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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Die Fürstin Danilowsky hatte ihren Empfangsabend. Nach einer Mode, welche die Fürstin in gewissen Pariser Salons kennen gelernt, waren im Teezimmer sämtliche Lampen mit dichten roten Schleiern verhüllt, so daß die Dämmerung, welche in dem großen Raume herrschte, im ersten Augenblick die im Zimmer befindlichen Personen nicht erkennen ließ; es waren zum größten Teil Damen im Alter der Fürstin. Der roten Beleuchtung zuliebe, die als Novität viel von sich reden machte, trugen sie helle Soireetoiletten und waren im Gesicht nur leicht gepudert; der rosige Schein gab allen ein jugendliches Aussehen.

Unwillkürlich sank in dem Zwielicht die Konversation zum Flüstern herab; man führte meistens Gespräche zu zweien. Nur um den Teetisch der Fürstin versammelte man sich zu einer allgemeinen Plauderei. Die anderen Gemächer hatten zwar eine etwas hellere Beleuchtung, doch war auch hier das Licht durch farbige Schleier so gedämpft, daß kein indiskreter Strahl in das mystische Halbdunkel des Allerheiligsten drang. Natürlich rauchten auch die Damen. Die Zigaretten wurden an einem antiken pompejanischen Lämpchen angezündet und ihre glühenden Spitzen durchfunkelten die Dämmerung und erfüllten das Gemach, darin eine Atmosphäre von Tabak, Patschuli und Räucherwerk herrschte, mit blassem Dunst.

Wo die Unterhaltung lauter war, wurde das gewöhnliche Thema verhandelt: Literatur, Theater, Gesellschaft. Man hörte die gewöhnlichen Phrasen.

Boris Alexeiwitsch war nicht anwesend. Er liebte die Mysterien des fürstlichen Teezimmers nicht und besuchte die Gesellschaft der Fürstin nur dann, wenn er seine Cousine Anna Pawlowna dort vermutete.

Mehrere junge Männer erschienen. Einige davon waren Ausländer, Franzosen, nervöse Herren mit matten Augen und geziertem Lächeln. Gegen diejenigen Damen, von denen sie sich protegiert wußten, nahmen sie einen nachlässigen Ton an, gegen andere verhielten sie sich voll kühler Höflichkeit. Man traf sie in vielen Salons, wo sie die bequemsten Fauteuils einnahmen, kandierte Flüchte naschten und mit ihren über und über beringten, weißen, weichen Händen kokettierten. Von der übrigen Männerwelt wurden sie verachtet, aber geduldet. Dagegen konnte es geschehen, daß um ihre Freundschaft unter den Frauen Neid und Eifersucht entstand.

Auch ein Deutscher war heute anwesend; doch konnte er es nicht zu Erfolgen bringen. Man fand ihn zu gesund und einem Russen nicht unähnlich genug.

Am Teetisch unterhielt man sich über Anna Pawlowna, von der behauptet wurde: » La princesse n'a pas de coeur.«

Dem widersprach die Wirtin: » Elle est si bonne! Et puis – sie ist unglücklich.«

»Anna Pawlowna?«

» Mais oui! Der Prinz vernachlässigt sie.«

Rings um den Tisch wurde gelächelt. Es gab in Moskau so viele vernachlässigte Frauen. Freilich stellten einige die Behauptung auf, daß es noch mehr vernachlässigte Ehemänner gäbe. Jedenfalls war die Zahlendifferenz nicht groß.

»Sie sollte sich besser arrangieren,« meinte die Gräfin Potemkin, eine Dame, die in dergleichen Arrangements Übung besaß. »Auch hat die Prinzessin durchaus kein Talent für das Allgemeine, durchaus keinen Wohltätigkeitssinn.«

In der Tat beteiligte sich Anna Pawlowna nur mit ihrem Namen und ihrem Gelde und nicht mit ihrer Person an den verschiedenen Vereinen. Die Anstalt für sittlich verwahrloste Mädchen, welche sie hatte gründen helfen, interessierte sie nicht im geringsten. Wenige brachten ihr Leben mit solchen Nichtigkeiten hin wie sie. Die Lektüre eines Romans kostete sie Anstrengung und die Sorge für ihre Toilette schien sie ganz auszufüllen. In der neuesten Zeit war indessen manches anders geworden; selbst die Fürstin hatte es bemerkt und glaubte den Grund davon zu kennen.

» Elle aime

Dieser Ausruf erzeugte Sensation. Man wollte einen Namen wissen. Vorsichtig teilte die Fürstin ihren Intimen mit: » Elle aime l'opposition

Da kam gerade die Prinzessin; in einer schwarzen Samtrobe mit schwarzer Spitzencoiffure. Sie stand auch zu den Toiletten des Teezimmers in Opposition, was die dunkle Farbe ihres Kleides in eklatanter Weise zeigte.

Die Wirtin erhob sich und ging ihr entgegen: » Comme vous êtes tard

» J'étais très occupée

Sie ließ sich zu einem Platz führen und setzte sich, ohne jemanden zu grüßen. »Da ich in der Dämmerung deines Salons niemand zu erkennen vermag, so kann ich auch nicht grüßen,« hatte sie zur Fürstin gesagt. »Bittest du mich, trotzdem zu kommen, so ist das deine Sache.« Die Fürstin bat sie trotzdem zu kommen, und Anna Pawlowna kam und grüßte nicht.

Am Teetisch lenkte man, nicht ohne Absicht, das Gespräch auf die Nihilisten.

»Schade, daß man diese Menschen nicht bei sich sehen kann,« meinte die Fürstin, deren Neugier seit ihrer Unterredung mit Boris Alexeiwitsch erregt war. »Einige darunter sollen übrigens ganz leidliche Manieren haben. C'est étonnant!«

»Es ließe sich vielleicht der Versuch machen,« schlug eine gewisse Frau Lermonnow vor, berüchtigt durch ihre Salondekorationen: Musiker, Poeten und interessante Charaktere.

Man lachte.

»Ich sage es im Ernst,« rief die Dame beleidigt. »Was meinen Sie, Prinzessin?« wandte sie sich an Anna Pawlowna, neben der sie saß. »Enfin; ce sont des hommes, qui feront crouler toute la Russie. Sie werden bald Mode sein.«

»Die Nihilisten?« fragte der Deutsche, der keine Konversation machte.

»Mais certainement! On en parle partout. Wissen Sie, was sie eigentlich bezwecken?«

»Meinen Sie mich?« fragte Anna Pawlowna.

»Vous, princesse.«

Ob sie sich kompromittieren wird? war der Gedanke aller. Aber sie ist klug und kaltherzig.

Sie kompromittiert sich, dachte die Fürstin. Sie ist viel zu stolz, nicht zu sagen, was sie denkt. Übrigens ist ihr alles ziemlich einerlei.

Die Fürstin sollte recht behalten.

»Was sie eigentlich bezwecken?« wiederholte Anna Pawlowna langsam, aber ohne alle Lebhaftigkeit, »Das werden sie selbst nicht recht wissen. Aber wissen denn wir, was wir wollen? Nun: leben und genießen. Vielleicht wollen sie dasselbe, und ich würde es ihnen nicht verdenken, übrigens kümmern sie sich nicht viel um die Zukunft. Ihre erste Aufgabe ist, mit der Gegenwart fertig zu werden. Auf welche Weise sie damit fertig werden, das ist ihre Sache. Sie werden sich nicht lange darauf besinnen. Zur Erreichung ihres Zweckes bedienen sie sich selbstverständlich aller der ihnen zu Gebote stehenden Mittel. Sind es gute Mittel, können es gute Mittel sein? Nein! Revolutionen haben in allen Ländern, zu allen Zeiten stattgefunden, und niemals war ein Land dafür reifer als Rußland. Aber in Rußland nehmen alle Dinge eine eigenartige Form an, was nun einmal in unseren Verhältnissen liegt. Diese Verhältnisse Rußlands mußten den Nihilismus hervorbringen. Ich finde das alles höchst einfach.«

Boris Alexeiwitsch war eingetreten und hatte erstaunt zugehört. Was fällt ihr ein? dachte er, und näherte sich ihr.

»Vorsicht!« flüsterte er, hinter ihren Stuhl tretend.

»Sie hören, ich mache Propaganda für den Nihilismus,« sagte Anna Pawlowna laut, ohne den Kopf zu wenden. »Unterstützen Sie mich.«

Einige, die ferner saßen, standen auf und kamen an den Tisch.

»Bon soir, Boris Alexeiwitsch!« rief die Fürstin, die sich in großer Verlegenheit befand und der Konversation eine Wendung zu geben versuchte, »Waren Sie in der Oper? Was wurde gegeben? Erzählen Sie doch!«

»Verzeihen Sie, Fürstin. Man sprach hier von dem Nihilismus und meine schöne Cousine forderte mich auf, ihr Beistand zu leisten. Wie Sie hören, nimmt Anna Pawlowna die Sache ernsthaft. Das tue auch ich. Meine Herren und Damen, ich schwöre Ihnen zu, daß ich die Nihilisten für die Menschen der Zukunft halte.«

Man lachte und rief: »Bravo!«

»Er ist so geistvoll,« flüsterte die Gräfin Borow der Frau Lermonnow zu.

Alle fanden die kleine Szene äußerst pikant; nur die Fürstin geriet in Sorge um ihren Liebling, während es ihr doch zugleich schmeichelte, daß dieser Vorgang sich in ihrem Teezimmer ereignete. On en parlera demain dans tout Moscou, sagte sie sich.

In dem Tone, in welchem er im Klub seine pikanten Geschichten erzählte, fuhr Boris Alexeiwitsch nun fort:

»Meine Damen und Herren, folgen Sie meiner schönen Cousine und mir und machen Sie mit uns Propaganda für den Nihilismus. Gehen wir unter das Volk, werden wir Altrussen, Slavophilen! Das Kostüm wird uns entzückend stehen und der Kaftan ist, mit dem Frack verglichen, eine klassische Tracht. Vertauschen wir den Sekt mit unserem lieben Nationalgetränk und versuchen wir, die guten Qualitäten unserer Grütze würdigen zu lernen: es wird uns vortrefflich bekommen. Stellen Sie sich die Wirkung vor, wenn wir dem Volk aus Alexander Herzen oder Moleschott vorlesen. Natürlich bekommen wir Prügel, was heutzutage in Rußland der bequemste Weg ist, zur Unsterblichkeit zu gelangen. Wir werden verdächtigt, wir müssen fliehen, mit einem falschen Paß, nach Baden-Baden oder Genf, mit einem Male sind wir Helden und Heldinnen geworden. Welche von den Damen möchte sich länger mit Pariser Blumen schmücken, wenn sie sich die Gloriole der Märtyrerin als Coiffure verschreiben kann?! Das ist mehr als chic, das ist pschutt. Und sie bekommt für diese höchste Eleganz nicht einmal eine Rechnung präsentiert,«

Es ist wirklich scharmant, dachte die Fürstin, im höchsten Grade davon entzückt, wie geschickt Boris Alexeiwitsch sich aus der Affäre gezogen hatte. Und in der Tat konnte Anna Pawlowna ihrem Vetter dankbar sein; denn die schale Travestie hatte ihr sonderbares Benehmen vergessen machen. Die einzelnen Gruppen lösten sich, man redete lauter, ungenierter; ja, unter dem Schutze der Dämmerung begannen einige sich freier zu benehmen, als es sonst selbst in Moskau gestattet war.

Anna Pawlowna wechselte noch einige Phrasen und erhob sich; sie blieb niemals länger als eine halbe Stunde, Boris Alexeiwitsch begleitete sie.

»Das war unklug,« sagte er halblaut zu ihr, sie durch die lange Reihe der Gemächer führend.

Anna Pawlowna zuckte die Achseln.

»Du warst um so vorsichtiger. Ich mag nicht immer heucheln und lügen.«

»So wäre, was du äußertest, wirklich deine Ansicht?«

»Das solltest du wissen. Übrigens wirst auch du deine eigentlichen Ansichten geäußert haben.«

»Das tue ich niemals, wenigstens nicht solchem Publikum gegenüber. Bei dir freilich – –«

Sie unterbrach ihn, und sagte auf Französisch: »Sie wissen, Boris Alexeiwitsch, wir werden uns nie verstehen.«

»Sie halten mich für frivol?« antwortete Boris in derselben Sprache.

»Sie sind es.«

»Kann man in unserer Zeit anders sein?«

»Gibt es denn in unserer Zeit gar keine Männer?«

»Wen nennen Sie einen Mann?«

»Denjenigen, der imstande ist, eine große Leidenschaft zu fühlen.«

»Sie halten mich einer solchen Empfindung nicht fähig?«

»Nein.«

»Und in der Hoffnung, einen solchen Mann zu finden, fühlen Sie sich zu dem Nihilismus hingezogen?«

»Ja.«

»Sie könnten mich belehren.«

»Das will ich anderen überlassen. Ich habe jetzt ernstere Dinge vor.«

»Ich merkte Ihnen gleich an, daß etwas geschehen sein müsse. Was ist es?«

»Wir stehen am Vorabend großer Ereignisse. Noch können Sie sich zurückziehen.«

»Und Sie?«

»Ich habe mich entschieden.«

»Es wird zu Ihrem Verderben führen.«

Sie sah ihn auf eigentümliche Weise an; aber sie lächelte dabei.


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