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Peter Bräuer – der ›große‹ Ansiedler, wie sie ihn in Pociecha-Dorf nannten – suchte eine Magd. Die Frau konnte die Arbeit nun wirklich nicht mehr allein schaffen. Reinlich war sie's gewöhnt, reinlich mußte es um sie sein; so war sie eines Tages beim Scheuern der Dielen, die all die kotigen Füße, die vom aufgeweichten Frühlingsacker hereintappten, immer wieder und wieder beschmutzten, zusammengebrochen.
Der besorgte Ehemann lief ins Dorf, um eine Hilfe zu suchen. Aber da konnte er lange reihum gehen und hier und dort anklopfen. Im Winter vielleicht, da könnte er ja mal wieder anpochen! Jetzt würde sich kein Mädel bereit finden lassen, jetzt ging man in die Ernte und hatte weit größeren Verdienst. Am Osterfeiertag hatte der Agent, der Meir Götz aus der Kreisstadt, im Kruge beim Eiweih gesessen und Burschen und Mädchen angeworben nach Sachsen und Anhalt zum Schnitt und für die Rüben nach Halle.
Ganz verzweifelt kam Bräuer heim. Dieses gottverlassene Land, nicht einmal für sein gutes Geld konnte man eine Hilfe kriegen! Er machte sich selber an die Hausarbeit, denn die Frau lag im Bett, hatte das Gesicht gegen die Wand gekehrt und wimmerte leise.
Verschüchtert drängten sich die kleinen Mädchen in einer Ecke zusammen, es war ihnen so ungewohnt, daß die Hand der Mutter nicht für sie sorgte. Am Abend half zwar Settchen den jüngeren zu Bett, aber am Morgen konnte sie mit dem Zöpfeflechten nur langsam fertig werden; aus Furcht, zu spät in die Schule zu kommen, machten sich alle drei heulend auf den Weg, und das Kleinste, das seine Milch nicht zur gewohnten Zeit bekommen hatte, schrie daheim Zeter.
Die heiße Stirn gegen die Scheibe gedrückt, starrte der Ansiedler hinaus ins unwirtliche Land. Der Regen troff, der Wind peitschte ihn gegen Fenster und Hauswand, und die Weite war grau verhangen. Aus dem Stall tönte das hungrige Brüllen des Viehs.
»Peter«, rief schwach die Frau vom Bette her, »hat dat Vieh dann noch nix?«
»Ne.«
»Un sind die Küh dann noch nit gemolken?«
»Ne.«
»Ach Jesus!« Frau Kettchen seufzte; mühsam richtete sie sich auf und guckte nach ihrem Mann hin. Der stand in verbissenem Trotz.
Als er gleich danach hinausgegangen war – sie hörte ihn draußen mit den Melkeimern rasseln und dazu laut auf den Valentin, den Bummler, schelten –, raffte sie sich doch wieder auf. Es half ja nichts, ganz allein kam der Peter nicht zustande. Ja, wenn der Valentin noch so wäre wie früher! Aber der hatte jetzt gar keine Augen, keine Ohren, keinen Sinn für seine Eltern. Immer war er hinter dem polnischen Mädchen her. Alle Abend bis spät saß er in der Försterei. Und heute, statt den Stalldünger auf den Schlag fürs Wickengemenge zu schaffen, hatte er den Braunen angespannt und war nach der Kreisstadt gefahren: er müsse notwendig den Chilisalpeter holen für den Gerstenschlag. Gewiß hatte er sich mit ihr verabredet, mit der Tochter des Frelikowski, denn er hatte lange am Pferd geputzt, auch das neue Korbwägelchen genommen, trotz des schlechten Wetters; und als er dann in die Stube hineingenickt hatte zum Adieu, war er selber so schmuck anzusehen gewesen wie ein Bräutigam.
Die Mutter hatte recht vermutet. Während sie sich daheim plagten – was half's Bräuer, er mußte nun doch die kranke Frau sich allein überlassen und hinaus aufs Feld gehen –, fuhr Valentin mit Stasia zur Kreisstadt. Gestern, als er nach Feierabend bei ihr gesessen, hatte sie den Wunsch geäußert, doch auch noch etwas von der Ostermesse auf dem Domplatz zu sehen. Sie hatte ein Mäulchen gezogen: wie lange noch, und die Buden, die vom Fest her noch standen, wurden abgebrochen, und sie hatte nicht einmal ein Stück Honigkuchen gekauft!
Dröhnend hatte der Förster bei ihrem seufzend herausgebrachten Wunsch gelacht, und die Försterin hatte dem jungen Mann zugenickt.
Ei ja, wozu hatte man denn zu Haus Wagen und Pferd? Aber offen darum zu ersuchen, hatte der Sohn sich nicht getraut. Wenn der Vater es wußte, daß es sich um die Försterstochter handelte, würde er den Wagen sicher nicht bekommen. War der doch böse, ja geradezu wütend geworden, als er, Valentin, sich auf des Frelikowski Seite gestellt hatte. Und Frelikowski war wirklich ein ganz umgänglicher Mensch, man mußte ihn nur zu nehmen wissen. Jetzt hing freilich des Vaters Gewehr in der Försterei, aber daran war er selber schuld – warum gleich so grob?! –, ein gutes Wort ist keine Schande. Hatte Frelikowski nicht auch jetzt zu verstehen gegeben, daß er die Sache gern vergessen sein lassen würde? Eine Anzeige mußte er also doch noch nicht erstattet haben. Überhaupt, daß der Vater immer auf den ›Polacken‹ schimpfte, war hier ganz und gar nicht angebracht. Der Förster konnte so gut deutsch, hatte den großen Krieg mitgemacht, hatte ebensogut den Franzosen gegenübergestanden wie der Vater, war sogar ausgezeichnet worden durchs Eiserne Kreuz!
Förster Frelikowski hatte dem aufhorchenden jungen Mann viel von Siebzig erzählt und von jenen Tagen, in denen er seine Zeit abgedient hatte bei den Breslauer Jägern. Und Valentin war ganz umsponnen worden von dem Reiz, den die Försterstube auf ihn ausübte, die, einsam im wilden Wald gelegen, voll war von Gewehren und ausgestopften Vögeln und allerlei Gehörn, und in der das hübscheste Mädchen saß, das er je gesehen hatte.
Lange hatte der junge Bursche die Försterei umkreist und sich nicht hineingetraut. Recht erbärmlich war das Häuschen von außen anzusehen, ziemlich verwahrlost; ein großes Einkommen mußte die Stelle nicht abwerfen. Also doppelt war's anzuerkennen, daß die Stasia immer so sauber ging!
Acht Tage waren verstrichen seit jenem Abschied von ihr beim Dornbusch am Moorrand, und Valentin hatte sie immer noch nicht wiedergesehen. Aber die Erinnerung an sie hatte ihn nicht verlassen; die neckte ihn, verfolgte ihn, zerrte ihn immer wieder zum Moorrand, daß er dastand und hinüberguckte, wo hinter den Kusseln der dünne Rauch der Försterei sich kräuselte. Endlich hatte er sie wieder getroffen – ob durch Zufall, ob durch Absicht? Jedenfalls hatte sie sich gefreut, ihn zu sehen. Sie hatte gelächelt, daß die Grübchen in ihren Wangen tief wurden. Als sie lange miteinander geständert, hatte sie ihm beim endlichen Lebewohl fest die Hand gedrückt: »Komme doch zu uns, wenn du magst! Ich werde meinen Eltern von dir sagen.«
Und er war gekommen. – – –
»Wenn ich nur wüßt, wie ich dich zur Frau kriegen könnt«, sprach Valentin zu Stasia, als sie miteinander von der Ostermesse zurückkehrten. Es war sehr schlechtes Wetter. Sie hatte einen Schleier um ihren Hut gebunden und duckte sich unter ihrem Regenschirm dicht an ihn. Er ließ das Pferd gehen, wie es wollte. Tief aufseufzend schlang er den Arm um ihre Schulter. »Wie krieg' ich dich nur!«
»Bist du noch nicht mündig?« sagte sie und lächelte.
»Dat wohl – gerad eben! Aber« – er schob den Hut, den er keck auf ein Ohr gesetzt hatte, nach hinten und ließ den Wind die erhitzte Stirn kühlen – »mer will doch nit uneins mit ihnen werden. Wat sollt ich auch machen, wann der Vater die Hand von mir abzieht!«
Sie, die sich eben noch so innig an ihn geschmiegt hatte, zog sich langsam zurück. »Da müßt ich auch danken«, sprach sie kühl. »Ich schwöre dir, ich werde nicht eher unter dein Dach einziehen, als bis dein Vater mich willkommen heißt! So müssen wir eben warten.«
»Aber ich kann nit warten!« Trunken vor Liebe riß er sie an sich und küßte sich satt und wurde doch nicht satt. Er war ganz unglücklich, all sein Frohmut hatte ihn verlassen. »Ich muß dich zur Frau kriegen«, stöhnte er, »un dat bald, sonst – och, sonst lauf ich weg von hier, weit weg!«
Da bekam sie doch einen kleinen Schreck: nein, fort durfte er nicht, hierbleiben mußte er, ein solch hübscher Freier war so bald nicht wieder bei der Hand. Pan Szulc war wohl ebenso hübsch – ach nein, der war doch noch hübscher! Stasia fühlte ihr Herz klopfen, wenn sie an den dachte, an all die lustigen Stunden, die sie mit ihm verlebt, und schloß die Augen, ganz schwach, in einer ihr sonst nicht eignen Willenlosigkeit. Aber sie bekam den Inspektor ja jetzt gar nicht mehr zu sehen, seit sie beide Chwaliborczyce verlassen hatten, und – heiraten, nein, heiraten wollte der sie nicht!
So klang ihre Stimme jetzt sehr betrübt: »Wenn du fortgehst, so gehe auch ich. Was werde ich beginnen ohne dich?! Oh, Walek, bleibe doch bei mir!« Sie schmiegte sich an ihn, so fest, daß er bei Gott und allen Heiligen gelobte, es durchzusetzen, daß sie zusammenkämen.
»Aber nicht böse werden mit deinem Vater, oh, nicht böse!« bat sie wieder.
Nein, da konnte sie ruhig sein, er würde nicht böse werden mit seinem Vater, dazu hatte ihn der viel zu lieb! Und der junge Mann verfiel in ein Nachdenken, in dem er immer wieder hin und her überlegte, wie es anzustellen sei, den Vater für Stasia zu gewinnen.
Auch sie dachte nach. Wenn sie es nur fertig kriegte, daß der ›große‹ Ansiedler sich mit ihrem Vater aussöhnte! Wenn es erst so weit war, dann war halb gewonnen, denn der Vater mit seinem langen Bart konnte viel ausrichten. Aber wie eine freundliche Begegnung zuwege bringen? Da konnte niemand helfen als der Herrgott und der geistliche Herr zu Pociecha. Morgen schon würde sie beichten gehen.
Als sie an das Heiligenhäuschen hinterm Dorf kamen, lenkten sie ab, denn durch die Ansiedlung wollten sie lieber jetzt noch nicht zusammen fahren, des waren sie übereingekommen. So kutschierten sie seitlings über Chwaliborczyce nach der Försterei.
Seit ihrer Entlassung war Stasia nicht mehr in Chwaliborczyce gewesen; sie hatte es vermieden, denn schadenfrohe Augen hatten ihr nachgeschaut, als sie damals betränten Gesichtes abgezogen war. Nun fuhr sie stolz wieder ein.
Aus den Hütten der Gutsleute guckten neugierige Weiber, als das Wägelchen vorbeirasselte. »Fahre langsamer, fahre langsamer«, bat Stasia ihren Liebsten. Sie wollte den Moment des Triumphs ganz auskosten.
An der letzten Hütte stand Schäfer Dudek auf der Schwelle, seinen Urenkel auf dem Arm. Er war barhaupt und sah nach dem Wetter: drüben überm Lysa Góra stand ein lichter Streif, es würde sich hellen, morgen schon schien die Sonne, daß er die Schafe treiben konnte. Noch peitschte der Regen; der Wind zerwühlte sein langes Haar und warf es mit den wehenden Härchen des Kindes untereinander.
Als er Stasia auf dem Wagen bemerkte, hielt er die Hand über die Augen, damit ihm der Wind nicht das Wasser hineintrieb und so den Blick trübte: he, wo kam denn die her und mit wem?
Stasia nickte ihm zu, übermütig lachend: »He, weiser Dudek, guten Tag! Erlaube, daß ich dir meinen Liebsten zeige! Ich werde ihm keinen Erbsenkranz geben, wenn die Brautwerber ihn mir zuführen.«
Der Alte trat näher zum Gefährt; sie hatten angehalten. Mit bedeutsamem Kopfnicken sprach er:
»Ackerers Leben ist allezeit,
Wie der Biene Leben, voll Emsigkeit,
Und der Ehestand ist insonderheit,
Wie der Biene Honig, voll Süßigkeit!
Wer ist der Bursche, den du dir erkoren hast? Laß mich sehen!«
Ehe Valentin wußte, wie ihm geschah, hatte des Alten hagerer Arm ihm den Hut vom Kopfe gezogen. Musternd sah ihm Dudek ins Gesicht; starr, fast durchbohrend wurde der Blick. Mit einem unzufriedenen Murren schüttelte der Schäfer den Kopf: »Ich kenne ihn, er ist ein Deutscher, einer von denen, die da wohnen auf gestohlenem Acker. Schäme dich, daß du daran denkest, diesen zu freien!«
Aber Stasia lachte leichtfertig: »Ärgere dich nicht, Väterchen!« Schmeichelnd klopfte sie dann dem Burschen, der kein Wort verstanden hatte, die Wange: »Walek, mein Lieber, sage, werden wir nicht ein schönes Pärchen abgeben? Hihi, hihi, er gefällt mir nun einmal! Hihi!«
Zornig sprühten des Alten Augen. »Lache nur, lache du nur! Ich sage dir – ich, Kuba Dudek, der vieles sieht, was andre Augen nicht sehen – nicht lange wirst du lachen!« Sprach's und ging, das Köpfchen des Kindes an sich pressend, als wolle er das bergen vor nahendem Unheil, in seine Hütte zurück.
Was der immer faselte! Ein rechter Wichtigmacher. Stasia schrie ihm nach: »Alter Esel!« und dann noch eine ganze Menge wenig schmeichelhafter Bemerkungen.
Da öffnete sich das niedrige Fensterchen, hinter dem der Rosmarin stand, und ein brauner Mädchenkopf guckte über den Blumentopf weg: »Wer schilt das Großväterchen?«
»He, Michalina!« Stasia winkte.
»Stasia, du bist es!« Die Braune guckte ganz verblüfft und wurde dann brennend rot, als sie auch den Burschen erkannte. Fragend glitten ihre Blicke von der einstigen Schulgenossin zu dem deutschen Ansiedlerssohn.
Valentin nickte ihr freundlich zu, und daran denkend, daß er ihr noch vom Kalben der Rotbunten her etwas schuldig sei, zog er einen Rosenkranz von blauen Glasperlen aus der Tasche, den er eigentlich für das Settchen bestimmt hatte, das nun bald zur Kommunionstunde sollte. Mochte die Michalina denken, er habe den extra für sie mitgebracht!
Mit einem tiefen Knicks nahm sie die Schnur:
» Padam do nóg!« Sie wollte ihm die Hand küssen.
Als er sie hastig, ganz verlegen, wegzog, fiel ihm auf einmal ein: ach, die war ja nur eine Dienstmagd! Aber vielleicht, daß er sie mieten könnte. Die Mutter hatte erst neulich sich lobend des hilfreichen Mädchens erinnert – und welch ein Triumph, wenn er, dem man erst heute morgen Teilnahmlosigkeit und Mangel an Interesse vorgeworfen hatte, nun mit einer strammen Magd heimkehrte! Der Vater hatte keine auftreiben können.
Des Burschen Augen sprachen bittend. Für seinen Mund machte Stasia den Dolmetscher, die sich gern der Mutter des Bräutigams gefällig zeigen wollte.
So wurde man bald handelseinig. Die Polin verlangte nicht zuviel; und da ihre Arme, die die aufgekrempelten Hemdärmel frei sehen ließen, voll und stark waren, würde sie ihren Lohn schon einbringen. Sehr zufrieden reichte ihr der Sohn ihres künftigen Dienstherrn die Hand zum Abschied: also morgen wurde sie erwartet – bestimmt?!
Sie nickte und strahlte und legte die Hand aufs Herz – er konnte sich darauf verlassen. –
Als Valentin am Abend heimkam, war er selber erschrocken, wie sehr er sich verspätet, hatte er Stasia doch erst bis ganz nach Hause gebracht, war dort auch noch abgestiegen und hatte einen langen Abschied von ihr genommen im dunklen Flur. Der Vater empfing ihn nun mit lautem, heftigem Vorwurf, und die Mutter, die doch sonst immer so freundlich war, seufzte und sah ihn gar nicht an. Daß die Eltern beide böse waren, tat ihm bitter leid, aber er hoffte, sie schon zu versöhnen. Und heimlich brannte in seinem Herzen der Wunsch, ihnen dann von Stasia zu sprechen.
Als der Vater schrie: »Wo haste dich dann solang erumgetrieben? Wir krosen hier im Dreck, und du fährst spazieren zum Pläsier«, sagte er mit dem frohen Bewußtsein, einen guten Hinterhalt zu haben: »Ich hab der Mutter en Magd gemiet'! Dat Mädchen, dat neulich hier geholfen hat, die Michalina vom Schäfer aus Chwaliborczyce. Morgen kömmt se.«
»Dunnerkiel! Wie kömmste dann an die?« Peter Bräuer schmunzelte plötzlich: ein Teufelsjunge! Was der die Weiber – selbst so 'ne dumme polackische Viehmagd – im Sack hatte!
Auch Frau Kettchen war hocherfreut. Sie hatte sich immer vor den buntbebänderten Polenmädchen mit Singen und Tanzen, das sie leichtfertig dünkte, gegraust; aber zu der braunen Michalina hatte sie wohl Zutrauen. Die hatte so ehrliche Augen, die würde sicher nicht stehlen. Und dankbar kam sie von ihrem Stuhl beim Ofen, wo sie fröstelnd gesessen hatte, zum Tisch heran und drückte Valentin die Hand.
Der Vater belobte den Sohn: das hatte er mal gut gemacht! Hatte er auch den Chilisalpeter mitgebracht?
Valentin wurde abwechselnd blaß und rot vor Schreck: den hatte er ganz und gar vergessen. Aber es ging ihm heute hin ohne großen Verweis, denn der Ehemann war viel zu froh, eine Hilfe für sein Kettchen zu haben.
Ganz einträchtig saßen sie jetzt beisammen am Tisch, auf dem die beschirmte Lampe friedlich brannte, während draußen die Frühlingsstürme ums Haus schnoben und wie mit begehrlichen Händen an Wand und Läden rüttelten.
Da hielt Valentin nicht länger an sich; mit brennenden Wangen, wie ein Knabe, der nach etwas giert, fing er an, von Stasia zu sprechen. Wahrhaftig, die Eltern konnten es glauben, sie war ein liebes Mädchen und klug dazu und so schön! Was schadete es, daß sie polnisch war und er deutsch – waren sie nicht alle beide katholisch? Nein, ohne sie leben konnte er nicht mehr, die Eltern mußten ein Einsehen haben. Nachts träumte er ja nur von ihr, tags dachte er ja nur an sie. Er wollte sie heiraten, sie allein war sein Glück, sie war so ganz anders als alle Mädchen bisher, sie hatte es ihm angetan – die oder keine!
Der Vater hatte den Sohn ausreden lassen, aber die Ader auf seiner Stirn war mächtig geschwollen. Also so weit ging die Geschichte wirklich? Nicht nur eine Liebelei, eine reelle Heirat sollte es werden?
»Da hört doch alles bei auf«, schrie er wütend und schlug auf den Tisch, »biste geck, Jung? So en Polackenmensch willste heiraten? Noch dazu die Tochter von dem Saukerl, dem Frelikowski, der einen so tribuliert wegen 'nem erbärmliche Has?! Ne, da wird nix draus, nie un nimmer geb ich mein Einwilligung!« Ganz außer sich sprang er auf und rannte mit Riesenschritten in der Stube hin und her.
Ganz betroffen saß Valentin da: so stark hatte er sich den Widerstand denn doch nicht gedacht. Es zuckte in des jungen Menschen Gesicht, als wolle er weinen, aber dann überkam ihn der Trotz. Was würde Stasia auch sagen, wenn er so schwachmütig wäre? Verachten würde sie ihn, gar nicht mehr ansehen. Deutlich sah er sie unwillig die schöne blonde Tolle hintenüberwerfen und den Mund stolz kräuseln. Nie mehr würde er's zu hören kriegen, das schmelzende › daj mi buzi‹, das so vieltausendmal schöner klang als das harte ›gib mir 'nen Kuß‹. Nie mehr würde sie sich an ihn schmiegen, biegsam gleich den Weiden, die am Rheinufer wachsen. Nein, die Stasia war nicht so eine wie die in Köln, mit der sich's leicht poussieren läßt, die man aber auch ebenso leicht wieder vergißt! O nein, der Stasia mußte man sein Wort halten!
»Ich muß sie heiraten«, sagte er fest.
»So – muß! Also so weit is et schon? No natürlich, wie kann dat auch hier anders sein«, höhnte der Vater.
Die Mutter überkam das Mitleid; es war etwas in dem Blick des jungen Mannes, das sie zu Tränen rührte. »Gott, ach Gott, Valentin, Jung, wie konntste dich nur so weit einlassen?« Sie wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, aber er schüttelte sie ab.
»Wat fällt euch ein? So is dat denn doch nit! Die Stasia is en anständig Mädchen, en brav Mädchen, nit rühr an. Schämt euch, dat ihr so wat von ihr denkt! Ihr kennt sie ja gar nit, lernt sie nur erst emal kennen! Ich muß sie heiraten – muß, sag ich – muß, muß, muß, weil« – er schnappte nach Luft, eine heiße Blutwelle färbte wieder sein erblaßtes Gesicht – »weil ich ihr so gut bin, dat ich sterben muß, wenn ich sie nit krieg!«
Er hatte es laut herausgeschrien, nun warf er die Arme lang über den Tisch und den Kopf darauf.
»Jesus Maria«, sagte Frau Kettchen ganz erschrocken, »de is ja rein wie behext. Der arme Jung!« –
Als sie an diesem Abend ihr Nachtgebet sprach, betete sie inbrünstig für den Valentin. Mit ihrem Mann wagte sie heute nicht noch einmal von der Sache anzufangen, kurz hatte er sich jedes weitere Wort darüber verbeten. Taumelnd wie ein Trunkener war Valentin zu seiner Kammer hinaufgestiegen, ohne das gewohnte Gutnacht, ohne ein Nicken. Frau Kettchen hatte ein herzliches Erbarmen mit dem Stiefsohn. Als sie ihn als kleinen Schuljungen, der seine rechte Mutter kaum gekannt hatte, übernommen, hatte sie bei der Heiligen Jungfrau gelobt, ihm eine gute zweite Mutter zu werden. Des hatte sie sich immer aufrichtig bemüht, und das wollte sie ihm auch fürder sein. Und sie nahm sich vor, wenn sie nur erst wieder ein wenig zu Kräften gekommen war, nach Pociecha-Dorf zu gehen und in der Propstei sich Rat in dieser schwierigen Angelegenheit zu holen. Mit diesem beruhigenden Vorsatz schlief sie bald ein. –
Anders der Mann; er konnte keinen Schlaf finden. Er war wohl müde – hatte er doch den Tag doppelt hart geschafft, da der Sohn ihn im Stich gelassen und die Hauswirtschaft auch nicht im gewohnten Gange war –, aber seine Gedanken hielten ihn wach die ganze Nacht. Als ob er das Mädchen nicht schon gesehen hätte! Der Sohn meinte wohl, der Vater habe ihm nicht längst nachgeforscht – oho, so dumm ist Peter Bräuer nicht! Hübsch war sie, ja. Er hatte sie Ostersonntag aus der Messe kommen sehen, städtisch gekleidet, fast wie eine Dame, mit einem Blumenhut auf dem Kopf statt des landesüblichen Mützchens. Ihr Gebetbuch hatte sie vor sich gehalten und den Blick darauf gesenkt. Neben ihrem Vater war sie hergeschritten, der ganz stattlich aussah in seinem Jägerrock, auf den der rötliche Bart fiel – ja, potz Donner, Ehrenzeichen hatte der Förster auch! Anständig hielt sie sich, das mußte man sagen. Sie hatte nicht gedrängelt wie die andern Dirnen, die, schnatternd gleich einer Herde Gänse, aus der engen Holztür gar nicht rasch genug ins Freie kommen konnten zu den Burschen, die sich auf dem kleinen Anger vor der Kirche hingepflanzt hatten. Aber wenn sie auch tausendmal sittsamer sich gehalten und das Geld hätte, das sie nicht hatte, und noch viel hübscher wäre, zur Schwiegertochter möchte er sie doch um alles in der Welt nicht haben. Was sollte die Polackin hier im Hause? Ein fremder Vogel im Nest? Nein, niemals! Nun und nimmer durfte der Valentin so eine bringen! Aber der Junge war so rabiat!
Dem bekümmerten Vater wurde plötzlich ganz heiß. Er erinnerte sich seiner eignen Jugendzeit. Da hatte er auch gesprochen, als er des Valentins Mutter, der schlanken Traut mit den rosenroten Wangen, nachgestiegen war: die oder keine! – und hatte sich keinen Pfifferling darum gekümmert, daß man ihn warnte: die ist ja schwach auf der Brust. Die schöne Traut hatte im Wochenbett die Schwindsucht bekommen, er war bald allein zurückgeblieben mit dem kleinen Jungen. Seinen Willen hatte er nun gehabt – ach ja, wenn man verliebt ist, hat man eben keine Ohren!
Wenn man nur etwas Näheres über die Försterstocher wüßte! Ob die wirklich brav war? Da kannte er seinen Valentin denn doch, wenn er dem nachweisen konnte, daß er sich an einen nichtsnutzigen Racker verplempert, dann war die Geschichte aus. Der hielt viel zuviel auf sich, um eine zur Frau zu nehmen, die seiner nicht wert war. Man mußte nur etwas in Erfahrung bringen – aber bei wem, wo?!
Rastlos warf sich der Mann, bis der Hahn auf dem Hof den Morgen ankrähte. – – –
Michalina zog früh am Tage auf. Heimlich war sie vom Großvater fortgegangen, würde er doch zu sehr schelten, wenn er erfuhr, daß sie zu einem Schwabb in Dienst wollte. Aber die Mutter war einverstanden gewesen, sie hatte gesprochen: was will man machen, wenn man Geld verdienen muß. Und so war die Michalina wenigstens nicht weit von dem kleinen Jasio und konnte zu Hause immer einmal nach dem Rechten sehen.
Ihre Habseligkeiten, in ein Bündel geschnürt, unterm Arm – die kleine buntbemalte Lade, die ihren Sonntagsputz enthielt, würde sie ein andermal holen –, ging Michalina starken Schrittes aufs Haus der Rheinländer zu. Als sie den Wirt unter der Tür erblickte, beeilte sie sich noch mehr und grüßte ihn demütig.
Herablassend nickte Peter Bräuer ihr zu; das hatte er schon gelernt hier, daß eine große Kluft ist zwischen Herr und Gesinde. Aber Frau Kettchen behielt noch die Sitte von Hause bei und reichte der neuen Magd freundlich die Hand.
Da lachte die braune Michalina übers ganze Gesicht; wie eitel Sonnenschein ging sie ins Haus ein.
Die Bräuers hatten einen guten Griff getan, vielmehr der Valentin, dem mußten sie's danken, mit jeder Woche mehr. Frau Kettchen konnte sich ruhen, die Magd litt nicht, daß sie viel schaffte, die zwang die Arbeit schon allein. Sie wusch, sie scheuerte, sie melkte, sie fütterte und ging, war das Haus beschickt, noch zu den Männern auf den Acker, wo jetzt die Kartoffeln schon aufgingen und der erste selbstgesäte Roggen der neuen Heimat in die Halme schoß.
Es kam der Michalina gar nicht darauf an, auch Männerarbeit zu beschicken. Peter Bräuer lachte sich oft eins, wenn er sah, wie die flinke Dirne den Gaul anschirrte oder die Ochsen, und wie sie dann, die Peitsche in der Hand, oben auf dem Rand des Ackerwagens balancierte und mit gewaltigem Knallen zum Hoftor hinauskutschierte.
Und gelehrig war sie, zum Erstaunen! Ein deutsches Mädchen hätte nicht so rasch Polnisch gelernt wie sie Deutsch. Den Valentin verstand sie am besten, dem sah sie's an den Augen ab. Es war ihnen allen bald kein Geheimnis mehr, daß die polnische Magd den jungen Haussohn gern sah. Bräuer machte seine Späße darüber, selbst die Kinder neckten die Magd.
Sie nahm's nicht übel. Kein Rot des Beleidigtseins stieg ihr in die jetzt zur Sommerszeit tiefbraun gebrannten Wangen; sie lachte mit und zeigte die weißen Zähne. Froher als sie konnte niemand sein; im Stall, in der Küche, hochaufgeschürzt, mit nackten Beinen beim Dungauswerfen oder auf den Knien beim Dielenscheuern, am Rain beim Futterschneiden oder die Schultern tief geduckt unterm schweren Grastuch, mit dem Besen, mit dem Rechen, mit der Gabel, mit der Sichel, immer sang die Michalina. Warum sollte sie traurig sein? Sang nicht die Lerche auch am Ackerrand? War nicht die Sonne hell wie ein freundliches Gesicht?
Nach Feierabend, wenn die Arbeit getan war, saß sie gern noch ein wenig vor der Tür. Auf der Schwelle hockend, die Arme um die hochgezogenen Knie geschlungen, sang sie hinein in die stille Welt, sich sacht hin und her wiegend im eintönigen Rhythmus. Dann kauerten die Kinder bei ihr und hörten ihr zu, und auch Valentin lehnte oft am Türpfosten, die Arme über der Brust verschränkt, und lauschte.
Sein Blick irrte verträumt in die dämmernde Unendlichkeit, auf die langsam die Nacht sank. Fern in den Kornfeldern rief traulich die Wachtel, das braune Mädchen sang – immer dasselbe, es klang einschläfernd – aber seine Seele fand keine Ruhe. Er dachte an Stasia.
Seit er ihr gesagt hatte vom Widerstand des Vaters, mied sie ihn. Viele Male war er nach der Försterei geschlichen, immer hieß es: die Stasia ist nicht zu Haus! Ei, wo war sie denn? Arglos hatte er zuerst auf ihre Heimkehr gewartet, aber sie kam und kam nicht. Da merkte er endlich, sie war wohl daheim, sie wollte sich nur nicht sehen lassen. Manchen Abend, wenn alles längst schlief, lief er noch hin bis zur Moorwiese, aus deren Saftgrün jetzt weiße Dünste stiegen und sich zu Nebelgestalten mit winkenden Armen verdichteten. Drüben, ach drüben, auf Rufweite nah, wohnte das Mädchen! Aber wie er auch lockend pfiff und lauter und immer lauter den geliebten Namen rief, nur das Irrlicht tauchte aus dem Sumpf und zeigte dem Sehnsüchtigen sein unstetes Flämmchen.
Naß vom kalten Nachttau schlich dann der enttäuschte Bursche heim; leise, die Schuhe in der Hand, schlüpfte er an der Stube vorbei, darin die Seinen schliefen.
Aber eine im Hause hörte ihn doch; die hatte wachgelegen, bis er heimkam.
Oh, daß er doch nicht immer zu der Sumpfwiese ginge, zu dem unheimlichen ›Tupadlo‹! Sie ängstigte sich deswegen, wußte sie doch, daß dort, wo es heißt: ›Hier ist untergegangen‹, einst ein Haus gelegen hatte mit Garten und Acker; Gottlose hatten darin gewohnt, und zur Strafe waren sie versunken mit Hab und Gut. Nun zeigte sich hier die verdammte Seele, die Hexe, das Irrlicht, das nachts auf einem Rade fährt und solche, die ihm folgen, zur Hölle lockt.
»Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist!« Dreimal schlug Michalina das Kreuz. »Heilige Mutter, laß ihn ihr nicht folgen!«
Wie ein treuer Haushund ging die Magd dem Sohn ihres Herrn nach.
Jetzt war die Arbeit hart und der Ansiedler oft wenig zufrieden. Bräuer hatte keine guten Ernteaussichten; für den schweren Boden war die andauernd trockene und heiße Witterung wohl ganz nützlich, aber für die vielen Sandstellen, die er im Acker hatte, taugte die Dürre nicht. Auch die Moorstrecken waren hart geworden wie getrockneter Torf. Er war ganz außer sich: also dafür war man hierhergekommen ans Ende der Welt, um immer noch zuzusetzen, anstatt zu gewinnen?! Der Valentin war auch so faul, so lässig in der Arbeit, als ginge ihn alles gar nichts an. Womöglich würde man noch einen Knecht nehmen müssen oder fremde Taglöhner – aber man kriegte ja nicht einmal solche! Was nur in dem Jungen steckte? Mark hatte der gar keins mehr in den Knochen. Die Arbeit, die ihm sonst nur so von der Hand geflogen war, schlich jetzt; er, der sonst für drei geschafft, mußte sich jetzt überall von der Magd helfen lassen. Ein Glück, daß die Dirne so willig war. Morgens war sie am frühesten auf, abends am spätesten zu Bett. Aber dann schlief sie auch – nicht zum Erwecken –, und das Essen schmeckte ihr, es war ein Spaß! Nur um das Pläsier zu haben, ihre weißen Zähne einhauen zu sehen, hieß der Dienstherr sie mit am Tische essen; sonst gehört der Dienstbote in die Küche.
Michalina empfand es, daß man sie so ehrte. Oft, wenn sie mit der Frau allein war, rührte sie heimlich, wie liebkosend, an deren Kleid. Jetzt konnten sie sich beide ganz gut verständigen, und es geschah nicht selten, daß Frau Kettchen ihrer Sorge um den Sohn der Magd gegenüber Worte lieh. Dann schaute diese ganz traurig drein, schlug das Kreuz und flüsterte: »Hat er sich Hexe gesehen auf Rad! Irrlicht böses, o weh! Muß Pani dem Proboszcz sagen, daß er liest Messe.« – – –
Frau Kettchen war wohl früher schon in der Propstei gewesen, heute ging sie zum erstenmal wieder hin seit ihrem Kranksein. Die Magd hatte ihr versprochen, das Haus zu hüten, da konnte sie sicher sein, es war gut versorgt. Es war Sonntagnachmittag. Langsam wanderte sie durch die reifenden Felder, der Wind spielte mit den Bindebändern ihres Hutes und mit dem Zipfel ihres Umschlagetuches. Die Sommerlüftchen waren lustig, aber ihr Herz blieb schwer. Sie hatte sich schwarz angetan wie zum festlichen Betgang.
Leise Klänge kamen mit dem Wind; sie hörte ein Rauschen in der Luft und ein Summen wie von fernen Kirchenglocken. Ach, waren das die Glocken des großen Domes, die man weithin hört im rheinischen Land? War es das Rauschen des Stromes, an dem die glückliche Heimat lag? O nein, nur endloses Korn schlug im Wind Wellen, und emsige Bienen surrten über den Thymian am Wegrain. Der Dom und der Rhein waren so fern – und das Glück auch.
Horch – es waren aber doch Kirchenglocken! Die einsam Wandelnde blieb stehen. Übers Windrauschen und Insektengesumme hinweg rief deutlich die kleine Glocke der schwarzen Holzkirche von Pociecha-Dorf, und die Verzagte nahm ihr Herz in beide Hände und trug's eilig hin zum tröstenden Altar. –
Frau Kettchen hatte erst andächtig der Vesper beigewohnt – daß sie nicht alles verstand, daran war sie längst gewöhnt, sprachen denn nicht auch im rheinischen Dom die Priester Latein? –, danach klingelte sie an der Propstei.
Piotr Stachowiak war allein zu Haus, der Vikar war noch nicht aus der Kirche zurück, aber der würde gleich kommen. Piotr Stachowiak selber befaßte sich nicht mehr viel mit der Seelsorge, seine Nase war seit dem Winter entschieden röter geworden, und seine Beine waren steifer. Gutmütig, aber stumm, lächelte er die Besucherin an; doch auch Frau Kettchen hätte jetzt kein Wort sagen können – nein, da war der Herr Vikar doch ein ganz andrer!
Aber er kam so bald noch nicht. Am Sonntagnachmittag hatten die Weiber Zeit, da paßten sie ihm auf an der Kirchentür. Und immer war er gewillt, zu hören. Ob es sich nun um ein ungeratenes Kind oder ein krankes Schwein, ob es sich um einen die Frau prügelnden oder sie gar zu sehr liebenden Ehemann handelte, ob es die eheliche Treue betraf oder einen Zank mit dem Nachbar – was es auch sein mochte, für alles hatte der Herr Vikar Verständnis. Die Leute fühlten es: der wußte bei ihnen zu Haus besser Bescheid als sie selber.
Die Ciotka hatte den Herrn Vikar heute am längsten aufgehalten. Ganz außer sich vor Freude war sie – ob etwa auch vor Schnaps? Wer konnte das sagen. Sie hatte den geistlichen Herrn draußen auf dem Anger, immer wenn er sich schon zum Gehen gewandt, noch einmal am Rock gepackt und inbrünstig dessen Saum geküßt. Sie weinte und lachte: was hatte ihr der Herr Vikar doch Gutes getan! Nun hatte der gnädige Gerichtshof gestern sein Urteil gesprochen – Löb Scheftel hatte ihr's heut in aller Frühe verkündet, als er zum Sonntag eine Rinderlende gen Przyborowo fuhr – sie kriegte nun eine Jahresrente vom Niemczycer. Von dem guten, dem gnädigen, dem wohltätigen Herrn! Aber freilich, der Herr Vikar war doch noch besser – ohne den, was hätte sie da? Nichts. Nun aber konnte sie trinken, sooft sie Durst hatte, nun hatte sie den Himmel auf Erden schon!
Auf die Knie war sie gefallen, seine Stiefel wollte sie durchaus küssen; er hatte sich ihrer kaum erwehren können.
Ein wenig erschöpft kam der junge Geistliche in der Propstei an. Er wischte sich den Schweiß ab, und eine hohe Röte brannte auf seiner Stirn.
»Zuzanna, bring ein Gläschen Ungarwein dem Herrn Vikar!« rief Piotr Stachowiak.
Aber Górka lehnte ab: nein, das würde ihn doch nicht laben. In seinen Augen, die ganz nach innen zu blicken schienen und doch so scharf auf die Außenwelt sahen, flackerte etwas wie Unruhe. Die Begegnung mit der Ciotka war ihm unangenehm gewesen – wenn die sich nun ganz dem Trunke ergab, niemals mehr nüchtern wurde?! War er dann nicht mitschuldig? Aber – er hatte doch das Beste gewollt. Ja, ja! Und konnte er sie nicht dazu bringen, das Trinken abzuschwören, bei der heiligen Mutter Gottes oder irgendeiner andern heiligen Schutzpatronin? Gott sei gepriesen, ja, das konnte er.
Und was hatte nun die deutsche Ansiedlersfrau auf dem Herzen? Mit besonderer Freundlichkeit begrüßte er diese.
Frau Kettchen hatte doch immer noch eine gewisse Scheu – war es das ein wenig Fremdländische seines Deutschsprechens, das sie einschüchterte? –, verlegen zupfte sie an ihrem Umschlagetuch. Aber es half ja alles nichts, wer wußte sonst Rat?! So hub sie an, die Not mit ihres Mannes Sohn zu klagen. Das Weinen kam sie an, als sie erzählte, wie sehr der Junge verfalle: hohläugig sei er, ganz still, und nichts schmecke ihm.
»Jesus, ach Jesus!« Tief bekümmert starrte sie auf ihre im Schoß gefalteten Hände. »Er wird doch nit die Schwindsucht kriegen wie sein Mutter selig?!«
Fast wollte es sie bedünken, als wisse der geistliche Herr schon um ihr Leid, denn erstaunt war er gar nicht darüber, daß einer, der deutsch war, sich in ein polnisches Mädchen verlieben konnte.
»Warum will denn Ihr Mann durchaus nicht die jungen Leute zusammenkommen lassen?« fragte er.
»Ja, eja – no, darum nit, weil – weil –« Verlegen stotterte sie. Es war ihr sehr peinlich, dem geistlichen Herrn, der doch selber Pole war, ins Gesicht zu sagen: »No, darum nit, weil sie polnisch is!«
Aber, als ob der Vikar ihre Gedanken erraten hätte, sagte er jetzt mild: »Wir bieten gern die Hand. Es ist weder christlich noch klug, zu widerstreben, nur weil der eine Teil polnisch ist und der andere deutsch. Das sagen Sie nur Ihrem Manne!«
»Och, ich darf ja nix riskieren zu sagen. Sie glauben nit, Hochwürden, wie der dann bös werden kann!«
Der Priester lächelte. »Liebe Frau, Sie verstehen es eben nicht, den rechten Zeitpunkt abzuwarten. Eine brave christliche Ehefrau hat auch das Recht, ein Wort mitzusprechen, besonders in Herzensangelegenheiten und Erziehungsfragen. Hierin haben die Frauen nun einmal das bessere Urteil. Nicht wahr?« Er nickte ihr freundlich zu.
Da wurde sie rot vor Stolz über das Lob und bekam Mut. Ja, sie würde dem Peter nun aber auch gewiß sagen, daß er lieber nachgeben sollte. »Wenn dat Mädchen aber auch nur brav is«, seufzte sie. »Ne, wenn ich wüßt, dat sie den Jung nit wert is, nie un nimmer tät ich mein' Hand derzu bieten; ich tät mich ja der Sünd fürchten. De Valentin is ja so 'ne gute Mensch! Un arm is de auch nit, de hat sein Erbteil von der Mutter selig. Et wär zu schrecklich, wenn de Malheur hätt, de is wie zum Glück geboren!«
Der Vikar machte ein verweisendes Gesicht: wie konnte sie nur so mißtrauen? Nach menschlicher Voraussicht machte ihr Sohn sein Glück mit dem jungen Mädchen, das brav, fleißig, gesund und gottesfürchtig war und aus einer wohlbeleumundeten, achtbaren Familie stammte. Und liebte die Stasia Frelikowska den jungen Mann nicht ebenso, wie der sie liebte?
Und nun erzählte der Seelsorger der Aufhorchenden, wie tief das Mädchen unter der Zurücksetzung, die ihr zuteil werde, leide, daß es aber viel zuviel auf sich halte, um fürder mit einem Burschen zusammenzukommen, dessen Eltern sie durchaus nicht zur Schwiegertochter haben wollten.
Das gefiel der guten Frau wohl. Sie wurde ganz gerührt. Natürlich war es schwer für ein anständiges Mädchen, sich so behandeln zu lassen! Sie hoffte es aber nun doch bei ihrem Mann durchzusetzen, daß er die Stasia wenigstens einmal kennenlernte. Dann würde sich das Weitere hoffentlich auch finden.
Ja, das hoffte der Vikar auch. Und als er die Hand zum Abschied reichte, sprach er, ernst und doch freundlich: »Denken Sie daran, liebe Frau, daß Sie Ihren Mann immer zum Guten bestimmen. Männer sind oft ein wenig rauh, aber eine Frau, die ihren Mann liebhat, kann vieles zum Guten wenden. Und das bedenken Sie auch: was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden. Ihr Sohn und dieses Mädchen kannten sich vor einem Jahr noch nicht, aber ihre Ehe war im Himmel bereits beschlossen. Wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt!«
Ganz erschrocken sah ihn Frau Kettchen an, seine Stimme hatte plötzlich so geklungen, als ob er drohe. ›Wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt!‹ – das hörte sie in einem fort auf dem Heimweg. Ja, der geistliche Herr hatte ganz recht, man darf nicht widerstreben, wenn Gott gesprochen hat.
Und sie stärkte ihre bange Seele in einem stillen Gebet. Ja, ja, es würde wohl schon das Rechte sein, wenn der Valentin das polnische Mädchen freite! Der Herr Vikar hatte es ja gesagt.