Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Viertes Kapitel.

Ein Geräusch dicht neben ihm im Busche schreckte ihn auf, Raschid stand vor ihm. –

Er sprang auf und fiel seinen Freund schnell in die Arme. – O, rief er, das ist es, was ich suchte, ja, ein Mensch hat mir gefehlt und dieser wird mir itzt gesendet.

Wir sind beide unglücklich, sagte Raschid, Elend verschwistert unsre Seelen.

Abdallah. Du elend? – O worin kannst du unglücklich sein?

Raschid. Ich? – Ich irre in der Nacht und am Tage durch verlassene und wüste Gegenden, ich wünsche und hoffe und verzweifle in demselben 190 Augenblick, – ach Abdallah! Abdallah! du weißt vielleicht, was Unglück ist, nicht wahr, du würdest mich glücklich machen, wenn du es könntest?

Abdallah. Ja ich weiß was Elend ist, Unglück ist mir nicht fremd. – Aber was kannst du bei mir wollen? Suchst du Quaalen und Verzweiflung? – o die kann ich dir geben, – sieh! dies sind meine Schätze!

Sie gingen mit einander, in Abdallah's Busen lag es zentnerschwer, er wollte zu reden anfangen und schwieg dann wieder furchtsam. Endlich umarmte er den Freund noch einmal glühend: Raschid! Raschid! rief er, du bist ein Mensch, nicht wahr, es schlägt ein fühlendes Herz in dieser Brust? deine Seele ist für Mitleid nicht taub, – o sprich! nur ein Wort der tröstenden Linderung! –

Raschid. Du schweigst? vertraue deinem Freunde den Sturm, der in deiner Seele wüthet. – Was kann dich so mit Riesenkräften niederdrücken?

Abdallah schwieg noch immer, – ich liebe Zulma! rief er dann plötzlich. – Ach, ich muß dies fürchterliche Geheimniß in einen Menschenbusen ausschütten, o tröste mich, – verzeihst du mir, nennst du mich Bruder, wenn – hast du je die Allmacht der Liebe gefühlt?

Zulma? rief Raschid und stürzte bleich zurück, Zulma? O Unglücklicher!

Abdallah. Nur ein Wort aus deinem Munde! Darf ich sie wünschen? – macht mich meine Liebe zum Ungeheuer?–warum starrst du mich so an? Willst du mir keinen Trost geben?

Raschid. Trost? – Dieses Entsetzen hat mich zu dir gejagt, ich kam zu dir, um zu deinen Füßen mir mein Glück zu erbetteln, – du liebst Zulma, – o Unglücklicher, so wisse, so erfahre es denn und schaudre 191 bis in das Innerste deiner Seele, – auch Raschid liebt diese Tochter der Sonne! aus dieser Quelle sind alle meine Martern geflossen, dies hat mich seit Jahren gepeinigt und an der Wurzel meines Lebens genagt.

Abdallah. Du liebst sie? du? – O Raschid, hinweg! du bist nicht mehr mein Freund! – ich verlange einen Ton der mich tröstet, ich schlage verzweifelnd an die Laute, – aber alle ihre Saiten sind zerrissen, kein Wiederhall in der ganzen Schöpfung!

Raschid. Darum bin ich hier, Selim sollte mich glücklich machen, du solltest mir ihn abtreten.

Abdallah. Nein! nein! – O beim Unendlichen, alles thürmt sich immer höher und höher, alle Schrecken wachsen zu Riesen auf und werfen sich mir entgegen. – Nein, nein, Raschid, du darfst nicht, Selim ist mein und Zulma mein, deine Hand darf es nicht wagen, in mein Glück zu greifen.

Raschid. Hinweg Freundschaft und Mitleid! die Liebe kömmt ihren Thron zu besteigen! Ich bin nicht mehr Raschid, nicht mehr dein Freund – Ja, ich will den großen Kampf mit dir eingehen, Abdallah, unsre Freundschaft sei zerrissen! Fluch um Fluch, Hölle um Hölle, alle Schrecken gegen einander, – Zulma ist mein! mein, sag' ich, – endlich hat der Himmel den Verstoßenen wieder angenommen, ich bin mit mir selber ausgesöhnt.

Abdallah. Raschid, ich ziehe allmächtig diese Waage nieder, die zu den Wolken aufgeschnellt wird, dieser Baum ist mein, in dessen Schatten du dich lagern willst, – Zulma liebt mich! –

Raschid. O sie wird, sie muß mich einst lieben, deines Vaters Elend ist eine Leiter, die mich in den 192 Himmel trägt, ich will verwegen bis auf die letzte schwindelnde Sprosse steigen und wie ein Gott auf die armselige Welt hinabsehen.

Er wollte gehen und Abdallah hielt ihn mächtig zurück. – Wohin willst du? rief er aus, Schrecklicher!

Zu Ali, antwortete Raschid, dein Vater ist ein Unterpfand, das mir nicht entrinnen wird, ich bin nicht vergebens deinen Schritten nachgeschlichen; o ich muß eilen, denn ich fühl' es im Innern meiner Seele, für Zulma würd' ich freudig meinen Vater und meine Mutter der Schlachtbank überliefern.

Sie rangen hartnäckig mit einander. – O noch, noch verweile, rief Abdallah, nur diesen einzigen Tag noch, nur diese Stunde schenke mir noch mitleidig!

Um in dieser um meine Seligkeit betrogen zu werden? antwortete Raschid. – Nein! zurück von mir! – Er riß sich gewaltsam los und entflohe mit der Eil des Windes, auch keinen flüchtigen Blick warf er seinem Freunde rückwärts. –

Abdallah sahe ihm betäubt und schwindelnd nach. – Ha! nun ist es ja entschieden, sagte er mit unterdrücktem Lächeln, meine Martern habe ich umsonst geduldet, Zulma ist mir ewig, ewig verloren. – Ha! wie es in meinem Innern tobt und wüthet! – Kalt steh' ich da und sehe, wie auch meine letzte Freude von einem fremden Vorübergehenden lachend gemordet wird. – Er verhöhnt Freundschaft und Liebe und fliegt nach seinem glänzenden Ziel, – nur ich zögernder Thor schlage mich mit tausend Zweifeln und verliere den großen Augenblick. – Zulma nicht mein, Raschids? – O das, das kann, das soll nicht sein! So weit dürfte dieser 193 Fremde sich in mein Paradies hineinwagen? – Was hält mich denn zurück? – Wollte er nicht seinen Vater dieser Wonne ohne Bedenken opfern? – O er ist ja auch ein Mensch, – er liebt ja Gott und betet das Schicksal und die Tugend an und dennoch, – mir ist alles genommen und doch zögert meine Trägheit noch? Wie mit hundert Stricken wird mein Arm zum tödtlichen Streich herabgerissen und ich kämpfe noch gegen diesen Schlag, – und muß Selim nicht dennoch sterben? – Er muß – und ich und Zulma sind unglücklich, – ja, ja, es muß sein, – ich höre die Stimmen umher brüllen, die mich zur That anmahnen. –

Er drängte sich in wüthender Eil durch die Gebüsche und sahe auf der Landstraße Raschid schon weit voraus, der der Stadt zueilte. Geängstigt rennt er ihm nach und stürzt wie beflügelt hinter ihm her, seine Augen sahen den Weg nicht, sein Athem röchelte laut, oft biß er knirschend die Zähne zusammen. – Endlich erreichte er ihn matt und ohne Bewußtsein. – Halt! rief er laut, – halt an mit deiner Beute, Betrüger!

Raschid sahe rückwärts und erblickte Abdallah, er wollte ihm von neuem entfliehen, aber gewaltig ergriff ihn Abdallahs Arm und hielt ihn zurück. – Nein, du sollst mir nicht entrinnen, schrie er wüthend, schwöre hier durch einen gräßlichen Eid dich von Zulma los, – oder beim Propheten! ich vergesse unsre Freundschaft, so wie du sie vergessen hast.

Raschid wollte sich los machen, aber Abdallah schlug seine Arme um ihn und hielt ihn mit der Kraft eines Riesen an seine Brust geklammert. – Zurückgerissen von dem Sonnenglanz, rief er, sollst du in einem ewigen Dunkel verschmachten, schwöre Zulma ab und wirf 194 deine frechen Wünsche hinter dir, – ha! Selim ist mein Vater, nur Vatermord kann dich Zulma's würdig machen.

Ich schwöre nicht! schrie Raschid auf, – von mir Schändlicher! für Zulma ring' ich mit dir um Leben und Tod. –

Er versuchte es, sich mit allen Kräften aus Abdallah's Armen zu schleudern, aber dieser drängte ihn zu fest an sich, Raschid biß ihn mit den Zähnen wüthend in den Arm, um sich frei zu machen. – Sie rangen unter einem dumpfen Gebrülle gegen einander, kräftig warfen sie sich hin und her, die Erde dröhnte unter ihren Tritten. – Endlich warf Abdallah den ermüdeten Raschid nieder, er kniete auf ihn hin. – Willst du itzt Zulma zurückgeben? schrie er und stierte ihn mit einem eisernen Blicke an. – Nein, nein, und müßt ich ewig dafür verdammt werden, nein! brüllte ihm Raschid zu. – Abdallah zog einen Dolch und stieß ihn in die Brust des Ueberwundenen, ein großer Blutstrom stürzte hervor und floß über die Erde. – Unter krampfhaften Zuckungen starb Raschid endlich, ein Schleier zog sich über sein starres hervorgetriebenes Auge, er lag bleich und unbeweglich da. –

Abdallah stand über ihm und betrachtete ihn mit fürchterlicher Schadenfreude. – Warum rufst du nicht mehr Zulma's Namen aus? sagte er bitterlächelnd, wirst du mir sie itzt noch abkämpfen wollen? – Kann ich nun ruhen, ohne deine Eile zu fürchten? – Nun wirst du sie nicht gewinnen, die Würmer nehmen dich in Besitz! Nun ist sie mein, mein! o ich will es dir in die Ohren schreien, bis du von neuem fluchst, – Zulma ist mein! – Ha, warum bist du im Augenblick 195 so kalt, gleichgültig und träge geworden? – Liebst du Zulma nicht mehr? – verdient sie itzt nicht mehr die Huldigung deiner Wünsche? –

Ein plötzlicher heftiger Schauder fiel ihn an, er wandte sich und flohe mit Windesschnelligkeit zur Stadt.



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