Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Während die alte Nepomucena nun von langer Arbeit ausruhte und die junge Enkelin ihr Kind herzte, saß der Witwer in der Schenke. Heute mußte er die Leidtragenden sämtlich freihalten und selber fleißig das Gläschen leeren. Es half ihm nichts, daß er sich lange Jahre des Schnapses enthalten hatte, heute durfte er nicht gegen das Hergebrachte verstoßen.
Sie saßen am Tisch auf Bänken: die Männer zusammen und die Frauen zusammen. Auch den Weibern waren die Kehlen trocken geworden, denn sie hatten viel geweint und gebetet.
Auf die Leidtragenden herunter blickte das Bild Kaiser Wilhelms II. Ein Öldruck war's, wundervoll bunt in Uniform, mit einem goldenen Stern auf der Brust.
Eljakim Hirsch war sehr stolz darauf, stolz auf das schöne Gemälde, stolz auch auf seinen Mut. Im stillen hoffte er freilich, daß die von hierzuland es nicht erkennen würden. Dagegen würde der Herr Landrat, erfuhr er davon, ihm sicherlich hold sein, und die deutschen Ansiedler würden nun auch einkehren, da, wo ihres Kaisers Bild hing.
Der alte Dudek sah stumm ins Glas, als sie seine Verstorbene lobten. Er hatte an ihrer Leiche nicht geweint, nun weinte er; langsam sickerte eine Träne nach der andern aus den des Weinens unkundigen Augen nieder auf den Tisch. Sie trösteten ihn alle: ei ja, das wollten sie wohl glauben, daß es ihm schwer ankam, die Nepomucena in der Grube zu wissen, die gute Babunka, mit der er ein halbes Hundert Jahre immer Seite an Seite gelebt, Tag und Nacht. Sie war eine treue Seele gewesen – daß es ihr Gott lohne! Aber der Witwer mußte nun nicht mehr weinen, denn wie lange noch, und die Nepomucena würde sich ihm zeigen im Totenhemd, ihn aufmerksam zu machen auch auf seinen baldigen Tod.
Aber Kuba Dudek schüttelte den Kopf: nein, das konnte ihn nicht trösten! Sie würde sich auch nicht zeigen, denn sie wußte wohl, daß er zu warten hatte – und würde er hundert Jahre alt und darüber –, immer zu warten.
Auf was denn warten, he? Hatte der Alte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, daß er sprechen konnte: ›Tod, bleib draußen‹ – und erst, wenn er's satt hatte: ›So, nun hol mich‹ –?! Sie waren alle neugierig. Die Köpfe steckten sie überm Tisch zusammen: auf was wartete denn der Dudek nur?! Daß er's ihnen doch erzählen möchte! Von einem geheimen Gruseln überlaufen, starrten sie nach ihm hin.
Er saß da und schaute ganz verloren. Die Schöße seines Kirchenrocks lagen rechts und links von ihm auf der Bank, wie die gespreizten Flügel eines großen Vogels. Vom ungewohnten Schnapsgenuß war er müde geworden, die Lider wollten ihm zufallen. Da rückte die Filomena rasch neben ihn und stieß ihn in die Seite: »He, Vater, schlafe nicht, erzähle, sie warten darauf!«
»Erzähle, erzähle«, riefen alle, wußten sie doch, der Schäfer hatte viel geheime Wissenschaft. Der kannte die Unterirdischen, die kleinen Zwerge, die die Kinder vertauschen, und die Hauskobolde, die als schwarzer Fleck an der Wandtünche sitzen. Wenn der Dudek, in der Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen, beim letzten Schlag der Mitternacht auf die Kirchschwelle trat, sah er drinnen alle die, die einst zu Lebzeiten hier die Messe gehört hatten, knien, sah die Kerzen am Hochaltar brennen, sah den Priester beim heiligen Meßopfer und hörte das Miserere vom Chor. Konnte es auch gleich einem Weibsbild anmerken, ob das eine Hexe war oder nicht, wußte ein Mittel gegen die fallende Sucht und wie man den Weichselzopf los wird, konnte das Fieber austreiben und die Rose besprechen, schaffte Hilfe gegen den bösen Blick und gegen's Behextsein der Schafe und Kühe, hörte in der heiligen Nacht die Tiere sprechen und prophezeite aus Wind und Wolken, ob es ein gutes Jahr ward oder ein schlimmes.
»Was soll ich erzählen?« sprach Kuba Dudek, als sie ihn bedrängten.
»Sag, auf was wartest du? Warum sprichst du immer: ›ich warte‹ –!?«
Da machte er seine müden Augen auf, so groß er konnte, und sah sie ernsthaft alle der Reihe nach an: »He, und wartet ihr denn nicht?«
»Gott verdamm mich«, sagte Krzywousty, das Schiefmaul, das sich bei jeder Festlichkeit, sei es Hochzeit oder Kindtaufe, Begräbnis oder Tanz, mit seinem Horn einfand, »ich warte nicht. Auf was soll ich denn warten?« Er schlenkerte mit der Hand, als schwenke er den hineingetuteten Speichel aus seinem Horn: »Ich habe nichts zu erwarten!«
Und Kurek, das Hähnchen, der Mann ohne Nase, krähte vergnügt: »Sage uns, Väterchen, auf was wir denn noch warten sollen? Ich meine, wir haben schon nicht umsonst gewartet: du hast uns ja Schnaps gegeben. Väterchen, liebes Großväterchen, Kuba Dudek, du sollst leben! Wiwat, Wiwat!«
Sie stießen alle mit dem Gastgeber an.
»Vater«, sagte die Filomena und puffte ihn wieder in die Seite – sie war stolz auf ihres Vaters Wissenschaft, »nun sage ihnen doch schon, auf was sie warten sollen!«
»Ich werde ihnen sagen«, sprach Kuba Dudek. Er reckte seine hagere Gestalt auf in einer gewissen Würde. Mit den Fingern seiner Rechten fuhr er wie mit Zinken durch sein langes, strohernes Greisenhaar; und dann kratzte er sich. »Ihr wißt nicht, auf was ihr warten sollt? Seid ihr denn schon ganz blind gemacht, ganz taub? Weh, das ist das Werk des Teufels! Und der Teufel, das sind die Deutschen! Alle Deutschen sind Teufel, aber ihr oberster, das ist der, der hinter dem Berge wohnt. Der hat auch die Ciotka geschossen. Der tut immerfort Böses; der ruft auch die Schwabby in unser Land, daß ihrer mehr werden, als unser sind, daß sie uns verdrängen von unserm Acker, daß man immerfort deutsch reden hört und unsre Kinder polnisch verlernen. Polen schläft.« Mit einem tiefen Seufzer stützte er den Kopf in die Hand und schwieg. Seine Gestalt sank ganz zusammen.
Die andern schauten betroffen: was hatte der Dudek, warum war er so traurig? Freilich, der Niemczycer war ein hartherziger Herr – keinen Groschen hatte er den Männern für ein Schnäpschen gegeben, als sie ihn darum gebeten vor der Ciotka Tür – aber, daß er das Tantchen geschossen hatte, potztausend, das war doch nichts Böses! Die hatte so viel Geld von ihm gekriegt, daß sie nun immerfort betrunken sein konnte, alle Tage. Und der Ansiedler waren doch eigentlich nicht zu viele. Die waren ja nur wie die kleinen Mäuschen und verkrochen sich.
»He, Großväterchen, warum sollen wir traurig sein? Polen schläft – laß es schlafen! Wir schlafen ja auch, wenn wir müde sind.«
»Dummköpfe!« Der Alte fuhr auf. »Wo stammt ihr her? Seid ihr Hundeblut? Ich sage euch: eure Väter haben nicht geschlafen. Die haben ihre Sensen geschliffen, daß sie schärfer wurden denn Schwerter, und haben die deutschen Hunde gemäht bei Koschmin und Tschemieschno, bei Minoslaw und Sokolowo. Bei Stenschewo sind die Kugeln um uns geflogen wie Hagelkörner, aber die heilige Mutter hat sie aufgefangen in ihrer Schürze. Und die polnischen Mütter haben auch nicht geschlafen. Höret zu!
Als die deutsche Landwehr bei Buk im Quartier lag, in jedem Haus ihrer zwei und drei, da hat die Mutter Gottes der Weiber Herzen gestärkt, daß die Tauben zu Adlern wurden. Und sie haben den Deutschen zu trinken gegeben – sehr viel –, bis sie alle waren betrunken. Und als sie schliefen in Ställen und Scheunen, auf Tennen und Heuböden, da sind Polens Mütter hingeschlichen mit ihren Messern und haben den Teufeln die Bärte abgeschnitten, die Nasen und Ohren, die Finger und Zehen, und haben das Blut hinströmen gemacht von Polens Feinden.
He, ihr!« Mit so starker Stimme schrie Dudek sie plötzlich an, daß der Wirt vom Schenktisch gelaufen kam mit erhobenen Händen.
Mißtrauisch und ängstlich blickte Eljakim: wollte der Alte etwa machen Skandal? Wußte er denn nicht, daß der preußische Gendarm fleißig vigilierte? Wenn der nun Lärm hörte und schrieb auf in sein Buch?! »Eiweih, eiweih«, jammerte Eljakim und wand sich wie in Schmerzen, »se werden mer schließen 's Lokal, se werden mer entziehen de Konzession! Eiweih, eiweih!«
Die Gäste lachten. Aus der Ecke drüben lachte plötzlich einer laut mit; er war eingetreten, als sie tranken, und sie hatten ihn bis jetzt gar nicht bemerkt. Nun grüßten sie ihn.
Es war Pan Szulc, der Inspektor. Er kam an ihren Tisch, aber als er Dudek die Hand reichen wollte, ballte der die seine zur Faust und legte sie schwer auf den Tisch: nein, einem, der zu den Deutschen gegangen war, gab er die Hand nicht!
Der junge Mann lachte und zuckte die Achseln, aber dann wurde er ernsthaft.
»Was glaubst du wohl, alles Kamel«, sagte er mit einem freundschaftlichen Puff, »nutzt die Axt mehr in der Hand oder am Nagel an der Wand? Bin ich darum deutsch, weil ich deutsches Brot esse? Glaubst du nicht, daß ich der guten Sache jetzt mehr nutzen kann als zuvor?« Er klopfte dem Schäfer gegen die Stirn: »Denke darüber nach, Väterchen! Und der Teufel soll mich holen und seine Großmutter mich freien, wenn ich Polen nicht liebe – Gott erhalte es! Hört ihr?« Musternd ließ er seinen gestrengen Blick über die stumpfen Gesichter streichen. »Hört ihr nicht: Gott erhalte Polen!«
Da murmelten sie alle, die Köpfe gesenkt, kaum wagend aufzuschauen. »Gott erhalte Polen!«
»Sie schlafen«, klagte der Alte, »sie warten nicht. Wenn sie warten würden wie ich, dann würde der Lysa Góra sich bälder auftun. Ich allein kann sie nicht erwecken, die Dreimalhunderttausend, die da schlafen im Berg. Ich warte und horche, aber ich kann doch nicht hören, daß ihre Waffen klirren.« Kopfschüttelnd legte er die Hand hinters Ohr. »Meine Ohren sind alt. Panie Szulc, hört Ihr was?«
Der Inspektor gab keine Antwort, aber er winkte dem Wirt: »Mehr Schnaps! Und – psia krew – was für Finkennäpfe sind denn das? Ordentliche Gläser her! Diese Herren sind jetzt meine Gäste.«
Er schenkte ihnen selber ein und stieß dann mit allen an.
Die Scheu verließ sie nach und nach. Pan Szulc, der Gestrenge, dem immer die Neunschwänzige am Sattelknopf baumelte, war doch ein guter Herr, ein freundlicher Herr. Und Späße machte der –! Sie prusteten vor Lachen.
Die Weiber stießen sich in die Seiten und fielen fast von der Bank: ein schöner Herr war der, ein freigebiger Herr!
»Wiwat! Wiwat!«
Das Hähnchen krähte vor Vergnügen. Das Schiefmaul hatte schon vollgeladen, und manch andrer auch noch.
Plötzlich schrien alle hellauf: »Die Ciotka!«
Richtig, die dem Tod Nahegeglaubte trat plötzlich in den Krug. Die hatte eine gute Nase, der brauchte sie nur nachzugehen. Und munter war sie – war's möglich?!
Mit Ehrfurcht sah man auf Dudek, wußte man doch, er hatte sie besprochen, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Drei Tage war's her, und nun wandelte sie schon!
Filomena rückte bereitwillig und ließ die Ciotka neben sich sitzen. Man gab ihr gleich ein volles Glas, und sie versicherte allen, die sie eifrig befragten: nichts tue ihr mehr weh, glatt und zart sei ihre Haut, wie ein junges Kalbsfellchen, mochten sie alle nur gucken kommen. Sollte sie etwa tanzen, he?! Und sie hob schon die Beine:
»Podkoziolek, mußt du geben –«
Ihre Partner, die zwei Musikanten, spitzten bereits die Ohren – sollte es etwa doch noch eine Musik geben?
Aber der alte Dudek hob abwehrend die Hand: 's war nicht die Zeit für den Podkoziolek!
Da fiel ihnen allen die Nepomucena wieder ein, und die Weiber begannen herzbrechend zu schluchzen: was war sie doch für eine Gute gewesen!
Der Nachtwächter aus Chwaliborczyce hob sein Glas, wehmütig mit den roten Plieraugen blinzelnd: »Wiwat, daß sie lebe!« Wie manche Nacht, wenn er Wache gehalten hatte, war die gute Babunka über den Hof geschlichen. An der Stallwand hatte sie gelehnt, wenn die Atemnot sie überkam; und dann war sie weitergeschlichen, immer ganz langsam, sich mit der Hand gegen die Mauern stützend. Ja, die gnädige Pani war gut bedient gewesen, die hatte nie zu warten gebraucht! Jetzt hatte die Filomena die Ehre.
Und er machte einen Diener vor dieser.
Geschmeichelt lächelte Filomena.
Eifersüchtig guckte die Ciotka. Der Stróž war einmal ihr Liebster gewesen, es war schon lange her, aber sie hielt noch darauf. Zornig fuhr sie auf die Filomena los: wer hieß sie Blicke werfen? Schickte sich das für eine, die schon Großmutter war?
Die Filomena, nicht faul, schlug ihr eine Maulschelle: da hatte sie Bescheid! Schickte sich das für eine, die immer betrunken war, über anständigere Leute sich aufzuhalten?
He, wer war nicht anständig?
Ei, sie nicht, die Ciotka!
Nein, sie nicht, die Filomena!
Laut kreischten beide auf. Der Ciotka Faust griff nach der Filomena Haube, der Filomena Nägel in der Ciotka Gesicht. Die Männer trennten sie, aber auch ihre Augen funkelten – wenn zwei sich prügeln, wacht beim dritten die Lust auf. Unternehmend sahen sie sich um, die stumpfen Gesichter flammend rot; leise fingerte die Hand am Messer in der Tasche. –
Es war früh, gegen die Mittagsstunde gewesen, als sie die Nepomucena begruben, jetzt fing das Dunkel schon an, sich zu recken. Vom westlichen Horizont her kam eine Röte über den Himmel gekrochen und überzog das ganze Gewölbe. Sie strahlte die weißgrauen Wolken an, daß die wie Rauch aus Flammen stiegen. Die Ebene lag im Widerschein; der Pfuhl im Dorf mit seinen aufgehackten schwarzen Wasserlöchern bekam einen schmutzig roten Spiegel, und am schwarzen Turm der Kirche wischten blutige Finger.
Das düstere Winterrot machte das Dorf nicht freundlicher, auch die Gedanken des Vikars nicht, der, von Ignaz Ruda geleitet, jetzt vor die Türe der niedrigen Hütte trat, deren eine Seite die Schulstube und die Wohnung des Lehrers enthielt, während auf der andern Seite der Häusler Jezierski mit seinen neun lebendigen Kindern hauste.
Ruda, in seinen Tuchleistenschuhen, das Röckchen vorm Stöbern des blasenden Windes über der Brust zusammenhaltend, stammelte, halb sinnlos vor Angst: »Was nun, was nun, Herr Vikar, was mache ich nun? Jesus, Maria! Sagt ich's nicht, daß der Herr Baron wird mich ins Unglück bringen? Kein Mensch kümmert sich sonst um mich, aber nun, nun – da ist der daran schuld, der ganz allein!« Sein zitternder Finger wies gen Niemczyce.
Blaß bis in die Lippen geworden, blickte er wie ein mißhandeltes Tier, das sich gern rächen möchte und nur nicht weiß, wie. »Ich bin ruiniert, ich Unglücklicher! Was soll ich machen?« Hilfesuchend faßte er den geistlichen Herrn am Ärmel.
Górka kniff die Lippen zusammen. Unter der gerunzelten Stirn bekamen seine Augen einen düster brütenden Ausdruck. Er war immer bleich, aber heute zeigte sein gelbliches Blaß einen Stich ins Grünliche wie bei einem, dem die Galle ins Blut getreten ist. Heute, vor wenig Stunden, war mit der Mittagspost ein Brief gekommen, ein Schreiben der Behörde an den geistlichen Vorstand der Schule von Pociecha. Weder scharfe Worte noch eine Drohung waren darin ausgesprochen, in höflich amtlichem Stil wurde nur die Verfügung des ›deutsch abzuhaltenden Schulunterrichts‹ wiederholt. Aber den jungen Priester hatte beim Lesen die Wut gepackt; die Hände ballend, war er in der Stube auf und ab gestürmt, während Piotr Stachowiak, in seinem Lehnstuhl beim Ofen sitzend, verwundert dreinsah: nun, was war denn da weiter? »Laß sie schreiben, man tut doch, was man will!«
Ah, diese Unverschämtheit, diese Überhebung! über Geweihte des Herrn einfach hinweg zu verfügen, als seien sie dumme Jungen!
In Górka wallte das Blut seiner Ahnen auf: einem elenden Dorfhuhn mag man wohl den Wurm abjagen, den es im Schnabel trägt, einem Adler nie! Sollten sich Szenen des Kulturkampfes noch einmal erneuern? Nun wohl, man würde den polnischen Unterricht der Kinder jetzt ebenso verteidigen, wie damals die Märtyrer der Kirche ihre geheiligten Rechte verteidigt hatten. Es sollte den Widersachern nicht gelingen, der verfolgten Kirche eine ihrer kräftigsten Stützen aus der Hand zu winden. Aber Ruhe, Besonnenheit gehörten dazu.
Zum Brevier hatte der Erregte seine Zuflucht genommen. Und wie er, die Lippen lautlos bewegend, wieder und wieder las, was er längst auswendig wußte, wurden seine Züge glatt. Dann war er zum Lehrer gegangen.
Eine mehrstündige Unterredung hatte er mit Ruda gehabt, aber sie hatte doch nicht viel gefruchtet.
Mit einem verächtlichen Blick sah der Vikar jetzt auf den sich in tausend Ängsten Windenden hinab. Unsanft befreite er seinen Ärmel aus den sich daran klammernden Händen.
»Tun Sie Ihre Schuldigkeit, Ruda! Ich habe Ihnen unlängst schon einmal gesagt, daß ich Sie nicht im Stich lassen werde. Aber zweien Herren können Sie nun einmal nicht dienen. Entweder Sie sind ein guter Christ, ein treuer Sohn Polens, oder –«, er sprach nicht aus, er machte nur eine wegweisende Handbewegung. Und dann ließ er fest seinen Blick auf dem Schwankenden ruhen: »Es gibt hier nur ein Entweder – Oder!«
»Ich muß ja wohl, ich muß ja wohl! Ich kann ja gar nicht anders, sie schlagen mich sonst tot hier«, jammerte der Erbarmungswürdige.
Der Geistliche zuckte die Achseln: »Können Sie es Eltern verdenken, daß sie das Beste ihrer Kinder wünschen? Welche Mutter möchte ihr Kind verlieren – mit der fremden Sprache kommt der fremde Glaube –, und ist sie nicht dereinst verantwortlich für seine Seele vor Gottes Thron?« Seine Stimme hatte etwas Pathetisches bekommen. Nun änderte sich deren Klang: »Aber tun Sie, was Sie wollen und – verantworten können!« Ernst neigte er den Kopf und ging.
Er ging die einzige Dorfstraße hinab – sie führte zwischen Pfuhl und Propstei durch –, aber er trat nicht ins Haus ein. Er ging weiter. Noch war es ihm nicht möglich, zwischen den engen Wänden zu sitzen, die Piotr Stachowiaks engen Horizont begrenzten; draußen in der großen Einsamkeit der winterlichen Scholle mußte er den Blick schweifen lassen über unendliches, unbegrenztes Land.
Der Himmel glühte nur noch im Westen, und dahinein, in das letzte Blutrot, das sich wie eine Fackel aus dem Dunkel hob, mündete die Dorfstraße. Der Priester ging sie mit erhobenem Haupte wie ein Herrscher, festen Trittes wie ein Streitbarer, der da auszieht, das Seine zu verteidigen.
Hier und da grüßte ein Weib, das mit dem Futtereimer zum Stalle schritt, demütig den Herrn Vikar: »Gelobt sei Jesus Christus!«
Und er sprach, das Haupt neigend und die Hand erhebend zum friedlichen Gruß: »In Ewigkeit, Amen!«
Ganz still, wie erfroren lag das Dorf in der kälter und kälter werdenden Nachtluft. Nur aus dem Krug schallte lauter Lärm. Die Schenke war das erste Haus im Dorf und auch das letzte, je nachdem, von welcher Seite man kam. Der Vikar mußte daran vorbei auf seinem Weg in die Felder.
Er hielt an und horchte: welch ein Geschrei! War das nicht eine Weiberstimme, die da kreischte, wie in höchsten Nöten? Er stand noch lauschend, da wurde die Krugtür plötzlich aufgestoßen; von einem kräftigen Tritt befördert, flog eine Gestalt wie ein Bündel hinaus ins Dunkel, überschlug die Stufen im Bogen und lag ihm nun zu Füßen. Er bückte sich danach: war's ein Mann, eine Frauensperson?
Da rief auch schon eine Männerstimme vom Eingang greuliche Flüche her, und innen jauchzten viele: »He, Ciotka, ade! Lebe wohl, Ciotka!« – und brüllendes Gelächter folgte.
Es war Frelikowski, der Forster, der die Trunkene hinausgeworfen hatte. Er pflegte oft im Krug von Pociecha einzukehren – dieser war der nächste seinem Revier –, wer wollte es ihm auch wehren? Aber jetzt stand der stämmige Mann doch einigermaßen verlegen vorm jungen Vikar und zwirbelte die Spitzen seines mächtigen Bartes. Er entschuldigte sich: der Herr Vikar sollte nur nicht denken, daß er etwa nicht nüchtern sei, aber wer hieß das Weib, ihn anfallen? Ganz ahnungslos war er hier eingetreten, um bei der grimmigen Kälte was Warmes zu trinken – der Herr Vikar glaubte es gar nicht, was so ein Förster eine Not mit den Wilddieben hatte, kaum daß es dunkelte, mußte er auf den Beinen sein und das Revier im weiten Umkreis umstreifen. Psia krew! Die Ansiedler, ja, die waren's, die alle keinen Respekt hatten vor des Herrn Wild!
»Die Ansiedler?« Der Vikar wurde rot. »Die Ansiedler – irren Sie auch nicht, Herr Frelikowski?«
Der Förster lachte. »Ich kenne meine Vögel! Fuchseisen legen sie auf den Äckern, die Halunken, hat sich neulich mein bester Hund drin gefangen. Daß der Wolf sie fresse! Ich werde einmal ihre Gärten visitieren – bei dem großschnauzigen Rheinländer zuerst – möcht' ich doch wetten, daß da Hasenschlingen sind, die Masse. Glauben der Herr Vikar«, – er blinzelte – »daß man darum kurzen Prozeß mit ihnen machen dürfte? Der Herr Vikar könnten uns raten, wir würden dem Herrn Vikar sehr dankbar sein.«
Frelikowski hoffte, so das Gespräch von der Ciotka abzubringen, aber der Vikar ging auf den Grund: was hatte das Weib getan, daß es hinausgeworfen ward?!
Man hörte jetzt in der schnell sinkenden Dämmerung, wie sie sich jammernd und schimpfend davonmachte.
Zum Teufel, wenn der Herr Vikar es denn wissen wollte – Frelikowski hatte sich wiedergefunden, brutal stellte er sich auf –, ja, wenn er es nur selber wüßte! Eingetreten war er eben hier, ganz harmlos, da war ihm die Hexe an den Hals gesprungen wie eine Katze, hatte geschrien: ›Mein Geld, mein Geld!‹ und hatte ihn wütend dabei gekratzt. He, war's nicht so gewesen?
Mit seinen kalten Augen sah er sich scharf im Kreise um; da nickten sie alle: ja, ja, so war's gewesen!
›Hundeblut‹ hatte sie ihn geschimpft, ›Spitzbube!‹ Und das sollte er sich gefallen lassen?
»Hier, Hochwürden, hier«, – er schlug auf seine Brust – »hier schmücken die Ehrenzeichen meinen Rock! Ich habe gedient. Ich werde mich von einer Sau doch nicht ›Spitzbube‹ schimpfen lassen? Sie hat wohl geträumt oder war betrunken, die Ciotka, oder –!« Er hielt an und sah sich um, als traue er sich nicht recht, und sprach dann leiser, mit Achselzucken: »Sie spricht, der Niemczycer habe gesagt, daß er mir Geld für sie gegeben habe – der Donnerstein soll mich erschlagen, wenn dem so ist! Ich denke, der Niemczycer wird wohl gelo– –, aber nein, ich will's nicht gesagt haben.« Rasch hielt er sich selber den Mund zu. »Das wissen doch der Herr Vikar am besten, wer nicht den rechten Glauben hat, der –«
Er brach wieder ab und zuckte die Achseln.
Zerstreut nickte der Geistliche, er hatte gar nicht recht zugehört. Sein Blick hatte die Wirtsstube durchforscht, unter deren Eingang er jetzt stand; der widrige Duft von Fusel und Tabak, der ihm entgegenschlug, machte ihm Übelkeit, aber er zwang sich, zu bleiben.
»Geliebte«, sprach er mit leiser und doch eindringlicher Stimme, indem er jeden einzelnen besonders ins Auge faßte, »es ist nicht fein, wenn ein Bruder und eine Schwester miteinander streiten. Seid einig – um zu streiten gegen die, so nicht von den Euren sind!« Er sprach ein wenig stockend, ein Gedanke war ihm erst jetzt gekommen, plötzlich, beim Anblick der erhitzten Gesichter: nun nützte er ihn aus.
Rascher, fließender sprach er weiter: »Ihr habt gehört, was der Frelikowski gesprochen hat: ›so jemand nicht den rechten Glauben hat‹. Am nächsten Sonntag werde ich euch eingehender von jenen sagen, die nicht den rechten Glauben haben, heute aber schon sage ich euch: Hütet euch!« Er sprach das ›Hütet euch‹ plötzlich ganz stark, so daß auch diejenigen, die verschlafen die Lider gesenkt und die Lippen hatten hängen lassen, aufmerkten.
»Hütet euch vor den Wölfen, die in Schafskleidern zu euch kommen, vor den Vögeln, die eine liebliche Stimme haben und euch mit Versprechungen locken! Ihre Versprechungen halten sie nicht, sie sagen: sie wollen euch wohl, aber – hört!« Die Stimme dämpfend, flüsterte er ganz leise, als raune er, selber erschrocken, ihnen etwas Entsetzliches zu: »Man bedroht euren Glauben! Man bedroht euer Vaterland! Eure Kinder sollen nicht polnisch mehr sprechen! Nicht polnisch mehr soll der Lehrer sie unterrichten! Ihre Muttersprache werden sie verlernen! Ihr werdet eure Kinder nicht mehr verstehen, und eure Kinder werden euch nicht mehr verstehen!«
Er machte eine Pause, und als sie ihn alle verdutzt anstarrten, erhob er laut die Stimme wie zu einem Schrei, während leidenschaftliches Rot seine bleichen Wangen überflammte: »Polnische Väter – polnische Mütter vor allem! – wollt ihr das leiden?!«
» Psia krew!« Einer, der noch ein wenig helle war, fluchte. Die Kinder sollten nicht mehr polnisch sprechen? Ei, das wäre, was sollten sie denn sprechen?
»Deutsch, du Esel«, brüllte der Inspektor, der auch noch zugegen war, und stampfte mit dem schweren Stiefel auf. »Deutsch! Nur deutsch werden sie sprechen – ›evangelisch‹, wenn du das besser verstehst. Ein Hundsfott, wer das zuläßt!«
»Hussa, kommt mir einer unter die Finger aus der deutschen Schule«, drohte Frelikowski, »der soll mich kennenlernen! Ich hänge ihn an den nächsten Baum!« Sein kalter Blick suchte unter den Leuten: »Frykacz, hattest du gestern nicht einen Hasen im Kartoffelsack? Ein zweites Mal lasse ich dich nicht durchschlüpfen! Und du, Stróž«, – der Nachtwächter machte sich noch kleiner, als er so schon war –, »dir sage ich, wenn deine Enkeltochter noch einmal Reisig sucht und knickt dabei Äste ab, so werd' ich der Stute eins auf den Hintern geben, daß er ihr morgen wird blau sein.«
»Kommt einer zu mir und fragt um Arbeit, der seine Kinder deutsch sprechen läßt«, schrie der Inspektor, »der wird sich schneiden. Ich habe keine Arbeit für solches Pack. Es lebe Polen!«
»Es lebe Polen!« Sie schrien es alle nach.
Da fuhr der alte Dudek, der, den Kopf auf beide Arme gelegt, ganz allein noch am Tisch gesessen hatte, empor. Das ›Es lebe Polen!‹, das hörte er bis in den tiefsten Traum.
Die Hand hinters Ohr legend, sich vorneigend, wie ein zitternd Lauschender, drängte er: »Hört ihr sie? Trommeln sie im Lysa Góra, Brüder?« Schluchzend lallte er und fiel dem nächsten um den Hals: »Die Stunde ist da! Auf, laßt uns eilen – ihnen entgegen – noch ist Polen nicht ver–lo–ren!«
Er raffte sich auf und wollte zur Tür, mit den Händen wild fuchtelnd; aber der Schnaps war zu kräftig gewesen, der zog ihn zu Boden.
Die andern wollten lachen, aber der Vikar sprach rasch:
»Hört ihn, er hofft auf das schlafende Heer! Polen hofft auf das schlafende Heer. Aber nicht aus dem Lysa Góra wird das schlafende Heer auferstehen, nein, ihr selbst, ihr alle hier, ihr seid das Heer, das erstehen wird, Polen zu befreien! Stehet auf, rüstet euch! Ihr seid bestimmt dazu von Gott dem Herrn, des Vaterlandes Retter zu sein!«
In leidenschaftlichem Drängen streckte er die Arme gegen sie: »Ich bitte euch, ich beschwöre euch, erwachet! Halte jeder seinen Glauben hoch! Euer Glaube ist eure Waffe, das stärkste Schwert zu Polens Befreiung! Und laßt eure Kinder nur polnisch sprechen, nur polnisch lernen. Haltet an eurer Sprache fest – wie wollt ihr recht glauben, wenn ihr nicht recht sprechet? Nur polnisches Gebet dringt zu Gottes Ohr. Und so jemand hier wäre, der« – langsam blickte er in der Runde, seine bis dahin weichströmende, bittende Stimme wurde streng –, »der dieses vergäße, so hätte ich das Recht, ja die Pflicht, ihm die Segnungen und Gnaden der Kirche zu verweigern. Bedenket alle, jetzt ist die Zeit, in der der Teufel umhergeht, euch zu sieben. Wie das Sieb unzählige Löcher hat, so gibt es zu dieser Zeit unzählige Gelegenheiten zum Abfall vom Glauben. Hütet euch!«
Er hob den Finger, seine Miene ward undurchdringlich ernst. »Wer sein Kind liebhat, der gibt seinem Kinde Brot – aber er gebe ihm vorerst das Heil der Seele. Denn man wird dereinst die Seelen eurer Kinder von euch fordern. Hütet euch!«
Stark hatte er geschlossen. Totenstill war's im Raum, kein Füßescharren, kein Räuspern war zu vernehmen. Rasch sah der Vikar noch einmal rundum – ein leichtes Neigen des Kopfes, und fort war er.
Da brach es los: »Was, was hat er zu uns gesprochen?«
»Unsre Kinder sollen nicht polnisch mehr sprechen dürfen?«
»Unsre Kinder werden nur deutsch sprechen?«
»Nur deutsch wird der Lehrer sie fortab lehren?«
»Wir werden unsre Kinder nicht mehr verstehen, und unsre Kinder uns nicht mehr!«
»Ihr Gebet wird dann nicht mehr erhört werden, und sie werden in die Hölle kommen!«
»Und wir werden auch brennen, weil wir sie evangelisch werden ließen!«
» Psia krew!« – sie brüllten alle auf – »unsre Kinder sollen nicht verderben! Schlagt die tot, die ihnen Übles wollen, die Wölfe in Schafspelzen, die Vögel mit der lieblichen Stimme!«
Wen meinte eigentlich der Vikar damit: Wölfe in Schafspelzen? Ganz verstanden hatten sie ihn doch nicht.
»Ei, Dummköpfe, wen anders denn, als die Deutschen!« Wußten sie das denn noch nicht? Die waren eine gefährliche Sippschaft, aber der schlimmen Sippe Schlimmster war der Niemczycer! In des Inspektors Stimme bebte Haß: der Niemczycer, der hochnäsige Niemiec, der sich zu vornehm deuchte, einen polnischen Inspektor zu grüßen, über den wegguckte, als wäre er Luft, der war schuld, daß die Kinder nicht mehr polnisch sprechen durften. Der war an allem Übel schuld!
»Der Niemczycer, ja, der ist schuld«, das wiederholten sie alle; es leuchtete ihnen ein, denn Pan Szulc wußte es ja genau: der Niemczycer war beim Landrat in der Stadt gewesen, um zu verpetzen, Löb Scheftel hatte seinen Wagen dort halten sehen.
»Gerbt ihm das Fell, dem Kerl, dem Niemczycer«, brüllte der Förster, »was braucht's da noch lange Reden!« Frelikowski hatte es dem deutschen Baron nicht vergessen, daß er ihm bei der Treibjagd einen Anschnauzer eingetragen, wie er zeitlebens keinen hatte einstecken müssen, und noch dazu vor den Gästen. Er hetzte: »Nehmt ihn nur scharf aufs Korn, wenn er euch in Schußweite kommt! Piff, paff! Bringt ihn zur Strecke!«
Sie schrien alle durcheinander. Hei, dem Teufel, dem Schuft, dem Drachenkopf, dem wollte man wohl das Handwerk legen! Der sollte sich unterstehen, polnischen Kindern ihr Polnisch zu verbieten! An den Beinen aufhängen wollte man ihn, ihm die Ohren abschneiden, die überall hinhorchten. Könnte man ihm nur an den Leib, dem Niemczycer, dem Hund, dem verfluchten Deutschen!
Ein entsetzlicher Lärm entstand. Vergebens warf sich Eljakim Hirsch über den Tisch und breitete die Arme schützend über seine Gläser, er wurde zur Seite gestoßen, und die Gläser wurden gegen die Wand geschleudert, daß sie klirrend zerschellten. – – – –
Lehrer Ruda wälzte sich unterdes unruhig in seinem Bett, ihm schwante nichts Gutes. Ein Geschrei kam vom Krug her; über die nachtstille Dorfstraße drang es weit, bis hin zur Schule. Hilf Himmel, heilige Mutter, jetzt klang es schon näher! Horch!
›Es lebe Polen!‹
O weh! Ignaz Ruda wickelte sich fester ein, ihn fing an sehr zu frieren. Warum brüllten die so? Wußten die schon etwas? Sie würden doch nicht ihm auf den Hals rücken?
Ein Stein, plötzlich gegen die geschlossenen Fensterläden der Schulstube geschleudert, war die Antwort.
Furchtsam zog sich Ruda das dünne Deckbett bis über die Ohren.
»Hund, Spitzbube, Halunke, komm heraus!«
Da fuhr er geschwind aus dem Bett in die Hose.
»Schwein, komm heraus, oder wir schmeißen dir die Schule über dem Kopfe zusammen!«
Da schlüpfte er zitternd in die Flickenpantoffeln.
Ein Hagel von Steinen prasselte gegen Läden und Wand. Leichenblaß stand der Lehrer, die Zähne klapperten ihm.
»Du Hundeblut, für hundert Groschen würdest du die Seelen unsrer Kinder verkaufen! Wir wollen es dir schon beibringen, das Polnisch-Lehren! Komm heraus! In den Pfuhl werden wir dich tauchen, bei der heiligen Mutter, wir schwören es dir!«
Da machte er sich sinnlos vor Angst auf die Flucht.
Durch das kleine Hinterfensterchen der Schlafkammer zwängte er sich, durch eine Lücke des Hofzaunes kroch er und entkam so, hinter den Zäunen her, auf allen vieren schleichend. Nur mit Hose und Pantoffeln angetan, klopfte er, Zuflucht suchend, an der Hintertür der Propstei. –
Die eisige Kälte der Nacht scheuchte die Trunkenen bald unter Dach. Der Niemczycer war nicht da, und der Lehrer, dem sie an seiner Statt an den Kragen gewollt hatten, kam nicht heraus; so gaben sie sich zufrieden. Noch einmal kehrten sie in den Krug zurück.
Als Eljakim, der Wirt, beim Morgengrauen, nachdem die letzten davongewankt waren, sich in seine Schenkstube hineingetraute, etwaige neue Scherben aufzulesen, konnte er wohl: ›Eiweih‹ schreien und die Hände jammernd erheben: das Bild, sein schönes Bild, auf das er so stolz gewesen, war von ruchlosen Händen aufs gröblichste schimpfiert! Zerschnitten die Uniform, die blitzblauen Augen ausgestochen. In der Brust des Deutschen Kaisers steckte ein polnisches Messer.