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Achtzehntes Kapitel.

Die Prinzessin empfing den Nihilisten in ihrem Kabinett.

Nur die pompejanische Lampe in der Hand des Bronzeknaben brannte und beleuchtete die vornehme Frau, ihr blasses Gesicht, ihr glänzendes Haar, die Falten ihres silbergrauen Atlaskleides. Undeutlich funkelte das goldene Gitter, schimmerten die bunten Blumen durch die Schatten. Geheimnisvolle Dämmerung füllte die Kuppel. Die hüllenlose Gestalt der Liebesgöttin schwebte wie ein abgeschiedener Geist zwischen Licht und Finsternis.

»Ich ließ Sie auffordern zu mir zu kommen, weil ich mich mit Ihnen zu verständigen wünsche. Sie mißtrauen mir.«

»Nicht Ihnen allein.«

»Sprechen wir von mir.«

»Nun denn: ja, ich mißtraue Ihnen.«

Anna Pawlowna hatte ihm keinen Sitz angeboten, ohne eine Aufforderung abzuwarten, setzte sich Wladimir. Aber so frei und ungezwungen er sich auch benahm, entging es der Prinzessin nicht, daß ihre Erscheinung und die Umgebung, in der er sie sah, auf den jungen, blutgierigen Anarchisten einen Eindruck machte.

»Sprechen wir von mir,« wiederholte sie in ihrer gelassenen, gleichgültigen Weise. »Nur von mir, und lassen wir die Allgemeinheit. Ich gehöre nicht dazu. Sollte Ihnen das entgangen sein?«

Sie lächelte. Geradezu verächtlich, dachte Wladimir, und fühlte, daß er erregt wurde. Sie verachtet uns und spielt mit uns.

Er sagte ihr, was er dachte: »Sie spielen mit uns.«

»Weshalb täte ich das?«

»Das eben sollen Sie mir sagen. Ich bin gekommen, um von Ihnen zu erfahren, woran wir mit Ihnen sind.«

»Und ich frage Sie noch einmal: Aus welchem Grunde sollte ich wohl mit Ihnen spielen? Es wäre ein zu kostbares Spiel, ein Spiel, das nicht allein ziemliche Summen verschlingt, das mir auch manches Unangenehme zumutet, zum Beispiel Ihren Besuch.«

Sie sprach das so kühl und gleichmütig, als rede sie zu einem Kaufmann, dessen Waren ihr zu teuer erschienen. Wladimir fühlte sich dieser Weise und dieser Haltung gegenüber machtlos. Sie sollte in einem anderen Tone zu ihm sprechen; sie sollte aus ihrer stolzen Ruhe herauskommen.

»Sie kokettieren mit uns!« stieß er hervor.

»Mit Ihnen?«

Wladimir verfärbte sich.

»Mit dem Volke.«

»Das Sie repräsentieren? Ich versichere Sie, Wladimir Wassilitsch, daß ich beim besten Willen nichts an dem Volke zu entdecken vermag, das mich veranlassen könnte, mit ihm zu kokettieren – wie Sie zu sagen belieben. Es hat grobe Hände und riecht nach Branntwein.«

»Prinzessin!«

»Wollen Sie nicht Platz nehmen,« warf sie nachlässig hin, vollständig ignorierend, daß er sich bereits gesetzt hatte. Sie selbst stand immer noch.

Das war zu viel. Er sprang auf und stellte sich vor sie hin.

»Ich habe es gewußt: Sie verachten das Volk.«

»Das einzelne Individuum kann mir zuweilen unangenehm werden. Die Art und Weise des einzelnen einer Dame gegenüber nötigt mich zu dieser Auffassung.«

»Sie sind offenherzig.«

»Vorhin machten Sie mir das Gegenteil zum Vorwurf.«

»Wenn ich nur wüßte, was Sie bei Ihren Gesinnungen für uns mit uns wollen!« sagte Wladimir und holte tief Atem.

»Ich hege die besten Gesinnungen.«

»Beweisen Sie das!«

»Von Herzen gern.«

Jetzt nahm sie Platz, sich dabei bequem in die Kissen zurücklehnend. Dadurch ward ihr Gesicht beschattet.

»Von Herzen gern,« wiederholte sie freundlich.

Wladimir war nahe daran, seine Fassung zu verlieren: diese Frau verwirrte und quälte ihn.

»Ich habe Ihnen gesagt,« begann er nach einer Pause, während der sie ihn gelassen betrachtete, »Anna Pawlowna, ich habe Ihnen gesagt, daß ich Sie nicht verstehe, weder Sie noch die anderen Adligen, die jetzt zum Volk gehören wollen. Ihr helft uns – womit? Mit sehr wenig Geld und sehr vielen Worten. Wir verlangen indessen mehr von den Unseren, als ein paar Hände voll Rubel und einen großen Haufen von Redensarten. Vor allem verlangen wir von euch, uns die Überzeugung beizubringen, daß ihr es redlich mit uns meint. Diesen Beweis seid ihr uns bis jetzt schuldig geblieben. Warum ihr euch überhaupt den Anschein gebt, als sei es euch Ernst mit der Sache, warum ihr überhaupt so viele Worte und Versicherungen an uns verschwendet – das eben ist es, was ich nicht verstehe. Was bezweckt ihr damit? Ist das Volk doch nicht zu euch gekommen, sondern ihr zum Volk. Ihr habt dem Volk eure Hilfe angeboten – aufgedrungen. Denn das Volk ist stark, das Volk kann sich selbst helfen. Ihr hängt mit allen Fasern an der Institution der Aristokratie und nur im geheimen möchtet ihr es mit der Demokratie halten. Wer aber nicht ganz und ohne Rückhalt für uns ist, der ist wider uns, und deshalb frage ich Sie: Welches ist Ihre Absicht, was bezwecken Sie mit uns? Denn zur Salondekoration sind wir doch unmöglich zu verwenden.«

Sie antwortete nicht gleich, sie sah ihn immer noch an, als ob sie ihn durch die Lorgnette betrachtete. Dann meinte sie nachlässig: »Sagen Sie mir, Wladimir Wassilitsch, was wir tun sollen, machen Sie mir Ihre Vorschläge. Was wollt ihr, was fordert ihr? Sollen wir Bäuerinnen werden und unsere Männer Bauern? Wollt ihr, daß der Gutsbesitzer unter seine Leute, die er eben erst frei gemacht hat, sein ganzes Hab und Gut verteile? Daß wir mit euch ausziehen, die Kirchen stürmen und Barrikaden bauen? Daß wir euch helfen, Priester und Beamte zu ermorden, den Zaren vom Thron zu stoßen und das Volk darauf zu setzen? Ist es das, was ihr von uns fordert?«

Wladimir heftete seine Augen auf die Prinzessin; statt jeder Antwort sagte er: »Ich verstehe: Ihr fürchtet euch, mit uns in zu enge Beziehung zu treten, ihr haltet es für gefährlich. Ich sage Ihnen aber: Es ist gefährlich für uns! Der Moschusduft, der von der Gesellschaft ausgeht, wirkt giftiger als der Blutgeruch des Terrorismus. Ich könnte Ihnen mehr als einen nennen, der von dem Parfüm betäubt wurde. Hütet euch! Ihr glaubt uns zu kennen und dadurch Macht über uns zu haben. Auch gebe ich zu, daß ihr uns mit Meisterschaft behandelt; jeden nach seinem Charakter. Und diesen Charakter meint ihr studiert zu haben. Er ist kindlich, leicht erregbar, vertrauensvoll, hingebend, treu. Noch einmal: Hütet euch! Ihr kennt nur die eine Seite unseres Wesens, die weich ist wie ein russischer Frühlingstag. Aber es kann schnell wechseln. Denken Sie an die sonnenverbrannte, sommerliche Steppe, an den Herbststurm, an die Schrecken des russischen Winters. Wir können fürchterlich sein. Wenn ihr euer Spiel mit uns treibt, könnte es leicht für euch enden, wie es einst für die Spieler der römischen Arena endete: tot lagen sie da, von wilden Tieren zerrissen. Leicht könnte das russische Volk zur reißenden Bestie werden. Ihr selbst hättet sie dann auf euch gehetzt.«

Er spähte in ihre Augen, um darin die Furcht aufbeben zu sehen. Aber Anna Pawlowna zuckte nicht mit der Wimper, veränderte keine Miene. Auch sie sah ihn an, so vornehm-gleichgültig, als sei die Rede von einem neuen Ballett gewesen, das sie gelangweilt hatte. Er mochte wollen oder nicht, in diesem Augenblick mußte er sie bewundern.

Sie ist wirklich anders als die anderen Frauen, dachte er. Mit einer solchen Frau ließe sich viel ausrichten.

Ein leidenschaftlicher Wunsch bemächtigte sich seiner. Wenn ich sie für uns gewänne, wenn ich sie an uns fesselte, mit Banden, die einen Rücktritt für sie unmöglich machten. Und dann mit ihr zusammen operieren gegen ihresgleichen! Sie würde nicht mit der Wimper zucken, keine Miene in ihrem marmorkalten schönen Gesicht würde sich verändern, wenn sie herabblicken würde auf die blutige Arena Rußlands, auf die zerstückten Glieder der russischen Gesellschaft –

Der Terrorist erbebte.

Aber durch welches Mittel sie so unzerreißbar an die Sache des Volkes ketten?

Durch Sascha.

Er sah sie vor sich, die grobe, bäurische Gestalt, mit dem unschuldigen Kindergesicht, den blühenden Lippen, dem schwermütigen Blick. Er sah die roten Hände in dem fahlen Haar wühlen. Und er sah sie, mit dem flammenden Gelock, den grünen Nixenaugen, mit dem Munde, den ein Gott – –

Was geschah ihm?! Ihm, der nie ein Weib daraufhin ansah, ob es schön ober häßlich sei, ihm erschien die Schönheit des Weibes plötzlich wie sie dort oben auf dem Fries den Wellen enttauchte: als eine leuchtende Offenbarung der höchsten Schöpferkraft. Er, der stets nur die Seele der Frauen begehrte, ward beim Gedanken an Anna Pawlowna und an Sascha plötzlich von einem Gefühl des Widerwillens, des Hasses gegen den letzteren ergriffen. Um jeden Preis mußte er diese Frau für die Sache des Volkes gewinnen, um dann mit ihr zusammen Heldentaten zu begehen, mit ihr – –

Aber Tania! Tania, die er liebte. Würde er Anna Pawlowna jemals lieben können?

Lieben? Nein. Aber – –

Alles Blut drang ihm zu Kopf, es wurde ihm schwarz vor den Augen.

Als er sie öffnete, sah er vor sich die Lippen der schönen Frau. Er starrte darauf hin, er trat näher. Aber er schwankte dabei.

»Wladimir Wassilitsch, was ist Ihnen?«

Sein Blick sagte es ihr.

Sie fuhr auf, empört, beleidigt, mit einem unerträglichen Gefühl der Erniedrigung.

»Heben wir dieses Gespräch auf. Wir werden uns doch niemals verstehen. Hören Sie wohl: Niemals.«

Aber er hörte sie nicht.

Sie wollte sich entfernen; er stellte sich in ihren Weg. Er wollte sprechen, konnte nicht, stieß endlich hervor: »Sie sind in meiner Hand.«

»In Ihrer Hand?!«

Der Ton, mit dem sie das sagte, schlug ihm förmlich ins Gesicht.

»Sie haben sich bereits zu tief mit uns eingelassen; Sascha besitzt Papiere von Ihnen.«

Auf einmal lachte er hell auf. Er hatte sich vorstellen müssen, wie dieses königliche Weib diesen Bauern küßte, und hell auf mußte er lachen. Dann rief er mit einem Triumph, der seine Züge verzerrte: »Sie können nicht mehr zurück. Selbst wenn Sie wollten, können Sie nicht mehr.«

»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich zurück will?«

»Wie – Sie wollen nicht? Ich verstehe: Um Saschas willen – –«

»Sie haben den Verstand verloren.«

Ihre Stimme klang um keinen Ton lauter oder erregter; aber er hatte gesehen, wie es in ihren Augen aufleuchtete, zum erstenmal. Er trat vor sie.

»Sascha liebt Sie, unsinnig, toll. Sie haben ihn um den Verstand gebracht. Wenn Sie ihn aufgeben, wenn Sie die Sache aufgeben, wird auch er uns verlassen. Dann wäre er verloren, er und Sie; denn dann müßten wir ihn richten, ihn und Sie. Und Sie wissen, welche Strafe bei uns auf Verrat steht?«

»Was geht das mich an?«

Sie war aufgestanden. Ihr Blick begegnete dem seinen, sie maßen einander mit den Augen. So standen sie sich eine Weile stumm gegenüber. Dann hob sie leicht ihre Hand.

»Gehen Sie!«

Er verneigte sich tief und ging.

Anna Pawlowna wollte etwas tun, den Diener rufen und den Frechen die Treppe hinunterwerfen lassen. Doch, sie regte sich nicht.


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