Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Zehntes Kapitel.

Abdallah erwachte nur erst spät, fürchterliche Träume hatten ihn gequält und seine Kräfte erschöpft, er fuhr schreiend aus dem Schlafe auf und seine Augen suchten Omar, aber vergeblich, denn dieser hatte schon früh sein Gemach verlassen.

Er stand auf und brütete mit finstrer Seele über sein Unglück, er suchte umsonst nach tröstenden Gedanken. – Wenn er an Zulma dachte, so stellte sich ihm der Fluch seines Vaters und das gräßliche unterirdische Bild entgegen, der Freund Omar war ihm entrissen und dafür ein fremdartiges übermenschliches Wesen untergeschoben, in sich selber konnte er nicht zurückfliehn, denn aus seinem Innern heulten ihm tausend Ungeheuer entgegen, eine trostlose Lehre hatte ihm die Vorsehung und Tugend genommen und dunkle Zauberdämonen grinzten ihn in seiner schwarzen Wüste an; alles, was ihm je theuer gewesen, war ihm gestohlen, seine Begeisterung, die einst für das Große und Edle so rein gebrannt hatte, war von schwarzen Dämpfen erstickt, in denen Schreckengebilde auf- und niedertanzten. Für eine Freundesseele, der er sich hätte aufschließen 72 können, hätte er die Hälfte seines Lebens dahingegeben; hundertmal stieg der Gedanke in ihm auf, seinen Jammer in den Busen seines Vaters zu schütten und seinem hohen eingebildeten Glück zu entsagen, in einer beschränkten Zufriedenheit zu leben, und seine goldnen Träume zu verabschieden, aber dann fühlte er wieder lebhaft, daß er die Ketten, die Omar und Zulma ihm angelegt hatten, nie wieder von sich abschütteln könnte, sein Elend hatte ihn so fest verstrickt, daß seine Lebenszeit zu kurz schien, die verwickelten Fäden auseinander zu lösen. Der Strudel hatte ihn ergriffen, er konnte nicht rückwärts, sondern mußte sich den Wogen überlassen, die ihn dürren Felsenmauern vorüberwälzten, Zulma war die einzige Blume, die in der starren Wildniß ihn mit ihren lieblichen Farben erquickte.

»O ich sehe den grausen Finger, sprach er, der mich in das Thal des Jammers ernst hineinwinkt, unerbittlich jagt das Verhängniß hinter mir her, nur das todte Opfer kann es versöhnen, der Abgrund gähnt bereitwillig unter mir und hinter mir steht das Schicksal und läßt mich nicht entrinnen, ich sträube mich vergebens, mein Wille ist zu schwach, ich muß hinunter. In der Sterblichkeit ist keine Rettung und Gott – o dieser Grundstein ist versunken, alles ist eingestürzt und die wüsten Trümmern rufen mir wehmüthig zu: es war!«

Erst mit der Dämmerung kam Omar zurück. Er fand Abdallah in Gedanken versunken und den Ring betrachtend, den er in der Nacht aus der unterirdischen Grube gebracht hatte. Omar setzte sich neben ihn und Abdallah sah ihn mit starren Augen aufmerksam an und sagte: Omar, – ja ich erkenne noch jene Züge, die einst meinem Freunde zugehörten. – Er konnte sich nicht 73 länger zurückhalten, er fiel ihm lautweinend in die Arme, – ja Omar, rief er aus, – es war eine schöne Zeit!

Omar umarmte ihn feurig; Abdallah, sagte er, du sprichst von ihr, als wäre sie nicht mehr. Ich war und bin dein Freund, wandre durch das weite Asien und du wirst vergeblich ein Wesen suchen, das dich inniger liebte als ich. –

Abdallah machte sich aus seinen Armen los. O gieb mir zurück, Omar, was du mir genommen hast, sagte er mit klagender Stimme, als ich mit kindlichem, leichtem Herzen noch durch das Leben ging. Mit frohen Ahndungen ging ich der verschloßnen Welt vorüber, du hast sie mir aufgethan und verächtlich liegt die häusliche Armseligkeit der innern Natur vor mir. Die Brücke ist hinter mir eingestürzt, ich kann nicht wieder rückwärts. Mit sicherm Fuße stand ich einst auf diesem Ufer, der Triebsand schießt unter mir zusammen und versenkt mich in den Abgrund.

Omar. Deines Omars Liebe wirft dir einen Balken zu, ergreife ihn und rette dich.

Abdallah. Als ich noch auf deinen Knien ruhte, mit deinem Barte spielte, und mich in deinen Augen lächelnd sah, – o wie glücklich war ich damals! Rufe jene Jahre zurück, Omar, und ich gebe dir freudig alles wieder, was ich von dir empfangen habe. Gieb mir die Liebe zurück, mit der ich dich damals liebte, da gehörtest du mir, ich dir. – Omar, ich liebe dich noch, aber ein geheimes Grausen hält Wache um dich her und läßt meine Liebe nicht in das Innerste deines Herzens dringen. – Du stehst mir verloren in den Wolken und ich seufze zu dir hinauf, der Mensch kann nur den Menschen lieben, dem Gotte gebührt Anbetung. 74

Omar. Das soll nicht sein, Abdallah. Ich bin derselbe Freund, der ich war, bleibe auch du derselbe.

Abdallah. Ich? – O von dem Abdallah ist nichts mehr als der Name da, alles übrige gehört den bösen Geistern.

Omar. Ermanne dich Abdallah, und vergiß die Begebenheiten dieser Nacht.

Abdallah. Vergessen? – Er zeigte auf den magischen Ring, – o sieh den ernsten unermüdlichen Mahner, nein, ich werde sie nicht vergessen.

Er betrachtete den schwarzen Ring, auf dem wunderbare magische Charaktere eingegraben waren. – Sieh, Omar! rief er aus, – hier steht in unverständlichen Zeichen mein Unglück geschrieben, dies ist der Pfandbrief meines Elends, meines Vaters gräßliches Todesurtheil, der schwarze Gränzstein meines Lebens; – wie eine Blutschuld hängt dieser Ring an meinem Finger.

Omar. Nimm Abschied von mir, Abdallah, denn ich werde dich heut noch verlassen. – Du fährst zurück? Nicht auf lange, nur auf wenige Tage. – Nur höre meine Bitte: liebe mich stets, laß keine Verläumder sich zwischen unsre Freundschaft drängen, ich bin dein auf ewig, dein Glück ist der Endzweck meines Lebens. Laß keinen Wurm der Lästerung sich auf die Blume unsrer Liebe setzen und sie vergiften. – Versprichst du mir das?

Abdallah. Ja. – Aber warum reisest du? – Und warum gerade itzt?

Davon ein andermal, sagte Omar, und umarmte ihn. Abdallah hielt ihn ängstlich fest umschlossen, er drückte ihn lange an seine Brust. – Mir ist, Omar, 75 seufzte er, als würdest du mich lange nicht wiedersehn, oder noch unglücklicher als itzt!

Bald und glücklich, sagte Omar und machte sich aus Abdallahs Umarmung los, – vergiß nicht meine Bitte. Auch abwesend will ich dich nicht verlassen, mein Schutz soll eine Rüstung um dich legen. Verfolgen dich Gefahren, so nenne meinen Namen, drehe diesen Ring und du bist gerettet.

Bei diesem Ringe soll ich an meinen Omar denken? fragte Abdallah mit schwerem Schmerz. Omar sah ihn mit einem ungewissen Blick an und wollte gehen, er kehrte wieder zurück. – Noch, sagte er, habe ich dir eine Botschaft zu bringen, die dein Herz bis oben an mit Freuden erfüllen und jeden Kummer ertränken muß, oder meine Freundschaft hat vergebens gehandelt. Höre!

Abdallah erwartete ungeduldig die Nachricht.

Zulma liebt dich! rief Omar.

Zulma? und zugleich sprang Abdallah heftig auf, – o dann bin ich mit mir selber wieder ausgesöhnt. – Zulma? – Unendliche Wonne kömmt mir in diesem Ton entgegen! – Zulma? – Nicht möglich! – So plötzlich kann die feindselige Wirklichkeit nicht auf die andre Seite springen! – O Himmel! wie verächtlich liegen dann alle meine Klagen vor mir! – Sie liebt mich? – O nun – nun mag das Unglück gedrängt um mich wimmeln – vor diesem Worte flieht alles rückwärts. – Omar, dieser Talismann schützt mehr als der deinige, nun bin ich dir wieder gleich, denn nun bin ich mehr als ein Mensch! – Dein Freund und Zulma's Geliebter! O wo ist der Sterbliche, der mit mir um den Rang nach der Gottheit 76 stritte? – Aber nicht möglich! – Wie kann – o du willst mich täuschen, Omar, um mich wieder lächeln zu sehn, du grausam zärtlicher! In eben so vielen Worten wird noch tausendfacher Elend liegen, als diese Seligkeit enthielten. – Omar, sprich, schweige nicht, – in einem Worte Seligkeit oder Verdammniß, – o auf Jammer bin ich nun ja schon gefaßt, sprich es aus: sie liebt mich nicht!

Omar. Nein, beim Schicksal! sie liebt dich, – laß mich sprechen. Ich sahe in die schwarze Tiefe deines Unglücks und suchte einen goldnen Sonnenstrahl in die Todtengruft hinabzuleiten. Schnell mußte die Rettung sein, oder du warst verloren. – Ich eilte zu Zulma, (wie ich die hundert Schwierigkeiten überwand, das sei dir itzt gleichgültig) ich sprach von dir, sie kannte dich, sie hat dich schon seit lange bemerkt, ohne von dir bemerkt zu werden, ich schilderte deine Liebe, sie ward gerührt. – Ja! rief sie aus, ich will ihn erhalten! Gehe mit dem Geständniß zu ihm zurück, daß ich keinen als Abdallah liebe.

Abdallah. Keinen als Abdallah? – O nun erst ist mir dieser Name theuer, von itzt an will ich stolz werden, Abdallah zu sein. – O Omar, wäre diese Empfindung nicht so übermenschlich, sie würde mich unglücklich machen, denn nun bleibt mir ja nichts zu wünschen übrig.

Omar. Auch nicht sie zu sehen, sie zu sprechen?

Abdallah. Zu sehn? Zu sprechen? Zeige mir die Möglichkeit, und ich muß, ich muß sie sehen! –

Omar. Abdallah, laß nur die Vorsicht neben deiner Liebe gehn und die trunkene durch die Gefahren sicher geleiten. – Sie selbst hat mir die Möglichkeit 77 gegeben. – Dort, jenseit des Flusses siehst du die Mauer, die sich um den Garten des Sultans zieht, eine alte Cipresse steht dort am Ufer, nach jener Stelle fahre in der Nacht, in dieser Nacht, du wirst Gesang und die Töne einer Guitarre hören, antworte mit deiner Laute und übersteige dort die Mauer des Gartens – und du findest Zulma allein, nur von einer vertrauten Sklavin begleitet.

Abdallah umarmte Omar heftig, er schluchzte vor Wonne, und Thränen erstickten seine Worte. – Fort! rief er, ich kann nicht danken! –

Omar ging und sprach einige Worte, um den berauschten Abdallah noch einmal an die Vorsicht zu erinnern, die bei seiner Liebe so unentbehrlich war. – Dann ging dieser allein mit großen Schritten auf und ab, er küßte seine Laute und schlug mit brennendem Entzücken in ihre Saiten. Er sahe nach dem Abend, ob er nicht bald heraufdämmern wollte und der Nacht die Zügel der Welt übergeben, er hätte ungeduldig den zögernden Himmel herumrollen mögen und die schwarze Seite mit dem Mond und ihren Sternen heraufreißen. Dann sah er wieder nach der Mauer hinüber, die ihm aus der Ferne entgegenschimmerte, er erinnerte sich, wie oft er seit seiner Kindheit ohne Gedanken zu ihr hinübergeschaut, und wie sie itzt sein Glück und alle seine Wünsche umfasse. Aus allen seinen Träumen herausgerissen tanzten tausend goldne Hoffnungen vor ihm her, Zukunft und Vergangenheit waren vor ihm und hinter ihm untergegangen, diese Nacht war die einzige Heimath seiner Träume, Wünsche und Gedanken.

Selim und Abubeker hatten indeß schon mehrmals ihre Freunde versammelt, der Strom war hoch gegen 78 seinen Damm angeschwollen und erwartete noch die letzte Welle, um ihn zu durchbrechen und über die Flur seinen verderblichen Grimm auszugießen.

Sklaven wurden im Pallast Selims verborgen gehalten und bewaffnet, jede Art der Rüstungen in unterirdischen Gewölben verwahrt, heimliche Zeichen unter den Verschwornen verabredet, die sich durch heilige Eide verbanden. Ein mächtiges Feuer loderte in allen Herzen und brannte zur Vernichtung Ali's, Redlichkeit hielt den geheimen Bund mit unzerbrechlichen Fesseln zusammen. – Omar trat itzt zum letztenmal in ihre Versammlung, dann nahm er Abschied und trat seine Reise an. 79

 


 


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