgültigkeit.

»Der Prinz schrieb mir, daß er dem Zaren ein Fest geben müsse.«

»In Ihrem Palast?«

»Ja.«

»Und das soll ich Wladimir Wassilitsch sagen?«

»Wort für Wort. Deshalb kam ich her.«

»Sie sind eine erhabene Frau. Verzeihen Sie mir meine Kühnheit, aber ich muß Ihnen das sagen; ich muß –«

Da hörten sie Wladimir Wassilitsch' Stimme; die Falltür wurde aufgerissen, Wladimir stieg herab, so eilig, daß er die Leiter beinahe hinuntersprang. Etwas Außerordentliches mußte vorgefallen sein. Sein Gesicht war farblos, aber in seinen Augen flammte wilder Triumph.

»Was ist geschehen?« riefen Anna Pawlowna und Sascha in einem Atem.

»Die Unseren haben den Zaren zum Tode verurteilt und ich bin in das Exekutivkomitee gewählt.«


 << zurück weiter >>