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Neunzehntes Kapitel.

Wladimirs Phantasie war erregt.

Er dachte nicht an den Sieg, den er für die Sache über Anna Pawlowna davongetragen; er fühlte nur die Niederlage, die er durch sie erlitten. Es war, als würde plötzlich ein Vorhang vor seinen Blicken hinweggezogen, als täte sich ein Abgrund vor ihm auf. Mit einem Schlage erschloß sich ihm eine bis dahin gänzlich unbekannte Welt, deren Gottheit das Weib war. Er wollte sie nicht anerkennen und mußte sie doch anbeten; anbeten mit einem inneren Knirschen, mit einer Wut, die er gegen sich selbst richtete. Höhnisch warf er sich vor, daß er so lange wie ein Mönch gelebt, um plötzlich in sich den Wüstling zu entdecken. Warum hatte er sich nicht längst übersättigt – übersättigt bis zum Ekel?! Dann wäre er nun fertig damit. Denn nichts durfte ihn jetzt beunruhigen und quälen, jetzt, wo es galt, den ganzen Menschen auf eine Idee zu konzentrieren, für die Sache! Jede Empfindung, die ihn davon ablenkte, war ein Verbrechen gegen den heiligen Geist seines Werkes, war eine Untreue, eine Unsittlichkeit.

Er fühlte schon genug Dämonen in seinem Innern entfesselt, um nicht auch noch dem Dämon der Leidenschaft Gewalt über sich zu geben; nicht eine Faser seines Wesens durfte diesem Teufel gehören. Das Spukbild, das die Schönheit Anna Pawlownas in ihm heraufbeschworen, mußte um jeden Preis gebannt werden. Und das beste Mittel, seine Phantasie von dem Bilde der schaumgeborenen Venus zu befreien, war, diese Frau, die ihn vor sich selbst verächtlich machte, verachten zu können. Anna Pawlowna mußte fallen, nicht durch ihn, auch nicht durch diesen Aristokraten Boris Alexeiwitsch, sondern durch den Bauern und Nihilisten Sascha.

Wieder fiel ihm Tania ein.

Er liebte sie leidenschaftslos, aber innig; sie sollte sein werden ohne kirchliche Fesseln, aber ihm unzertrennlich verbunden durch das heilige Band der Treue. Dennoch fühlte er bereits Reue, daß er sie hatte kommen lassen, daß er sein Leben unlöslich an das ihre knüpfen wollte. Würde sie ihn in seinen großen Entschlüssen und Taten nicht hindern? Sie war so zart. Aber sie sollte nicht nur seine Taten nicht hemmen, sie sollte dieselben mit ihm teilen. Er wollte sie zu seiner treuen Genossin, zu seiner starken Mithelferin heranbilden, zu einer todesmutigen Terroristin. Und wenn er in dem Kampf gegen die Feinde des russischen Volkes fiel – und er würde sicher fallen – dann sollte sein Weib zurückbleiben, um seinen Sohn zu seinem Nachfolger und Rächer zu erziehen.

Aber wie, wenn er sie schwach finden würde, wenn sie sich mit ihrer Liebe und ihrer Angst für sein Leben an ihm klammern sollte, ihn hindernd, wohl gar ihn entmannend – – Was dann?

Dann fort mit ihr!

Er wandte seine Gedanken wieder dem Plane mit Sascha und Anna Pawlowna zu.

Es unterlag keinem Zweifel, daß Sascha, der schwerfällige Sascha, von einer Leidenschaft für die schöne Frau ergriffen war, daß sein ganzes Gefühl eine gewaltsame erstickte Flamme war. Noch wußte er es selbst nicht, denn noch schlug er seine Augen mit der Inbrunst eines entzückten Beters zu Anna Pawlowna auf, in dem Glauben, daß sich eher der Himmel zu ihm herabneigen könnte, als diese Frau. Und dann war sie ja verheiratet, Untreue und Ehebruch gehörten zu den Dingen, die sein Gehirn nicht begriff, nicht zu begreifen vermochte.

Daran würde der ganze Plan scheitern.

Denn selbst wenn Anna Pawlowna die Lehrmeisterin abgäbe – –

War dieser Fall denkbar?

Doch was war einem schönen und leidenschaftlichen Weibe unmöglich? Wenn Anna Pawlowna diesen eigentümlichen Menschen, der so fremd in der Welt – in ihrer Welt – so einsam darin stand, wenn sie ihn wirklich lieben, für ihn eine Leidenschaft empfinden sollte, so würde sie auch zustande bringen, ihm das Unbegreifliche begreiflich machen.

Dann würde dieser Bauer besitzen, was Wladimir versagt blieb.

Die Seele voll glühender Bilder und Gestalten, gelangte er zu seiner Wohnung. Zum erstenmal fiel ihm auf, daß das Haus einer Höhle glich, der Hof die Umgebung eines Stalles zu sein schien. An den Palast Petrowsky und das Kabinett der Prinzessin denkend, überkam ihn eine wilde Freude. Denn je größer bei jenen der Luxus und die Verschwendung, um so berechtigter die Empörung des darbenden Volkes, um so berechtigter als Konsequenz des Nihilismus der Terrorismus.

Im Hause war alles dunkel. Wera befand sich mit Natalia Arkadiewna auswärts, um die neueste Nummer der Flugschrift »Tod für Tod« unter das Volk zu verteilen und bei einem jungen Gutsbesitzer in der Nähe der Stadt Propaganda für die »Sache« zu machen. Sascha arbeitete noch in der Druckerei; aber Colja war da. Er lag vor der Kammertür der beiden Mädchen und machte durch ein kräftiges Brummen Wladimir seine Anwesenheit bemerkbar.

»Wo ist Tania?« herrschte Wladimir ihn an.

Wo das Täubchen wohl sein sollte, wenn Colja vor der Tür Wache hielt? Er würdigte eine solche Frage gar keiner Antwort.

»Steh auf!«

Aber Colja regte sich nicht.

»Hörst du nicht?«

Er hörte nicht. Wladimir trat zu ihm und stieß ihn mit dem Fuße.

»Auf, Bestie!«

Nun erhob er sich, langsam, schwerfällig. Wie ein Block stand er vor der Kammertür, sie mit seinem Riesenleibe deckend.

»Aus dem Weg!«

Aber Colja regte sich nicht.

»Marsch, fort!«

Colja stieß einen dumpfen, drohenden Ton aus und rührte sich nicht von der Stelle. Da packte ihn Wladimir. Colja ließ sich von ihm schütteln und schlagen und – blieb stehen, wo er stand.

»Hund!«

Plötzlich warf der Knecht sich auf Wladimir.

»Willst du sie zu deinem ehrlichen Weibe machen? Willst du?«

Wladimir rang mit ihm.

»Willst du?«

Wladimir schlug ihm ins Gesicht.

»Du willst nicht? So will ich dich – –«

Und er packte ihn bei der Gurgel.

»Colja!« rief in der Kammer eine klagende Frauenstimme.

Wladimir fühlte, wie die entsetzliche Klammer an seinem Halse sich löste, wie er wieder atmen konnte.

Und noch einmal Tanias Ruf, lauter, angstvoller, flehender: »Colja! Colja!«

Diesem sanken beide Arme wie gelähmt herab.

»Wladimir, bist du es?«

Die Tür wurde frei, Wladimir trat in die Kammer.


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