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Zwanzigstes Kapitel.

Sascha befand sich in einer wunderlichen Stimmung. Wladimir hatte ihm in der Druckerei den Befehl zugeflüstert, sich am Abend zu der Wirtin in der Teeschenke zu begeben, von der er erwartet würde. Diese Marja Carlowna war für die Moskauer Nihilisten eine wichtige Persönlichkeit. Nicht nur, daß sie die Kellerräume ihres Hauses als Versammlungslokal hergegeben hatte, auch das Laboratorium der Verschwörer befand sich bei ihr. Es waren dafür drei Zimmer erforderlich gewesen, die im obersten Stockwerk liegen mußten; denn die chemischen Stoffe, aus denen das Sprengmaterial verfertigt wurde, verbreiteten einen penetranten Geruch, weshalb es nötig war, einen Abzugskanal direkt ins Freie herzustellen. Auch eine Wasserleitung durfte nicht fehlen. Die größten Vorsichtsmaßregeln waren notwendig, die geringste Nachlässigkeit konnte zu einer Entdeckung führen. Es gehörte außer vollster Hingabe an die Sache persönlicher Mut dazu, sein Haus für diese Unternehmungen herzugeben.

Marja Carlowna stammte von tatarischen Eltern ab und hatte das wilde Blut ihres Stammes geerbt. Ihre Vergangenheit war etwas dunkel. Sie gab sich für eine Witwe aus, was ihr dieser und jener – Sascha zum Beispiel – auch glaubte. Doch war bekannt, daß ihr Name ein angenommener sei. Jedenfalls wußte sie sich mit der Moskauer Polizei trefflich zu stellen, was die Nihilisten nicht abhielt, ihr vollständig zu trauen, übrigens kannte Wladimir Wassilitsch ihre Geschichte, über die er jedoch schwieg. Sie war noch ziemlich jung, ungefähr dreißig Jahre alt und immer noch sehr schön. Ihre braune Hautfarbe leuchtete wie Bronze. Unter den Künstlern war sie ihrer Gestalt und ihres Nackens wegen berühmt; doch vermochten weder Bitten noch Vorstellungen sie zu bewegen, Modell zu stehen. Da man sich aus ihrer Vergangenheit noch ganz andere Dinge erzählte, so fand man diese Zurückhaltung unbegreiflich. Aber auch sonst war sie völlig unnahbar. Dabei machte sie sich nichts daraus, sich im Kreise ihrer Gäste das Haar zu kämmen, das sie sehr geschickt mit rotem Band und Perlenschnüren durchflocht und in vielen Zöpfen herabhängen ließ.

Auch sonst gab sie viel auf Putz. Gewöhnlich trug sie einen Kaftan aus dunkelblauem Tuch, mit bunten Stickereien verziert, und um Hals und Arme reichen Schmuck. Zuzeiten ward sie von tiefer Niedergeschlagenheit und Schwermut befallen. Ihr Gesinde und ihre Gäste kannten diese Anfälle und gingen ihr an solchen Tagen aus dem Weg. Sie saß dann still in einem Winkel, starr vor sich hinblickend, mit zusammengepreßten Lippen und kümmerte sich um nichts. Manchmal kam es vor, daß sie aus ihrem Brüten auffuhr und mit einer Magd oder einem der Gäste Streit anfing. Sie sah dann aus, als könnte sie einen Mord begehen. Mitten in diesem Wutanfall stürzte sie fort in ihr Schlafzimmer und kam gewöhnlich erst nach einigen Tagen wieder zum Vorschein, fahl im Gesicht, mit eingesunkenen Augen. Sie war dann für Wochen still und traurig, was ihrer fremdartigen wilden Schönheit einen eigentümlichen Zauber verlieh.

Ihre größte Leidenschaft war ihr Haß gegen die Russen. Die Nihilisten, denen sie mit Gefahr ihrer Freiheit und ihres Lebens Zuflucht in ihrem Hause gab, glaubten diesem Umstande Maria Carlownas Protektion zu verdanken, ohne zu bedenken, daß sie selbst Russen waren. Wladimir Wassilitsch allein schien es besser zu wissen und belächelte in seiner zynischen Art den Glauben seiner Genossen. Ihm war zuerst der Eindruck aufgefallen, welchen der ehrliche, brave Sascha auf Marja Carlowna machte. Als es sich darum handelte, die Räumlichkeiten für das geheime Laboratorium zu erlangen, war er mit Sascha zufällig in die Teeschenke geraten, deren Wirtin ihm schon damals genau bekannt war und von ihm für seine Zwecke sehr beachtet wurde. Doch hatte sie sich stets ablehnend gegen ihn verhalten, was ihm fatal war. Denn er hatte sich nun einmal den Satz konstruiert, daß eine Frau nur dann für eine Sache leidenschaftlich Partei nehme, wenn sich dabei ein Mann im Spiele befand. Auch diesmal schien ihm, wenn freilich nicht in bezug auf sich selbst, der Erfolg recht zu geben. Nur war er erstaunt, daß die Neigung der Frau auf den stillen, stummen Sascha fiel, der ihre Schönheit gar nicht bemerkte. Immerhin mußte aus dem Umstande Nutzen gezogen werden und Sascha erhielt den Befehl, sich mit der Frage in die Teeschenke zu begeben, ob er, ein Student der Chemie, sich in ihrem Hause einmieten könne. Die Wirtin bejahte und Sascha lebte lange Zeit bei ihr, ohne auf den Gedanken zu kommen, daß er seiner schönen Hausfrau eine wärmere Empfindung einflößen könnte, übrigens war Marja Carlownas Benehmen gegen den Studenten so zurückhaltend, daß es Wladimirs scharfer Augen bedurfte, um den Stand der Dinge zu erkennen. Allmählich wurde sie eingeweiht, allmählich durch Sascha ins Vertrauen gezogen, auf Wladimirs Befehl. Sie richtete für die Revolutionäre in ihrem Hause das Versammlungslokal ein, sie kannte die Arbeit, mit welcher ihr Mieter beschäftigt war, sie täuschte die Polizei, sie verwickelte sich tief in die Verschwörung, alles lediglich Sascha zuliebe. Als ihm Wladimir eines Tages diesen Umstand bemerklich machte, starrte Sascha ihn beinahe erschrocken an. Eine Frau wäre in ihn verliebt? Marja Carlowna! Er glaubte es nicht, es war nicht möglich, es war einfach lächerlich. Und er lachte. Bald aber verging Sascha das Lachen. Er beobachtete, wurde nachdenklich, unruhig. Zu seinem höchsten Erstaunen glaubte er wirklich zu erkennen, daß Wladimir recht hatte, obgleich er es nicht begriff. Ängstlich vermied er fortan, seiner Wirtin zu begegnen oder sie anzureden. Zu dieser Zeit schenkte Anna Pawlowna den Nihilisten das einsame Gärtnerhäuschen in der Vorstadt; Sascha wohnte dort zusammen mit Wladimir und besuchte das Haus Marja Carlownas von nun an lediglich um der Versammlungen und seiner chemischen Arbeiten willen. Dann wurde er nach Eskowo geschickt, um Wera zu holen.

Während seiner Abwesenheit ging in Marjas Benehmen gegen die Nihilisten eine Veränderung vor, die Wladimir mit Besorgnis erfüllte. Sie wurde unfreundlich und lau gegen die Operationen der Genossenschaft, bedrohliche Anzeichen, denen beizeiten begegnet werden mußte. Natürlich war Saschas alberne Sprödigkeit die Ursache von Marja Carlownas Kälte. Das mußte ein Ende nehmen, und deshalb hatte Wladimir Sascha heute abend zu der schönen Wirtin geschickt.


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