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Wenn Gerechtigkeit unmöglich ist.

Unmöglich? Warum ist sie unmöglich? Warum müßt ihr euch ohne Kampf unterwerfen? Ihr habt gekämpft? Ja. Aber ihr habt nicht genug gekämpft. Wollt ihr behaupten, daß die großen Vermögen euch einschüchtern? Sie sollten euch nicht einschüchtern, sondern anspornen. Was ist der Seele unmöglich? Scheint Morgan Pierpont Morgan, der Urheber des Schiffahrtstrustes; er hat in den letzten Jahren ungeheure Summen für die Erwerbung von Kunstwerken ausgegeben. der Seele zu groß? Der Seele ist nichts zu groß. Die kleinste Seele muß das größte Vermögen an Macht und Größe übertreffen. Nun, kommt. Ich weiß, daß ihr für andere Lasten tragt. Ich weiß, daß man euch ausbeutet und verachtet. Aber eure Seele habt ihr noch. Und die Seele ist unveränderlich und unverletzbar. Ich weiß, daß die ganze Beute Rockefellers die Zivilisation nicht retten kann. Aber ich weiß auch, daß eure Seele die Zivilisation retten kann. Ich appelliere an eure Seele.

Unmöglich? War eure Mutter unmöglich? Wenn Gerechtigkeit unmöglich ist, wie kam es, daß ihr möglich wart? Wollt ihr behaupten, daß euch die Waffen entfallen, wenn Parry spricht? Wollt ihr behaupten, daß eure Pulse stocken, wenn Carnegie eine Bibliothek stiftet? Wollt ihr behaupten, daß das Antlitz eures Ideales sich trübe, wenn Morgan ein Gemälde kauft? Wollt ihr behaupten, daß ihr den Bankrott erklären müßt, wenn Rockefeller Rockefeller ist eifriger Kirchenmann. Sein Sohn gibt oder gab wenigstens vor einigen Jahren Sonntagsschul-Unterricht. Bei der Erklärung der Geschichte vom Reichen Jüngling soll er in Verlegenheit gekommen sein. L. über Religion spricht? Was meint ihr eigentlich, wenn ihr vom Unmöglichen sprecht? Einem Menschen, der Gerechtigkeit in seinem Herzen hat, ist alles möglich. Die anmaßenden Privatvermögen sind nur möglich geworden, weil ihr unfruchtbar seid. Sobald ihr aber Früchte bringt, werden die verwirrenden Nebel zergehen. Die Pfründeninhaber zittern. Sie existieren auf Grund eures Ja. Sagt ihr Nein, so müssen sie verzichten. Euer Wille war ihr Weg. Euer Wille wird euer eigener Weg. Er hat zu eurem Schaden mit dem Unmöglichen gespielt. Laßt das Unmögliche im Willen der Menschen zum Möglichen werden. Dann wird von keinem Vermögen mehr Gefahr drohen. Dann wird kein Vermögen mehr auf den Vorteil der Kasten eingeschworen sein. Das Unmögliche zerstört. Das Mögliche erhält.

Unmöglich? Was ist möglich, wenn dies unmöglich ist? Was geht euch überhaupt das Unmögliche an? Ihr habt es nur mit dem Möglichen zu tun. Ihr seid es euch schuldig anzunehmen, daß alles und jedes möglich ist. Ist das Leben möglich? Nun gut. Gerechtigkeit ist möglich. Denn Gerechtigkeit ist Leben. Gerechtigkeit ist Unsterblichkeit. Wollt ihr zu Kreuz kriechen? Wollt ihr zugeben, daß Diebstahl möglich und Ehrlichkeit unmöglich sei? Wollt ihr euch auf Herz und Seele zurückziehen und euch die Anmaßung des Ausbeuters gefallen lassen? Ihr habt Seele genug, von Gerechtigkeit zu träumen. Habt ihr nicht Seele genug, in Gerechtigkeit zu leben? Wenn die holden Träume der Menschen zu dem einen Traum der Menschheit werden, was wird dann aus dem Unmöglichen? Ihr gebt zu, daß Ungerechtigkeit unmöglich ist. Aber ihr sagt, Gerechtigkeit sei unmöglich. Wollt ihr behaupten, daß Krankheit möglich sei, und Gesundheit unmöglich? Ihr gebt zu, daß Eigentum für den einzelnen möglich ist. Aber ihr sagt, Eigentum für alle sei unmöglich. Wollt ihr behaupten, eine Sonnenfinsternis sei möglich, und die Sonne unmöglich? Ihr gebt zu, daß es möglich ist, als Egoist zu leben. Aber ihr sagt, als Altruist zu leben sei unmöglich. Wollt ihr behaupten, das Laub des Baumes sei möglich, und die Wurzel des Baumes unmöglich?

Unmöglich? Vor der Gewerkschaft war die Gewerkschaft unmöglich. Und nun, da ihr die Gewerkschaft habt, ist das unmöglich, was nach der Gewerkschaft kommt? Warum wollt ihr behaupten, der Morgen sei unmöglich, weil die Nacht ruht? Warum wollt ihr euren Feind als möglich feiern und euch selbst als unmöglich hintansetzen? Unmöglich heißt Tod, Möglich Auferstehung. Unmöglich erzeugt keine Muskeln. Unmöglich deckt keinen Tisch, bereitet kein Lager, erzielt keine Kinder. Unmöglich ist Lästerung, Möglich Andacht.

Unmöglich? Stellt ihr das Unmögliche als Gott auf? Entfernt ihr das Gravitationsgesetz aus seinem Thron im Weltall und setzt das Unmöglich an seine Statt? Sagt ihr vom Geborenwerden: Wir wollen keine Geburt mehr, wir wollen das Unmögliche? Fühlt ihr euch dem Möglichen fremd und dem Unmöglichen vertraut? Tut das Harte, das Angenehme, das Nötige, was es auch sein mag; das Unmögliche. Die Welt sagt immer: Unmöglich. Doch warum solltet ihr euch von der Welt das Stichwort geben lassen und sagen: Unmöglich? Wir schränken das Gebiet des Unmöglichen ein. Jedes Jahr überraschen wir die protestierende Welt mit neuen Eroberungen. Wir erforschen das Unerforschliche. Wir schauen weiter als das Teleskop. Wir sehen schärfer als das schärfste Mikroskop. Wir revidieren die Gesetzbücher. Das Mögliche pocht wieder und wieder an das Tor des Unmöglichen und läßt sich nicht abweisen.

Unmöglich? Glaubt es nicht. Dieselbe Kraft, die das Privateigentum möglich macht, wird etwas Besseres als Privateigentum möglich machen. Auf dasselbe Gesetz, worauf sich die Ungerechtigkeit stützt, werden wir uns berufen. Es wird nicht richtig entscheiden, bis wir es richtig anwenden. Wenn wir es aber richtig anwenden, kann nichts die Inkraftsetzung seiner Entscheidungen verhindern. Ihr könnt weiterarbeiten, während man euch bedient. Ihr könnt weiterarbeiten, während man euch ausbeutet. Aber ihr werdet weiterhoffen, weiterglauben, während ihr arbeitet. Und ihr werdet sehen, daß dem Menschen, der arbeitet, nichts unmöglich ist. Das Unmögliche ist gegen die Gleichheit. Das Unmögliche zerbricht die Saiten eurer Harfe. Das Unmögliche zerreißt und flickt wieder eure unbeständigen Tugenden. Unmöglich heißt Hölle, Möglich Himmel. Unmöglich ist fruchtlos, Möglich fruchtbar. Das Unmögliche läßt euch darben und umkommen. Das Mögliche gibt euch stets neue Kraft.

Unmöglich? Wir müssen dem Weltall gerade ins Angesicht schauen und das ganze Weltall möglich finden. Denn wenn im Weltall Gerechtigkeit unmöglich ist, wie könnt ihr des Weltalls sicher sein? Ihr wollt zum Volk über sein Wohl und Wehe sprechen. Aber wie könnt ihr zum Volk vom Unmöglichen sprechen? Ihr, die ihr zum Volk vom Unmöglichen redet, könntet dem Volke ebensogut sagen, das Weltall sei tot und habe in seinem Testament das Volk übergangen.


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