Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Sechstes Kapitel.

Alles um Abdallah her war still wie das Grab, die Quelle in der Nähe plätscherte immer leiser und leiser, das Rauschen der Bäume verhallte immer dumpfer und Selims Athem röchelte schwach, wie der Athem eines Sterbenden. Abdallah stand an die Wand gelehnt und sahe in einer kalten Seelenträgheit dem wunderbaren Spiele seiner Gedanken zu. Sein Vater hatte den Namen Omar genannt und mit diesem Namen waren die Schreckenserinnerungen reissend wie ein Waldstrom in seine Seele zurückgekommen; schon hatte er alles vergessen, aber dieser Ton brachte ihm mit Wucher zurück, was er so gern nicht angenommen hätte, was er so gern auf ewig von sich zurückgewiesen hätte. – Omar! sprach er leise zu sich selbst – Omar! wiederholte er mit zitternder Stimme. Sein Geist wandte sich scheu vor dem Gedanken zurück, der sich unüberwindlich zu ihm hinaufkämpfte. – Omar hatte die kindliche Liebe schon verloren, mit der er ihn ehedem geliebt hatte, seit jener Nacht, die ihn zum Vertrauten 119 seiner übermenschlichen Gewalt gemacht hatte, hatte sich seine Liebe mit Furcht und einem fremden Gefühl, einer Art von Anbetung vermischt: aber er war immer noch der Freund Omars geblieben, seine Liebe hatte sich gleichsam nur ein anderes Gewand gewählt, ohne ihr Wesen zu verändern, – aber zu der Empfindung, die itzt seine Seele durchschnitt, hatte bis dahin auch kein Keim, keine Ahndung in seiner Brust gelegen: es war nicht Mißtrauen, nicht Haß, nicht Abscheu, nicht Entsetzen; ein schwarzes Gewebe aus allen diesen Gefühlen gewirkt. Ein Todtengewölbe hatte sich ihm aufgethan, in welchem grinsende Gerippe, Moder und scheußliche Verwesung in tausend gräßlichen Vermischungen vor ihm lagen, das ganze Heer des Entsetzens zog mit schadenfrohem Lächeln an ihm vorüber und wie in Nebel gehüllt tobten neue Furchtbarkeiten aus der nächtlichen Ferne auf ihn zu, er sahe einen unendlichen engen Felsenweg vor sich, durch den er sich hindurch drängen sollte, um sich dann in einen Abgrund zu zerschmettern.

Omar! sagte er leise, wie fremd klingt mir itzt dieser Name, der einst meinem Vater zugehörte? der die Loosung zur Freude und zur Liebe war! – Itzt ist es der Name eines Ungeheuers, das seine Tigerklauen nach mir auswirft. – Oder war alles, alles nur ein Traum? Es kann nicht Wahrheit sein, unmöglich! Wie könnte so die Zeit ihr Gewand umkehren? Wie könnte so plötzlich der Zorn aus demselben Auge sehen, in dem so eben noch die Freundlichkeit thronte? – Wenn Omar statt mir die Hand zu reichen, mir einen schuppigen Drachenhals entgegenreckt, – wer soll mich dann aus der Grube ziehen, in der ich an den feuchten Wänden, ein 120 verlorner Wurm, umhertappe? Was ist Wahrheit, wenn der Ort, wo meine Seele sonst am liebsten verweilte, sich so plötzlich in einen Kerker umwandeln kann? – Ich schwindle vor den tausend Gestalten zurück, die aus einem wüsten dunkeln Abgrund so drohend ihr Haupt emporheben und mir still und schweigend wie unversöhnliche ewige Strafen zunicken! – Nein, so fürchterlich sieht die Wirklichkeit nicht aus, nur Träume verweben sich in solchen verworrenen Wolkengebilden. Wo war mein guter Engel, als diese Phantasieen in meiner Seele aufstiegen und auch den letzten Strahl verschlangen, der noch kärglich in ihre dunkle Tiefe hinunterleuchtete? – Wer würde dann noch zaudern und sich bedenken, aus diesem Leben herauszugehn, wenn es ihn mit so entsetzlichen Speisen fütterte? – Nein, nein, o Verzweiflung wäre für ein solches Unglück zu wenig, es kann nicht Wahrheit, es soll ein Traum gewesen sein! –

Er schwieg, eine dunkle Stille säuselte um ihn her, in der finstern Nacht und der leeren Einsamkeit sahe er nichts als seine Gedanken schwimmen, ein Wiederhall seiner Seele wiederholte unzähligemal den Namen Omar.

Und doch ist es Wahrheit, fuhr er leise fort. – Ich erinnere mich der Stelle, wo ich jene schrecklichen Worte las, o ich weiß es zu gut, wann und wie es war, mein boshaftes Gedächtniß wiederholt mir mit hämischer Freude die gestrige glückselige Nacht und stellt mir noch einmal den alten Nadir hin, der mir die Blätter reicht. – Nein, es ist kein Traum, wenn unser ganzes Leben nicht ein einziger schwarzer Traum ist und wir selbst ein bestandloses Traumbild, ein Dunst, 121 der durch die Leere seegelt und den ein nichtiger Schein anfliegt, bis ihn ein Wind verweht. – Blas't mich Wirbelwinde gegen Felsen, daß mein Wesen in tausend Luftblasen zerspringe und sich niemals wieder zusammen finde! – Wo Grausen und Unglück wohnen, wo der letzte leuchtende Funke knisternd aus der Asche springt, wo eine ewige Einsamkeit auf tausend Verderben brütet, – o da, da finde ich mich jederzeit wieder, dort ist die Heimath meiner Seele, dahin kehrt nach allen seinen Streifereien mein müder Geist zurück, dies ist das Ziel, wo ich endlich ruhen soll, nach welchem mein schwarzer Engel mich hohnlachend peitscht; alles weicht aus meiner Bahn zurück, nur meine Verächtlichkeit bleibt mir übrig und die Hölle, die hinter mir ras't.

Omar ist mir auf ewig verloren; es ist ausgesprochen, das unbarmherzige Urtheil, das fürchterliche Geheimniß ist wie ein Todtengerippe aus seinen verhüllenden Gewändern herausgeschritten, – zurück, zurück von meinem Halse, Scheusal! – Es klopfte ja ein Menschenherz in dir, als ich dich verhüllten Fremdling an meine Brust drückte, wo hast du Betrüger dein Herz gelassen? –

Habe ich jene grausenvollen Blätter bis zu Ende gelesen und ihre ganze Gräßlichkeit in meinen Busen gesogen? – Nein, nein, – ein freudiger Funke glimmt in der Nacht wieder auf, die Auflösung des Räthsels ist noch übrig, – ja, du wirst mir wieder geschenkt werden, mein Omar! Ja, der Ort kann itzt noch keine Wildniß sein, auf welchem so eben noch dieser freudenreiche Tempel stand. – Ja, Omar hat sich von Mondals fürchterlichem Bunde losgerissen und in die Arme der Menschheit zurückgeworfen, ja, er liebt, er liebt mich, 122 er ist wieder ein Mensch geworden, die übrigen Blätter werden, müssen es enthüllen. –

Er faßte den Entschluß in die Stadt zurück zu gehn und jene Blätter wieder aufzusuchen, die sein Schicksal enthielten, er bückte sich leise auf seinen Vater herab und hörte, ob er noch schlummere, dann verließ er schnell das Zimmer. –

Er drängte sich durch die Labyrinthe der Gebüsche und tappte in der wüsten Nacht mit den Händen umher, um den verborgenen Pfad zu entdecken. – Rauschend jagten sich Wolken durch die hohen Baumwipfel, die Sterne weinten kalten Thau herab, Sturmwinde spielten heulend im dichten Walde. – Abdallah stürzte oft gegen Bäume und fuhr durch rasselnde Gesträuche, flimmernde Lichter führten ihn oft trügend tiefer in den Wald hinein, wo ihm die Nacht noch dumpfer entgegenkam; endlich trat er auf die Heerstraße. –

Er ging durch das Thor und durch die stillen Straßen der Stadt, auf der Brücke hatten zwei Fischer ihre Netze ausgeworfen und unterredeten sich leise. – Abdallah stellte sich an das Ufer und dachte mit wehmüthiger Verzweiflung an den Abend zurück, an welchem der Untergang der Sonne sich so schön in dem Flusse spiegelte, als auf allen Wogen kleine Nachen schwammen, die für ihn mit Seligkeiten landeten, als jede Welle den Namen Zulma und Abdallah lispelte und mit dem Abendwinde stritt, wer »Zulma« am süßesten säuselte, er dachte an die Himmelsnacht zurück, als sich ihm das Paradies mit allen seinen unendlichen Wonnen aufgethan hatte, – er sahe nach der Gartenmauer, – aber eine neidische Finsterniß warf sich vor sie, die Wogen schauerten in verschlungenen Ringen im 123 kalten Winde der Nacht und wankten in einer düstern Dämmerung, ein Stern blickte zuweilen wehmüthig hinter den schwarzen Wolken hervor und warf traurig einen flüchtigen Blick auf die dunkle Fluth. – Er stand in tiefen Gedanken und maß sein Elend an der Größe seines vorigen Glücks. Das Gespräch der Fischer flüsterte leise in das Rieseln der Wellen.

Wie ich dir sagte, Sadi, sprach der eine, auch keine Mauer von seinem Pallaste will der Sultan stehen lassen, er hat den unglücklichen Selim mit den gräßlichsten Flüchen verflucht. Sein Zorn ist noch nie so fürchterlich gewesen, Niemand wagt es sich ihm zu nähern.

Aber man sagt, fing der andre an, Selim habe dem Sultan nach dem Leben getrachtet; wenn das ist, so verdient er auch die Strafe, da er seine Hand an den Gesalbten des Herrn hat legen wollen.

Aber Sadi, antwortete der erste, Selim war von jeher ein wackerer Mann, er hat mich vom Hungertod gerettet, er muß gewiß Ursachen gehabt haben, so zu handeln, denn er ist ein edler Mann.

Aber den Sultan, fing Sadi von neuem an, hat Gott über uns gesetzt und ihn verletzen heißt Gott verletzen und darum hat er den Zorn und die Strafe Ali's verdient.

Sie stritten noch länger und zogen dann ihre Netze aus dem Flusse, sie hatten nichts gefangen und gingen verdrießlich nach Hause. Abdallah hatte ihrem Gespräche traurig zugehört und näherte sich dem Pallast seines Vaters.

Kein Licht brannte im Hause, alles war still wie ein großes Todtengewölbe. Er schlich sich durch das 124 Thor und trat in den Hof, wo seine einsamen Tritte die Wände hinabschallten, er stieß mit dem Fuß an die Körper der Erschlagenen, die man mit Verachtung hatte liegen lassen und aus einem Winkel des Hofes seufzte ein Halbgestorbener und röchelte fürchterlich. Abdallah schritt bebend über sie hinweg und trat in die Gemächer des Pallastes. Alles war einsam und verödet, so still, als hätten niemals Menschen zwischen diesen Mauern gewohnt, – itzt kam er in sein Zimmer. – Mit zitternden Händen suchte er auf den Tischen und am Boden umher und fand die fürchterlichen Blätter nirgends. – Wie? – rief er aus, – sollte ich unter ewigen Zweifeln umhergeworfen werden und auch nicht einmal meinem Elende in's Angesicht sehen können? Sollte das schadenfrohe Schicksal mir auch selbst diese fürchterliche Freude der Gewißheit rauben wollen, damit meine Verdammniß in unaufhörlicher Angst bestehe?

Aengstlicher durchsuchte er das Zimmer noch einmal: – es gilt deine Liebe, Omar! ob ich mich mit dir aussöhne, oder nicht, hängt von diesem Augenblicke ab, – jetzt weiß ich nur genug, um unaufhörliche Quaalen zu dulden und nicht zur Verzweiflung reif zu sein. – Er suchte lange und unermüdet, endlich sprang er wüthend auf und wollte gehen, sein Fuß stieß an eine Rolle, die sich rasselnd auf dem Boden wälzte, er streckte seine Hand darnach aus, – es waren die erwünschten fürchterlichen Palmblätter, die ein Schreck ihm heut am Morgen aus der Hand geschlagen hatte. – 125



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