Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Zehntes Kapitel.

Abdallah war auf seinen Sitz zurückgesunken. – Alles war still um ihn her, er schlug die Augen wieder auf.

Der runde Mond sahe durch die purpurnen Vorhänge der Fenster, die Stunde der Mitternacht ward ausgerufen. – Alle Lichter im Saale waren erloschen, nur ein einziges brannte in der Ferne noch matt und blau und zuckte sterbend und flimmernd auf und nieder. – Itzt erlosch es und ein kleiner Strahl von Dampf zog sich aufwärts und verflog in der Dämmerung. –

Nun bin ich allein, sagte Abdallah leise, – nun ihr Schauder, nun werft euch alle auf einmal über mich! – Ihr Flüche Selims, kommt heran, itzt habt ihr Zeit, mich zu zermalmen. – O sie sind schon gräßlich in Erfüllung gegangen, ich habe alles erduldet und überlebe die fürchterliche Zerstörung. – Die Schauder mögen sich itzt an mir versuchen, ich spiele vertraulich mit ihnen, die Gräßlichkeit ist meine Braut geworden, ich erschrecke nicht mehr vor ihr. –

Allem Entsetzen Preis gegeben, will ich itzt selbst einen kühnen Schritt meinem Feind entgegensetzen. Hier unten finde ich kein neues Grausen mehr, ich will nun durch unbekannte Gefilde wandeln und dort meine Freunde suchen. –

Er suchte nach seinem Dolch auf den Polster umher, als seine Hände plötzlich das kalte Gesicht eines Leichnams fühlten. – Eine Leiche ist mein Bett! rief er und taumelte bebend auf. – Der Mond schien auf das weiße Antlitz, aufgeschwollen, mit weit hervorstarrenden Augen 242 und verzerrten Zügen lag der Leichnam seines Vaters vor ihm. –

Darauf hätt' ich mich nicht besonnen! schrie er rasend, – der Scharfsinn der Hölle übertrifft den meinen, – sie hat gesiegt! ^

Er sahe starr auf den Leichnam hin. – Regte er sich nicht? – sprach er leise. – Er starrte von neuem auf ihn hin. – Ha! er regte sich wieder! –

Wie das Stöhnen eines Schlummernden schallte es itzt aus der fürchterlichen Leiche heraus. – Abdallah hörte es bebend. –

Er schläft! – Er schläft! – sprach er im Wahnsinn. – O in der stillen Mitternacht neben einem Schlafenden zu stehn, ist fürchterlich, ich muß ihn wecken! – Er schlug mit der Faust auf die Brust des Todten. –

Bist du's, geliebter Sohn? – erhob sich eine dumpfe Stimme. – Die Leiche hob sich langsam auf. – Komm in meine Arme! – Komm! Ich muß von Tugend und Gott zu dir sprechen. –

Die Todten kommen wieder! schrie Abdallah, – meine Lehre war falsch. –

Der Todte kam mit offnen Armen auf ihn zu. – Abdallah fuhr zurück. – Hinweg! hinweg! brüllte er, – wir kennen uns nicht mehr!

Dann stürzte er auf ihn zu und schlug ihn wüthend mit der Faust auf den Schädel, daß er laut und fürchterlich erklang. – –

Als die Sklaven sich am Morgen zitternd in den Saal schlichen, fanden sie Abdallah mit wild verzerrtem Gesicht todt auf der Erde liegen.

 


 


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