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Fünfzehntes Kapitel

»Meine Mutter, Matka,
Die ging in die Stadtka,
Kauft ein Messer, Nosa,
Zu schlachten alte Kosa –«

sangen die drei kleinen Ansiedlermädchen und drehten sich, an den Händen sich haltend, wirbelnd im Kreise.

Auf der Türschwelle saß Michalina, klatschte zum Ringelreihen in die Hände und freute sich: ei, die Kinderlein hatten schon brav gelernt von der Mutter, dem Messer und der alten Ziege, die geschlachtet wurde! Und sie rief: »Höret zu, ein neues«, sprang mit in den Kreis und lehrte sie das Liedchen von der Mutter, dem kleinen Rebhuhn, das da schlägt die Kinderlein, während der Vater – lieber Vater – trinkt stets Branntewein.

Feurig war die Sonne hinterm Acker gesunken, die goldreifen Ähren tief bestrahlend. Nun war der Himmel wie mit Rosen besteckt, mit lauter sanften rosigen Rosen. Eine heitere Stille lag über der weiten Flur, die weiche Abendmüdigkeit eines Erntetages.

Der letzte der Halme war heute gefallen auf des Ansiedlers Land. Allzu dicht hatten sie nicht gestanden und allzu schwer waren sie auch nicht, aber man mußte eben zufrieden sein; es war ja auch die erste Ernte, das nächste Jahr würde schon weit besser werden.

Die braune Michalina hatte sich tüchtig gebückt beim Raffen hinter den Männern; nun tanzte die Nimmermüde noch mit flinken Füßen. Sie war sehr vergnügt; heute hatte der Valentin, als sie den letzten Schwaden zur Seite gelegt, sich plötzlich umgedreht, sie um den Leib gefaßt und sie geschwenkt mit einem lauten, jubelnden Juchhe. Sie wußte nicht, warum er so froh war, aber froh war auch sie. Ob er jetzt nicht bald heimkommen und am Türpfosten lehnen würde? Fortgegangen war er zur Feierabendzeit, mit einem frischweißen Hemde angetan. Drinnen auf dem Tisch wartete die saure, die kühlende Milch schon lange auf ihn. Wenn er doch bald käme! Nun, er würde schon bald hier sein. Ihr Herz sagte ihr's.

Lustig schwang sie sich mit den Kindern. Da sah sie ihn kommen im Abendrot.

Aber er war nicht allein. Eine ging neben ihm; um deren Schultern hatte er seinen Arm gelegt. Dicht gingen sie nebeneinander, ganz dicht, als wären sie eins. Und das Abendrot war um sie her wie ein Rosenschleier, zart und weich.

 

Valentin hatte den Eltern seine Braut zugeführt. Nun hatte der Vater es endlich eingesehen, daß gegen Gottes Fügung kein Ankämpfen ist.

Es war Peter Bräuer bitter schwer geworden, ›ja‹ zu sagen; aber was sollte er machen? Immer sah er in die bittenden Augen seiner Frau, und abends, wenn er müde war und gern Ruhe haben wollte, fing sie an, ihn zu streicheln und unterm Streicheln vom Valentin zu reden.

Frau Kettchen hatte sich der Sache ihres Stiefsohnes ehrlich angenommen. Valentin hatte es bald gefühlt, daß er an der Mutter einen Hinterhalt habe, immer kam er zu ihr; wenn er gar zu unglücklich war, fern von seinem Mädchen, sah sie ihm tröstend in die hohlen Augen und strich ihm das wirre Haar aus der umwölkten Stirn. Immer mehr wurde es der Frau klar, daß es ihre Pflicht sei, die Heirat zustande zu bringen – hatte denn das nicht auch der Herr Vikar gesagt?

Und so kam denn auch der Ansiedler nach und nach zu der Einsicht, daß es ihm nichts helfe, ›nein‹ und wieder ›nein‹ und ›dreimal nein‹ zu schreien. Mochte denn der Valentin einmal die polackische Hexe bringen! Aber sein Gewehr wollte er auch wiederhaben – der Polack, der Frelikowski, sollte ihm den Buckel lang rutschen!

Stasia, die mit niedergeschlagenen Augen zum erstenmal in der guten Stube der zukünftigen Schwiegereltern saß, sagte bescheiden, daß es dem Vater aufrichtig leid tue, den Herrn Bräuer gekränkt zu haben, und daß er gern bereit sei, die Hand zur Versöhnung zu bieten. Wenn der Herr Bräuer gestatte, würde der Vater am nächsten Sonntag kommen und das Gewehr bringen, freue er sich doch schon gar sehr, vom großen Krieg und von so manch anderm zu reden. Der Vater sei ja von deutschen Eltern, nicht gerade am Rhein zwar, aber in Oberschlesien geboren.

Was, nicht möglich, der Frelikowski kein Polack? Bräuer riß Mund und Augen weit auf.

Aber Stasia versicherte mit einem Lächeln, das sie allerliebst kleidete: der Vater sei so gut deutsch wie nur einer. ›Fröhlich‹ sei eigentlich sein Name; ›Frelikowski‹ hätten nur die Hiesigen daraus gemacht, und er habe das beibehalten, weil er es müde geworden, immer zu widersprechen.

No, dann sah sich die Sache doch einigermaßen an! Der Ansiedler atmete erleichtert auf.

Als Valentin gegangen war, um seine Braut nach Hause zu begleiten – strahlend glückselig –, saßen die Eltern noch lange beisammen. Des waren sie sich einig: übel war das Mädchen nicht, und deutsch konnte sie fließend. Wenn der Valentin nun recht auf sie einwirkte, konnte es am Ende doch noch gut gehen. Aber wohin nur mit dem jungen Paar? Michaeli hätte die Hochzeit wohl schon sein können – heiraten wollten die beiden gar zu gern bald –, aber hier ins Haus?! Nein, dazu wollte sich Peter Bräuer nicht entschließen, und auch Frau Kettchen hatte Angst davor.

Sollte der Junge sich vielleicht selber eine Stelle kaufen? Dann fehlte dem Vater wieder die Arbeitskraft. Nein, das ging erst recht nicht an, selbst wenn die Mittel zum Ankauf ausgereicht hätten.

»Hm, hm, wat mache wir?!« Bräuer fuhr sich unwirsch in die Haare und kratzte sich den Kopf.

Da wußte die Frau auf einmal Rat: sie würde zum Herrn Vikar gehen und den fragen, der wußte sicherlich einen Ausweg.

Und der Mann widersprach nicht. –

Unweit vom Hause der Rheinländer ließ die Kommission diesen Sommer ein hübsches Haus aufführen, mit einer kleinen Galerie, wie eine Veranda, rundum und einer geräumigen Stallung daneben; auch ein Schuppen für Wagen war vorbedacht. Das sollte ein Wirtshaus werden für Kolonie »Augenweide«, so daß die Ansiedler, wollten sie einmal ein Glas Bier trinken, nicht nötig hatten, im Pociechaer Dorfkrug einzukehren, wo man das Bild ihres Kaisers so schmählich schimpfiert hatte. Überdies konnte es nur zu Unzuträglichkeiten führen, wenn das polnische und das deutsche Element so unausgesetzt aufeinander stießen.

Es war Vikar Górka, der die Ansiedlersfrau auf den neuen Bau aufmerksam machte. Wenn ihr Mann also wirklich nicht das junge Paar in sein Haus aufnehmen wollte und doch den Sohn bei der Feldarbeit nicht entbehren mochte, konnte der junge Mann ja die Gastwirtschaft pachten, die junge Frau den Ausschank besorgen, und er selber nach wie vor dem Vater helfen.

Das leuchtete Frau Kettchen ein. Auch Bräuer verwarf den Vorschlag nicht. Er hatte nichts dagegen, wenn der Junge das Erbteil seiner Mutter selig da hineinstecken wollte, nur warnen wollte er ihn, daß er sich nicht so einseifen ließ, wie er sich hatte einseifen lassen. Denn das wurde ihm klarer und klarer, daß es hier schwer sei, viel schwerer noch als anderswo, es zu etwas zu bringen.

Stasia war mit Freuden dabei, als Valentin ihr von der Übernahme der Gastwirtschaft sprach. Etwas Netteres konnte es ja gar nicht geben, als sie und Valentin allein in dem schönen neuen Haus, das tausendmal lockender war als dem »Eiweih« seine schmutzige Budika. Da würden schon welche zusprechen, und sie wollte wohl gut die Wirtin machen – wenn's nur erst soweit wäre! Sie trieb ihren Liebsten an, daß er sich bewerbe.

Es waren der Bewerber viele um den neuen Krug. Ein kleiner Handel mit Kolonialwaren sollte auch dabei sein, damit die Ansiedler nicht erst zu laufen brauchten bis Miasteczko, oder, wollten sie etwas Besseres haben, gar bis in die Kreisstadt. Da war Meir Götz, eben von daher, der es emsig betrieb, die neue Gastwirtschaft zu bekommen; und da er viele Verbindungen hatte, immer gefällig einsprang, wo's not tat, und nachher nicht drängte, schien er gute Aussichten zu haben. Sein eifrigster Konkurrent war Löb Scheftel; zwar nicht für sich wollte er's Geschäft, aber für seinen Sohn Isidor, der durchaus nicht mehr in Miasteczko bleiben wollte. Unermüdlich rannten diese beiden Bewerber den maßgebenden Persönlichkeiten das Haus ein, antichambrierten beim Landrat, paßten ihm auf der Straße auf, bombardierten ihn mit Briefen und suchten sich endlich in gleicher Weise der Fürsprache sämtlicher Besitzer der Umgegend zu versichern.

›Ohne Sorge, man würde die Pacht an keinen Juden vergeben, sie dürfe ganz zuversichtlich sein‹, wurde der etwas ängstlich werdenden Frau Kettchen in der Propstei versichert. Aber wenn sie das dem geistlichen Herrn auch gern glauben wollte, ratsam schien es ihr doch, daß der Valentin seinerseits sich auch ein wenig rühre. Und sie schlug dem Sohn vor, wenigstens einmal bei dem Herrn von Doleschal vorzusprechen; wenn der Vater auch nicht viel mehr von dem hielt, am meisten zu sagen hatte der hier doch!

In Chwaliborczyce und Przyborowo etwas auszuwirken, hatte sich Stasia bereitwilligst erboten. In Przyborowo zumal hatte sie eine gute Konnexion – war nicht gerade der Herr Rittmeister zu Besuch? Auf den konnte ein hübsches Mädchen immer rechnen.

Valentin machte sich eines Nachmittags auf den Weg nach Niemczyce. Er hatte den Baron lange nicht gesehen; wohl war dessen Wagen öfters durch die Kolonie gerasselt, aber immer auf eiliger Fahrt, ohne anzuhalten.

Doleschal war in letzter Zeit viel abwesend gewesen; er, der sich sonst während der Ernte nie fortgerührt hatte, fuhr jetzt oft nach der Kreisstadt. Mit dem Landrat hatte er eingehende Konferenzen, und sogar in Posen an höchster Stelle sprach er vor. Wenn er auch nicht mehr die Zuversichtlichkeit hatte wie damals, als er unter lauter Deutschen an der Tafel des Polen saß, wenn es ihm bei ruhig wägender Überlegung auch klarwerden mußte, wie unendlich schwer, ja beinahe unmöglich es sein würde, hier durchzukommen, die Hoffnung gab er darum doch nicht auf. Er konnte sie nicht aufgeben, er durfte sie nicht aufgeben, die sehnliche Hoffnung, einst doch noch seinen Kreis zu vertreten. Und wenn es nicht dazu kommen sollte – nun, wenigstens gehört wollte er werden im Geschwirr der Parteien, im Durcheinander der Stimmen, deren jede etwas anderes schrie.

Baron von Doleschal suchte Fühlung zu gewinnen mit den Vertrauensmännern der Reichspartei. Bis zum nächsten Frühsommer, in dem die Neuwahlen in Aussicht standen, war es ja noch lange hin; wie vieles konnte sich bis dahin ändern, zum Guten wenden. Und überdies, war man nicht äußerst entgegenkommend gegen ihn? Es verging fast kein Sonntag, an dem nicht der Landrat herausgekommen wäre nach Deutschau, oft mit der ganzen Familie. Und verließ sich nicht der Regierungspräsident gern auf sein Urteil? Hatte man ihn nicht geradezu aufgefordert, dies und jenes über die Zustände in der Provinz zu Papier zu bringen? Gott sei Dank, man hörte ihn bereits!

Daran klammerte sich Doleschal in Stunden, die unabweislich waren, Stunden, denen er nicht entrann – Stunden des Verzagens. Dann trieb es ihn in die Einsamkeit, hinauf zur alleinstehenden Kiefer auf dem Lysa Góra.

Er hatte sich ein Bänkchen dort zimmern lassen, ganz einfach aus weißrindigen Birkenstämmen zusammengeschlagen. Man hatte es ihm zerstört. Er hatte es neu errichten lassen – vielleicht, daß der Gewittersturm einer Nacht es über den Haufen geworfen! – aber schon am folgenden Tag, als er sich darauf niederließ, brach es unter ihm zusammen. Man hatte die Bankbeine zersägt und sorglich wieder zusammengefügt – das war heimtückisch! Er mußte es aufgeben, dort oben, wenn er müde war, einen bequemen Ruheplatz zu finden.

Hart sitzend auf den holprigen Kiefernwurzeln, die der Regen vom Sand blank gespült und der Wind, der den Wipfel schüttelte, mit spitzigen Nadeln übersät hatte, verweilte Doleschal oft Stunden. Die Wange in die Hand gelegt, den Arm aufs Knie gestützt, sah er hinunter auf sein Deutschau. Der See schwamm wie eine perlmutterne Muschel im tiefen Grün, als köstliche Perle blinkte das weiße Haus, und eine sehnsüchtige Liebe zog ihn hinab. Aber kehrte er diesem engen Rahmen den Rücken, dann schaute er offenes Land, dann glänzten die Kornbreiten, unabsehbar, wellig wie sanftes Meer bis hin zum fernsten Horizont, und ein Gefühl noch sehnsüchtigerer Liebe quälte sein Herz – wem würde dieses Land einst gehören?!

Keine Antwort – alles still.

Doch, horch! Weit über alle Felder getragen vom Wind, kam der Klang der Pociechaer Abendglocke. –

Auch Valentin Bräuer traf den Niemczycer Herrn im Begriff, zum Lysa Góra hinaufzusteigen. Er hatte ihn von ferne gehen sehen, nun kam er atemlos nachgestürzt: »Herr Rittmeister, Herr Rittmeister!«

Doleschal wendete sich um; ein erhellender Strahl glitt über sein Gesicht, als er den Ansiedlerssohn erkannte.

»Herr Rittmeister!« Valentin stand stramm, die Hacken zusammengenommen. »Bitte gehorsamst um Entschuldigung!« Die angeborene Zutraulichkeit und der anerzogene Respekt kämpften miteinander, aber die Zutraulichkeit siegte jetzt: »Ich möcht Sie so gern um wat fragen!«

»So – nun, dann fragen Sie doch!« Des Gutsherrn Ton war freundlich. Sein Wohlgefallen an dem jungen Rheinländer war immer dasselbe geblieben; heute weidete er sich förmlich an dem offenen jungen Gesicht. Selbst der breite, etwas singende Dialekt gefiel ihm; es lag soviel Gutmütigkeit darin.

»Ja, wat ich dann sagen wollt!« Es wurde dem Burschen, der noch niemals in eigner Angelegenheit jemanden um eine Gefälligkeit gebeten hatte, schwer, sein Anliegen in Worte zu fassen. Schwerfällig nur brachte er es vor. Aber als es kaum heraus war, reute es ihn auch schon – was setzte denn der von Doleschal auf einmal für eine Miene auf?

Es war dem Herrn von Deutschau, als habe er einen Schlag ins Gesicht erhalten. Die Augenbrauen zusammenziehend, fixierte er den jungen Mann scharf:

»Wen – wen wollen Sie heiraten?! Ich habe wohl nicht recht verstanden?«

»Die Stasia, die Stasia Frelikowski!«

»Die – Frelikowska?! Der Vater ist der Förster auf Chwaliborczyce, nicht wahr?«

»Zu Befehl, Herr Rittmeister, die is et!«

»Mensch, sind Sie toll?« Doleschal hielt nicht mehr an sich. Er sah den jungen Mann an, als wolle er ihn durchbohren, eine jähe Röte stieg ihm dabei ins Gesicht.

Valentin erwiderte den Blick. Toll sollte er sein? Ei, warum denn? Was war denn an der Stasia nicht recht? Trotzig stellte er sich auf. »Die Stasia Frelikowski is meine Braut. Heimlich waren wir schon lang versprochen. Zu Michaeli heiraten wir!«

»Und Ihr Vater – was sagt Ihr Vater dazu?« Doleschal hatte sich besonnen: hatte er denn ein Recht, hier dreinzureden? Sein Ton klang gemäßigter, nur maßlos erstaunt.

»Och de!« Valentin lachte. »De hat zuerst mächtig räsoniert, aber nu hat er sich als drein gefunden!«

Also ›darein gefunden‹ hatte sich der Ansiedler – und so schnell schon?! Ein Schmerz ergriff Doleschal. Seine Stimme zitterte – der andre hielt's für Unmut –, als er nun sprach: »Sie – Sie – gedenken Sie denn nicht mehr Ihres Fahneneides? Wissen Sie denn nicht, daß Sie diesen Ihren Eid verletzen, wenn Sie eine Polin heiraten? Sie begeben sich ja Ihres Deutschtums. Mensch, noch geht kein halbes Dutzend Jahre ins Land, so haben Sie Ihr Vaterland schon verleugnet, Ihren ehrlichen deutschen Namen ›Bräuer‹ in ›Browar‹, ›Browarski‹ oder in Gott weiß, was, umgewandelt!«

»Oho!« Nun blickte der junge Mann schnell erheitert und sagte treuherzig: »Och, Herr Rittmeister, ne! Wenn dat das einzige is, wat der Herr Rittmeister fürchten?! Da können der Herr Rittmeister ganz beruhigt sein. Meinen guten Namen, den ich dreiundzwanzig Jahr getragen hab, den soviel anständige Leut tragen bei uns zu Haus am Rhein, den halt ich auch. Un wat mein Soldatsein anbelangt, da denk ich immer an. Ich hab et geschworen:

meinem allergnädigsten Landesherrn in allen Nöten zu Wasser und zu Lande und an welchen Orten es auch immer sei, getreulich zu dienen, allerhöchstdero Nutzen und Bestes zu fördern, Schaden und Nachteil aber abwenden zu wollen und mich so zu betragen, wie es sich für einen rechtschaffenen und braven Soldaten eignet und gebühret – so wahr mir Gott helfe!

Sehen der Herr Rittmeister, wie gut ich dat noch weiß!« Er triumphierte. Aber dann wurde sein lachendes Gesicht plötzlich ernst, fast ängstlich: »Oder wissen der Herr Rittmeister sonst wat über dat Mädchen?«

»Ich kenne das Mädchen gar nicht.«

Sichtlich erleichtert nickte nun der Bursche: »No, dann wär et ja all ganz gut. Dann werden der Herr Rittmeister auch gewiß für mich sprechen, dat ich de neue Krug in Pacht krieg. Denn, sehen der Herr Rittmeister«, – wieder zutraulich geworden, dämpfte er seine Stimme – »der Vater is nu mal komisch, de meint: jeder soll für sich bleiben. Un ich – ja, dat muß ich ja auch gestehn, ich möcht auch hunderttausendmal lieber mit meiner jungen Frau für mich allein en Wirtschaft haben, als bei den Eltern wohnen bleiben!«

Er setzte alles breit auseinander, das Herz floß ihm über, nun er seiner baldigen Heirat gedachte; er konnte gar nicht genug davon sprechen.

Mit trübem Lächeln hörte Doleschal sich alles an, er hätte dem frischen Jungen gar nicht diese Empfindsamkeit zugetraut. Überschwenglich pries Valentin seine Stasia: wie gut sie war, wie klug, wie hübsch! Welch fleißige Hausfrau sie abgeben würde! Alle Welt mochte die Stasia gern leiden, denn immer war sie fröhlich! Welchen Zuspruch würde der neue Krug durch sie haben, und wie glücklich würden sie miteinander werden! Seine Augen glänzten, er atmete rasch.

Der Erfahrenere hatte nicht mehr den Mut, dem glücklichen Bräutigam gegenzureden; er schwieg.

Sie standen zusammen auf dem Gipfel des Lysa Góra und schauten weit übers flache Land.

»Un nit wahr, Sie sehen zu, dat ich die Wirtschaft krieg«, bat Valentin.

Doleschal nickte.

Da strahlte der Bursche. »Och, danke, danke! Jesus, ne, ich möcht schreien vor Pläsier, wie mer schreit, wenn mer en Schanz stürmt. Nu krieg ich der Krug sicher, wenn Sie dafür sind. Un wenn ich den hab, steht der Hochzeit nix mehr im Weg. Herrgott, ne, bin ich so froh! Nu geh ich aber auch direkt zum Propst, de soll uns geschwind aufbieten.«

Man fühlte förmlich, wie es den Glücklichen drängte, davonzustürmen, mit großen Schritten den Sandhügel hinunterzueilen und die Weite zu durchmessen bis hin zu jenem Turm, als wäre die Entfernung vom Berg bis zum Dorf nur eine kurze Spanne. Aber sich des schuldigen Dankes erinnernd, reichte er treuherzig die Hand:

»Vergessen werd ich dat dem Herrn Rittmeister nie, dat de so gut zu mir war!« Sich verabschiedend, nahm er wieder die Hacken zusammen: »Gestatten der Herr Rittmeister meinen allerbesten Dank!«

Doleschal sah ihn laufen. In ein paar hastigen Sprüngen war er den Hügel hinuntergestürmt, und nun stürmte er weiter, sehr eilig. Nun würde er bald ganz entschwunden sein – nein, so durfte man ihn nicht gehen lassen! Man mußte ihn zurückhalten, man mußte ihm die Gefahr klarmachen, in die er ahnungslos hineinrannte.

»Bräuer – Valentin – Valentin Bräuer!«

Aber der Ruf kam nicht weit genug. Der Wind trug ihn nicht fort, sondern blies ihm entgegen. Sosehr Doleschal auch seine Stimme anstrengte, sie reichte nicht bis zum Ohr des in seiner Fröhlichkeit laut Pfeifenden. –

Am Luch, im Niemczycer Acker, nicht weit von der Przyborowoer Grenze, wollte Valentin seine Stasia treffen. Am gestrigen Abend hatte sie ihm gesagt, daß sie heute nach Przyborowo gehen und versuchen würde, dort jemanden zu sprechen. Daß sie in Chwaliborczyce um Fürsprache bitten ging, dagegen hatte der Bräutigam sich entschieden gewehrt. Wenn Stasia ihm zuliebe auch gern das Opfer bringen wollte – nein, dahin sollte sie um keinen Preis, wo man sich so unziemlich gegen sie betragen!

Um die Stunde des Abendläutens hatten sie sich an der Grenze verabredet. Nun hatte das Glöckchen längst ausgeläutet, aber Stasia war noch nicht da. Ach, die gute Stasia, wie lange mußte sie wohl in Przyborowo warten! Der Verliebte sah im Geist deutlich, wie sie ungeduldig hin und her trippelte und sehnsüchtig nach dem Stand der Sonne spähte, die sich schon neigte. Aber nur Geduld, Geduld, desto heißer würden nachher die Küsse sein!

In verliebtem Träumen lag der Bursche unter den Weiden am Luch und starrte ganz verloren, mit glückselig müden Augen in das flimmernde Gespinst, das die untergehende Sonne über den Äckern wob.

Stasia war am zeitigen Nachmittag von Hause aufgebrochen. Das helle, rotgetupfte Sommerkleid stand ihr gut, es ließ den Hals ein wenig frei, und sie hatte, wie zum Schutz gegen die Sonne, mehr aber noch, weil es ihrer zarten Haut schmeichelte, ein leichtes Mulltüchelchen darübergelegt. Einen Hut trug sie nicht, wohl aber spannte sie über das wohlfrisierte, im Sonnenlicht wie silbrige Seide glänzende Haar den Sonnenschirm, den ihr einst die Herrin geschenkt hatte. Heiter summend, den freien Arm lustig schlenkernd, schlenderte sie an den Rainen entlang. Wenn der Herbstwind hier über die Stoppel weht und der Altweibersommer seine weißen Fäden spann, dann würde sie ein junges Weib sein und ein glückliches dazu. Der gute Junge würde ihr ja alles an den Augen absehen!

Sie hob ihre linke Hand und ließ den goldenen Ring, den er ihr bereits angesteckt hatte, in der Sonne funkeln. Ein breiter Reif war's und ganz von massivem Gold, der kostete gewiß seine zehn Taler!

Ja, sie hatte ein ganz gutes Los gezogen, das mußte sie sich eingestehen. Wenn sie nun auch nicht nach Paris kam, wie die Herrin ihr's einst versprochen hatte, der Krug in Pociecha-Kolonie war auch nicht zu verachten. Und langweilig würde es da auch nicht sein, es würden schon welche einkehren, mit denen sie schwatzen und lachen konnte, und – eine heiße Blutwelle färbte plötzlich ihre trotz der Sommerhitze ungebräunte weiße Wange – würde nicht auch der neue Inspektor von Przyborowo vorsprechen? Der neue Inspektor! Da mußte sie doch in sich hineinlachen – ihr war er nicht neu, sie kannte ihn ja so gut!

Eine Sehnsucht erhob sich plötzlich in ihr, Pan Szulc wiederzusehen. Was würde der wohl sagen, wenn er hörte, daß sie sich verlobt hatte und bald heiraten würde? Ob es ihm nicht ein ganz klein bißchen leid tat? Hoffentlich! Und hoffentlich kriegte sie ihn auch in Przyborowo zu sehen – oh, sie wollte wohl ihre Augen umhergehen lassen! Auf dem Felde würde er sicherlich sein, beim Schobersetzen. Daß sie ihn doch träfe!

Rascher setzte sie ihre Füße, den Schlendergang aufgebend. Wie dumm, daß sie ins Herrenhaus hinein mußte! Wenn es das Unglück wollte, ging er vielleicht gerade dann draußen vorbei, während sie drinnen ihr Anliegen vortrug. Und nachher – wenn sie ihn nun nachher nicht mehr fand?! Daß der Teufel die ganze Bittstellerei, den Valentin samt dem Krug hole! Nur den Pan Szulc mußte sie sprechen, wollte sie sprechen, und wenn's auch nur auf ein ganz kleines Viertelstündchen wäre! Was lag ihr jetzt daran, ob der schöne Offizier ihr wieder Augen machen würde wie damals, als sie ihm Kaffee und Likör präsentiert hatte, in Chwaliborczyce – nur den Szulc wollte sie sehen, nur den!

Hastiger schritt sie zu; schon perlte ihr der Schweiß in Tröpfchen unter der Nase, und doch war sie noch nicht über Chwaliborczyce hinaus. Ach, ist das lästig, so weit wandern zu müssen, wenn man darauf brennt, jemanden zu sehen!

Da, wo ihr Weg sich mit dem von Pociecha kommenden kreuzte, nicht weit von Dudeks Hütte, stieß Stasia auf die Michalina. Dieser hatte man erlaubt, jetzt, da die Arbeit nicht mehr so drängte, und da sie den vorigen Sonntag, an dem Förster Frelikowski zu Besuch gekommen und ein großartiges Traktament gewesen war, nicht zu ihrem Kleinen gekonnt hatte, auch einmal am Wochentag nach Hause zu gehen.

Die beiden Mädchen begrüßten sich.

Michalina hatte etwas Niedergeschlagenes in ihrem Blick, als sie Stasia die Hand reichte.

Damals, als sie miteinander schreiben und lesen und die Religion gelernt hatten, war Michalina mit den schwarzbraunen Zöpfen die hübschere gewesen; jetzt war sie plump, und ihre breiten Hüften erschienen doppelt breit neben der zierlichen Taille der andern.

»Hast du ein schönes Kleid an«, sagte sie bewundernd und befühlte mit ihrer rauhen Arbeitshand den rotgetupften lichten Jackonett.

Stasia lächelte geschmeichelt: »Oh, ich werde viel schönere haben! Wenn ich mich verheirate, werde ich dir dies gerne schenken – oder ein andres.«

»Was sollte ich wohl damit?« Die braune Michalina schüttelte den Kopf. »Behalte nur alles!«

Stasia zuckte die Achseln: so ein dummes Mädel, eine recht einfältige Bauerntrulle! Schon wollte sie weitergehen – was sollte sie mit der Gans? –, aber dann schoß ihr plötzlich ein Gedanke durch den Sinn. Das war ein Einfall! Ganz vertraulich faßte sie die andre unter den Arm.

»Höre, Michalina, weißt du auch, daß Pan Pawel, der schöne Offizier, wieder zu Besuch ist in Przyborowo?«

»Ich weiß es nicht. Was geht es mich an?«

»Nun, ich meine doch: recht viel!«

Stasia kicherte und gab der Gefährtin einen leichten, scherzenden Rippenstoß: »Tu nicht so gleichgültig, weiß doch ein jeder, wie du einmal gestanden hast mit dem Herrchen. Sage, willst du mir einen Gefallen erweisen – oder noch besser, willst du dem Walek etwas zuliebe tun? Ja, ja, dem Walenty – sieh mich nur nicht so ungläubig an!«

»Dem – Wa – Wa –?« Michalina stotterte, und dann wurde sie rot, als sie den Namen vollends ausgesprochen hatte. »Ich – dem Walenty?«

»Dem Walenty, ja! Etwas sehr, sehr Liebes!«

Stasia kannte sich aus, sie wußte sehr genau, wie man die Michalina gewinnen konnte. »Michalina, meine Seele, er wird es dir ewig danken«, sagte sie eifrig. »Höre! Komme du jetzt mit mir nach Przyborowo und gehe du nach Przyborowo hinein, meine Taube – ich werde draußen auf dich warten –, sage, du willst den Herrn Offizier sprechen. Und dann bittest du den, daß der Walenty den Krug bekommt in Pociecha-Ansiedlung. Höre, du mußt es recht dringend machen! Bitte ihn, bis er dir gibt sein Wort! Dann wird er sich sicher verwenden.«

»O nein, er wird nicht!« Michalina schüttelte den Kopf. »Warum sollte er mir sein Wort halten? Und ich mag auch nicht. Er wird böse werden. Und ich fürchte mich auch vor der Pani!«

»Unsinn!« Stasia wurde ärgerlich. »Du bist zu dumm! Was hast du dich zu fürchten? Ein gutes Recht hast du, zu kommen. Ist der Herr Offizier nicht Vater zu deinem kleinen Jungen?«

»Das ist er, das ist er!« Michalina nickte bestätigend, aber dann kauerte sie sich plötzlich am Grabenrand nieder, zog die Knie hoch, schlang die Arme darum und legte den Kopf auf die Knie.

»Du willst nicht, du willst wahrhaftig nicht?« Stasia war ganz empört. »Ei, warte, das werde ich dem Walenty sagen! He, du bist eine Schöne! Nicht einmal so viel kannst du ihm zu Gefallen tun? Nicht diesen einzigen, kleinwinzigen Gefallen! ›Ich habe mich sehr getäuscht‹, wird er sprechen, ›ich habe geglaubt, sie ist eine Freundin zu mir, eine gute – oh, ich bin traurig‹!«

»Ich kann nicht, ich kann nicht!« Michalina hob den Kopf. Ihr Gesicht war ganz von Tränen überströmt; in ihren weinenden Augen war ein verängstigter, zweifelnder, unglücklicher Ausdruck. »Was soll ich tun? Heilige Mutter! Ach ja, ich möchte ja schon, – ach nein, ich kann nicht, nein! Sage, Stasia« – sie haschte nach der Hand der Braut –, »wird der Walenty mir wirklich böse sein, wenn ich nicht für ihn gehe zu Pan Pawel?«

»Sicherlich!«

»O heilige Mutter – er wird mir böse sein! Was tue ich?« Traurig ließ das Mädchen wieder den Kopf auf die Knie sinken.

»Du bist schuld, wenn der Walenty den Krug nicht bekommt«, sprach Stasia vorwurfsvoll. »Und er möchte ihn doch so gerne haben, seine Seele hängt daran!« Sie seufzte: »Armer Walenty, wie wirst du dich grämen!«

Nein, grämen sollte er sich nicht! Entschlossen sprang Michalina auf. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen aus den Augen, und dann zupfte sie ihren Rock zurecht und die Schürze.

»Ich werde gehen. Wiederhole nur noch einmal, was ich sagen soll, daß ich es nicht vergesse!«

Stasia studierte ihr's ein. Es kostete einige Mühe, bis die braune Michalina begriff, wie sie zu bitten hatte, wie sie drängen sollte.

»Du darfst dich nicht abweisen lassen«, lehrte die Klügere, »bist du erst draußen, kommst du nie wieder hinein! Und nicht gar so demütig! Auf dein Recht pochst du, hörst du?!«

»Ich höre wohl, aber auf was soll ich pochen? Auf mein Recht, sagst du? Weiß ich doch nicht, ob ich Recht habe. Hätte ich Recht, hätte die Pani mich nicht gejagt. Werde ich lieber bitten. ›Bitte, gnädiger Herr, bitte!‹« Und sie hob die Hände und sah mit einem so herzbewegenden Ausdruck drein, daß Stasia ihr um den Hals fiel und sie küßte.

»Dafür muß Walenty dir auch einen Kuß geben – denke nicht, daß ich eifersüchtig bin, o nein! Er soll dich küssen.«

Hand in Hand, wie zwei Freundinnen, setzten sie nun ihren Weg nach Przyborowo fort.

Je näher sie dem Gutshof kamen, desto schärfer lugte Stasia aus. Richtig, dort auf jener Stoppel kreuzten die Erntewagen, und hoch zu Roß hielt einer dabei! Noch konnte man das Gesicht nicht sehen, aber Stasia erkannte die Gestalt von weitem.

»Geh jetzt, geh«, sagte sie hastig zu Michalina und gab der noch einen Augenblick Zögernden einen ungeduldigen Puff in den Rücken. » Psia krew, so geh doch!«

Und als die andre mit gesenktem Kopf gehorsam davontrottete, rief sie erleichtert hinter ihr drein: »Laß dir Zeit! Übereile ja nichts! Ich werde hier auf dich warten.«

Ganz verloren kam sich Michalina vor, als sie den ihr bekannten Hof betrat. Ihre Schritte waren schwer. Kaum konnte sie die Füße heben. Aber ihr Herz war noch viel schwerer. Und sie hatte auch große Angst. Scheu sah sie sich um: wie sollte sie ins Haus hineinkommen? Ach, sie getraute sich doch gar nicht! Den Weg hinauf würde sie wohl noch finden zu Herrn Pawels Zimmer – aber wenn ihr unten die Pani begegnete! Wie würde ihr's dann gehen? O weh! Sie zitterte, und ihr Herz, das schwere, schlug wie ein Hammer.

Kaum daß sie sich ein paar Schritte näher wagte, von Stallwand zu Stallwand drückte sie sich. Wenn doch ein Mensch käme, den sie nach Pan Pawel fragen könnte! Vielleicht, daß er einmal herauskam auf den Hof. Da hieß es warten. Und sie flüchtete hinter die zurückgelehnte Tür des Schweinekobens und verharrte dort regungslos im Winkel zwischen Tür und Mauer, kaum wagend, zu atmen.

Eine halbe Stunde mochte so vergangen sein, sie erschien ihr viel länger; niemand war ihr zu Hilfe gekommen. Ihre Angst hatte sich jetzt ein wenig gelegt, denn sie hatte in einem fort an den Sohn ihres Herrn und an seinen Wunsch gedacht. Der Walenty wollte den Krug doch nun einmal für sein Leben gern haben – also darum voran, voran! Sie durfte nicht zögern.

Wie ein Stoßgebet den Namen ›Walenty‹ auf den Lippen, schickte sie sich an, aus ihrem Versteck herauszutreten und geradeswegs aufs Haus loszugehen, als sie drinnen im Schweinestall eine helle Mädchenstimme hörte.

»He, ihr meine lieben Kinderlein, habe ich ein Schläfchen gehalten? Verzeiht der kleinen Marynka! War kleine Marynka sehr müde, hat sie nicht geschlafen die ganze Nacht, hat sie eurer Mutter aufgepaßt, daß alte Sau nicht frißt liebe Kinderlein! He, dalli, Rozyczka, alte Sau, laß hungrige Kinderlein trinken!«

Marynka – Marynka?! Michalina lauschte erfreut: war das vielleicht die kleine Marynka, die zu ihrer Zeit noch ein Kind gewesen war, das niemandem angehörte, ein Kind, das hier zwischen den Ställen aufgewachsen war? Oh, vor der brauchte sie sich nicht zu fürchten! Und so schlüpfte sie schnell hinein in den Koben. – – –

Der Rittmeister, der gegen die Zeit der abendlichen Kühle mit der Gouvernante seiner Schwester im Garten promenierte, war fast verblüfft, als aus einem dichten Gebüsch im Rücken des versteckten Bänkchens, auf dem er eben mit Fräulein Wollenberg Platz genommen hatte, ein leises ›Pst-pst‹ ertönte, so zart wie das zirpende Rufen einer Grasmücke. Eine Weidengerte berührte mit einem mahnenden Tupfen seine Schulter. Er drehte den Kopf – da stand die kleine Marynka, die Hühner- und Schweinemagd, winkte eifrig und legte dann ihren nicht gerade tadellos sauberen Zeigefinger zum Zeichen des Schweigens auf die Lippen.

Was fiel dem kleinen Wechselbalg ein? Wollte die etwa auch schon kokettieren? Da müßte man ja einen netten Geschmack haben! Aber – na! Gutmütig erhob sich Paul Kestner. Er bat das Fräulein, einen Moment zu entschuldigen.

Nun, wo steckte denn jetzt die kleine Marynka? Der Rittmeister bog um das Boskett. »He, Marynka!« Die war nicht mehr da, wohl aber stand auf dem Kiesweg, über den der sonnige Abendglanz tanzende Lichter warf, ein rundes braunes Mädchen und blinzelte ihn scheu an.

Ein: »Donnerwetter!« entschlüpfte dem Rittmeister. Das war gerade keine angenehme Überraschung. Er hatte die Michalina, das einstige Stubenmädchen seiner Mutter, erkannt. Hastig fuhr er in die Tasche, er wollte ihr ja gern etwas schenken. Da brachte sie stockend und stotternd ihr Anliegen hervor.

Also heiraten wollte sie, die Michalina? Erleichtert atmete er auf. Na, das war ja ganz reizend, ganz famos! Und den neuen Krug wollte ihr Bräutigam gern pachten? Bräuer – Valentin Bräuer – den Namen wollte er sich merken – ganz famos! Nun natürlich, der kriegte den Krug und kein andrer! Da konnte sie sich fest darauf verlassen.

Er schüttelte ihr die Hand: das war recht, daß sie zu ihm gekommen war!

Sie küßte seine Hand: » Padam do nóg!« Mehr konnte sie nicht stammeln. Ihr Herz war so schwer; es drückte ihr fast den Atem aus.

 

»Warum weinst du?« sprach die kleine Marynka, als sie miteinander aus dem Garten schlichen. »Er ist doch ein guter, gnädiger Herr. War er nicht gut zu dir?«

»Doch, doch, er ist sehr gut gewesen«, schluchzte Michalina und befühlte das große Silberstück, das der Herr Rittmeister ihr in die Tasche gesteckt hatte. Fünf Mark – was konnte sie alles dem Jasio dafür kaufen! Aber die Freude wollte nicht kommen in ihr Herz. Ja, wenn sie wirklich die Braut gewesen wäre, für die er sie gehalten hatte! Es war süß gewesen, ihn so sprechen zu hören; sie hätte seinen Irrtum nicht verbessern mögen, um alles in der Welt nicht. Aber, oh – sie legte die Hand aufs Mieder –, was hatte sie da für einen bösen Schmerz!

»Weine doch nicht!« sprach die kleine Marynka und drückte ihr mitleidig die Hand. »Hast du Ursache, zu weinen? Nein, du hast gar keine Ursache! Du hast einen Großvater. Wenn ich meine Gänse treibe auf die Stoppel, da« – sie hob den Arm und deutete nach dem Lysa Góra hinüber, der sich wie ein Wahrzeichen jenseits der drei Grenzen reckte – »so treibt der alte Dudek nebenan seine Schafe auf Chwaliborczycer Stoppel, und wir treiben nebeneinander, und ich höre ihm so gerne zu. Ich wünschte, ich hätte auch ein so liebes Großväterchen. Und du hast auch noch eine Mutter – oh, wie ich wünschte ein Mütterchen!«

»Und ein Bübchen, ein kleines«, ergänzte Michalina schnell und trocknete mit dem Schürzenzipfel ihr beträntes Gesicht.

Da seufzte die kleine Marynka: »Wünscht ich doch, ich hätte auch so ein Bübchen, ein kleines. Mit dem läßt sich gut schwatzen, nicht wahr? Ich habe nur meine Hühnchen und Gänse, und die Ferkelchen von der alten Rozyczka. Aber alle sie werden geschlachtet werden. Das Bübchen nicht. O du Glückliche!«

In ihrem kurzen Röckchen, auf ihren bloßen Füßen stand die kleine Marynka am Hoftor unter der Akazie und sah noch lange, lange der Davonschreitenden nach.

Michalina eilte sehr: was würde Stasia wohl sagen, daß sie so lange hatte warten müssen? Aber wie sie sich auch umschaute, nach rechts und links und vor und zurück, keine Stasia war zu erblicken. Der hatte es sicherlich zu lange gedauert, die war schon nach Hause gegangen! –

Aber Stasia hatte die Zeit nicht zu lange gewährt; sie hatte gar nicht gemerkt, wie die dahineilte. Schon läutete das Abendglöckchen – jetzt war es die Stunde, in der sie am Luch ihren Bräutigam treffen sollte – aber sie dachte gar nicht an diesen.

Mit Pan Szulc saß sie unten im tiefen Wassergraben, den die Sommerhitze so ausgetrocknet hatte, daß kein Tröpfchen mehr darinnen war. Aber Gras wuchs da unten, Gras, so weich wie ein Pfühl. Sie küßten sich. Sie hatten sich unendlich viel zu erzählen, und noch viel mehr sich zu küssen, und so viel zu lachen. Und dann verabredeten sie, daß sie sich öfters hier treffen wollten im Wassergraben, der wie ein tiefer Schnitt durch die Felder schneidet und in dem man sitzen kann, ohne daß jemand, der über die Felder geht, eine Ahnung davon hat.

Sie verabschiedeten sich auch hier unten. Es war ein langes, heißes Umfangen. Daß sie des Deutschen Braut war, darauf nahm Pan Szulc keine Rücksicht – für den war sie doch viel zu schade!

Mit zerrauften Haaren, das Gesicht glühend, kletterte Stasia endlich, sich an den Grasbüscheln hinaufhelfend, zum Rande hinan. Noch einen Blick – ein Grüßen mit den Augen – ein Spitzen des Mundes – und dann lief sie fort, während der Inspektor unten noch eine Strecke weiterging, um dann am andern Ende des Grabens aufzutauchen.

Atemlos näherte sich Stasia den Weiden am Luch. Was würde sie nur schnell vorbringen, sich zu entschuldigen? Was sollte sie sagen, um den so lange vergeblich Harrenden zu versöhnen? Und was die Michalina ausgerichtet hatte, das wußte sie nun auch nicht – recht dumm! – was erzählte sie denn jetzt schnell für ein Märchen?

Mit zitternden Fingern ihr verwirrtes Haar zu ordnen versuchend, hielt sie an – nun war sie am verabredeten Platz. Ganz still lag das Luch, so still, daß das leise Rauschen der Schilfhalme im Abendwind wie ein mächtiges Brausen klang. Unter einer grünhaarigen, wehenden Weide lag Walenty, die Arme als Kissen hinterm Kopf, das klare Gesicht frei nach oben gekehrt.

Friedlich schlief er in glückseligem Behagen, ohne Harm wie ein Kind. Er konnte auch schlafen, unbesorgt wie ein Kind, denn er war sicher bewacht. Neben ihm kauerte Michalina. Die Knie hochgezogen, die Arme um die Knie geschlungen, wiegte sie den Oberkörper hin und her in lautlosem Rhythmus und hielt die Augen unablässig auf den Schläfer gerichtet.


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