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Der Richter vor Gericht.

Es ist nicht mehr Gott. Es ist Gerichtsbeschluß. Die Luft ist voll von Vorschriften. Einfache und komplizierte Vorschriften; einsilbige und vielsilbige. Wenn du etwas tun willst, wird es dir verboten. Wenn du es nicht tun willst, wirst du angeklagt. Der Hut, den du aufsetzt, ist verboten. Die Liebe in deinem Herzen ist verboten. Die Gedanken in deinem Kopf sind verboten. Die Demokratie hat Gesetzesvorschriften Platz gemacht. Selbst die Religion weicht davor zurück. So dicht ist die Wolke der Blutsauger. So dicht ist der Schwarm. So dicht.

Die Gerichtshöfe finden nun Arbeit. Wir hatten uns schon lange gefragt, warum wir die Gerichte nicht abschaffen sollten. Aber wenn wir keine Gerichte hätten, wer würde dann Vorschriften erlassen? Wir könnten gut auskommen, ohne die Menschen wegen Mord und Diebstahl zu bestrafen. Aber wir kämen nicht aus, ohne den Menschen das Streben nach Freiheit zu verbieten. Die Gerichte retten uns vor uns selbst. Uns selbst überlassen, könnten wir die Gerechtigkeit zu schnell bekommen. So unterwerfen wir unsere Seele den Gerichten. Die Gerichte sagen: Geht langsam, sehr langsam. Sie sagen: Geht überhaupt nicht. Denn die Freiheit scheint nicht so unerreichbar weit. Und wir scheinen in gefährlicher Nähe ihres Schutzes zu sein. Die Freiheit wäre gewissen Leuten sehr verhängnisvoll. Den Gewissen mit dem Etwas, das ihnen nicht gehört. So dürfen wir nicht in die Rufweite der Freiheit kommen. So rufen wir die Gerichte an: Rettet uns vor uns selbst. Und die Gerichte retten uns. Sie verbieten.

Ich sah einen Menschen, der sich selbst liebte. Ich riet ihm, daß er sich nicht selbst lieben sollte. Und so gab er sich selbst beizeiten auf. Ich sah einen Menschen, der liebte sein Weib. Ja, sein Weib und seine Kinder. Ja, seine Familie und viele Familien. Ja, alle Familien. Dieser Mensch war sicherlich wahnsinnig. Die Liebe konnte ja jeden wahnsinnig machen. Je wahrer seine Liebe, um so verrückter der Mensch. Und Wahnsinn ist dem Gelde gefährlich; besonders gestohlenem Geld. Diese Welt ist nicht für die Liebe. Es ist eine Welt für das Geld. So gebietet das Gericht Einhalt. Mein Verrückter wird vorgeladen. Er erhält einen Verweis für seine Liebe. Für Götter, Engel, Kinder und Irrsinnige ist die Liebe recht. Für den Menschen ist nichts von Wert außer dem Geld. Das Geld macht in der Tat den Menschen. So wird denn der Gerichtsbeschluß verkündigt. Die Liebe schleicht sich schamrot in die Kinderstube zurück. Der Gerichtshof ist glücklich. Er hat wieder einmal die Menschheit gerettet.

Doch die Menschheit läßt sich nur retten, um wieder zu fallen. Kaum haben die Erlöser ihr Erlösungsgeschäft beendigt, da nehmen die Teufel der Zersetzung die Arbeit wieder auf. Wenn die Gerichte einen gesetzlichen Frieden zusammengeflickt haben, zerreißt eine gesetzlose Unterströmung wieder den schlechtgefügten Damm. Die Gerichte können ihre Sache nie abschließen. Sie pfuschen daran herum. Sie führen sie bis zu einem Punkt, wohin sie meinen, daß sie gehöre. Dann stürzt das Dach ein oder geben die Grundmauern nach. Dann fegt ein Cyklon über das Land. Dann wird giftiges Fleisch geliefert. Etwas, irgend etwas kommt zum Vorschein, das die bestangelegten Pläne des Gerichtshofes stört. Doch fährt er fort, Vorschriften ergehen zu lassen. Du findest ein Verbot unter deinem Kopfkissen. Du findest ein Verbot auf deinem Teller beim Frühstück. Die großen Zeitungen sind mit Verboten überschrieben. Die Verbote verdunkeln die Sonne. Wir beten nicht mehr. Wir leben von Vorschriften.

Wer zuletzt Vorschriften macht, hat den Vorteil. Was könnt ihr anfangen, wenn eure Vorschriften nicht befolgt werden? Wenn man sich nicht mehr darum kümmert? Wenn man ihnen ins Gesicht lacht? Das Volk wird händelsüchtig. Es lacht euren Niagara aus. Es droht, euren Wasserschwall über den Kamm der Klippe zurückzuschleudern. Der Richter soll nur verbieten. Aber das Volk läßt es sich vielleicht nicht mehr gefallen. Mögen sich die Gerichte ein bißchen Spaß machen und sich ihrer untergehenden Vorrechte freuen. Bald wird sich der Tag neigen. Warum sollte das Kapital zum Abschluß seiner räuberischen Wirtschaftsgeschichte sich kein Vergnügen gestatten? Gerichtsbeschlüsse sind seine letzte Zuflucht. Der letzte Schlag eines sterbenden Bösewichtes. Das letzte Aufflackern einer erlöschenden Flamme. Warum dem Kapital die süße Frist, die ihm Gerichtsbeschlüsse gewähren, mißgönnen? Tretet zur Seite. Gebt ihm Luft zum Atmen. Sein Schicksal ist besiegelt. Gerichtsbeschluß ist der Hauch seines entfliehenden Lebens. Seid großmütig. Laßt es nach seiner Weise sterben. Laßt es seine letzten Verfügungen treffen.

Denn nun kommt der Richter vor Gericht. Das Volk hat sich erhoben. Die Gerichte sind vertagt bis zum Gericht. Der Gerichtshof ist das Volk. Das Volk erläßt Verbote. Zehntausend Verbote werden durch eines erledigt. Ihr habt immer gemeint, es gebe nichts Höheres als die Gerichte. Die Gerichte seien die letzte Instanz. Aber das Volk ist über die Gerichte emporgewachsen. Bei uns allein liegt die letzte Entscheidung, sagt das Volk. Gerichtsbeschlüsse erscheinen wohl logisch, solange das Volk schläft. Aber wenn es erwacht, so schwinden sie in Nichts. Nichts ist logisch außer dem Volk. Die Gerichte haben geglaubt, daß sie ohne das Volk auskommen könnten. Das Volk aber hat bewiesen, daß es ohne Gerichte auskommen kann. Es hat zehn- oder tausendmal mehr als genug Vorschriften gegeben. Das Volk hat solche Narrheit eine Weile über sich ergehen lassen. Das Volk ist langsam. Es versucht alle Mittel, ehe es das letzte anwendet. Jetzt steht der Gerichtsbeschluß vor Gericht. Welches sind eure besten Gerichte? Die Schlechtesten unter dem Volk sind ihrem Wesen nach besser als eure besten Gerichte. Die Gerichte verraten das Volk. Sie schieben sich wie ein Damm zwischen Gerechtigkeit und Volk. Das Volk wird die Gerichte ihrer Würde entkleiden. Die Gerichte stehen im Weg. Sie müssen fort. Das politische Gericht muß sterben wie der politische Staat. Es hat sich seiner Aufgabe nicht gewachsen gezeigt. Die Gerichte heben die Demokratie auf. Aber das Volk hebt die Gerichte auf. Der Richter steht vor Gericht. Das Volk, das seine Vorschriften zuletzt gibt, trifft die beste Entscheidung.

Es ist nicht mehr Gerichtsbeschluß. Es ist das Volk.


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