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Siebentes Kapitel

Förster Frelikowski hatte heut viel zu tun, darum war er unwirsch. Sein Weib, das gegen sieben Uhr früh ihn wecken kam, ward angeschnauzt: wie, war sie toll, mitten in der Nacht sollte er schon aufstehen? Darin ähnelten er und seine Tochter Stasia sich, sie schliefen beide gern bis in den hellen Tag.

Gähnend wälzte der Mann, der noch in den besten Jahren war, seinen starken Körper und drohte seiner Józefa, als sie zum zweitenmal unter der Tür erschien, mit dem Revolver, der immer geladen am Haken über dem Bette hing. Er riß ihn herunter und legte auf sie an. Mit lautem Aufkreischen entfloh die Geängstigte, er aber lachte dröhnend hinter ihr drein: das war einmal ein feiner Spaß gewesen, so gut wie lange keiner!

Verdammt, daß der Schnee dieses Jahr schon so früh gefallen war! Daß sie alle zusammen eine Ladung Schrot in die Beine kriegten, diese Sonntagsjäger, denen zulieb er heute so früh aus dem Bette mußte!

Förster Frelikowski machte sich sein Amt nicht schwer, er hatte ja noch ein paar Jagdburschen unter sich, den Feldschütz und auch noch einen Waldhüter – mochten die sich doch plagen! – Aber heute galt es zu repräsentieren. Seine Frau, die sonst nicht gerade die pünktlichste war, hatte heut schon alles zurechtgelegt; sich duckend vor der schweren Hand, die an solchen Tagen immer bereit war, niederzufallen, half sie ihm in die beste Montur. Er sah sehr schmuck aus, fast vornehm, in seinem grünen Jägerrock mit den Hirschhornknöpfen, auf den der noch nicht angegraute, rotblonde Bart lang herabhing, in der Mitte geteilt.

Seine stämmige Figur aufreckend, trat er endlich vor die Tür. Da harrten die Treiber, alte Männer und halbwüchsige Buben, schon seit ein paar Stunden; ›beim ersten Tageslicht‹ war ihnen anbefohlen worden. Am Rand der Sumpfwiese, die sich vom Waldsaum gegen die Flur zog, lungerten sie in Trüppchen; es hatten sich ihrer welche, trotz der Kälte, platt auf die Erde gesetzt. Gern hätten sie ein Feuerchen gemacht – trockenes Reisig lag genug herum – aber sie fürchteten den Förster. So hatten sie sich nur an der Schnapsflasche gewärmt.

Ein schneidender Wind ging. Wenn er ein paar Augenblicke gerastet hatte, nahm er die Backen doppelt voll und pustete über die Leere der Äcker. Schnee flog, dessen Flocken hart waren wie Eis.

»He, he!« schrie Frelikowski und klatschte in die Hände: waren sie alle da? Er ließ zählen: wieviel Stück?

Ein Jagdgehilfe trieb sie, immer zehn zu zehn, an ihm vorüber.

Zehn, zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig, siebzig, achtzig, neunzig – so. Das waren ihrer nicht zu viele, der Kessel war weit, sie würden tüchtig rennen müssen.

»Hundeblut, was lungert ihr?! Soll ich euch Beine machen? Dalli, dalli! Und die Mäntel ab! Das wäre so was, Hasen drunter verstecken. Diebsgesindel verfluchtes!«

Mit scheuem Blick, die Mäntel abwerfend und den Kopf zwischen die hochgezogenen Schultern duckend, passierten die Treiber. Unter ihnen war auch die Ciotka. Ihre Hütte war eiskalt, im Krug gab's keinen Schnaps umsonst, Lustbarkeiten, bei denen man der Baßgeige bedurfte, waren jetzt rar – warum sollte sie sich nicht die paar Groschen verdienen? Sie hatte dem Förster Frelikowski wohl zehnmal bittend und winselnd den Rockzipfel geküßt.

Nun flog ihr armseliger Lumpenrock – ihren Mantel hatte sie abtun müssen – frei im Wind. Einen alten Schalfetzen hatte sie über die Haube geknüpft, darunter glühte ihr pockennarbiges Gesicht, auf dessen klobiger Nase eine Riesenwarze hockte, in blaurotem Feuer. Ein paar Kesseldeckel hatte sie mitgebracht, rasselnd schlug sie diese zusammen: das war Musik, die die Hasen schreckte.

Die Alte war fett, trotz ihrer Armut. Frelikowski hob den Stiefel und gab ihr lachend einen Tritt gegen die breite Kehrseite. »Da hast du einen Gruß, Alte, von deinem Liebsten mit dem Pferdefuß!«

Meckernd nahm sie den Spaß auf. Wenn sie trunken über die Dorfgasse trudelte, die ganze Jugend mit Gejohle hinter ihr drein, regnete es noch ganz andere Späße. »Hehe, der Herr Förster«, griente sie, »Pani Frelikowski, ich falle zu Füßen, hehe!« Sie schielte ihn an. »Schönes Herrchen mit dem schönen Bart, Ziegenböckchen, willst du mit mir tanzen?!

›Podkoziolek, schönes Herrchen,
Mußt du geben, mußt du geben‹« –

begann sie mit überschnappender Stimme zu krähen und, die Deckel zusammenschlagend, sich wie ein Kreisel vor ihm herumzudrehen.

Seht, das Tantchen war am frühen Morgen schon voll! Die Männer lachten.

Des Försters Hunde, die hinter ihrem Herrn herliefen, fuhren ihr an die Waden, über die die blauen Strümpfe halb heruntergerutscht waren.

»Apport! Faß – kß, kß, kß!«

Mit wütendem Gebelfer faßten die Tiere den verlumpten Kattun des armseligen Rockes zwischen die Zähne.

»Dann wirst du das ganze Jährchen
Ohne Armut glücklich leben!«

sang die Ciotka und sprang immer toller und schlug ihre Becken. Die Teckel, die nicht losließen, schleifte sie mit sich im Kreise herum.

Der Förster hielt sich die Seiten. Schon hundertmal hatte er's erlebt, daß sie tanzte, bis sie umfiel, aber so komisch wie heute mit den rasselnden Deckeln und den Hunden, die ihr am Rock baumelten, hatte sich's noch nie angesehen.

»Haha, hohoho!« Er feuerte sie noch an: »He, Ciotka, dalli! Tanze, mein Täubchen, tanze! Faß, mein Hündchen! Ei, schönes Hündchen – faß, kß, kß, kß!«

Und die Hunde belferten und verbissen sich von neuem, schäumend vor Wut, in die flatternden Röcke. Die Fetzen flogen, die Ciotka quirlte herum, immer toller, immer toller, immer wilder, wie behext, wie besessen.

»Podkoziolek mußt du geben – mußt du – geben –«

Der Atem war ihr ausgegangen, keuchend lallte sie nur noch abgerissene Worte. Pardauz, jetzt lag sie da, die breite Kehrseite in die Höhe gestreckt. Das Lachen der Männer stieg wie ein Brüllen zum winterlichen Himmel.

»Will sie wohl aufstehen, psia krew!« Ein Tritt und ein Zerren brachten das Tantchen wieder auf die Beine.

Von fernher war jetzt ein Rollen gekommen, ein Dröhnen über holprigen Sturzacker. Aha, da waren schon die ersten Jagdwagen!

»Wollt ihr wohl das verdammte Lachen lassen, ihr Hunde! Schweine! Achtung, aufgepaßt!«

Mit abgezogenem Hut, respektvoll zur Seite stehend, die Brust, auf der die Kriegsmedaille und das Eiserne Kreuz von 1870 prangten, vom langen Bart überwallt, begrüßte Förster Frelikowski die Gäste seines gnädigen Herrn. –

 

Ein schlimmer Tag war es heute für die Hasen von Chwaliborczyce. Löb Scheftel, der in respektvoller Entfernung von der Schußlinie mit seinem Wägelchen hielt, sagte zu Isidor, seinem Sohn: »Gott soll hüten, ich rechne an die zweihundert! Was rechnest du?«

»Bin ich allwissend?« Der Sohn zog die Schultern hoch. »Wer ich der schon sagen wieviel, wenn ich wer' gezählt haben de Fellcher!«

Löb Scheftel hatte sich eingefunden, weil er ein Geschäft zu machen hoffte. So viel wußte er, hätte er vorher um die Ehre ersucht, von den zu erlegenden Hasen welche erhandeln zu dürfen, wäre er rundweg abschlägig beschieden worden: der Herr von Chwaliborczyce machte keine Geschäfte mit Juden. Aber sein Förster nahm's nicht so genau. Nun, und was wußte denn der gnädige Herr davon, ob fünfzig Hasen mehr oder weniger an den Wildhändler Janiszewski nach Posen abgingen?

Scheftel zog die Stirn in tiefe Furchen und legte den Zeigefinger bedenklich an die große Nase: wenn der Frelikowski nur nicht gar so teuer mit seiner Ware wäre! Wer konnte dann an einem Hasen noch etwas verdienen bei den schlechten Zeiten?

Er seufzte und sah bekümmert in die wintergraue Weite. Gar keine Aussichten mehr! Vor zwanzig Jahren war's anders hier gewesen und vor fünfzig erst recht. Da waren die ›Faktors‹ gefahren von Gut zu Gut, und man hatte sie in die Stube geführt und hatte sie auch wieder hinausbegleitet und hatte ihnen die Hand gereicht. Kein Handelchen war gemacht worden ohne einen jüdischen Mann, kein großes und auch kein kleines. Jetzt besorgten sie's alles allein.

»Ei weih!« Da war die Madame Kestner auf Przyborowo, eine reiche Dame, eine vornehme Dame, aber handeln konnte die – Gott soll hüten! Die redete um einen Groschen und um ein Viertelpfündchen, was am Gewicht fehlte – nein, um zehn Gramm stritt sie, als ging's um einen Ochsen!

Löb Scheftel seufzte tief und fuhr sich mit dem Ärmel des Flauschrocks unter der schnüffelnden Nase her: es war ein Elend mit der Konkurrenz. Und daß dem Leiser Hirsch, seinem Schwiegersohn, dem einzigen Warenhausinhaber im Städtchen, sich jetzt auch noch einer auf den Hals gesetzt, der eine große Spiegelscheibe im Ladenfenster hatte und Nepomuk mit Vornamen hieß, wie der Heilige, zu dem sie hier beteten, das war gar nicht zu verwinden. Ehe der seinen Laden eröffnet hatte, war der Herr Propst um den Ladentisch geschritten und hatte seinen Segen gesprochen und mit dem Weihwedel die Wände angespritzt. Wer konnte da noch konkurrieren? Und war auch der Kleiderstoff bei Leiser Hirsch drei Groschen billiger, der Kaffee das Pfund fünf Pfennige billiger, der Sirup süßer, das Petroleum heller, der Schnaps stärker, der Hering salziger, kostete die Hose auch nur einen Spottpreis, verloren auch die Kessel nicht gleich die Böden und die Kartoffelhacken nicht gleich die Stiele, sie liefen doch alle zum Nepomuk Wisniewski, denn der Herr Propst hatte gesprochen: »Kauft bei dem!«

»Isidor«, sagte Löb Scheftel und kraute sich nachdenklich den spitz zugeschnittenen, von den Ohrläppchen in schmalen Streifen nach dem Kinn ziehenden Bart, »wirste sehen, wird er mir nich verkaufen die Hasen, nich einen einzigen. Wird er mer nehmen so hoch, daß es geht über meine Kraft. Nix mehr zu wollen, nix mehr zu handeln! Seit der Herr Propst hat's Geschäft eingeweiht, können wir gehen mechulle.«

»Nu, mer hofft doch!« Der junge Mann blickte seinen Vater verweisend an. »Wenn du tust deinen Mund immer zum Bösen auf! Ich zieh nach Posen, ich wer' mer nich ärgern hier alle Tag.«

»Gott soll hüten, in die große Stadt?!« Ängstlich sah der Alte seinen Sohn an, als wolle er ihn mit den Augen festhalten.

Aber Isidor lachte. »Bin ich 'n Schlemihl? Werden se mer aufessen, de Posener? Wer versteht's Geschäft, kann da machen auch seins. Ich bin nich meschugge, es fällt mir nich ein, zu warten, bis der Propst auch wird weihen 'nen Fleischer. Dann werden se dem verkaufen 's Rindvieh, und du kannst wieder laufen nach Hasenfellcher!«

»Tu du deinen Mund nicht zum Bösen auf!« Ganz erschrocken duckte Löb Scheftel den Kopf zwischen die Schultern und hob abwehrend beide Hände: »Gott der Gerechte wird's nicht leiden, daß er mer ruiniert auch mein Geschäft! Soll mer jedes Pfund Fleisch auf der Seele brennen, was ich je hab' zu spitz gewogen!«

»Nu, nu!« Isidor fing leise an zu pfeifen, und dann machte er eine weite Handbewegung. »Ich wer' der sagen, Vater, mir is es auch in Posen zu eng. Ich wer' lieber gleich ziehen nach Berlin. Da kann mer machen noch e besseres Geschäft. Und wenn ich heirate 'ne Frau mit Mesummes, wer' ich der lassen kommen nach. Un meine Söhne wer' ich lassen studieren Rechtsanwalt.«

»Wie heißt?« Der Vater sah ganz verdutzt drein. »Du wirst heiraten 'ne Frau mit Mesummes? Du, dem Löb Scheftel sein Sohn aus Miasteczko? Du wirst studieren lassen de Herren Söhne Rechtsanwalt?!«

»Nu, mer hofft doch! Nu, un warum nich?«

Der junge Mensch mit dem intelligenten Gesicht lächelte siegesgewiß. »Was ich jetzt noch nich kann, wer' ich schon lernen nach und nach. Was meinste, bin ich der erste, der zieht nach Berlin? Der Naphtali Cohen, mit dem ich hab auf der Schulbank gesessen, und mit dem ich hab Makkes gekriegt von den andern Jungens, der soll schon gehen an de Börse für eigne Rechnung. Und der Salomon Itzig, der gewohnt hat zuerst in der Straße, die se heißen Rosental, die aber keins is, der wohnt jetzt im Tiergarten, soll fahren auf Gummi und hat 'ne Frau aus 'ner feinen Meschboche. Bin ich 'n Chammer, daß ich soll bleiben noch länger in Miasteczko?«

»Isidor« – der Alte sah ihn an mit einer gewissen Bewunderung – »du bist 'n Chochum! Du hast recht, 's Geschäft ist zu mies!« Er gähnte und horchte dann. »Gott der Gerechte, se knallen noch immer! Was meinste, ob er mer wird lassen de Hasen zu zivilem Preis?«

»Nu, mer hofft doch!« sprach Isidor.

Dann schwiegen sie beide und harrten fröstelnd.

Es war sehr rauh geworden. Den ganzen Tag hatte sich keine Sonne vorgewagt, jetzt am Nachmittag kam die Dämmerung noch früher geschlichen als sonst. Wie ein Rauch stand die Luft über den Feldern. Der Atem der Kälte legte sich über den Wald in zuckrigem Guß; das struppige Kieferngebüsch am Rand zeigte jede Nadel besetzt von weißen flimmernden Härchen.

Heiser klangen die Stimmen der Treiber, müde geschrien, zwischen dem Lärmen der Hasenklappern und dem Knallen der Schüsse. Ein Höllenspektakel war's, der die Hasen schreckte, daß sie aufsprangen aus ihren Lagern und davonrannten, immer der Schützenlinie entgegen.

Ein Blitz – ein Knall – jeder Schuß ein Treffer! Allenthalben ballen sich kleine Rauchwölkchen, für kurze Augenblicke über den Furchen schwebend, und verschwinden dann jählings, zerrissen von der harten Luft.

»Hallo! – huch, hassa – hoho – het, hetz!«

Neues Geschrei, ohrenbetäubendes Klatschen. Klappern, Knarren, Knattern, Krachen, Kreischen, Tuten, Pfeifen, Trommeln, Deckelschlagen. Wütend bellten die Apporteure, hinter der Schützenlinie von den Jagdgehilfen am Strick gehalten. Schaum vorm Maul, die Leiber lang gezerrt, gieren sie nach etwaigen Durchbrennern. Ein ›Apport‹, ein Loslassen vom Strick und – schnapp – mit gebrochenem Genick liegt das angeschossene und doch noch flüchtige Häschen in der Ackerfurche.

Auch hinter den Treibern in den Kusseln am Waldrand haben sich noch einige Schützen aufgestellt. Oft macht das gehetzte Wild in der Todesangst kehrt und sucht auszubrechen; zwischen den Beinen der Treiber durch springt es verzweifelt zurück ins Versteck des Buschwerks.

Hinter einer Kiefer, gut gedeckt, stand Doleschal. Es machte ihm mehr Spaß, auf einzelne Entkommene gutgezielte Schüsse abzugeben, als blindlings hineinzufeuern in die ganze getriebene Herde. Er hatte Feinschrot geladen.

Ferner und ferner klang schon das Geschrei der Treiber, fast ruhig ward's im dämmernden Wald. Da – ein Sichrühren im dürren Reisig!

Gewehr an die Backe, Finger an den Hahn – knall! Der Rammler schnellt heftig in die Höhe und überschlägt sich dabei. Aus – ein Kopfschuß.

Und da – dort in der Dickung – noch ein zweiter! Jetzt sieht man ihn deutlicher: ein kranker ist's, er schweißt schon stark, sein zerschossener Lauf schleudert auf der Flucht hin und her. Auch der andere Lauf ist verletzt. Jetzt scheint der kranke Hase nur mehr über der Erde zu rutschen – jetzt verschwindet er ganz – rasch, auch ohne genauen Zielpunkt den erlösenden Schuß! Ein Blitz – ein Knall –

He, was ist das?!

Doleschal steht noch immer, das Gewehr an der Backe. Eine Weiberstimme ist laut geworden, gellend hat sie aufgeschrien. Nun ist alles still.

Wer – wo – ist da jemand getroffen? Ein Treiber vielleicht? Ach was! Und doch – doch –

Vor Doleschals Augen flimmerte es. Er stand wie angewurzelt. Da hörte er den Förster Frelikowski laut schelten: » Psia krew, kann sie den Hintersten nicht einziehen, muß sie ihn hinstrecken, wo er nichts zu suchen hat? Dämliches Luder!«

Es war jemand getroffen! Da – ja, da!

Aus seiner Erstarrung auffahrend, stürzte der Schütze hinter die Dickung. Da lag eine Gestalt.

»He, Ciotka! Auf! Psia krew!« Frelikowski zerrte an der Liegenden.

»Ist sie getroffen? Um Gottes willen!«

»Der Herr Baron brauchen sich nicht zu ängstigen, das hat gar nichts zu sagen. Schmeißt Euch nicht hin! Wollt Ihr wohl? He, Ciotka!«

»Ist sie getroffen – habe ich sie getroffen?!«

Doleschal war totenblaß geworden, auf dem durchlöcherten Rock des Weibes sah er Blut.

Beim Klang dieser zitternden Stimme erhob die Getroffene ein lautes Lamento. Eben hatte der Förster sie auf die Füße gebracht, mit einem gewaltigen Plumps ließ sie sich nun wieder niederfallen: nein, sie konnte nicht gehen, sie war tot, mausetot! Furchtbar stieg ihr Heulen in die dämmernde Winterluft.

Der Förster fluchte. Doleschal war zur Ciotka hingekniet – wo, wo war sie denn getroffen? Gefährlich? Seine bebenden Finger befühlten die zerlumpten Röcke, ein Grausen schüttelte ihn: Blut! Reichlicher begannen die Tropfen zu sickern, er hatte das klebrige Naß an den Händen. »Um Himmels willen, rasch zum Doktor! Schicken Sie nach Miasteczko! Zu Doktor Wolinski, schnell!«

»Ach, Herr Baron«, – Frelikowski blieb ganz ruhig – »das ist ja alles nur Anstellerei! Willst du jetzt wohl gleich still sein, alte Vettel?« Er schnauzte sie gewaltig an: »Diebesgesindel! Dem gnädigen Herrn die Hasen stehlen, hinter 'nem angeschossenen dreinlaufen, dem eins ins Genick geben und ihn dann unter den Rock verstecken, das ist so die Manier. Das kommt jetzt davon – seht Ihr wohl?« Er wendete sich drohend zu den Treibern, deren einige herbeigelaufen waren und mit aufgerissenen Augen glotzten. »Daß ihr euch nicht untersteht, auch nur einen einzigen Hasen zu mausen! Nicht ein Löffel kommt mir fort, hört ihr? Diebsbande, ihr!« Und dann fuhr er die Verwundete an: »Halt's Maul jetzt! Der gnädige Herr Baron wird dir ein Trinkgeld geben.«

»Ja, natürlich, ja, ja!« Doleschal fühlte eine ungeheure Erleichterung: wenn das mit Geld gutzumachen wäre! Er zog seine Börse und schüttete sie in des Försters Hand aus: »Geben Sie ihr das, bitte, geben Sie ihr das!«

»Ein Schmerzensgeld! Was Angenehmeres kann der ja gar nicht passieren«, sagte irgend jemand.

Das Geheul der Ciotka hatte auch Schützen herbeigelockt; die standen nun im Kreise herum und zeigten lachende Gesichter. Auch die Treiber, deren immer mehr und mehr geschlichen kamen, grinsten. In ihren Mienen lag sogar Neid: was war denn da weiter? Eine Ladung Schrot ins Dickfleisch, das machte doch nichts! Jeder von ihnen hätte das gern hingenommen, denn der gnädige Herr würde nun zahlen: eine Mark, einen Taler, ein Goldstück vielleicht gar.

Ha, wie die Ciotka sich wälzte, die verstand's! Immer wenn man sie ein wenig aufgerichtet hatte, fiel sie wieder platt hin; ihre Hände krallte sie ins Gebüsch: Au, au, au, sie mußte sterben! Au, au, au, sie war schon tot!

Bei jedem neu erhobenen Schmerzgeheul zuckte der Baron zusammen. Wie war es nur gekommen, wie war es möglich, daß er sie getroffen hatte? Sie mußte hinterm Buschwerk gekrochen sein, auf allen vieren, gegen das Verbot. Aber wenn auch, wie konnte er nur so unvorsichtig sein, so leichtsinnig – es war unverzeihlich! Er stöhnte.

»Aber Hanns-Martin, laß dich doch nicht von der alten Hexe ins Boxhorn jagen!« Das war Paul Kestners fröhliche Stimme. Er stand neben dem Freund und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Meinst du, meinst du wirklich, daß es nicht gefährlich ist?« Doleschal hob sein ganz verstörtes Gesicht. »Ich begreife gar nicht, wie mir das passieren konnte, ich – ich –« Er wischte sich über die Stirn, auf der, trotz der Kälte, Schweiß stand.

Der Rittmeister lachte. »Wie das passieren konnte? Nichts leichter als das! 's wäre doch nicht das erste Mal. Die wollte auch was von der Jagd lukrieren. Ist dem kranken Hasen nachgekrochen – nun hat sie 'ne Ladung Schrot im Gesäß, statt den Hasen in der Tasche. Geschieht dem Volk ganz recht, warum will's mausen. Na, nun laß die Geschichte aber ruhen, komm!«

Er zog eben den Freund von den Knien auf, als der Chwaliborczycer kam. Garczyñski hatte sich, in äußerster Zuvorkommenheit gegen seine Gäste, den entferntesten und ungünstigsten Standpunkt ausgewählt, nun eilte er atemlos herbei.

»Ich bitte Sie, lieber Nachbar, entschuldigen Sie nur! Ich bin außer mir, ich bin ganz empört! Wie kann man solche Treiber einstellen! Es ist unverantwortlich! Nein, nein« – abwehrend hob er die Hände, als der andre etwas sagen wollte – »nein, nein, kein Wort, sehr liebenswürdig von Ihnen, aber es ist meine Schuld!« Er kehrte sich ab, sein Blick suchte den Leiter der Jagd: »Frelikowski!«

In einer Weise, zu der er sich sonst kaum je hinreißen ließ, fuhr er den Förster an: »Habe ich nicht befohlen: nüchterne, zuverlässige Leute?! Wie können Sie sich unterstehen! Sie können gehen – auf der Stelle – Sie können gehen!« Er schrie und stampfte mit dem Fuß.

In dienstlich-unterwürfiger Haltung stand der Förster da, ohne ein Wort, die Blicke niedergeschlagen auf die Ehrenzeichen seiner Brust.

Doleschal ließ sich von Paul Kestner fortführen. Die Jagd war sowieso zu Ende, es wurde rasch ganz dunkel.

Munter schwatzte der Rittmeister: Gott sei Dank, daß man bald was zu essen kriegte, seit der ersten Streife hatte man nichts über die Lippen gebracht, nur mal ab und zu einen Schluck aus der Jagdflasche! Das Diner würde famos munden. Und Garczyñski hatte gute Weine. Und Frau Jadwiga würde alle Minen springen lassen.

»Auf dich hat sie's ja besonders abgesehen«, sagte er vertraulich und puffte den Freund leicht in die Seite. »Donnerwetter, wird die 'ne Toilette gemacht haben – ich möchte sie nicht bezahlen! Na, Garczyñski wird sich auch Zeit damit lassen. Weißt du, die kleine Stasia hat mir's verraten – allerliebste Person, ich habe sie Sonntag ein Stückchen auf dem Wagen mitgenommen, als sie aus der Predigt kam – nimm du dich in acht vor der Garczyñska, alter Junge! So'ne unverstandene Frau geht gleich aufs Ganze.«

»Keine Sorge!« Ein geringschätziges Lächeln zog für einen Augenblick über das vornehme Gesicht.

»Du bist heute ja in scheußlicher Stimmung«, sagte der Rittmeister, »warum denn? Wegen der alten Weibsperson? Ah bah, davon wirst du dir doch nicht gleich die Laune verderben lassen!« – – –

»Nebbich, die Ciotka!« hatte Löb Scheftel gerufen und die Hände hoch erhoben, als er – er konnte seine Neugier in der Entfernung nicht länger bezähmen – herbeigeeilt war.

Nun luden sie ihm die Last auf sein Wägelchen.

Von der Seite schielend sah Isidor zu: da packten sie seinem Alten die ›Schickre‹ auf statt der erhofften Hasen. Hatte er nicht recht, nach Berlin zu ziehen? Das Geschäft war recht mies!

Löb Scheftel hatte nicht den Mut, zu opponieren: was ging ihn eigentlich die Ciotka an, hatte er sie geschossen? Aber freilich, da waren nur lauter herrschaftliche Wagen, und, Gott soll hüten, es ging doch nicht an, daß die wurden mit dem Blut besudelt!

So schickte er sich ergeben drein und half den vier Mann, die jetzt vom Schreck und Schreien Schwachgewordene aufs Wägelchen zu schroten. Die Decke, die er mitgenommen hatte, die Hasen zu bedecken, gab er her, um sie ihr noch überzuspreiten.

Huh, war das kalt! Die Zähne klapperten ihm. Er hatte schon einen halben Tag auf die Hasen gewartet und noch nichts Warmes im Magen.

»Ihr fahrt sie nach Pociecha«, hatte der Förster Frelikowski gesagt, »Ihr wißt, wo sie wohnt. Und dann holt Ihr den Doktor – dalli, dalli!«

Nun rasselten sie hin auf eiliger Fahrt; hin und her gerüttelt jammerte die Ciotka bei jedem Stoß.

»Nebbich, die Ciotka«, sagte Löb Scheftel wieder. Und dann: »Was meinste, Isidor, wird der Herr Baron dran denken, mer zu zahlen de Fuhre?«

»Mer hofft doch«, sprach Isidor mit undurchdringlicher Miene.

»Nu –«, der Alte zuckte die Achseln, »wenn er auch nich wird dran denken, mer zu zahlen de Fuhre, wer' ich drum doch nich machen e langes Geseire. En braver Mann, en aufgeklärter Mann! Un vielleicht, daß er mer nu wird lassen 's nächste Kalb billiger.«


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