Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Neuntes Kapitel.

Abdallah sahe ihm lange nach, er war ungewiß, ob er noch itzt den Ring vom Finger reissen solle, oder nicht, er versuchte es, aber der Zauberring klemmte sich fest und gab dem Drucke nicht nach. Abdallah ging mit langsamen Schritten vorwärts.

Das Gewölbe schloß sich immer dichter hinter ihm zu, als wenn es ihm den Rückweg zur Welt versperren 141 wollte, gewaltsam hielt ihn die Unterwelt in ihren Armen, lebendig eingegraben war ihm zum Tage durch tausend Klippen die Rückkehr verriegelt, vor ihm eine schwarze, undurchdringliche Nacht, unter bangen Räthseln und Erwartungen gefangen, war er oft im Begriff, sich umzuwenden und den Rückweg durch die Klippenlabyrinthe zu suchen. Aber dann dachte er wieder an jene unterirdischen Gewölbe, zu denen ihn Omar hinabgesandt hatte, er sahe den Leichnam seines Vaters vor sich liegen und ging weiter, indem er laut den Namen Zulma rief und sich durch die dicke Finsterniß drängte.

Der bleiche Schimmer glitt nach und nach von den Wänden herab und die Dunkelheit wuchs immer dichter zusammen, endlich versank der letzte Strahl und eine schwarze dichtere Nacht fuhr wie in tausend Wolken nieder. – Die Felsenmauern endigten sich und er trat in ein großes unendliches Gefilde, über das ein dürrer Wind hinwehte. – Er athmete bange empor, drückend lag die Finsterniß auf ihm gewälzt, er ging wie ein Schatten durch die schwarze Nacht dahin, wie ein Gespenst, das auf dem öden Schlachtfelde in stiller Nacht seinen Leichnam sucht, er wagte es kaum, Athem zu holen und den Fuß hörbar aufzusetzen, eine Stille, so einsam und todt lag um ihn her, daß er den Wurm vernahm, der durch das erstorbene Gras mit knisterndem Fuße ging. Bei jedem Schritt verschlang ihn eine dickere Dunkelheit, bei jedem Fußtritt glaubte er in ein neues Grab zu treten, das über seinem Kopf zusammenschlug; wohin er auch das bange Auge warf, stand die kalte Nacht dicht vor ihm, kein Strahl zuckte mitleidig durch das schwarze Gewölbe, kein Funke erglühte 142 und warf sich durch das Dunkel, selbst kein Laut trat freundschaftlich seinem Ohre nahe, ihn zu trösten. –

In dumpfer Betäubung wandelte er durch die dunkle ausgestorbne Leere, als er plötzlich an der fernsten Gränze der Finsterniß ein blaues Licht entdeckte, das wie eine kleine Sonne grüne Strahlen um sich warf, in hundert Krümmungen zuckte und in wechselnden Farben spielte. Die Nacht sog begierig den Schein in sich und zitterte dämmernd und ungewiß um die ferne Helle. – Abdallah ging mit erneutem Muthe dem Lichte näher, das ihn mit tausend hellen Fingern zu sich winkte. – Schon sah er deutlicher den Weg unter sich, schon zog die Dämmerung immer schneller von seinen Augen hinweg, – als er vor einem Pallaste stand, aus welchem ihm das Licht entgegen glänzte. – Ein breiter Fluß rauschte dem Schlosse vorüber und eine Brücke führte zum Eingang des Pallastes. – Der Strom floß still und schwermüthig hin, seine Wellen murmelten leise wie das Schluchzen eines Weinenden, das hohle Ufer klagte ihnen in wimmernden Tönen nach.

Abdallah betrat die Brücke, lehnte sich gedankenvoll auf das Geländer, und betrachtete den Funken, der vom Pallaste her sich in trüben Streifen in den Wogen spiegelte, hundert Wellen flossen unter ihm hinweg und wollten den tröstenden Schein mit sich hinwegwälzen, aber hartnäckig sprang er wieder von dem Rücken der Woge herunter und sie floß weinend und klagend weiter. –

Er verließ die Brücke und sie zog sich hinter ihm auf; Abdallah fuhr zusammen. – Jedes Grausen stieß ihn vor sich her, übergab ihn dem benachbarten Schauder und sprang dann von ihm zurück, wie ein 143 Felsenstück, das ein Wasserfall von der höchsten Spitze des Berges reißt; eine Klippe wirft es spielend der andern zu, ein Abgrund dem andern, zurück führt es kein Sturm und kein Wassersturz, die Klippen beugen sich nicht herab, um es wieder aufwärts zu tragen. –

Itzt stand er vor dem Eingang des Pallastes; über der Thür waren diese Worte geschrieben:

»Wanderer, der du über den Thränenstrom gegangen bist, sieh hinter dir, der Rückweg ist unmöglich, nur durch diesen Pallast geht der Pfad der Rettung. – Fühlst du aber keinen Muth in deinem Busen, so wirf dich in den Strom, denn Schrecken lauern auf dich hinter der Thür.«

Abdallah trat in das große Thor und sein Fußtritt hallte laut in den hohen Gewölben, wunderbare Töne kamen ihm entgegen, flogen über ihn hinweg und streiften die Mauer, die Gebäude schienen den Fremdling staunend anzublicken, ein ungewisses Gewirre von gebrochenen Lauten wimmelte um ihn her. – Er ging über den gepflasterten Hof, jeder Schritt hallte dreifach an den unermeßlichen Wänden, auf denen sich die Nacht zu stemmen schien. Er ging durch eine Thür und trat in ein dunkles stilles Zimmer, er ging durch das Gemach hindurch, um eine andre Thür zu öffnen, die ihn auch in ein leeres unerleuchtetes Gemach führte, das Grausen schien diesen Pallast zu bewohnen, alles rundumher war still wie ein Grab. – Er eilte mit leisen Schritten und verhaltnem Athem durch viele Gemächer, und alle fand er leer, endlich eröffnete er eine Thür und ein schwacher Schimmer brach ihm entgegen.

144 Eine Lampe hing in der Mitte des Zimmers, die es erleuchtete wie der Mond durch schwarze Wolken das Gefilde, alles war still und feierlich umher, ein betäubender Dunst umgab ihn, und auf einem Ruhebette lag ein Greis und schlief, sein silberweißer Bart fiel ehrwürdig auf seine Brust herab, seine Füße ruhten auf einem kostbaren Teppich. Er glich dem Propheten Gottes an Majestät, Engel wären vor ihm niedergekniet. –

Abdallah stand in einer ehrerbietigen Entfernung und betrachtete den schlummernden Greis; der Schlaf schien sich mit Wohlgefallen über ihn zu neigen und ein Traum ihm den Himmel aufzuschließen, er lächelte im Schlaf, und Abdallah fühlte, daß sich Thränen heiliger Ehrfurcht und Anbetung in seine Augen drängten.

Endlich trat er näher, und eine leise Musik schwebte wie ein Abendnebel vom Boden empor und wiegte sich zitternd durch die Dämmrung, wie ein Duft stieg sie auf, und verhallte im leisen Nachklang an dem Gewölbe und quoll von neuem in süßeren Melodieen auf; Wohllaut ergoß sich auf Wohllaut, wo kleine Wellen sich im Mondschein übereinanderjagen, von wankenden Blumen angerührt; jeder Ton schwamm so süß hinüber, wie der letzte sterbende Klang der Flöte, jeder Ton schien den Wonnegesang zu schließen, und immer neue Accente gossen sich aus, wie ein stiller Quell, der sich unaufhörlich aus der Wiese hervordrängt. Heilige Wollustschauer zitterten durch Abdallahs Brust, seine Seele verlor sich in den entzückenden Melodieen.

Wie eine Wasserblase langsam aus dem Meere aufsteht, und sich immer größer und größer ausdehnt, bis sie endlich zerspringt, – so hob sich itzt der Greis von seinem Ruhebette langsam und nach dem Fluß des 145 Gesanges auf, er stand, dehnte sich und sank von neuem zurück und erhob sich von neuem, seine weit ausgestreckten Arme schienen sich von dem gewundenen Körper loszureissen, seine Züge und seine Gestalt waren nicht körperlich, er glich einem leicht gewundnen Nebel, – endlich öffnete er die Augen, es war, wie wenn der erste Strahl des Morgens durch den nächtlichen Rauch bricht.

Wer schlägt den heiligen Talisman an, sprach er leise und langsam, und erweckt mich vom Schlummer? Die Melodie zerreißt das goldene Netz, das ein schöner Schlaf um mich her geflochten hat, mein Geist kömmt über den Fluß zurück, der die Erde und den Himmel scheidet. Wer ist es, der die große Glocke anzieht, die mich zu erscheinen zwingt?

Abdallah schwieg. – Ha! bist du es Jüngling, fuhr der Greis freundlich fort, auf den ich hier schon so lange harrte? Glücklich, daß du mich gefunden hast. – Ich will deinem Blicke das Reich der Weisheit aufschließen, du sollst in die Tiefen der Erkenntniß dringen, ich will dir eine Leuchte geben, und du sollst in die finstern Schachten steigen, um Gold von schlechtem Erze zu sondern. Auf dem Pfad des Lebens will ich dich begleiten und in den Sonnentempel der Tugend führen, dich dem Glanzthrone der Gottheit näher bringen, du sollst den Blick in die flammenden Meere wagen und sehen, was nur der Cherub sieht.

Plötzlich fuhr er mit der Hand nach der Brust, ein innerer Krampf schien ihn heftig zu erschüttern, wie Meereswogen sank und stieg sein Busen ungestüm, eine wilde Wuth schien in seinem Innern zu ringen und gewaltig seine Seele gegen die Mauern seines Körpers zu schleudern.

146 Tugend? rief er geängstigt, – o wo geht der Strahl auf, nach welchem die Menschheit so ungestüm sich drängt? – Wo ist der Grund, auf dem der Thron der Gottheit ruht? –

Der Wahlspruch der Unendlichkeit, die Loosung aller Wesen heißt Genuß! – Was kann der Staub, den das Ohngefähr im Spiele modelte und zum Scherz in die Wirklichkeit warf – wie kann er sich so trotzig aufrichten und nach den Sternen als seinen Brüdern die Hand ausstrecken? – Wie kann er vermessen den ewigen Richter auffordern, um sich auf der untrüglichen Waage abwägen zu lassen? – Er geht im Trotze zur Verwesung zurück und träumt von Unsterblichkeit; ein herrschsüchtiger Sklave, der sich von der eisernen Kette des harten Nichtseins losgerissen hat, und verächtlich den Tyrannen spielt, ein Wurm, der sich aus seiner engen Höhle an das Licht verirrt hat und sich für den Herrn der weiten Schöpfung hält. – – Ein Wesen, das die Tugend erfand, um sich in seiner Tyrannei noch mehr zu brüsten; sein Name ist Verächtlichkeit, er gehört der Verwesung, die Elemente arbeiten an seiner Zerstörung, sie senden den Stolzen zurück, woher er gekommen ist, die Erde läßt sich unerbittlich die Schuld wieder bezahlen, ihrer strengen Rechnung ist noch keiner entronnen.

Welcher Sohn des Staubes kann in seinem engen Busen den Gedanken der Gottheit beherbergen? Sie fassen ihn nicht, den Unendlichen, und streben ihm entgegen, wie die Mücke, die der Sonne zufliegen will und sich am Schein der Lampe verbrennt: sie glauben und können ihn nicht begreifen, sie drängen sich einander in undurchdringlicher Nacht, ohne zu wissen wohin, 147 alle Pfeile fliegen nach einem Ziele, das niemals aufgestellt wurde. Anbetung ohne Glaube und Glaube ohne Ueberzeugung.

Es ist kein Gott! rief er lauter, die Ewigkeit verspricht ihn vergebens, tausend Ewigkeiten sind verflossen, die Welten rollen sich durch die Unendlichkeit, und sehen ihm mit harrendem Auge entgegen, aber er kömmt nicht. Wo steht er verborgen und spottet der Erwartung?

Das Kochen seines Busens ward wüthender, er schlug heftig an seine Brust. Sein Kopf drehte sich gewaltsam hin und her, und seine Augen glühten und schwangen sich herum wie Feuerräder. – Ein Grinsen fletschte plötzlich aus seinem Munde hervor, er brüllte und hielt dem bebenden Abdallah ein knirschendes Lächeln in starrer Wuth entgegen. Abdallah fuhr mit einem lauten Schrei zurück, denn in der Nebelgestalt wankte es hin und her wie Omars Gesicht. –

Es ist kein Gott und keine Tugend! rief er noch einmal. Genuß ist die Tugend des Menschen, er selbst sein Gott, die Kette des Schicksals ist zertrümmert, ein blindes Ohngefähr streckt durch die Welten die eherne Hand aus, – alles ist Staub und Würmer, die Verächtlichkeit thront in der Schöpfung!

Vatermörder! schrie Omar's Stimme aus der Gestalt heraus, dein Vater wirft sich deinem Glück entgegen, – Vatermörder! Stoß ihn nieder und sei mir gegrüßt! –

Das wankende Bild streckte die bleiche Hand gegen Abdallah aus, der mit zitterndem Knie aus dem Zimmer entfloh. Ein kalter Schauder goß sich über seinen Körper aus, sein Herz schlug laut, ein eisiger Schweiß benetzte seine Stirn.

148 Er sammelte seine Kräfte und ging dann langsam weiter. Viele Gemächer und Säle öffnete er und ging hindurch, alle standen leer in wüster Dunkelheit, von einem heimlichen Grauen durchsäuselt. – Er kam an eine Thür, durch deren Spalten sich kleine Lichtstreifen drängten. – O es ist fürchterlich, sagte er leise, eine unbekannte Pforte zu öffnen und zu wissen, daß mir Schrecken entgegenspringen.

Er öffnete die Thür furchtsam und fuhr mit einem krampfhaften Schauder wieder zurück. – In einem großen hellerleuchteten Saal wütheten stumm und ohne begleitenden Gesang tausend Ungeheuer in Weibergestalten tanzend auf und ab. – Ein Riesenkopf mit verzerrten Zügen wankte auf zwergartigen Körpern schrecklich hin und her. Sie verschlangen sich in wilden Gruppen und stürmten wie Meereswogen stumm durch den Saal, sie rauschten immer schneller und ungestümer vorüber, die Flammen der Kerzen zitterten. – Vatermörder! schrie ihm eine wilde Gestalt entgegen und riß ihn in den Saal in die Mitte der schwärmenden Ungeheuer, man führte ihn taumelnd in den fürchterlichen Reigen, und eine Unholdin warf ihn der andern zu, im lauten Brausen wand man sich von neuem auf und ab, die Tänzerinnen sprangen und schwebten wild durcheinander, mit lächerlicher Entsetzlichkeit wälzten sie sich um einander her und hüpften mit fürchterlichen Geberden. – Dies ist deine Hochzeit, raunte ihm eine schreckliche Gestalt vertraulich in's Ohr und Abdallah fuhr zusammen; eine andre trat leise hinzu und flüsterte: siehe rückwärts, deine Zulma steht hinter dir. Abdallah wandte sich schnell, und ein gräßliches Wesen stand hinter ihm und fletschte ihn mit einem wahnsinnigen 149 Grinsen an, alle ihre Züge waren fürchterlich verzerrt. – Sie reichte ihm eine lange dürre Todtenhand, und Abdallah entflohe; sie verfolgte ihn mit lautem Gebrüll, schon hielt sie sein Gewand, als Abdallah von einem Altan, auf den er sich gerettet hatte, hinuntersprang. –



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