Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Achtes Kapitel.

Auch Omar trat itzt mit den übrigen Gästen herein und bewillkommte Abdallah. – In einem bunten Gewühl durchkreiste sich alles fröhlich und sprach und schwatzte mit einander; Sklaven und Sklavinnen liefen durch den Saal und bereiteten die Tafel und die festliche Mahlzeit; Lichter glänzten auf goldenen und silbernen 232 Leuchtern und blendende Schimmer zitterten durch das Gemach. Alle Augen sahen fröhlich umher, alle lachten und scherzten, nur Abdallah stand mitten unter ihnen, wie ein Gegenstand ihres Spottes, sein Auge verirrte sich in der Versammlung und starrte dann wieder unbeweglich auf den Boden hin; oft fing er an mit dem, der ihn am nächsten stand, zu sprechen, aber sogleich brach er wieder ab, ohne es selbst zu wissen, und verlor sich in seinem gräßlichen Stillschweigen. – Zulma wandelte verlegen durch den Saal, bald sprach sie mit ihrem Vater, bald sahe sie nach dem leblosen Abdallah hin. – Endlich erblickte Abdallah seinen Omar im Gedränge, er eilte sogleich auf ihn zu, er hatte ein bekanntes Wesen endlich aufgefunden, das mit seinen Gefühlen vertraut war. Abdallah und Omar gingen auf und ab.

Auch das letzte Glück, sagte endlich Abdallah, ist mir abtrünnig geworden, Zulma liebt mich nicht.

Sie liebt dich nicht? fragte Omar erstaunt.

O sie verabscheut mich, antwortete Abdallah. – Diese Liebe war nur ein sehr kurzer Frühling, der schwarze Winter kömmt zurück. Siehst du, wie mir alles, alles ungetreu wird? – Ach Omar, ich wanke wie in einem Traum einher, – könnt' ich mich ruhig in mein Grab hineinlegen! O hätt' ich nie gelebt!

Omar wollte ihn beruhigen, aber Abdallah hörte nicht auf seine Worte, er blieb in sich selbst zurückgezogen und seufzte schwer.

Das Gastmahl war indeß angeordnet, die Lichter glänzten in helleren Schimmern, das Gewühl verlor sich itzt, man ordnete sich und setzte sich an den Tisch. Zulma saß zur Linken Abdallah's, Omar zur Rechten.

233 Man aß und alle waren froh und vergnügt, Sklavinnen tanzten, sangen und spielten auf Guitarren und Theorben, andre schlugen kleine Handpauken, andre Cymbeln.

Abdallah sprach nur wenig, er sahe starr vor sich nieder, Zulma anzusehen wagte er nicht. –

Unter einer fröhlichen Musik tanzten die Sklavinnen und sangen:

    Schwebt in süßen Melodieen
    Sanftgesungne Hochzeitslieder,
    Und in immer süßern Tönen
    Grüßt des Bräutigams,
    Grüßt das Ohr der Braut. –

        Wonnelieder
    Sprechen in den frohen Tanz,
    Jauchzende Gesänge
    Schweben in leisem Fluge
        Um euer beglücktes Haupt.

Wie ein goldner Blüthenregen
Schwimme Glück auf euch herab,
Wie nach Wettergewölken
Sich Regenbogen
Durch die Finsterniß spannen,
    So komme stets nach trüben Stunden
    Die Freude unermüdet wieder. –

Die Tänze verwebten sich in immer neuen Verschlingungen, ein zauberischer Wohlgeruch floß durch den ganzen Saal, alle Gesichter lachten und glänzten von Fröhlichkeit. Abdallah war betäubt, er hatte alles vergessen, die Tänze und Gesänge hatten ihn so sehr aus sich 234 selbst herausgerissen, daß er mit der Freude eines Wahnsinnigen jedem fröhlich entgegenlachte. Von einer wilden, thierischen Fröhlichkeit berauscht umarmte er bald Omar und dann wieder Zulma, selbst Zulma lächelte zuweilen und spiegelte sich munter in seinen Augen. Die Gesänge jauchzten und Abdallah jauchzte zuweilen laut in die tanzenden Chöre. Auch Ali schien fröhlich, seine Rache war befriedigt und der furchtbare Selim, der einzige Mann in seinem Reiche, vor dem er zitterte, war nicht mehr. –

Eine lange Gestalt drängte sich itzt aus dem Gewühl hervor, dicht eingewickelt in schwarzen Gewändern zog sie einher, ein stiller Schauer begleitete sie, alles wich zurück. – Zu einer Laute hörte man leise singen:

Die Hölle hat den Sünder angenommen. –
Dem Feigen ziemen keine Kronen,
Nur der Muth kann sie erringen;
Seht ihr den Frevler
Unwissend
Neben seinem Verderben sitzen? –

Abdallah fühlte, wie ein kaltes Grausen seinen Rücken hinunterging. Die seltsame Gestalt zog itzt bei Abdallah vorüber, sie schlug das Gewand vom Kopf zurück, es war Nadirs altes todtenbleiches Gesicht; er trug einen Spiegel unter seiner Hülle; – Omar's Gesicht spiegelte sich von ohngefähr, – und o des Entsetzens! es zeigte sich so, wie es Abdallah in dem wunderbaren Zauberpallast gesehen hatte.

Der Greis verlor sich wieder in dem Gedränge.

Omar! sagte der schaudernde Abdallah leise zu 235 seinem Freunde, – horch! – hörst du nicht unter den Gesängen eine Stimme leise: Vatermörder! ächzen? – horch! horch! wie der Ton eines Sterbenden, – das ist sein Geist, – Vatermörder! seufzt es so schwer, so abgestoßen, wie mit einer innigen Herzensbangigkeit. – O! schlagt die Guitarren und Theorben! rief er laut, bis ihre Saiten springen! überschreiet diesen verwegenen Mahner und jagt ihn betäubt aus dem Saale, laßt die Pauken lauter donnern! – Schlagt alles in einen furchtbaren Klang zusammen, daß keine fremde Stimme hörbar werde! –

Die Gesänge wurden lauter und wilder, die Tänze wüthender, wie schießende Flammen, so schnell flohe und verfolgte man sich, in immer künstlichern Geweben verschlungen:

Schlag' an das Sterngewölbe
Stürmender Wonnegesang!
Daß weit durch die stille Nacht
Die rauschende Freude töne!
Trage zum Meeresstrande
Tönender Wiederhall
Unsern Wonnegesang!
Daß ferne Klippengestade
Den Namen Abdallah hallen,
Daß über grüne Wiesen
Der Name Zulma wandle,
Die Blumen schöner färbe.
Daß der Mond sich freue
Und goldner scheine,
Und die Zügel der Nacht nicht fahren lasse
Vor der Sonne fliehend.

236 Abdallah hatte ein bleiches Gesicht auf die gegenüberstehende Wand geheftet, seine Augen starrten fürchterlich aufgerissen wild in die Leere hinaus. – Befremdet fragte ihn Omar: was ist dir?

Sieh! Omar! ächzte Abdallah. – Sieh, die seltsame Erscheinung dort vor mir! – Eine weiße dürre Todtenhand klemmt sich heimlich und unbemerkt aus der Wand heraus und winkt mich unermüdet hinein, – was mag es sein, das mich so ruft? – Noch immer winkt sie mir ernst und befehlend, – sieh' den zernagten gekrümmten Finger! – Ha! es hat dich gesehn, denn die Hand hat sich zurückgezogen! – Omar, sie kömmt wieder, – sieh, der Arm dürr und knochicht bis zur Schulter, – es will sich aus der Mauer herausdrängen, – sollte das mein Vater sein, der durchaus zu mir will, um an meiner Freude Theil zu nehmen? – Stich mir die Augen aus, Omar, ich mag es nicht länger sehn! –

Omar lächelte ihn wehmüthig an. – Omar, sieh umher! sagte Abdallah ängstlich, – mir ist plötzlich, als sitze ich hier unter todten fremden gemietheten Maschinen, die bestimmt den Kopf drehen und die Lippen öffnen, – sieh doch, wie der abgemessen mit dem hölzernen Schädel nickt, der sich Ali nennt, – ich bin betrogen! – das sind keine Menschen, ich sitze einsam hier unter leblosen Bildern, – ha! nickt nur und hebt die nachgemachten Arme auf, – mich sollt ihr nicht hintergehn! – Sieh doch, dies hier sollte Zulma sein?– Ha! ein beinernes Gerippe, scheußlich mit Fleisch eingehüllt, – sieh! itzt eben werden ihr die todten Augen aus dem Schädel fallen, – hu! ich sitze unter Moder und Verwesung, wie in einer Schlachtbank bei 237 aufgehäuftem Fleisch, – rette mich, – o hinweg! du bist nichts besser als diese!

Die Gesänge übertönten ihn: –

Im goldnen Wolkenschleier
Steigt die schöne Tochter der Nacht
Ihre Himmelsbahn hinan.
        Fröhlich rauschend
        Hüpfen Meereswellen
Ihr mit holdem Gruß entgegen. –
Sie mustert ernst ihre Sternenreihen,
Alle Sterne neigen sich mit Ehrfurcht,
        Sie wandelt still. – –

Plötzlich fielen alle Lauten mit einem mächtigen Klang auf den Boden, alle Gesichter am Tisch wurden plötzlich starr und blaß, jeder ward unwillkührlich in einer gräßlichen Stellung festgehalten, wie zum Spott aufgestellte Leichname saßen alle da und sahen sich unter Schaudern an. – Abdallah sprang auf, seine Zähne knirschten entsetzlich. – Vatermord! – Vatermord! – schrie er, – die Hölle kriecht unter unsern Füßen umher, – der bleiche Tod steigt aus der Wand heraus und kömmt drohend auf mich zu! –

Alle fuhren auf. – Er ist rasend! – schrie Ali laut und ein plötzlicher Schreck fiel auf alle herab, sie entflohen hinweggejagt, Abdallah's Augen funkelten, – er wollte Zulma mit Gewalt zurückhalten, sie riß sich mit einem lauten Geschrei von ihm los, und ließ ihren Schleier in seinen Händen; schäumend warf er ihr brüllend seinen Dolch nach, er fuhr in die Wand.

Unsichtbare Wesen tobten hinter den Entflohenen her, sie zertraten die Lauten und polterten fürchterlich durch den Saal, – Stürme hausten klingend in den 238 Fenstern, seltsame Töne schrien aus den Mauern hervor, es ras'te durch den ganzen Pallast wie ein fliehendes Heer. – Abdallah sank auf seinen Sitz zurück. –

Es ward still und als er die Augen wieder aufschlug, tanzten stumm durch den Saal die grauenvollen mißgestalteten Zwerge aus dem Zauberpallast, das Ungeheuer Zulma hatte sich ihm gegenüber gestellt, einzelne lange Haare wiegten sich auf dem nackten Schädel, aus dem ungeheuern Kopf grinsten ihm wild verzerrte Züge und Zähnknirschen entgegen, sie nickte ihm einen freundlichen Gruß zu, bot ihm die Hand, warf einen blutigen Ring auf den Tisch, und versank dann lächelnd unter die Erde.

Mit ihrem freundlichen Grinsen begrüßten ihn alle Ungeheuer und verflogen dann in die Wände.



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