Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Sechstes Kapitel.

So untergruben Selim und Omar den Thron Ali's; unbefangen ging Abdallah neben allen Gefahren hin, die er nicht sahe, das Gewitter zog sich in schwarzen krausen Wolken über ihn zusammen, aber er hörte nicht den Sturm, der von allen Bergen her die Dämpfe zusammenjagte, unbesorgt ging er in seiner Unwissenheit dreist einher, wo er, in das Geheimniß der Verschwörung eingeweiht, sorgsam prüfend den Fuß auf die schwankende Brücke gesetzt hätte und zitternd sich umgesehn, ob nicht unter ihm die Pfeiler stürzten.

Der Sonnenschein hatte ihn aus seinem Hause gelockt, er wollte eben die Stadt verlassen, als ihm Raschid begegnete.

Sei mir willkommen Freund! rief ihm Abdallah entgegen.

Raschid war traurig wie gewöhnlich und erwiederte Abdallah's Gruß mit niedergeschlagenem Blicke.

Du bist traurig, sprach Abdallah, komm mit mir in die schöne Natur, der Frühling wird dich heitre machen.

Itzt nicht, antwortete Raschid, nöthige Geschäfte rufen mich zu Ali; aber wenn die Sonne untergeht, dann erwarte mich auf der steinernen Bank, dem Pallast gegen über. – Er entfernte sich schnell und Abdallah ging durch die Thore der Stadt.

Der schönste Frühlingstag war aus dem Meer emporgestiegen, die Luft athmete lau, Düfte von tausend Blumen lagen auf den Schwingen des Westwindes, über die Berge war der glänzende Himmel wie ein 45 blaues Zelt ausgespannt, unter welchem lichte Wolken in leichter Bewegung tanzten. – Itzt hatte er einen Hügel erstiegen, der die schönste Gegend übersahe. Ein Thal schmiegte sich zwischen waldbewachsnen Bergen, der Wald rauschte ernst und feierlich und durch sein zitterndes Grün blinkte ein Strom verstohlen hervor, der bald verschwand und dann wieder schön gekrümmt wie ein weiter See im Sonnenschein glänzte. Friedliche Hütten lagen traulich unter den Zweigen der Bäume, der Sonnenschein spielte in mannichfaltigen Strahlen auf das frische Grün des Rasens, das bald heller bald dunkler sich den Hügel hinuntergoß, Cedern standen feierlich schwarz auf den Bergen, die den Horizont begränzten. Alle Wesen, von der Fliege die im Sonnenschein summte bis zum Hirsch im Walde und dem Adler in den Wolken, waren froh und glücklich, von jedem Zweige des Waldes rauschte die Freude, in tausend Gesängen bunter Vögel zwitscherte sie in das Geräusch der Waldung.

Abdallah stand und betrachtete mit Entzücken die glanzumschlungne Gegend. O der schönen Welt! rief er endlich aus. Wie freundlich es aus dem Thale zu mir heraufweht! Wie göttlich diese Wonne mich, wie ihren Freund, umarmt! Alle meine Sorgen liegen unbedeutend weit hinter mir, alle meine Sinne thun sich dem wohlthätigen großen Gefühle auf. – Welch ein Feuer in meinem Busen lodert! Wie tausend flammende Empfindungen zum Herzen strömen! – O unglückseliges Gedächtniß! – Nur Tod brütete in dieser unendlichen Pracht? – Mein Geist nur ein leiserer Ton von dem, der im Walde rauscht? – Mit dieser funkensprühenden Begeistrung bin ich nichts mehr, als dieser Strauch? – 46 Und doch drängt sich alles so zu mir herauf, alles kniet vor mir und meinen Gefühlen nieder, in meinen Empfindungen schwimmt ein ätherischer Glanz, der von mir selbst Bewunderung erzwingt, ich schlage an die goldnen Saiten der Natur und verstehe den großen Klang, – ja, ich bin ein edler Wesen, als die todten stummen Massen, – hinweg mit dir du Weisheit, die mich verschmachten läßt, – du raubst mir den Genuß, und Genuß ist ja das erste und letzte Ziel dieses Erdenlebens.

Er lagerte sich am grünen Abhang des Hügels und schaute in die unendlichen Reize hinaus, die sich nach und nach dem aufmerksamen Auge unaufhörlich auseinander wickelten. – Eine heilige Ruhe schwebte mit leisem Fittig über die Gegend, hundert neue Schönheiten gossen sich aus, wenn sich der Schatten vor den Wald hin ausstreckte und die Berge höher hinanlief, über das weite Gefilde lagen Dunkel und Sonnenschein freundlich zusammen und wechselten und spielten durch einander. Ein gelber schräger Sonnenstrahl schimmerte gebrochen durch die fernen Cedern und erglühte durch die Zweige wie Flammenstreifen auf dem grünen Berg, die im Rauschen des Waldes funkelnd auf und nieder zuckten.

O! daß ich mich stürzen könnte in das Meer der unermeßnen Göttlichkeit! rief der wonnetrunkene Abdallah, – diese tausendfachen Schätze in meinen Busen saugen! Könnt' ich sie fesseln und ewig wach erhalten in meiner Brust diese göttlichen Gefühle, die itzt durch meine Seele zittern! Ach, daß der Gesang durch die Laute rauscht und nachher verstummt! – Ich höre das Pochen meines ungeduldigen Geistes: was ist 47 diese unnennbare unausfüllbare Leere, die mich stets im Genusse so kalt und todt ergreift? Ein fremdes Streben ringt mit meiner Begeisterung und wirft sie nieder. Ich schwindle auf der Freude höchsten Gipfel und stürze in den Staub betäubt zurück. – Alle meine Gefühle drängen mich weiter hinaus zu einem unbekannten Etwas, zuweilen flattert unstät ein Schein durch die Dämmerung und wie eine holdselige Erinnerung winkt es mir zu, – aber er verlischt plötzlich und die ungestümen Wogen wälzen sich von neuem durcheinander.

Ein Abendwind bließ durch die Waldung, ein rother Duft schwebte um den Horizont, die ungewissen Widerscheine flossen nach und nach zusammen und ein Kranz von Gold, Purpur und Violet flocht sich rund um die Stirn des Himmels. Ein friedlicher Rauch stieg aus den Hütten und vermischte sich mit dem Nebel, der leise und langsam über die Fluren schritt und in tausend blendenden Sternen flimmerte, von einem Sonnenstrahl durchbrochen. Ein Schäfer zog mit seiner klingenden Heerde den Abhang herauf und seine einsame Flöte tönte sanft in das Thal hinab.

Abdallah ging mit seinen Träumen zur Stadt zurück, das Rauschen des Waldes hallte ihm noch immer wieder, in sein Ohr tönte noch die Flöte, die vom Berg herab ihm mit ihren Melodieen flüsternd gefolgt war.

Er setzte sich auf die steinerne Bank, dem Pallast des Sultan's gegenüber, in tausend verworrenen Gefühlen versunken. Die Leere der Stadt mit ihrem abendlichen Geräusch und der lärmenden Emsigkeit umgab ihn, die Kaufleute verschlossen ihre Thüren, der Handwerker verließ seine Läden, die Ausrufer gingen durch die Straßen, von den Moscheen ward die Stunde 48 zum Gebet gerufen und durch das verwirrte bedeutungslose Getöse hallte ihm noch wehmüthig froh der Flötenklang, in das Bild der dämmernden Straßen schwamm noch ein Wiederschein von der reizenden Landschaft und bildete eine Gestalt, die ihn mit schwermüthigem Lächeln ansah. Das Getön einer Thür riß ihn aus seinen Träumen, er schlug die Augen auf und sahe – Zulma, des Sultans Tochter.

Schlank und mit majestätischer Anmuth trat sie herbei, um auf dem Altan die Blumen und jungen Citronenbäume zu begießen und auf einen Augenblick die Kühlung des Abends einzuathmen. Ihr dunkles Haar floß geringelt auf ihre Schultern, ihr schwarzes Auge brannte wie ein Stern durch die Wolkennacht. Um ihre zarten Lippen spielte eine süße Freundlichkeit und die Liebe selbst legte den Mund in das lieblichste Lächeln.

Weitgeöffnet starrte Abdallah's Auge zum Altan hinauf, er verschlang mit glühendem Blicke die reizende Gestalt und jede ihrer kleinsten Bewegungen, er glaubte ein Seeliger des Paradieses zu sein und in Zulma die schönste der Houris zu sehn, – unter ihm hätte ein Erdbeben unergründliche Schlünde reißen können – er hätte es nicht gefühlt, – hätten tausend Donner um ihn her gebrüllt, – er hätte sie nicht gehört, – alle seine Sinne waren todt, sein Geist war aus seinem Körper entflohen und brannte verzehrend in seinen Augen. – Zulma ging wieder zurück und Abdallah starrte noch immer zum Altan hinauf, er glaubte noch immer den Schimmer des weißen Arms durch die grünen zitternden Blätter zu sehn, zu sehn, wie die Rosen von ihrem Anhauch schöner glühten und von Zulma's Glanz die Lilien heller leuchteten.

49 Endlich erwachte er aus seiner Betäubung, so wie der Wandrer in der Nacht erwacht, der müde auf dem Felde einschlief und den ein Reisender mit einer Fackel weckt. Er steht auf und sieht ohne Besinnung umher, er kennt die Gegend und sich selber nicht, von allen seinen Erinnerungen abgerissen, taumelt er dumpf seine Straße fort, die Berge um ihn her wanken im Schein und die Gegend liegt dunkel wie ein Räthsel vor ihm. – Aus diesem Gewirre kehrte Abdallah endlich zurück, – er sah, er hörte wieder, seine zugeschloßnen Sinne thaten sich wieder auf, – aber er erkannte sich selbst nicht wieder. So wie er itzt sahe, hatte er noch nie gesehen, so hatte noch kein Klang sein Ohr getroffen: eine neue Sonne schien ihm entgegen, aus jedem Ton grüßten ihn holde Melodieen. Ihm war als stiege er aus einer finstern feuchten Gruft heut zuerst dem Licht entgegen, hundert Besorgnisse schüttelte er von sich ab, er fühlte sich frei, stark und groß, kühn zu jedem Unternehmen, ausdauernd für jede Arbeit, unerschrocken vor jeder Gefahr, feiner fühlend für Schönheit und Edelmuth. – Rothe Wolken schwammen durch den Himmel und glänzten vorüberfliegend an den hellen Fenstern, Schwalben zwitscherten um ihn her, alles war ihm theuer, alles war ihm neu und ein neugewonnener Freund. – Er ging über die Brücke des Flusses, der die Stadt durchströmte. Eine flammende Gluth brannte durch den Himmel, das Abendroth sank hinter den Fluß nieder und warf ein bleiches goldnes Netz nach dem Abendsterne, der seinem Glanze folgte, der Strom glühte in Purpur, vom Kuß des Himmels erröthend, in sanften Krümmungen schlich sich das erhabne Ufer neben den Strom hin und spiegelte sich in seiner Fluth, rosenrothe Wellen plätscherten an das grüne 50 Gestade und lockten in der Ferne eine Heerde, die auf einem schmalen grünen Landstreif sich in den Strom drängte und aus den goldnen Wellen trank, eine Guitarre sprach in zärtlichen Tönen vom Fluß herüber, – Abdallah sahe in jeder Schönheit Zulma's Gestalt, die jeden Reiz erhöhte, er schwamm in einem Meer von Wonne, er stürzte sich und versank in die schönsten, erhabensten Gefühle.

Itzt sank der letzte goldne Streif des Abends nieder und aus Osten stiegen Schatten mit großen Schritten auf; er weinte und wußte nicht, warum eine Thräne sich so heiß aus seinem Auge drängte.

Sinnend ging er auf sein Zimmer, wiegende Wogen trugen ihn auf dem Bache der süßen Schwärmerei hinauf und hinab, ermüdet schlief er ein.

Die Zukunft strömte ihm hell und glänzend entgegen, wie ein Quell dem durstigen Wanderer, goldne Träume umfingen ihn und Zulma's Gestalt stand in den Träumen. – Er war so glücklich, daß er nie hätte erwachen mögen.



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