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Siehst du nicht, mein Bruder?

Siehst du nicht, mein Bruder? Kaum daß dein Streit beigelegt ist, so wird er von neuem entfacht. Du erbettelst, erborgst und stiehlst den Frieden. Doch dem Bettler, dem Borger oder dem Dieb wird kein Friede zuteil. Friede kommt nur durchs Gesetz. Du paktierst. Du gehst einen Vergleich ein. Du gibst nach, um mehr zu erlangen. Du gehst fröhlich zu Bett. Der Sternenhimmel ist vollkommen ruhig. Aber die Sonne am Morgen bringt neue Verwicklungen. Warum ist dein Friede niemals Friede? Warum bleibt es nie beim Vergleich? Du jagst immer phantastischen Hoffnungen nach. Was du erwartest, trifft nie ein. Es konnte nie eintreffen. Du appellierst an den falschen Gerichtshof. Du meinst, du könntest aufs Geratewohl der Gerechtigkeit zustreben. Du könntest das Gesetz umgehen und dich auf den Zufall verlassen. Du hast gesehen, was der Zufall vermag. Er wirkt zerstörend. Er kann deinen Sturz nicht aufhalten. Das Gesetz ist deine Stütze.

Seht ihr nicht, liebe Brüder? Eure Herren fürchten das Gesetz. Nicht aber den Zufall. Die Zufälligkeiten sind nur Wasser auf ihre Mühle. Geld in ihre Taschen. Sie vertrauen sich gerne dem Zufall an, aber nicht dem Gesetz. Mit dem Zufall werden sie fertig. Das Gesetz aber bringen sie nicht zu Fall. Jedesmal, wenn ihr es auf den Zufall ankommen laßt, spielt ihr ihnen in die Hände. Das Glücksspiel ist ein Spiel, das sie lieben. Und es ist ein Spiel, das ihr immer verliert. Das Gesetz aber spielt ehrlich mit euch. Das wirtschaftliche Gesetz. Das Gesetz des Gehirns und des Herzens. Es spielt um guten Gewinn, um die Gerechtigkeit.

Liebe Brüder, ihr ließt es auf den Zufall ankommen und habt verloren. Jedesmal. Verloren. Das heute geltende Gesetzbuch kennt keinen Zufall. Nur Gesetze. Wenn ihr aufs Geratewohl dagegen ankämpft, so findet ihr es unverwundbar. Nach euren heftigsten Angriffen ist es unverletzt. Wie kann es zerstört werden? Durchs Gesetz. Durch ein Gesetz, größer als jenes. Ein konsequentes Gesetz ohne Zufall oder Geratewohl. Hinter ihrem Gesetz geborgen können die herrschenden kommerziellen Klassen euch trotzen. Euch trotzen. Das heißt, solange ihr daher kommt mit euren Heeren von Möglich und Vielleicht. Ihr beginnt zu sehen, daß etwas nicht in der Ordnung ist. Nach jeder Niederlage seid ihr den Ursachen eurer Mißerfolge näher gerückt. Eure zersprengte Armee zieht sich zurück und besinnt sich auf sich selbst. Wofür habt ihr gekämpft? Eure Möglich und Vielleicht schlafen den Schlaf der Niederlage und Verzweiflung. Werdet ihr je siegen? Nicht, wenn ihr an eurem System festhaltet. Nicht, solange ihr eure Armee des Zufalls gegen ihre Armee des festumwallten Gesetzes führt. Gegen Gesetze müßt ihr Gesetze mobil machen. Ihr müßt selbst das Gesetz erlernen. Das bessere Gesetz. Das triumphierende Gesetz. Und wenn ihr mit den Heeren jenes Gesetzes des modernen Geistes gegen die Festung eines mittelalterlichen Systems anstürmt, dann werdet ihr siegen. Ja, ihr werdet die Jünger und Sendboten des alten Regimes in die Flucht schlagen. Dann. Erst dann.

Glaubt nicht, liebe Brüder, daß irgendwo, zu irgend einer Zeit, jemand das Dogma erfunden hätte, gegen das ihr ankämpft. Es ist gesetzmäßig entstanden. Durch ein Gesetz wird es wieder zerstört. Eure Gewerkschaft ist der Zufall. Euer Streik das Geratewohl. Das Besitzrecht ist das Gesetz. Für das Gesetz müßt ihr euch erklären. Opfert alles für das Gesetz. Denn das Gesetz wird euch alles in die Hand geben. Der Zufall aber wird euch nichts in die Hand geben. Er gibt her, was er muß. Was ihr stark genug seid zu nehmen. Weiter nichts. Ihr geht zu euren Herren, um euch mit ihnen über den Zufall auseinanderzusetzen. Sie lächeln. Sie lassen es gerne darauf ankommen. Und ihr schlagt euch selbst ins Gesicht. Zufall heißt Not. Niedere Löhne. Aussperrung. Klassenkampf. Vornehm und gering. Adel und Volk. Gesetz bedeutet einen vollen Magen; noch besser, ein volles Herz. Das Gesetz sorgt für alle. Es ist universal. Der Zufall führt immer von Instanz zu Instanz. Und währenddessen zahlt ihr alle Unkosten. Ihr arbeitet, nicht nur um eure Kosten am Rechtsstreit zu zahlen, sondern auch die der Gegenpartei. Der Zufall ist teuer. Das Gesetz ist billig. Der Zufall braucht Sophistereien zu seiner Unterstützung. Das Gesetz vermag für sich selber zu sprechen. Lange genug habt ihr Illusion auf Illusion ausgesandt. Aber eure Boten kehren nicht wieder. Die Gefahren des Unternehmens sind zu groß. Eure Boten werden vom Abgrund verschlungen.

Liebe Brüder, denkt an den Einsatz, den ihr gewagt habt. Was habt ihr dafür aufzuweisen? Leib und Seele habt ihr eingesetzt. Eure Weiber und Kinder. Die Prostitution. Das Gefängnis. Was habt ihr davon? Ihr könnt diesen Samen immer von neuem aussäen. Die Frucht bleibt dieselbe. Ihr haltet euch stets auf mit Notbehelfen. Wann werdet ihr zu Entscheidungen fortschreiten? Soviel Pacht ist recht, und soviel ist unrecht. Soviel Zins ist recht, und soviel ist unrecht. Soviel Profit ist recht, und soviel ist unrecht. Nun. So drescht ihr eure Probleme aus. Ihr bekommt Pacht, Zins und Profit so wie es euch recht ist. Doch habt ihr Gerechtigkeit erlangt? Ihr habt euer Spiel gehabt. Und nun starrt ihr verblüfft die Nichtigkeit eures Erfolges an. Es handelt sich beim Zins nicht um Recht oder Unrecht. Es handelt sich um den Zins an und für sich. Eure Sorgen werden erst kleiner, wenn eure Pacht herabgesetzt wird. Eure Sorgen verschwinden erst dann, wenn eure Pacht verschwindet. Recht oder Unrecht beim Zins sind Zufall. Kein Zins ist das Gesetz. Eigentum ist das Gesetz. Privateigentum Zufall. Besitzrecht ist das Gesetz. Privatbesitzrecht Zufall. Solange ihr ein Privatrecht gegen das andere einsetzt, spielt ihr Hasard. Wenn ihr aber das private Recht durch das allgemeine beweist, befindet ihr euch im Bereich des Gesetzes. Seht ihr nicht, liebe Brüder?

Liebe Brüder, ihr bleibt an der Außenseite der Dinge haften. Ihr spekuliert mit den Überschüssen. Ihr spielt mit den Fransen des Gewandes, aber das Gewand selbst berührt ihr nicht. Ihr verlaßt euch so viel auf den Zufall, so wenig auf das Gesetz. Ihr denkt, ihr werdet euch den Unterdrücker halb vom Halse schütteln. Wenn er einen Fuß auf dem Boden habe, sei die halbe Last weg. Eine halbe Last ist besser als eine ganze. Aber solange er sich festhält, seid ihr sein Opfer. Der Zufall sagt, daß es nicht recht sei, wenn der Unterdrücker euch ganz am Halse hänge. Das Gesetz sagt, es sei unrecht, wenn er euch überhaupt am Halse hänge. Und solange ihr nur an den Zufall appelliert, werdet ihr einen Teil der Last schleppen müssen. Das Gesetz allein bringt euch Erlösung. Zufall ist Krieg. Gesetz Friede. Wo auch immer das Gesetz gegen den Zufall auftritt, wird der Zufall geschlagen. Deswegen sage ich immer zu euch: Zitiert das Gesetz. Der Zufall ist immer zu einem Teil gegen euch. Das Gesetz ist stets auf eurer Seite. Ihr habt das letzte Spiel des Zufalls gespielt. Noch seid ihr Sklaven. Spielt jetzt das Spiel des Gesetzes. Das Gesetz wird euch in die Hände spielen. Seht ihr nicht, liebe Brüder?


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