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Dreizehntes Kapitel.

Anna Pawlowna befand sich in ihrem Kabinett. Die Fürstin Xenia Alexandrowna Danilowsky und Boris Alexeiwitsch waren bei ihr.

Das Kabinett war ein quadratischer, fensterloser Raum mit einer Kuppel aus geschliffenem Glase. Darunter hin lief ein Fries, von einem großen französischen Künstler gemalt. Es war darauf die Geburt der Venus dargestellt, wie die Göttin, aus dem Schaum einer Welle hervorleuchtend, mit einer Gebärde höchsten Entzückens beide Arme dem strahlenden Himmel entgegenstreckt und mit geöffneten Lippen die Sonnenstrahlen einzuschlürfen scheint, die aus einer purpurnen Wolke hervorbrechen.

Dann durchzieht die junge Herrscherin der Welt im Triumph die Meeresflut, welche den herrlichen Leib mit Rosen und Lilien umspült. Tritonen und Najaden tauchen aus der Tiefe und umschwimmen die Schöne. So gelangt Aphrodite nach Zypern, wo sie von blühenden Jünglingen und reizenden Jungfrauen empfangen wird, die beim Anblick der Göttin in Liebe zueinander entflammen. Sie bauen der hehren Himmlischen einen Tempel, in dessen Hallen der Priester die Paare vermählt. Zu dem Liebeshof der Venus gesellen sich alle Götter und Göttinnen, und Jupiter entdeckt eiligst eine einsame Schöne; so stehen Himmlische und Irdische unter dem Zepter der schaumgeborenen Frau, welcher der galante Franzose auf dem ersten Bilde die Züge Anna Pawlownas gegeben hatte.

Unter diesem Friese, den gekoppelte Bronzepilaster trugen, schimmerte an den Wänden silbergrauer Atlas in reichen Falten, über welche sich durch das gefärbte Glas der Kuppel ein matter, bläulicher Schein ergoß. Ringsum waren hinter einem vergoldeten Gitter exotische Pflanzen und blühende Frühlingsgewächse aufgestellt. Kamelien und Rosen, Narzissen und Hyazinthen drängten sich durch das strahlende Netzwerk.

Weiße Bärenfelle bedeckten den Boden, orientalische Stoffe die Ottomanen und Sessel, vor denen niedrige, mit Büchern und Quincaillerien beladene Tischchen standen. In der Mitte des Gemaches, auf einem Sockel aus blutrotem Jaspis, war die Bronzestatue eines nackten Knaben aufgestellt, der in seiner emporgehaltenen Rechten eine pompejanische Lampe hielt.

Unter dieser Bildsäule saß in einem Morgenkleid aus heliotropfarbener Seide Anna Pawlowna, anscheinend völlig in die Lektüre eines Flaubertschen Romans vertieft. Aber sie las nicht. Ihr Kopf mit dem farblosen Gesicht, von ihrem rötlichen unfrisierten Haar wie von Flammen umgeben, ruhte zurückgelehnt gegen den Purpur des Steins. Ihre meergrünen Augen starrten vor sich hin, mit demselben Ausdruck, den ihnen der Maler auf dem Bilde gegeben: Venus Anadyomene in die aufgehende Sonne schauend. Mit einem Seufzer schloß sie die Augen, und nun erschien das schöne Haupt leblos und starr auf dem blutroten Hintergrund.

Die Fürstin und Boris Alexeiwitsch befanden sich auf der anderen Seite der Bildsäule; die Dame ausgestreckt auf einem Diwan, der Kavalier hinter ihr auf einem Taburett. Das Promenadenkostüm der Fürstin war mit metallisch glänzendem Schmelzwerk bedeckt; das Neueste, was Paris für die Frühjahrssaison proklamiert hatte. Xenia Alexandrowna war lächerlich stark geschnürt, überreich gepudert und abscheulich frisiert, à l'enfant! Obgleich sie durchaus nicht mehr jung, ziemlich fett und fast häßlich war, besaß sie mehr Anbeter – besonders unter sehr jungen Männern – als Anna Pawlowna. Übrigens war sie gutmütig und ziemlich witzig. Ihr großes Vermögen, ihr uralter Name und ihre gänzliche Unabhängigkeit verschafften ihr in der Gesellschaft aller Länder eine sichere Position, trotzdem sie nicht aufhörte, sich stark zu kompromittieren. Sie benahm sich äußerst unvorsichtig und zeigte sich mit ihrer Gunst wie mit ihrem Gelde so freigebig, als es ihre jungen Freunde nur wünschen konnten. So hatte die böse Welt denn wohl nicht unrecht, wenn sie behauptete, daß Xenia Alexandrowna Romane lieber erlebe als lese. Ihren Aufenthalt wechselte sie wie ihre Neigungen. Sie reiste durch die halbe Welt und sie kannte alle Welt. Nach Paris ging sie der Toiletten und des » pschutt« wegen; nach England, um die Rennen zu sehen; nach Weimar, um Liszt anzubeten; nach Monaco, um zu spielen und nach Rom, um nachmittags auf dem Pincio Korso zu fahren. Sie hatte mit Gladstone gewettet, bei Sarah Bernhardt soupiert, an den Herzog Karl von Braunschweig zehntausend Franken verloren, war von Paul Heyse empfangen und von der Königin von Italien nach Turin eingeladen worden. Ihrer Autographensammlung wegen bildete sie sich ein, mit allen europäischen Berühmtheiten in Korrespondenz zu stehen. Natürlich war sie Wagnerianerin. In den letzten Jahren sprach sie viel von Schopenhauer, Proudhon und Bakunin und hatte sich auf Völkerpsychologie und Sozialismus geworfen. Gegenwärtig interessierte sie sich, obgleich sie nichts davon begriff, für den Nihilismus. Um Boris Alexeiwitsch willen, in den sie leidenschaftlich verliebt war, kam sie seit einigen Jahren regelmäßig im Frühling auf einige Monate nach Rußland. Übrigens verursachte Boris Alexeiwitsch ihr Kummer. Da er sich ihr gegenüber als völlig unzugänglich erwies, liebte sie es, ihn wie einen verwöhnten, trotzigen Knaben zu behandeln, wie einen ungezogenen Liebling der Grazien, dem man seinen Willen nicht lassen durfte. Wohl oder übel mußte sie sich ihm gegenüber als die ältere, erfahrene Frau aufspielen.

Was Boris Alexeiwitsch anbetraf, so ließ er sich das Verhältnis zur Fürstin gefallen, weil er sich dieser Frau gegenüber völlig gehen lassen konnte. Anfänglich war Xenia Alexandrowna ihm unangenehm gewesen. Als er aber die Leidenschaft entdeckte, welche diese abgestumpfte, zügellose Frauennatur für ihn gefaßt hatte, begann er einigen Anteil an ihr zu nehmen, das objektive Interesse, das der Anatom an den Zuckungen seines Objekts nimmt. Neugierig, wie sich die Sache entwickeln würde, sah er ihren Liebesleiden zu. Schließlich langweilte auch sie ihn – wie alles.

Boris hatte seinen Sitz zum Diwan der Fürstin geschoben; ein Bein über das andere geschlagen, begann er, seine Zigarette rauchend, mit gedämpfter Stimme ein Gespräch.

»Boris Alexeiwitsch!« sagte Xenia Alexandrowna.

»Fürstin?«

»Boris Alexeiwitsch, ich langweile mich.«

»Xenia Alexandrowna, ich langweile mich.«

»Welches Echo! Und so galant.«

»Pardon! Aber ein Nihilist darf nicht galant sein.«

»Pfui! Aber reden wir einmal ernstlich davon.«

»Von der Langeweile?«

»Von dem Nihilismus.«

»Als Mittel gegen die Langeweile?«

»Ein gefährliches Mittel.«

»Das uns für immer um die Langeweile bringen kann.«

»Ernstlich, ernstlich!«

»Wie Sie befehlen!«

»Können Sie wirklich ernsthaft sein?«

»Es kommt auf das Thema an.«

»Ich gebe Ihnen das Thema: Ist der Nihilismus wirklich eine solch ernsthafte Sache? Überall redet man darüber.«

»Ja, wie von dem letzten Skandal der Stipani mit dem Grafen Worsky, wie von der Robe, die Sie gestern auf dem Balle der Prinzessin trugen.«

»Ist das Ihre Ernsthaftigkeit? Jedenfalls ist sie amüsant.«

» Merci.«

»Wovon sprachen wir doch?«

»Von der neuesten Mode.«

»Das ist frivol.«

Aber Xenia Alexandrowna lachte. Dabei wandte sie den Kopf, um Boris Alexeiwitsch ins Gesicht zu sehen; diese spöttische Laune stand ihm so gut. Je leichtfertiger er war, um so unwiderstehlicher fand sie ihn. So versuchte sie denn, die alberne Szene fortzuspielen.

»Also sind Sie Nihilist aus Mode?«

»Sollte ich es etwa aus Überzeugung sein?«

»Zeigen Sie mir einen Nihilisten, aber einen echten.«

»Mit Vergnügen, sogar ohne Entree. Aber Sie müssen Ihr Flakon gebrauchen.«

»Warum?«

»Weil der Mann aus Überzeugung nach Branntwein riecht.«

»Sie könnten mich neugierig machen.«

»Sie wissen doch, daß Nihilisten an nichts glauben?«

»Das muß sehr bequem sein. Aber glauben sie wirklich an nichts?«

»Die Männer an eure Reize.«

»Und die Frauen an eure Treue.«

»Gewiß nicht. Der Nihilismus erhebt den Wechsel zum Prinzip. Er ist sehr bequem.«

» Mais c'est affreux.«

»An eines, fällt mir ein, glauben auch die Nihilisten.«

»Was ist das?«

»An das Nichts.«

»Ein unangenehmer Glaube.«

»Wieso? An keine ewige Langeweile glauben zu müssen, ist Ihnen das unangenehm?«

»Das ist zynisch.«

»Das ist nihilistisch.«

»So ist nihilistisch zynisch?«

»Wohl möglich.«

»Jetzt habe ich genug.«

»Schon? Übrigens sind Sie zur Nihilistin verdorben.«

»Weshalb?«

»Weil Sie ästhetische Bedürfnisse haben. Das ist ganz gegen unsere Theorie.«

»Muß denn eine Theorie immer gleich praktisch verwertet werden?«

»Im Nihilismus entschieden. Was mich betrifft, so verkehre ich direkt mit dem Volk. Heißt das nicht ein Nihilist der Praxis sein?«

»Sie werden dabei sicher praktisch verfahren.«

»Das war boshaft.«

»Es soll reizende Frauen unter den Nihilistinnen geben.«

»Sie kennen uns.«

»Monsieur – – «

»Madame – – «

Beide standen auf.

»Nicht drei Sätze Französisch,« rief Boris triumphierend. »Was sind wir für Russen!«

» Les vrais Slavophiles.«

Ein Diener in altrussischer Tracht schlug die Portiere zurück und meldete mit leiser, singender Stimme: »Der Student Alexander Dimitritsch Russikow und die Bäuerin Wera Iwanowna Martjanow aus Eskowo bitten vorgelassen zu werden.«

Anna Pawlowna hatte gerade das Buch aufgenommen und las so eifrig, daß der Diener seine Meldung wiederholen mußte.

»Führe sie in das gelbe Zimmer,« erwiderte sie endlich und blätterte um.

»Wer ist dieser Alexander Dimitritsch?«

»Das müssen Sie meine Cousine fragen. Sie wird Ihnen antworten: Voilà, un homme.«

»Vraiment?« meinte die Fürstin gedehnt und blickte nach Anna Pawlowna hinüber, welche, ohne eine Miene zu verziehen, nachlässig sagte: »Dieser Alexander Dimitritsch ist in der Tat – – «

»Eine ehemalige Seele Anna Pawlownas,« fiel Boris Alexeiwitsch lachend ein. »In der Tat eine Seele, die ihr noch immer gehört, eine etwas plebejische Seele.«

Anna Pawlowna runzelte die Stirn und fuhr, die Unterbrechung unbeachtet lassend, fort, wo sie aufgehört hatte.

» – – Ist in der Tat einer von jenen jungen Leuten, welche das Unglück haben, eine große Leidenschaft zu fühlen und dabei keine Egoisten zu sein.«

»Das heißt?« erkundigte sich die Fürstin, etwas unsicher, ob man sich nicht über sie lustig mache.

»Das heißt,« demonstrierte Boris Alexeiwitsch mit einem zynischen Zucken seines schönen Mundes, »daß dieser Alexander Dimitritsch ein Nihilist ist.«

»Ein Nihilist in deinem Hause! Aber du kompromittierst dich.«

»Sie sollten sich den Mann ansehen,« riet Boris der Fürstin mit ungemeiner Höflichkeit.

»Natürlich werde ich das!«

»Er ist kein wildes Tier,« sagte Anna Pawlowna.

Sie hatte den tiefen Ton in ihrer Stimme, den ihr Vetter so gern hörte; er liebte es, dem spröden Metall solche Funken zu entreißen.

»Anna Pawlowna hält ihn für einen Mann,« warf er nachlässig hin.

»Ah!«

»Boris Alexeiwitsch beliebt es, anderer Ansichten zu fälschen,« erwiderte Anna Pawlowna, sich zur Fürstin wendend in ihrer kältesten Weise. »Dieser Student Sascha ist ein Gemüt voller Einfalt, Kindlichkeit und Uneigennützigkeit, eine Seele voller Glauben, Vertrauen und Hingebung, dabei – – «

Sie suchte nach dem rechten Wort. Boris Alexeiwitsch fand es.

»Voller Urkraft.«

Er lächelte.

»Ganz recht,« wiederholte sie langsam, ihn mit ihren Nixenaugen anblickend, »voller Urkraft.«

Dann erhob sie sich.

»Ich bin gleich wieder zurück.«

»Beeile dich nicht, ma chère! Wer aber ist diese Bäuerin Wera Iwanowna aus Eskowo?«

»Ich kenne sie nicht,« murmelte Boris Alexeiwitsch, seinen Schnurrbart kräuselnd.

Anna Pawlowna, die schon an der Tür stand, drehte sich nach ihm um.

»Du kennst sie nicht?«

»Es ist lange her, daß ich in Eskowo war.«

»Du schlugst ihr damals mit der Reitpeitsche ins Gesicht. Hoffentlich trägt sie noch die Narbe davon.«

»Die ist's? Sie war schon damals ein freches Ding, das gezüchtigt zu werden verdiente.«

Anna Pawlowna zuckte die Achseln und entfernte sich.

»Wissen Sie, Fürstin, wer diese Wera ist? Denn jetzt fällt es mir ein.«

»Nun?«

»Anna Pawlownas Halbschwester.«

»Mon dieu! – – Was will sie in Moskau?«

»Da fragen Sie mich zu viel.«


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