Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Achtes Kapitel.

Abdallah hatte die fürchterlichen Blätter geendigt und sein Auge sah noch immer starr auf die letzten Worte hin, er verlor sich in tausend wunderbaren Gedanken und Gefühlen und eine stumpfe Betäubung hielt endlich alle seine Sinne gefangen. – Das schwarze Buch der Nacht mit der goldenen Schrift war durch den Himmel aufgeschlagen, die Erde ruhte ringsum in einem heiligen Schlummer; die Lampe im Zimmer brannte 136 matt und blau und zuckte sterbend um die rothe Gluth des Dochtes, itzt hob sie sich zum letztenmale und verflog in die Finsterniß, die rothe Kohle zersprang knisternd und die Funken erloschen nach und nach, immer leiser und leiser flüsterte es um Abdallah her.

Nun ist es ja gelöst, sprach er endlich, das große Räthsel. O daß die Hölle Raum in so wenigen Worten findet! Hinweg mit dem schändlichen Namen Omar aus meinem Gedächtniß! Hätt' ich ihn nie nennen hören! dieser Name – o ich kann diesem Gedanken nicht folgen, bei dem mein Verstand erlahmt – dieser Name ist das Freudengeschrei der Hölle und doch so fest in mein Leben verwachsen: aber ich will ihn auf ewig ausreissen, die Vergessenheit soll ihren Fittig über ihn schlagen und dann ist es, als wär' es nie gewesen. Eine neue Hoffnung tritt auf mich zu, Zulma und doch Mensch bleiben, meine Liebe und meinen Vater erhalten, – ja, Omar, fahre wohl, ich nehme diesen Weg, fahre wohl, wir sehn uns nie wieder. Gehe du zu deiner kalten Verdammniß zurück, ich gehe in die Wohnung der Seeligen und finde dort alle jene Schätze wieder, die einst mein waren. Mögen die Stunden verflucht sein, die ich mit dir verlebte, dreimal verflucht! – Doch still, Unbesonnener, du verfluchst dein ganzes voriges Leben! –

Er zog den Ring vom Finger und wollte ihn eben durch das Fenster in ein Gebüsche werfen, aber plötzlich hielt er ein, – ein Gedanke überraschte ihn. –

Was willst du thun? fuhr er fort, – auch das letzte Bret fahren lassen, das dir der Schiffbruch übrig gelassen hat? – Hat Omar mich nicht selbst vor den 137 Verläumdungen der Lästerer gewarnt? Wodurch hat es dieser Fremdling verdient, daß ich seinem Märchen und seiner ungeprüften Redlichkeit mehr glaube, als meinem längst erprobten Freunde? Ihn will ich zurückstoßen und mich einem ungewissen Schicksal in die Arme werfen? Wie kann ich wissen, in welchem dunkeln Winkel ein neues, noch größeres Elend für mich gesponnen wird, und diese Erfindung ist vielleicht zum Eingang in das Jammerthal bestimmt. Und wie kann dieser Nadir die Unmöglichkeit unter sich niederkämpfen? Wie meines Vaters Gebot mit meiner Liebe vereinigen? Auf welchem Wege sollen sich diese Widersprüche begegnen? – Es kann nicht Wahrheit sein, es ist ein Betrug, ein Fremdling will auf dem Thron sitzen, den mein Omar bis itzt eingenommen hat. – Aber wenn es Wahrheit wäre? O welcher Schmerz, welche Wuth erschöpften dann mein Elend? Was könnte mir dann meine Seligkeit bezahlen, die ich wie ein muthwilliger Knabe verspielt hätte? – Ich will hinaus und das Unternehmen wagen, für Zulma ist jede Gefahr nur ein Spiel! Und dieser Ring hier sei mein Anker, den ich an das Land werfe, wenn Wogen mich zu verschlingen drohen.

Mit diesem Entschlusse ging er leise aus dem Zimmer und suchte durch den Wald den Weg nach jenem furchtbaren Felsenthal. Wild lag die Nacht über der Natur ausgebreitet und tausend schreckliche Phantome ruhten auf ihrem schwarzen Mantel, Irrlichter schweiften durch den Wald und rothe Strahlen kräuselten sich um die Krone der schlanken Fichten, Ungewitter zogen am Horizont mit fürchterlichem Schweigen auf; aber Abdallah drängte sich durch die Nacht und ihre 138 Furchtbarkeiten hindurch, er fand endlich die Heerstraße und das enge Thal.

Willkommen! Willkommen! rief ihm eine Stimme freudig entgegen, o glücklich, daß du meiner Einladung gefolgt bist. Nadir stieg schnell von einem Felsen herab und eilte ihm entgegen. – Wenn ich dich retten kann, Abdallah, so bin ich glücklich, dein Geist ist edel, dein Herz sanft und so tief zum schändlichsten Verbrechen solltest du herabsinken? In dir fließen tausend Quellen der Seligkeit und alle sollten dir mit Quaalen entgegenrauschen?

Abdallah reichte ihm zagend die Hand. – Ich will mich dir vertrauen, rief er aus, ich will dir glauben, so gern ich dir nicht glauben möchte. – Zeige mir den Weg zu meinem Glücke!

Du wirst durch eine Menge von Schreckgestalten gehen, sagte Nadir, aber laß dich von keiner auf deinem Wege zurückhalten, es sind nur leere Gebilde, die wie ein Rauch um dich wehen und sich wieder in Nichts verwandeln; wenn du durch alle Schrecken hindurchgezogen bist, so bist du nur von einem schweren Traum erwacht. Um nie wieder vom Geisterreich und seinen Phantomen im Glücke beunruhigt zu werden, mußt du durch das ganze magische Gefilde wandeln; laß dich von keiner Furcht überraschen, denke unaufhörlich daran, daß es dein Glück oder Elend entscheidet, wenn du zitterst, oder sie muthig verachtest. –

O laß mich durch das Reich der Nacht hindurchdringen, laß mich mein Glück erjagen und mich tausend grauenvolle Bilder verfolgen, Zulma sei mein Kriegsgeschrei, ich will ihr Bildniß in meiner Fahne tragen und mich kühn durch alle Schrecken kämpfen. –

139 Nadir ergriff seine Hand und sprach einige Worte. – Plötzlich sank unter ihren Füßen die Erde ein und sie standen in einem weiten unabsehlichen Felsengewölbe. Eine matte Dämmerung goß sich durch das Steingemach aus, an tausend hervorragenden Spitzen zuckte ein bleicher Schimmer und fluthete in grünen Strahlengeweben durcheinander, ein betäubender Duft wälzte sich in leichten Wolken empor und schimmerte wie ein Nebel, oben lag eine schwarze Finsterniß, eine Mauer, durch die kein scheuer Strahl des Sternenlichtes zitterte. Ein leises Brausen rauschte wie ein Gespenst in der Ferne dahin und aus den Steinen sprangen Strahlen und verflogen wie sinkende Sterne.

Vergiß meine Worte nicht, sagte Nadir noch einmal, laß dich nicht täuschen, sondern gehe kühn durch jene Gestalten, die sich dir mit allen Schaudern entgegenwerfen werden. So ungestalt und wunderbar, in so seltsamen Schreckgebilden sich auch die Nichtigkeit verkleiden mag, so vergiß nie, daß es nur Dünste sind und keine Wirklichkeit, daß alles ohne Gewalt um dich herum spielt und nicht an dich hinandringen kann, ein eherner Schild ist vor deiner Brust gehalten, laß die Wesen daran vorüberrauschen, so lange dein Muth dich aufrecht hält, können sie dir nicht schaden. –

Und wann, fragte Abdallah, wann ist mein Glück entschieden? –

Noch in dieser Nacht antwortete der Greis, lös't sich alles auf; gewinnst du das Kleinod, so ist es dein vor dem Aufgang der Sonne, so kömmt dir dein Vater und Zulma mit der Morgenröthe entgegen und bringt dir deine verlorne Ruhe wieder. –

140 Aber nur eine Ahndung, sagte Abdallah dringend, nur ein Wink meinem Geiste, wie dieses schwere Räthsel aufzulösen möglich sei. –

Ich darf nicht sprechen, antwortete Nadir mit ernstem Blick, denn sähest du in der Tiefe der Ungewißheit den Nachen der Zukunft schwimmen, dränge dein Blick bis auf den Boden des Abgrunds, in den du hinuntersteigen sollst, o so wäre dein Unternehmen kein Kampf, vor dem man zurückzagen könnte, das Verdienst des Wagens ginge unter und Abdallah wäre ein falscher Spieler, der dem Schicksal mit Betrug sein großes Glück abgewönne.

Er schwieg und ließ dann unwillig die Hand Abdallahs fahren. – Aber du traust mir nicht, setzte er mit Verdrossenheit hinzu, das sagt mir dieser Ring. – O möge dich dies Mißtrauen nie gereuen! – Itzt lebe wohl. –

Er ging zurück und verschwand plötzlich in die Felsenwände.



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