Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Zweites Buch.

 

Erstes Kapitel.

Itzt schwamm der Mond in silbernen Wolken über die Spitze eines fernen Berges herüber und jagte einen freundlichen Schein über den Strom; Abdallah bestieg einen kleinen Nachen. Er hatte schon seit langer Zeit auf diesen Augenblick gehofft, schon hundertmal den Kahn losgebunden und wieder befestigt, die Wellen schienen ihn mit ihrem Murmeln einzuladen, die Winde ihm zuzurufen; er war lange ungeduldig auf- und abgegangen, es war fast Mitternacht, der Dampf der Nacht stieg in leichten Streifen dem Himmel und seinen Sternen zum Opferrauch entgegen, und kaum goß sich itzt der erste goldene Schimmer des süßen zauberischen Lichtes über den Fluß aus, so sprang Abdallah rasch in den Nachen, nahm das bunte Ruder und fuhr in den glatten Strom hinein. – Er schwamm wie in einem Meere von Wonne, leicht von spielenden Wellen getragen, von kleinen lauen Abendwinden geneckt, die um ihn säuselten. Der Fluß schien ein Becher voll goldenen Weins, in tausend Schimmern rieselten die Wellen durcheinander und hüpften hin und her, wimmelten funkelnd um den Nachen herum und schienen ihn zu küssen, Wolken durchzogen abspiegelnd den Fluß und kleine schießende Goldwellen jagten ihrem silbernen Saume nach, die gestirnte Wölbung lag im Wasser ausgebreitet und wogte sanft auf und nieder. Dem Liebenden tönte das Plätschern des Ruders und das Rauschen des Kahns wie Flötengesang in die süße Wellenmelodie.

Er landete und verbarg den Kahn im hohen Schilf, das säuselnd seine grünen Schwerter im Mondstrahle blitzen ließ und unaufhörlich gegen Abendfliegen kämpfte, die summend am Ufer des Stromes schwärmten. – Die alte Cipresse stand wie ein Freund am Ufer und streckte dem Jüngling ihre Zweige wie Arme entgegen, er ging in ihren Schatten und harrte mit klopfendem Herzen auf den ersten Klang, der sich aus der Laute Zulma's losreißen würde, mit ängstlicher Furcht erwartete er diesen schönen Augenblick; die höchste Sehnsucht erschrickt vor dem langerhofften Gegenstand. – Der Schall eines Fußtrittes kam längst dem Fluß herab, er schloß sich dichter an den Baum; der Schall kam näher und Abdallah erkannte das Gesicht Raschids, der traurig und gedankenvoll vorüberging, ohne ihn zu bemerken. – Denkend und träumend, hoffend und fürchtend stand er an den schattigen Stamm des traulichen Baumes gelehnt und lächelte seine Träume an, alles flüsterte so heimlich und liebevoll um ihn her, ein stiller Wind lustwandelte durch die Blumen des Ufers und beschenkte die blauen Kinder des Frühlings mit hellen kristallenen Tropfen, Meerlilien trieben muthwillig auf ihren schwimmenden grünen Blättern in dem Strom umher, bläuliche Wasserschmetterlinge haschten sich im einsamen Grase, der Gesang der Nachtigall schallte aus Zulma's Garten her und verhallte in immer leiseren Accenten und schwoll dann wieder wollüstig in hohe silberne Töne hinein, die weithin durch das 83 Laub der Bäume zitterten. – Itzt – ein freudiger Schauder fiel mächtig auf Abdallah herab und zuckte pochend bis in die kleinsten Adern, – itzt erklang eine leise Guitarre über die Mauer des Gartens und sang:

                Mondschein winke,
                Welle locke
                Den Geliebten
                In die Fluth. –

        Und der Mond winkt,
        Und die Welle lockt, –
        Kömmt der Geliebte
        Durch die goldnen Fluthen?

Sprich aus deiner hohen Palme,
Holde Sängerin der Nacht:
Kömmt er durch Wellengelispel?
Naht er durch der spielenden Wogen Melodie?

        Steht er silbern unter goldnen Schimmern,
        Die in lichten Kreisen um ihn zucken,
        Um die Locken eine Strahlenkrone weben?
        Sprich ihm mit traulichem Geschwätz entgegen:

                Wie ich harre,
                Auf ihn hoffe,
                Und die holde Nacht
                Neben mir schlummert. –

Der letzte Ton verwehte wie ein leises Lispeln im Geständniß der Liebenden. Abdallah horchte noch und die ganze Natur schwieg, als horchte sie mit ihm auf neue Melodieen, in lieblicher Stille schmiegte sich der Himmel umarmend um die Erde. – Mit zitternder Hand ergriff Abdallah die Laute und sang: 84

    Sonne der Nacht!
Himmel meiner Seele!
    Reizgeschmückte,
    Schönheitgekrönte,
Ich nahe deiner Gottheit!

Er hing die Laute auf die Schulter und nahte sich der Mauer. – Selbst die leblose Natur schien ihn zu begünstigen, die Zeit hatte aus der Mauer viele Steine herausgenommen und so Stufen gebaut, auf denen er leicht bis auf die oberste Decke der Wand stieg. Mit einem kühnen Sprunge stand er dann in dem Garten.

Verworren standen hier tausend Lieblichkeiten durcheinander, Bäume schienen in Bäume verschlungen. Die Winde wühlten in tausend Wohlgerüchen und jagten und verließen sie wieder, und die Blumen schüttelten zutraulich ihr Haupt gegeneinander. – Abdallah eilt mit großem Schritt durch den Garten, er hat vergessen wo und wer er ist, er fliegt zu einer blühenden dunkeln Laube von Jasmin, erkennt die reizende Zulma, in einer schönen Stellung auf einen Rasensitz hingegossen und stürzt in namenlosen Entzückungen ohne Sprache, ohne Besinnung vor ihr nieder. –

Zulma beugte sich schüchtern über ihn. – Abdallah! flüsterte sie leise, – Abdallah!

Abdallah hob langsam sein Haupt auf und legte es zitternd auf ihr Knie.

Steh auf, Abdallah, sprach sie, und setze dich hieher.

Er gehorchte. – Und es ist wahr, rief Abdallah, was mir noch der kühnste Traum nicht gegeben hat? Es ist wahr, Zulma? – O ich darf dich ja nicht 85 fragen, denn die Traumgestalt wird von meinen Wünschen bestochen sein.

Zulma faßte seine Hand. – Es ist kein Traum, Abdallah, nein, so schön sind Träume nicht.

Abdallah. Nein, nein Zulma, denn wenn sie es ja sind, so muß uns das hohe Entzücken aus dem Schlafe reissen, – dies ist mein Trost, ja es muß Wahrheit sein.

Sie hielten sich beide schweigend Hand in Hand. – Die Blätter säuselten, die Blüthen dufteten, der Mondschein schlummerte süß auf dem grünen Rasen, durch die Guitarre Zulma's klang ein leiser Hauch.

Abdallah. O Zulma, wie hab' ich diesem Augenblick entgegengesehn! – Was hatt' ich dir zu sagen, – und nun, – meine Zunge ist stumm, kaum bin ich mich meiner selbst bewußt.

Zulma. Wo findet die Liebe Worte? – o Abdallah, wie glücklich machst du mich, – wie haben dich seit drei Monden meine Augen nun so oft vergebens gesucht, als ich dich an jenem Feste unter meinem Fenster erblickte, tausend heimliche Seufzer sind dir nachgeflogen, – und nun sind alle meine Wünsche erfüllt!

Abdallah. O wie werd' ich mich von der Quaal dieser Wonne wieder erholen können? Wie wird mir nun die Welt dort draussen leer und öde sein! – O Zulma, könnt' ich hier, hier zu deinen Füßen sterben, daß mein Geist aus einem Paradiese in das andre schlüpfte!

Er warf sich nieder und bedeckte die Hände Zulma's mit Küssen. – Zulma beugte sich zärtlich auf ihn herab, eine Thräne, halb von Freude, halb von Wehmuth 86 glänzend, trat in ihr schwarzes Auge. »Liebst du mich wirklich, Abdallah?« fragte sie mit der rührendsten Unschuld.

O laß mich schwören! rief der trunkene Abdallah aus, bei dem Hauch der Liebe, der durch den Garten wandelt, bei der Liebe, die aus dem Himmel mit tausend goldenen Augen auf uns herabsieht, –

Zulma ergriff seine Hand. – Lügner, sagte sie leise, und dieser Ring, – sie hielt ihm den Zaubertalisman an der linken Hand entgegen.

Ein dumpfe Bangigkeit zog durch Abdallah's Brust, es war ihm, als würden furchtbare Gestalten aus den rauschenden Gebüschen hervortreten; er verschloß die Augen und verbarg sein Haupt an Zulma's Busen.

Nein, sagte er betäubt, dies ist ein Geschenk der Freundschaft, ein heiliges Versprechen meines Glücks, ein Unterpfand, das mich deines Besitzes versichert. – O Zulma mein, auf ewig mein!

Zulma. Auf ewig?

Abdallah. Es soll, es wird sein! – warum würde sich alles so wunderbar fürchterlich an einander reihen, wenn es nicht dazu wäre? O das Schicksal häuft nicht Begebenheiten, um seine Menschen elend zu machen; ich werde glücklich sein!

Zulma. Ich verstehe dich nicht, Abdallah.

Abdallah. Ach ja, Zulma, Zulma liebt mich! o Thörichter, was willst du mehr?

Er umarmte sie und drückte sich inniger an ihren Busen, sein Mund fiel glühend auf den ihrigen; eine Stille der Mitternacht lag um sie her. Das Herz sprach zum Herzen in verständlichen Schlägen, die Geister besprachen sich in der hohen Entzückung, – ein 87 heiliger Hauch wehte wie ein Schutzgeist um sie her, die Sterne glänzten goldener, die Natur lächelte mütterlich auf ihre glücklichen Kinder hin.

Ein Händeklatschen aus dem nahen Busche. – Wir müssen scheiden, sagte Zulma seufzend; geh zuweilen dem Pallast meines Vaters vorüber, dann sollen dir die Blumen Nachricht geben, ob du wieder zu mir kömmst. Die blasse Lilie bedeutet Furcht, der Citronenbaum Unmöglichkeit, das Veilchen vergebliches Hoffen, die Rose bist du, – wenn diese auf der Mitte des Altans steht, dann kömmst du wieder hieher, sobald dich meine Laute gerufen hat. – Sie drückte ihn noch einmal feurig an ihre Brust und Abdallah ging wie im Traume taumelnd zurück. –

Als er in den Nachen stieg, tönte es ihm silbern aus dem Garten nach:

Walle sanft auf stillen Wellen,
Dich geleitet meine Seele
Säuselnd durch die blaue Fluth.

Er ließ das Schiff vom Strome forttreiben und sang leise zurück:

Doch bei dir weilt meine Seele;
Wie die abgerißne Blume
Schwimm' ich durch die blaue Fluth.

Die Töne verklangen in dem leisen Wogengeräusch. – Der Nachen landete.

Abdallahs Brust war zu voll von hoher Begeisterung, alle seine Gefühle waren zu laut angeschlagen, in seine stille enge Wohnung konnte er itzt nicht zurückkehren. Er eilte in's Freie, wo der Mond über das Gefilde ausgegossen lag und heimlich in den dichten Wald durch 88 kleine Spalten blickte. – Er überließ sich allen seinen Empfindungen, die durcheinander strömten. – Das Rauschen eines Wasserfalls weckte ihn endlich aus seinen Träumen, er sahe auf und stand wieder in dem Felsenthal, wo Omar ihn neulich unter die Erde hinabgesandt hatte. Vom Berge rann im Mondschein der Strom wie schäumendes Blut hinunter.

Ein Schauder verschlang alle seine süßen Empfindungen, mit kalter Hand griff ein Grausen in seine Brust und zerriß das zarte Gewebe.

Welche dunkle Macht hat mich hierher geführt? rief er aus. – Der Jammer verfolgt mich ungestüm bis in die Wohnung der Seeligen. – Alle gräßlichen Erinnerungen steigen wieder von diesen Felsen herab, es kömmt mir wild und zähnknirschend entgegen! – Das Bild meines Vaters regt sich unter meinen Füßen und will sich zu mir emporarbeiten. – Hinweg! hinweg! –

Er entflohe mit bleichem Antlitz, als es aus den Bergen hinter ihm »Abdallah!« rief.

Ein neuer Schauder warf sich ihm entgegen. Er stand. – Ein Greis stieg von dem Berge herab und eilte auf Abdallah zu.

Wer bist du? rief ihm der Jüngling entgegen.

Dein Freund, antwortete der Greis. –

Eine dunkle Erinnerung schwebte in dem Gesicht des Alten, Abdallah hatte ihn schon gesehn: nach langem Nachsinnen entdeckte er, daß es eben der Greis sei, der in jener fürchterlichen Sturmnacht in die Arme Omars geeilt sei, ehe er unter der Cipresse einschlief. –

Der Greis reichte ihm stumm eine Sammlung von Palmblättern.

Was soll das? fragte Abdallah erstaunt.

89 Nimm, antwortete der Greis, – lies und sei gerettet!

Gerettet? rief Abdallah aus.

Ein böser Geist, antwortete der Fremde, steht in der Gestalt deines Freundes Omar neben dir, nimm die Warnung des alten Nadir gütig auf, der auch einst sein Freund gewesen ist, verlaß diese Schlange, die dich mit ihren giftigen Knoten umstrickt.

Omar? sagte Abdallah, Omar? – O nenne seinen Namen mit Ehrfurcht, deine Lästerungen werden nicht an mein Herz und meine Freundschaft hinanreichen.

Lebe wohl, antwortete Nadir, ich darf nicht zu lange weilen und ein heimliches Grauen, das von dir ausströmt, jagt mich zurück.

Der Greis verschwand wieder in den Felsen. –

Ein wacher Hahn krähte von einem Dorfe durch die Monddämmerung, Hunde heulten in der Gegend umher, und Abdallah ging in einem tiefen Nachdenken langsam zur Stadt zurück.

Er wollte noch itzt diese Blätter lesen, aber die Gefühle, die ihn durchstürmt hatten, hatten ihn so ermüdet, daß er nach wenigen Augenblicken in einen tiefen Schlaf versank.



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