Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Drittes Kapitel.

Abdallah erwachte, als Omar sich schon entfernt hatte. Der Tag sah trübe durch die Fenster und eine schwermüthige Erinnerung des gestrigen Abends kam ihm sogleich entgegen. Sein Leben trat itzt eine neue Bahn an; alles, was er vorher gedacht hatte, war von einem Strudel kämpfender Zweifel verschlungen. Alle seine früheren Gedanken schienen ihm unreif und kindisch; er hatte mit Leidenschaft die Lehre Omars ergriffen und doch that es ihm weh, seine ganze Pflanzung, die er 18 so sorgfältig aufgezogen hatte, zerstört zu sehn. – Wie eine schwarze Nacht stieg es in ihm auf, wenn sein Geist noch einmal über alle die Gedanken hinwegsahe, die er seit gestern dachte; er hätte es so gern nicht geglaubt, er hätte so gern den vorigen Sonnenschein zurückgerufen, die vorige Unschuld seiner Seele zurückgezaubert, aber sein Verstand wies mit verachtendem Ernst alle seine früheren Gedanken zurück, die wieder in ihm aufdämmern wollten.

O heilige Tugend! rief er aus, – vor derem Bilde ich einst niederkniete, – dein Altar ist umgestürzt! Du Sonne bist erloschen, zu der ich mit kühnem Fittig emporfliegen wollte und der Pfeil des Zweifels hat meine Schwingkraft gelähmt. – Wer bin ich, wenn diese Gottheit todt ist, die mich sonst mit mütterlichem Lächeln zu sich lockte? – Ich muß mich selbst verachten, wenn ich nicht mein eigen bin, wenn nur eine finstre Nothwendigkeit mich durch das Leben jagt, wenn ich dem Druck einer fremden Macht nachgeben muß, die mich wider meinen Willen zu Gräueln oder edeln Thaten drängt. – Doch, was schwatz' ich? – Mein Wille sinkt im Triebwerk des Ganzen unter und mit der Tugend ist das Laster zugleich gestorben, ich bin ein abgerißnes Blatt, das der Wirbelwind nach seinem Gefallen in die Lüfte wirft. – Der Unendliche, den ich sonst schwindelnd dachte, auf dessen Vatersorge und Allmacht ich so fest vertraute – er und das Schicksal ist mir entrissen. Im Felsen und im Gesträuch steht der Unfaßliche vor mir, mir näher gebracht und dadurch um so entfernter. Omars Lehre hat mich zu einer Waise, mich mir selbst verächtlich gemacht, – und doch bin ich ein Strahl jener Gottheit! –

19 Er schwieg und verlor sich immer tiefer in seinen Träumen; Gefühle wollten sich itzt in seine Seele zurückdrängen, die ihn einst so bezaubert und die Aussichten des Lebens so verschönt hatten, aber kein Klang aus der Vorzeit schlug wie ehedem an seine verstimmte Seele. O! rief er aus, gieb mir meine glückliche Unwissenheit zurück, Omar, laß mich wieder zum Kinde werden, wie ich war, mein Geist ist zu schwach für diese Last, er seufzt gekrümmt unter der drückenden Bürde.

Raschid trat itzt zu ihm herein. Er war kein Freund Abdallah's, aber einer von den angenehmen Gesellschaftern, an die der Jüngling sich so leicht schließt und sie eben so leicht wieder verliert. Er war Aufseher über die Gärten des Sultans und kam itzt zu Abdallah um Trost zu suchen, denn er war gewöhnlich finster und verdrüßlich. Abdallah ging ihm freundschaftlich entgegen. »Willkommen, sprach er, indem er ihm froh die Hand drückte, ich habe dich lange nicht gesehn.« – Er freute sich, daß ihn jemand aus seinen Träumereien riß, die er gern von sich abwarf und sich dem Wohlwollen überließ. – Willkommen! rief er noch einmal.

Raschid war traurig, sein Gesicht war bleich und sein Auge eingefallen. Ein schweres Leiden schien seine Seele zu drücken, eine tiefe unbestechliche Schwermuth sahe aus seinem schwarzen tiefliegenden Auge, nichts vermochte eine Heiterkeit über sein Gesicht zu werfen, seine Stimme war langsam und ohne Feuer. –

Dein Anblick wird immer kränker, fuhr Abdallah fort. 20

Raschid. Kränker? – Wirklich? – Vielleicht geh' ich dem Tode entgegen.

Abdallah. Dem Tode? –

Raschid. Ich hoff' es.

Abdallah. Du hoffst es?

Raschid. Mein Geist erträgt die Leiden nicht mehr, die sich immer höher thürmen.

Abdallah. Deine Liebe, Raschid, wird dich in dein Grab hinuntertragen. – Sei heitrer, verabschiede deinen Gram und werde wieder der blühende Jüngling, der du warst. – Die Liebe soll ja, wie man sagt, in Felsen Paradiese auferstehen lassen und dir –

Raschid. O glücklich, daß du davon wie von einem unbekannten Lande sprichst. – Doch nein, du bist unglücklich. – Ein Wesen ohne Liebe, – eine Laute ohne Saiten. – Für die göttlichsten Empfindungen todt kriecht der Gefühllose im Staube, wenn der Liebende den glänzenden Fittig im Morgenrothe wiegt. –

Abdallah. Und dennoch nennst du dich elend. –

Raschid. Ja und doch möcht' ich meine Liebe nicht zurückgeben, – Freund, nur ein Blick aus ihrem Auge – ach! er würde den Frühling in meiner Seele wieder auferwecken! – Eiserne, unzerbrechliche Ketten halten mich zurück, – ich liebe und darf nicht hoffen, – ich wünsche und meine Wünsche überschreien meinen Verstand; wenn er zuweilen die Stimme erhebt, – o dann treten sie alle bleich zurück. – Mein Unglück hat alle Blumen um mich her ausgerissen und in den Wind verstreut, die Freude hat mich in eine düstre Nacht geworfen und mir ewig ihre Thür verschlossen, – ach Abdallah, ich sterbe gern: denn welcher Wunsch, welche Hoffnung soll mich in's Leben zurückhalten? – 21

Abdallah. Wer würde nicht wenigstens hoffen? –

Raschid. Ach! wenn ich nur hoffen dürfte! wenn ich nur eine Spalte in der hohen Felsenmauer entdeckte, durch die ich mich hindurchwinden könnte!

Abdallah. Du hast mir aber noch nie den Gegenstand deiner Liebe genannt – wen liebst du?

Raschid. Laß dies noch itzt ein Geheimniß bleiben. – Ach! ich möcht' es mir selber nicht gestehn, daß der Mensch sich seinem Glücke Mauern in den Weg baute, die seiner Ohnmacht spotten, daß – ich kam hierher mich zu trösten und ich gehe trauriger von dir als ich kam.

Abdallah. Wodurch kann ich dich trösten?

Raschid. Nein, ich mag auch nicht getröstet sein. – Lebe wohl – dieser Schmerz ist mir lieb, denn ich leide ihn für sie, – ich will in der Einsamkeit meine Thränen weinen, ich finde keinen Menschen, der mich versteht.

Er ging und Abdallah sah ihn traurig nach, dann versank er wieder allmählig in sein voriges Nachdenken. Omar kam. – Du bist so tiefsinnig, Abdallah?

Abdallah fuhr auf und sahe ihn bedeutend an.

Worüber dachtest du? fragte Omar.

Abdallah. Ueber deine gestrigen Lehren.

Omar. Sie haben dich traurig gemacht.

Abdallah. Ich irre in einer ausgestorbenen Wüste, alles ist hin, was einst mein war, ich selbst habe mich verloren. Du hast mich Verachtung meiner selbst und der Welt gelehrt; wohin mit meiner Liebe, mit der ich sonst so warm die Natur umfaßte? –

Omar. Und muß denn Abdallah hassen, um lieben zu können? – Ich habe dir deinen Haß 22 genommen und um so größer sollte deine Liebe sein; du sollst alles lieben, auch den, den die schmähende Welt mit Füßen tritt.

Abdallah. Alles? – Ach Omar, kann es der Mensch?

Omar. Er soll es wollen.

Abdallah. Mein Geist sträubt sich gegen diesen freudenleeren Glauben.

Omar. Weil er deinen Stolz kränkt. – Vieles ist gestürzt, auf das du bis itzt eingebildet dich für besser als tausend andre hieltest; es ist dir genommen und du sinkst zu den übrigen Menschen hinab. Aus Eigennutz bist du unzufrieden und bildest dir ein, es geschehe der Tugend wegen. –

Abdallah. Omar, du hast tief in meine Seele geschaut. – Kann aber die sterbliche Natur sich ganz vom Eigennutz losreißen? du sagtest selber, jeder handle nur für sich, bin ich daher nicht der erste Zweck meiner Entwürfe und müssen die übrigen Wesen nicht mir selber weichen?

Omar. Du sollst und kannst dich nie von dieser Schwäche trennen, – nur der Stolz sei dieser Eigennutz nicht; sei eigennützig im Genuß, ein Traum ist kein Genuß. –

Ein Sklave kam und rief Abdallah zu seinem Vater Selim.

Omar. Und verschließe diese Lehren tief in deine Brust, sie taugen für kein ander Ohr.

Abdallah. Für mich allein hast du also diese Trostlosigkeit ausgelesen? 23

Omar. Abdallah, sei nicht undankbar. – Der Weisere kann mich nur verstehn.

Abdallah ging.



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