Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Sechstes Kapitel.

Selim trat mit der Wache herein, die ihn vor Ali führte. Er stellte sich stumm vor ihn hin, Ali sahe ihn mit einem durchbohrenden Blick an; Selim hielt unerschrocken diesen Blick aus, ohne die Augen niederzuschlagen.

Du bist mein! rief Ali aus. –

Ja, antwortete Selim, das strenge Schicksal hat es so gewollt.

Ali. Und du zitterst nicht?

Selim. Nein. –

Ali. Da du in meiner Gewalt bist? –

Selim. Was soll ich fürchten? Du hast die Gewalt mich zu tödten und ich wünsche den Tod. –

Ali. Auch einen martervollen Tod?

Selim. Endlich muß doch die letzte Marter zu mir kommen, die mich mitleidig frei macht. Wie soll ich Martern fürchten, wenn sie nicht ewig dauren? – Wie kann ein Mann so kindisch ungeduldig einige schmerzvolle Stunden scheuen? –

Ali. Du wünschest den Tod und dies könnte mich versuchen, dich nicht zu tödten.

Selim. Seit mein Entwurf dahin ist, giebt es keine Freude, keine Hoffnung mehr. Ich mag nicht in einer Welt leben, wo dein Wille, dein Befehl alle Seelen lenkt. O versuch' es, ich werde mit größerer Kaltblütigkeit sterben, als du Muth hast, meinen Tod auszusprechen. – Ich hatte auf diesen Fall gerechnet; daß ich sterben konnte, daß du Sieger sein konntest, diese Möglichkeit hatte ich nicht vergessen und darum bin 212 ich darauf vorbereitet. Auf beides machte ich mich gefaßt, entweder ich sprach dein Todesurtheil, oder du das meinige. –

Ali. Du hättest mich dem Tode übergeben?

Selim. Ja, denn du machst dein Volk unglücklich und es verdient glücklich zu sein. –

Ali. Du hättest mich unter Martern sterben lassen.

Selim. Nein, für dich wäre der Tod die größte Strafe gewesen.

Ali. Du verachtest mich?

Selim. Lehre mich, wie ich dich ehren kann. –

Ali. Du kannst mich hassen, nur verachten sollst du mich nicht. –

Selim. Nimm mir meine Meinung.

Ali. Du wirst zittern!

Selim. Vor dir? – Niemals! – dies ist also der Ali, vor dem Asien bebt? das Schrecken des Volks, der Mann, mit dessen Namen Mütter ihre Kinder zur Ruhe bringen? – Ich hätte ihn schrecklicher geglaubt. – Dies ist der Blick, der Tausende bleich macht, dies die Hand, auf deren Wink das Leben wie ein Hauch entflieht? – O versperre dich, Sultan, in deinem Pallaste, werde von Niemanden gesehen, sonst wird es bald dahin kommen, daß keiner vor dir zittert.

Ali. Du wagst es, mich zu verspotten?

Selim. Was kann ich wagen? – Das Leben hass' ich, so wie ich dich hasse, deine Martern veracht' ich, wie ich dich verachte, – nenne mir ein Wort, das die Farbe von meinen Wangen jagte, einen Ton, der mich erzittern macht; du kannst es nicht. – Sieh, ich bin über dir und über dem Schicksal erhaben. – O sieh' mich nicht so drohend an, dein Blick fällt vergebens so 213 flammend auf mein Angesicht, ich bin kein Verbrecher, ich darf mich nicht vor deinem Auge verkriechen; trüg' ich nicht diese Ketten, o so müßtest du in meiner Gegenwart zittern, ein Verräther hat dir dies Zittern erspart, ein Verräther hat meinen Vorsatz vernichtet, auf ihn komme das Elend des Volks, nicht über dich. –

Ali. Nicht über mich?

Selim. Nein, – du verachtest die Menschheit, du verkennst ihren Werth, Menschen gelten dir weniger als Pflanzen, durch Schätze kannst du sie nur belohnen, durch Hinrichtung nur bestrafen; du hast keine Ahndung von dem Gefühl, das den Menschen zum Menschen erhebt, und darum bemitleid' ich dich, darum verzeih' ich dir.

Ali. Verworfner? du verzeihst mir? – Welcher Stolz spricht aus diesem Sklaven? – Führt ihn hinweg!

Die Leibwache wollte ihn wegführen, als Selim sich noch einmal zu Ali wandte: –

Und was gewinnst du mit meinem Tode? – sprach er mit fester Stimme, wird dein Zittern enden mit diesem Schlag? – Wirst du weniger beim Schall des Windes und vor deinem Schatten zurückschrecken? – Die Tyrannen tragen ihre Strafe in ihrem eigenen Busen. – Dein Volk haßt dich und du weißt es, die Welt verachtet dich und du verachtest dich selbst. – Hartnäckig ringst du mit dir, dich aus dieser Selbstverachtung, aus dieser Seelenträgheit herauszureissen, – aber du vermagst es nicht. – Ich sterbe und du lebst, – aber beim Allmächtigen! ich möchte dein Schicksal nicht mit dem meinigen vertauschen! – Schon daß ich dich im Tode verliere, ist ein Gewinn, ein Leben, über das du in jeder Stunde 214 gebieten kannst, ist kein Gut für mich, ein Glück, das von dir abhängt, kann kein Glück sein. – Und welches Leben, welches Glück bleibt dir zurück? o sieh in die Zukunft hinaus und erzittre vor der nimmerendenden freudenleeren Wüste. – Ohne lieben zu können und ungeliebt, verachtet und verachtend gehst du jeder Stunde entgegen. Eine ewige Langeweile, von keiner Freude vertilgt, ein ewiger Durst, der nie eine löschende Quelle findet. – Deine Brust ist hohl, du schämst dich ein Mensch zu sein, du kennst keine Seligkeiten, treulos haben sie dich alle verlassen. – So lebst du – und stirbst endlich, ohne gelebt zu haben. Du hoffst stündlich Freuden und vertraust dich unbefriedigt jedem neuen Tage, der letzte sinkt unter, – du bist nicht mehr und glaubst auch nicht gewesen zu sein, – Und darum, weil ich dich bemitleide, verzeih' ich dir!

Ali stand nachdenkend. – Noch dräut der Mordstahl in deiner Hand, fuhr Selim fort, noch erzittert alles rund umher vor deinem Machtspruch, – aber eine freudige Aussicht thut sich mir auf. – Unaufhaltsam bricht der Wogensturm heran, unaufhaltsam rauscht es immer näher, armselig wird deine Schreckensstimme in dem Brüllen der Orkane verwehen, dann, – o sie kann nicht fern sein, diese Zeit, – dann fühlt die Menschheit ihre große Kraft und fühlt zugleich ihre Ketten, sie zerspringen mit einem furchtbaren Klang und du zitterst! – Dann löscht kein Mord die hellen Flammen aus, dann gehn deine Geschlechter unter und die Menschheit fordert ihre ewigen Rechte zurück; – ich kann ruhig sterben, denn diese Zukunft lacht mir entgegen.

Selim wandte sich hinweg, um den Saal zu verlassen, Abdallah eilte hervor und stürzte vor seinem Vater nieder. –

215 Du hier? fragte Selim freundlich; glücklich, daß ich dich gefunden habe, mein Herz suchte dich schon auf dem Wege, aber doch wird mir der Abschied von dir diese Reise erschweren. –

Du gehst um zu sterben, Vater? sagte Abdallah mit dumpfer Stimme. Er klammerte sich schmerzhaft um seine Kniee, alle seine Pulse schlugen gewaltsam, seine Brust röchelte, sein Auge starrte brennend zum Vater hinauf.

Stehe auf, mein Sohn, sagte Selim, komm in die Arme deines Vaters. – Er umarmte ihn. – Mit diesem Kusse fuhr er fort, nehme ich den Fluch wieder von dir, den ich voreilig über dich ausgesprochen habe, wenn ich dir fluche, welche Seligkeit lasse ich dann auf dieser Welt zurück? – Nein, Abdallah, aller Segen des Himmels komme auf dein Haupt herab. – O vergieb dem Vater, der vom Zorne übereilt ward, vergieb ihm, geliebter Sohn! –

Vater! Vater! schrie Abdallah laut, – dein Segen brennt glühend auf meinem Haupte, gieb mir meinen Fluch zurück, er machte mich glücklich. Fluche mir, Vater, fluche mir dreifach, wenn du mich nicht ganz elend machen willst. –

Selim. Du sprichst im Wahnsinn, Abdallah; hat dich mein Unglück in diese Wuth gesetzt? – o laß mich, ich sterbe freudig. Ehre das Andenken deines Vaters und Abubekers Tochter werde deine Gattin.

Abdallah. Fluche mir, Vater, oder ich bin verloren! die Hölle ist mein Paradies; Flüche sind meine Freude!

Selim. Ich mußte ja doch bald sterben, 216 Abdallah, – laß mich, du bist nicht Schuld an meinem Tode, wir sehn uns einst wieder.

Abdallah. Nein, nein! du bist mir ewig, ewig verloren; wir sehn uns nie wieder, ach! du weißt nicht –

Selim. Wir wollen Abschied nehmen, nur auf ein Menschenalter. Ich lasse dir meinen besten Segen zurück, mein Geist wird über dir wachen, meine Seele der Wächter deines Glücks sein. Ich will der Gehülfe deines guten Engels werden, – nur verzeih meine Härte, geliebter Sohn, mit der ich heut am Morgen mit dir sprach, ich habe sie nachher tief bereut. –

Abdallah schloß sich ohne Bewußtsein krampfhaft an seinen Vater, Selim hielt ihn in seinen Armen und sahe wehmüthig auf ihn hin. – Komm zurück, sagte er zärtlich, denn ich muß scheiden, von dir und von dieser Welt; ich habe genug gelebt, bleibe du zurück, entfliehe von hier und suche dir ein besseres Vaterland, hasse den Bösewicht und liebe den Tugendhaften, ehre Gott und seine Gesetze, und das Elend wird vergebens gegen dich anstürmen; du wirst in dir selber stets eine unversiegbare Quelle von Glück entdecken, das dir kein Tyrann und kein Boshafter rauben kann; an den Edlen reicht das Unglück nicht hinan, ihn erreicht keine Grausamkeit, kein Bösewicht kann ihn niederdrücken, er lebt und geht aus dem Leben hinaus ohne zu klagen, denn er weiß, daß er dort den Lohn seines Edelmuths empfängt. –

Nimm mich mit dir! rief Abdallah. – An deiner Seite wird man es nicht wagen, mich vom Eingange des Paradieses zu verscheuchen. O laß mich mit dir sterben! 217

Selim. Nein, Abdallah, du bleibst zurück, bis dich der Richter fordert, bis die Jahre ihren Kreis gemacht haben, bis die Welle deines Lebens in das große Meer der Ewigkeit fließt, – bis dahin sei ruhig, wir sehn uns wieder. – Tröste dich mit dem schönen Augenblick, in welchem ich freudig meinem Sohn entgegen gehen werde, wo die Ewigkeit unsre Liebe unzertrennlich verbindet; wo wir uns mit Lächeln von den hiesigen Träumen erzählen, – o halte mich nicht länger von diesem schönen Aufenthalt zurück, der Tod ist nur eine Brücke, die mich dorthin führt, – Lebe wohl! –

Er wollte sich von Abdallah losmachen, aber dieser hing sich fest an seinen Vater. – Ich lasse dich nicht, ich kann dich nicht lassen, schrie er wüthend, fluche mir und ich gebe dich frei, übergieb mich der Hölle und ich will dich dem Paradiese lassen. – Vater, du weißt nicht, wen du in deinen Armen hältst.

Meinen Sohn, meinen geliebten Sohn, antwortete Selim. –

Als du mir heut zürntest, antwortete Abdallah, als du mir fluchtest, da liebt' ich dich, da warst du mein gütiger Vater, hinweg! itzt muß ich dich hassen, denn du labst dich an meiner Höllenpein.

Abdallah stieß seinen Vater wüthend von sich, Selim sahe ihn befremdet an. –

Ist das mein Sohn? sprach er leise. – Welcher böse Engel spricht aus deinem Munde?

Abdallah. O erst hast du mich in die Verdammniß tief hineingestoßen, dein Arm ist zu schwach, mich wieder zurückzureissen, dein Segen wird den Fluch nicht von mir hinwegnehmen, der in allen meinen Gebeinen 218 ras't, dieser Wassertropfen kann den schrecklichen Brand nicht löschen.

Selim. Hat deines Vaters Zorn dich wahnsinnig gemacht, geliebter Sohn? – Komm aus deiner Raserei zurück, ich muß fort, lebe wohl.

Er umarmte ihn noch einmal zärtlich, sein Kuß ruhte lange auf den Lippen seines Sohnes, Abdallah lag erschöpft in seinen Armen, sein Auge hing matt an den Blicken seines Vaters. – Lebe wohl, sagte der Jüngling schluchzend, Thränen stürzten über seine Wangen. Sein Vater wollte ihn verlassen, er drückte stumm die Hand des Sohnes, Abdallah hielt sie fest in der seinigen eingeschlossen; endlich wickelte er sich von ihm los, Abdallah taumelte zurück und sank gefühllos gegen die Mauer. –

Auch dies hab' ich überstanden, sagte Selim, und wandte sich zu Ali, dies war die Marter, die mir meinen Tod schmerzhaft machte; itzt magst du dich an meinen Schmerzen ergötzen und kein Stöhnen, kein Aechzen soll dir einen schadenfrohen Triumph gönnen. –

Ali sahe ihn mit einem leichenkalten Blick an. –

Du glaubst, fragte er ihn höhnisch, nichts kann dich mehr erschüttern, nun dieser Abschied vorüber ist?

Selim. Nichts. –

Ali. Hüte dich, daß ich dich nicht schaamroth mache und du als ein Lügner vor mir stehst.

Selim. Ich wiederhole es, nun mag kommen, was da will, ich will ihm mit festem Auge in's Angesicht sehen. –

Ali. Du stirbst gern? –

Selim. Ja.

Ali. Du liebst, du achtest die Menschheit? 219

Selim. Würd' ich dich sonst je haben hassen können? – Ja, könntest du mir diesen Glauben an die Menschheit nehmen, dann würd' ich dich für meinen Sieger anerkennen, dann, nicht eher, würd' ich mein Leben bereuen, dann, dann hätt' ich umsonst gelebt, dann wäre mein Stolz eine verächtliche Traumgestalt, die Arbeit meines Lebens ein nichtiges Kinderspiel gewesen, ich würde die Stunden zurückwünschen, in denen ich Menschenglück aufbaute und an dem Reichthum meiner Seele sammelte, dann würd' ich wünschen, Ali gewesen zu sein.

Ali. Und wenn ich dich nun dahin bringen könnte?

Selim sahe ihn mit einem furchtsamen Blick an, – dann, sagte er schüchtern, dann würd' ich vor dir zittern. – Aber nein, unmöglich, diesen Glauben kannst du mir nicht nehmen, du bist kein Mensch, was willst du von ihrem Adel wissen? –

Ali lächelte ihn höhnisch an. – Bist du nicht neugierig, den kennen zu lernen, der mir deinen Aufenthalt verrieth? fragte er mit funkelnden Blicken.

Nein, antwortete Selim, ich habe ihm verziehen, sei es, wer es wolle.

Ali ergriff die Hand Selims und führte ihn dann zu Abdallah. – Dieser ist es! sagte er schnell.

Selim fuhr blaß zurück. – Soll ich dieser Lüge glauben? sagte er nach einigem Stillschweigen – nein, Ali, dazu ist sie nicht fein genug ersonnen.

Dieser ist es! sagte Ali noch einmal mit schadenfroher Miene.

Selim. O Lügner, sieh dies Auge, diese entstellten Züge, diese Todesblässe, und wiederhole dann deine Worte noch einmal. 220

Ali. O dann wäre mein Triumph noch tausendmal herrlicher, wenn er itzt nicht bereute. –

Selim schwieg, er sahe mit einem schweren Blick auf Abdallah hin; Abdallah schlug die Augen nieder, alle seine Glieder zitterten.

Und mein Sohn antwortet nicht? fuhr Selim auf. – Nicht mit einem Ton, durch einen Blick widerlegt er diese gräßliche Lüge? – Soll ich dies Stillschweigen für Bewußtsein halten?

Abdallah drängte sich fester an die Mauer, er wünschte, daß ihn die Erde verschlingen möchte und schwieg.

Soll ich es glauben? sprach Selim erschrocken. – O wenn ich hier zweifeln soll, dann ist alles, was ich glaubte, Irrthum, dann – o ich Unglückseliger! – dann Ali, geb' ich mich besiegt. – O Himmel! Abdallah! Abdallah! sprich zu deinem Vater, höre meine letzte Bitte. – Er faßte die Hand Abdallah's. – Sprich, und zerrisse der Ton mein Ohr, nur eine Sylbe, nur einen Athemzug: sprach er Wahrheit? –

Abdallah's Herz wollte springen, er zitterte stärker, sein Busen kochte, mit matter stockender Stimme stammelte er endlich: Ja!

Ja? – sagte Selim und ließ plötzlich seine Hand niederfallen. – Ja? – Nun dann bin ich von einem tiefen Schlaf erwacht. – Auch dir hab' ich verziehen. –

Ali sahe ihn mit einem durchbohrenden Blicke an. – Auf diese Verdammniß hättest du nicht gerathen und hättest du dein Gehirn zersprengen sollen? fragte er ihn boshaft. – Du liebtest ihn, er liebte dich? Er gehört zu den Edelsten der Menschheit? – Sieh, dies sind die Verehrungswürdigen unter der Natterbrut. – 221 Selim, nun kann ich dir dreist in's Auge sehen, nun ist mein Triumph vollendet, der Eid, den ich beim Ewigen schwur, ist kein Meineid, – ich habe, was ich wollte, ich sehe dich zittern!

Ein Fieberschauer schüttelte Selims Gebeine. Ich habe die Menschheit nie gekannt, sagte er sehr ernst. – Noch einmal sahe er mit starrem Auge nach seinem Sohn, dann verließ er stumm den Saal, – die Leibwache folgte ihm. – Ali sahe ihm schadenfroh nach. – Ich bin gerächt! sprach er freudig, für die Menschheit hat er gekämpft und sie fällt in seiner letzten Stunde treulos von ihm ab, ha! nun wird ihm der Tod einen bittern Kelch reichen! So groß hätt' ich meinen Sieg nie geträumt. – Er wagte es nicht, mich anzusehen, – nun kann ich ihn verachten!

Abdallah stand ohne Bewegung, ohne Leben, sein Gesicht war todtenbleich, alle Glieder in einer fürchterlichen Erschlaffung erstarrt, man sahe kaum, daß er Athem holte.

Verloren! verloren! schrie er dann plötzlich. – Er schwieg wieder, alles war still, nur zuweilen tönte ein abgerissener brüllender Schrei Abdallah's durch den Saal. – Eine innere Wuth arbeitete in seiner Brust, tausend folternde Schmerzen duldete er in einem Augenblick zugleich, Angst und Verzweiflung, Wuth und Entsetzen stürmten durch seine Seele. – Mein Vater! mein Vater! rief er dann von neuem mit lauter Stimme. – O dies war sein letzter Blick! – dies!– o Ewiger, warum starb ich nicht vor diesem Blick?– Er hat mir vergeben? – Nein, eine heißhungrige Quaal nagt an mir. Alles ist zerstört und vernichtet, – 222 o mein Vater! – Stille, daß ich diesen Namen nicht nenne! Vater? – Ich bin kein Sohn, ich habe keinen Vater! – Nein, wie Abdallah sieht kein Sohn aus, – ich bin von der Menschheit ausgestoßen! Teufel sind meine Brüder, die Hölle ist meine Heimath.

Ein Sklave trug einen Giftbecher durch den Saal, Ali winkte ihm: man gebe ihm den Trank noch nicht, sagte er. Der Sklave ging.

In diesem Becher, rief Abdallah, wird meinem Vater der Tod gebracht! – Ha, wie die bösen Engel alle hohnlachend um mich grinsen! Nun gehör' ich ihnen leibeigen, nichts wird mich loskaufen. – Mein Name ist aus der Zahl der Lebendigen ausgestrichen, im Buch der Verdammniß steh' ich eingeschrieben, – bald wird mir die fürchterliche Rechnung vorgelesen werden! – –

Ali ging ihm näher und sagte: Verweile hier, ich gehe um Selim sterben zu sehn. – Itzt wird er den Giftbecher nicht so muthig, so verächtlich leeren. Höhnisch lacht ihm die Menschheit nach, er wird sich seiner Thaten und seiner Begeistrung schämen. – Diese Wonne will ich mir nicht versagen.

Ali ging und der Vezier und die übrigen begleiteten ihn. – Abdallah blieb in dem weiten Saal allein, alles um ihn her schien ihn mit fürchterlichen Gesichtern anzublicken, er stieß wüthend seinen Kopf gegen die Mauer.

Itzt! itzt! – sprach er leise, – itzt trinkt er den Becher, itzt lachen Ali und sein schändliches Gefolge über die Todeszuckungen meines Vaters; Selim denkt an seinen Sohn und dieser Gedanke dreht ihn in noch schrecklichern Krämpfen. – O Abdallah! Abdallah! – Wardst du darum geboren? – O nun ist jenes 223 fürchterliche Ziel herangerückt! – Auf ewig, auf ewig bin ich verloren! – Selim! – Abdallah! – Die ganze Natur wird in ihr Chaos zurückspringen, denn die Liebe ist todt, alle Elemente werden von neuem feindselig gegen einander kämpfen und die Welt in Trümmern schlagen. – O warum gerade ich, unter Millionen ich der Verworfene, der seinen Vater ermorden muß?– Nur ich? – In diesem Gedanken grinst mich die ganze Hölle an.

Er stand von neuem in einer dumpfen Betäubung.



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