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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Nun sollte Grischa ihr auch die Wirtschaftsgebäude und den Hof zeigen, was dieser seinem verlegenen und bekümmerten Gesicht nach zu schließen, nichts weniger als mit Freuden tat; doch rief er einen in der Nähe arbeitenden Burschen herbei, den er mit Weras Blumen ins Haus schickte. Dann gingen sie.

Wera erschrak über die Unordnung und Verwahrlosung, die sich in den Wirtschaftsgebäuden, den Scheunen und Ställen bemerkbar machte. Einige der Häuser waren so schadhaft, daß der nächste Sturm sie umwehen konnte. Das wenige Vieh, welches sich vorfand, hatte ein schlechtes, vernachlässigtes Aussehen. Aber den betrübendsten Eindruck machte das Gesinde, das ohne jede Aufsicht zu sein schien, von Schmutz starrte, nach Branntwein roch und selbst in der Gegenwart des Herrn verdrossen und träge blieb,

Grischa versuchte die Leute zu entschuldigen.

»Was wollen Sie, Wera Iwanowna? Es sind auch Menschen. Sie wollen auch leben und Freude am Leben haben. Es ist schrecklich, zu denken, was sie unter unseren Vätern und Großvätern zu leiden hatten. Bevor ich Natalia Arkadiewna kannte, war mir das gar nicht verständlich; sie hat es mir erst begreiflich gemacht. Ich war ganz entsetzt, wirklich ganz außer mir; denn sie müssen uns ja hassen! Tag für Tag, jahraus, jahrein Arbeit und Leiden und dazu schlechte Beamte, betrügerische, nichtsnutzige, grausame Verwalter. Auf Natalia Arkadiewnas Rat habe ich den meinen neulich fortgejagt. Er war eine Bestie und kein Mensch. Niemals werde ich es mir verzeihen können, daß ich meinen Leuten eine solche Bestie zum Verwalter gab. Nun sehe ich selbst nach allem. Aber sie sind ganz verdorben durch schlechte Behandlung. Ich versuche durch Milde sie wieder gut zu machen, und ich hoffe, daß es mir gelingen soll, ich hoffe es wirklich. Freilich ist es manchmal etwas schwer, recht schwer; das gebe ich zu. Doch darf man deshalb den Mut nicht sinken lassen. Meinen Sie nicht auch?«

Er sah sie erwartungsvoll, beinahe angstvoll an.

»Keinesfalls dürfen wir den Mut verlieren,« erwiderte Wera in ihrer herben und strengen Art.« Und leiser setzte sie hinzu: »Überall ist ein solcher Wirrwarr und ein solches Unglück, daß man nicht weiß, was beginnen. Wenigstens ich weiß es nicht. Aber die anderen werden es wissen und mir zur rechten Zeit sagen; sie werden mir sagen, was ich zu tun habe. Man muß eben glauben und vertrauen. So ist es.«

Sie war sich gar nicht bewußt, daß sie soeben nicht ihre, sondern Saschas Meinung ausgesprochen hatte und beinahe mit dessen Worten. Grischas Augen leuchteten froh auf, sein Gesicht verklärte sich.

»Also Ihnen geht es auch so? Man weiß nicht, wo anfangen, es ist zu viel Wirrwarr. Sie haben recht, das ist es! Nun, wenn es Ihnen so geht, will ich mich nicht beklagen, sondern froh sein, den rechten Weg gefunden zu haben. Denn Sie glauben gar nicht, wie verstockt ich war. Ich lebte in Lust und Freude, hatte von allem die Hülle und Fülle, dachte an nichts, wußte von keinem Leiden auf der Welt, glaubte, es wäre alles in Ordnung, es müßte alles so sein, und wie alles war, so sei es herrlich. Welcher Irrtum! Welche Schlechtigkeit! Da wurden mir von Natalia Arkadiewna die Augen geöffnet. Ich war tief unglücklich, ich kam mir so schändlich vor; ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr. Übrigens komme ich mir noch immer nicht besser vor – besonders seit gestern.«

Er schloß die Augen und atmete schwer.

»Weshalb besonders seit gestern?«

»Mein Gott, das ist doch ganz einfach. Gestern lernte ich Sie kennen; Sie haben so viel Mut, so viel Stärke, solche feste Grundsätze.«

»Nein, nein, die habe ich gar nicht,« widersprach Wera eifrig. »Glauben Sie das nicht, Sie dürfen das nicht glauben. Ich habe noch nichts getan, gar nichts! Ich kam nur und sagte ihnen: Tut mit mir, was ihr wollt; das Elend ist gar zu groß, ich möchte gern helfen. Ich bin durchaus nicht mutig, oder stark oder sonst etwas Gutes. Und was Grundsätze sind, das weiß ich gar nicht. Überschätzen Sie mich doch nicht so. Bitte, bitte.«

Und sie erhob die Hände.

Grischa wagte, ihr ins Gesicht zu blicken. Sie sah in diesem Augenblicke so schön aus, daß er förmlich erschrak. Aber auch Natalia Arkadiewna mit ihrem geschorenen Haar, ihrer Brille und ihrem Leidensgesicht sollte einmal recht hübsch gewesen sein; stark und gesund. Dann hatte sie sich für das Volk geopfert und war nun so geworden, so jammervoll! Konnte eine solche Umwandlung nicht auch mit Wera Iwanowna geschehen? Diese Nihilistinnen gaben alles hin, Schönheit und Gesundheit; sie wollten elend sein, um nichts vor dem Volke voraus zu haben; denn ihre Lebensaufgabe war, das Volk an den Reichen und Vornehmen zu rächen. Wenn sie nur nicht so schmutzige Wäsche trügen, dachte der ehrliche Grischa, sich an Natalia Arkadiewnas Kragen und Manschetten erinnernd und einen bewundernden Blick auf Wera werfend, die in ihrer sauberen altrussischen Tracht wie eine Fürstin neben ihm herging.

Plötzlich sagte er, und wurde ganz bleich über seine Kühnheit: »Sie sollten bei uns bleiben. Das heißt bei meinem Mütterchen und Anuschka. Wirklich, Sie sollten! Wie viel Gutes könnten Sie hier tun! Es ist gar nicht zu sagen. Ich bin ein schwacher Mensch, der eines Vorbildes bedarf; das weiß Natalia Arkadiewna sehr wohl. Deshalb erzählte sie auch gestern abend die Legende mir als Beispiel. Wenn Sie mir nun mit dem Beispiel vorangingen und – und –«

»Und ich Ihnen helfen würde, Ihr Land unter die Bauern zu verteilen?«

»Allerdings. Das wäre jetzt meine Pflicht. Was soll denn daraus werden, wenn wir nicht mit gutem Beispiel vorangehen; wir, die kleinen russischen Landwirte. Das müssen Sie doch einsehen! Wenn wir das Unsere behalten, in allem Frieden gebratene Schnepfen, Spiegeleier und Grütze mit Rahm essen, was können wir dann von den großen Herren verlangen? Begreifen Sie doch! Da sitzen Tausende auf ihren Landgütern, wissen gar nicht, wieviel Desjatinen sie haben und wieviel Rubelscheine. Sie sollen nichts trinken als Champagner, haben französische Köche – daraus muß ja Unglück kommen. Bedenken Sie doch! Gehen Sie mir also mit gutem Beispiel voran.«

Wera blieb stehen und sah ihm entschlossen in die Augen.

»Hören Sie, Grischa Michailitsch, Sie müssen mir etwas versprechen.«

»Mit tausend Freuden, alles, was Sie wollen.«

»Sie müssen mir Ihr feierliches Wort geben.«

»Bei meinem Seelenheil – –«

»Sie haben Ihren Bauern genug geschenkt, ein ganzes Dritteil! Mehr dürfen Sie nicht verteilen, keine Desjatine mehr. Geloben Sie mir das?«

»Mein Gott,« stammelte Grischa, »was verlangen Sie von mir? Ich glaubte Ihnen versprechen zu sollen, meinen Bauern noch mehr als das zweite Dritteil zu geben. Und nun verlangen Sie das von mir? Was wird Natalia Arkadiewna von mir denken? Sie wird mich verachten.«

»Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß es ein großes Unglück wäre, wenn jeder das Seine hergäbe; ein großes Unglück, sowohl für die Gebenden wie für die Empfangenden. Damit wird dem Volke nicht geholfen, damit gewiß nicht! Ich werde es Natalia Arkadiewna sagen, daß ich mit Ihnen gesprochen habe. Sie ist ja viel besser als ich und liebt das Volk, wie es nicht zu sagen ist; aber sie kennt es nicht so genau, wie ich es kenne. Also Sie versprechen es mir?«

»Werden Sie bei uns bleiben?«

»Nein. Ich habe andere Dinge zu tun, es sind mir andere Dinge aufgetragen worden. Sie wissen ja, daß wir gehorchen müssen.«

»Sie gehören also auch zu den Auferstandenen?«

»So nennen wir uns, obgleich wohl noch mancher von uns diesen schönen, feierlichen Namen nicht verdient. Auch sind der Auferstandenen nur wenige, und sie müssen über ganz Rußland verbreitet sein, über die ganze Erde.«

»Freilich, freilich!«

»Sie wollen es mir also nicht versprechen?«

»Ich verspreche es Ihnen, ich gebe Ihnen mein feierliches Wort darauf.« Er hätte gern hinzugefügt: Aber du darfst dein prachtvolles Haar nicht abschneiden, deine schönen Augen nicht hinter Brillengläsern verstecken und keine schmutzigen Kragen und Manschetten tragen, wie Natalia Arkadiewna. Denn damit ist dem Volke auch nicht geholfen. Versprich du mir, zu bleiben wie du bist, und ich will dir alles versprechen.

»Ich danke Ihnen,« sagte Wera Iwanowna, »Nun bin ich ruhig.«


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