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Schwöre, daß du laut rufen willst.

Schwöre! Das ist es, was ich dir sage! Schwöre! Sage nicht Ja und Nein. Mache nicht hier und dort Zugeständnisse. Gib nicht zu, daß deine Sache wahr und falsch sei. Bestehe auf deiner Sache. Gestehe ihre Fehler. Doch beharre bei ihr. Das Fehlerhafte braucht nicht falsch zu sein. Entschuldige dich nicht wegen deiner Fehlgriffe. Schäme dich nicht wegen deiner Irrtümer. Laß dich's nicht kümmern, wenn du dich getäuscht hast. Alles andere kannst du im Stich lassen. Dir selbst sollst du treu sein. Schwöre, daß du dir treu bleibst. Schwöre! Du hast Feinde, wohin du auch blickst. Man führt dich in Versuchung. Man bezahlt dich, damit du dich fügest. Die konventionelle Welt bietet dir ihren Luxus, dich zu bestechen. Die Welt bietet dir Komfort und Stellung. Willst du Komfort und Stellung? Oder willst du dich selbst? Schwöre, daß du dich selbst willst. Daß du deine Idee willst. Daß Komfort und Luxus sehr schön sind. Aber daß etwas anderes, weniger Komfortables und Luxuriöses, besser ist.

Schwöre! Rede dir nicht ein, daß du, schlecht oder recht, derselbe Mensch seist. Bürde dir nicht das Gewissen anderer auf. Sorge für dein eignes Gewissen. Freilich, das ist eine schwere Aufgabe. Es ist die schwerste Aufgabe, die es gibt. Nur bei deiner Idee zu beharren. Beharren durch den Schmutz und Schimpf des Alltags. Beharren, nachdem jedermann zu Bett ist. Beharren, ehe jemand auf ist am Morgen. Es ist eine harte Arbeit. Es kostet einen Menschen viel Mühe, hinunterzugraben bis zu den eigenen Wurzeln. Ein anderes Mittel, dorthin zu gelangen, gibt es nicht. Und dorthin gelangen, heißt leben. Oder wenigstens, es versuchen, so weit zu gelangen. Den Versuch aber nicht machen, heißt sterben. Schwöre! Schwöre, daß du mit dir selbst eins werden willst. Schwöre, daß, was auch geschehen mag, dich deinen Genossen zu entfremden, nichts geschehen kann, dich dir selbst zu entfremden. Schwöre, daß du dein ungeschriebenes Ideal nicht den neununddreißig Artikeln eines verknöcherten gesellschaftlichen Dogmas unterwerfen willst. Schwöre, daß nichts dich dazu bestimmen wird, die blassen Gesichter der überarbeiteten Männer, Frauen und Kinder zu übersehen. Schwöre, daß du laut nach Gerechtigkeit rufen willst. Nicht nach einem Stück Gerechtigkeit. Nicht nach Gerechtigkeit für heute und irgend etwas anderem für morgen. Nicht nach der Gerechtigkeit eines beliebigen andern. Sondern nach der Gerechtigkeit deiner eigenen besten Träume. Schwöre! Schwöre! Schwöre!

Ich bin die Halbheiten satt. Ich bin das Herumprobieren satt. Ich bin die Kompromißleute und Mitläufer und Diplomaten satt. Ich habe es mit allem versucht. Nichts davon hat sich bewährt. Ich bin zu Bett gegangen, bekümmert über all die Enttäuschung. Ich bin mit demselben Kummer am nächsten Tag wieder aufgestanden. Jetzt schwöre ich, daß ich meinen Glauben auf eine festere Tonart stimmen werde. Ich will nicht rechts oder links schauen. Geradeaus will ich schauen und will ich leben. Ich schwöre, daß ich nichts anderes sehen will, bis ich dies gesehen habe. Ich schwöre, daß alles andere nutzlos ist, bis dies nutzbar gemacht ist. Ich habe mit Nichtigem getändelt. Ich habe meine Seele warten lassen. Ich habe den Reichtum ins Vertrauen gezogen. Ich habe hoher Stellung Ehre erwiesen. Ich habe den Arbeitgeber beim Wort genommen. Jetzt schwöre ich, daß ich vom Reichtum und den Diensten des Reichtums nichts wissen will. Und den Arbeitgeber und die Tyrannei will ich nicht mehr beim Wort nehmen. Nur den freien Menschen und die Freiheit will ich beim Wort nehmen. Lieber als ein halb-treuer Freund ist mir ein ganz-hassender Feind. Lieber als eine gute Idee mit halbem Herzen will ich eine schlechte Idee mit dem ganzen Herzen umfassen. Es wäre mir lieber, das Kapital hätte ganz recht und die Arbeiterschaft ganz unrecht, als daß die Arbeiterschaft um des Friedens willen sich mit halbem Anspruch begnügte. Ich hätte lieber eine Welt voll ehrlicher Tyrannen, als eine Welt voll ehrloser Hofschranzen. Die Stärke hätte ich lieber als die Schwäche, auch wenn die Stärke ganz im Lager des Gegners stünde. Ich will all meine schwachen Freunde abschütteln. Ich will all die Schwäche in mir selbst abschütteln. Ich will wissen, worauf ich mich verlassen kann in mir und in dir. Ich hätte lieber dich vereinzelt, ich hätte lieber mich selbst vereinzelt und dich und mich in der Vereinzelung fest, als dich und mich mit einer ganzen Masse durch lähmenden Kompromiß verweichlicht.

Schwöre! Schau nicht nach den Sternen im Himmel. Schau in dich selbst. Halte dich nicht dabei auf, nach Signalen Ausschau zu halten. Du kannst dir selbst Signal sein. Dein kärglicher Lohn ist ein Signal. Dein Weib im Sklavendienst ans Haus gefesselt. Deine Kinder, deren Jugend an den Türschwellen der Fabriken hinsiecht. Dies können deine Signale sein. Die Kinder des verworfenen Proletariats. Die Kinder, deren Zukunft Krankheiten anheimfällt. Die Kinder, die im städtischen Elend der Gossen und Gassen kommen und gehen. Die können deine Signale sein. Die Armenquartiere der Großstadt. Rußbeschmutzte Hüttenwerke. Das Zufrüh des Morgenarbeiters. Das Zuspät des Nachtarbeiters. Das kann dir Signal sein. Mögen Stürme kommen, Regengüsse, furchtbar drohende Windstöße: Deine Signale bleiben aufrecht. Sie wurzeln fest und ragen hoch in deinem Herzen. Andre Signale versagen. Diese bleiben. Die Ungerechtigkeit ist ein Signal. Verräterei ist ein Signal. Jedes üppige Fest, jeder leere Tisch ist ein Signal. Jeder Sonnenuntergang und jeder Sonnenaufgang ist ein Signal. Mag die Welt sich ihre Hoffnungen selbst trüben. Magst du mit deinen eigenen Idealen spielen: solange deine Seele gesund bleibt, sind die Signale gesichert. Die geweihten Signale: heiliger als die Heilige Schrift, christlicher als die Christusse. Unsterbliche Signale. Signale, die Träume wahrmachen im Leben und in den Träumen das Leben.

Schwöre! Du hast oft genug nachgegeben. Lange genug hast du den Glauben andrer geglaubt. Jetzt fordere ich dich auf, deinen eignen Glauben zu glauben. Jetzt fordere ich dich auf, alles an die Hauptsache zu wagen. Allzuleicht hast du dich irre führen lassen. Weil es mit kleinen Dingen schlecht gegangen ist, hast du zugegeben, daß es mit der großen Sache nicht gut gehen könne. Weil der Feind viel Lärm machen konnte, hast du geschwiegen. Jetzt fordere ich dich zum Sprechen heraus. Sprich laut. Sprich nicht nur für die, die hören wollen, sondern für die, die nicht hören wollen. Gib nicht alle Anfangs- und Schlußworte aus. Behalte sie für dich. Besonders die Schlußworte. Sage nicht Ja, weil es einem Toten oder einem noch Ungeborenen weh tun könnte, wenn du Nein sagst. Versuche nicht, nett zu sein. Versuche, wahr zu sein. Letzten Endes wird dir niemand für Schmeicheleien Dank wissen. Jedermann wird dir schließlich für die Wahrheit Dank wissen. Wir wollen den Gegner warnen. Vom heutigen Tage an machen wir keine Zugeständnisse mehr. Vom heutigen Tage an wollen wir kein Kapitel der Geschichte verbergen, zurückhalten, überschlagen oder ausmerzen. Alles soll gesagt werden. Und in Worten, die nicht schmeicheln. In Worten, die treffen und beißen. Die Aufgabe ist zu groß und zu heilig, als daß sie in der abgestandenen Etikette der Höfe vertändelt werden dürfte. Wir wollen diesen Kampf auf gleichem Boden auskämpfen. Es darf kein Oben oder Unten, kein Rechts oder Links mehr geben. Wir wollen auf dem gemeinsamen Wege verharren. Unser Kampf ist der Kampf für den gemeinsamen Weg. Schwöre!


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