Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Fünftes Kapitel

Itzt trat auch Abubeker in das Zimmer und mit ihm mehrere von seinen und Selim's Freunden.

Abubeker war ein Greis von siebenzig Jahren, sein Gesicht war lang und hager, sein Auge sanft und sein silberweißer Bart sank ehrwürdig auf seine Brust herab. Schon seit langer Zeit war er der Welt abgestorben, ohne daß er sie, oder sie ihn vermißte; er lebte mit seiner Tochter in einer häuslichen Einsamkeit, nur von seinen Freunden gekannt und geehrt. Er war im Felde erzogen und unter der Rüstung ein Greis geworden, die Feinde hatten seine Tapferkeit gefürchtet und in seinem männlichen Alter war Abubekers Name durch das ganze Land bekannt gewesen; aber mit den Diensten des Feldherrn verschwindet zugleich der Dank des Volkes, der Ruhm gleicht dem Nebel, der sich über das ganze Gefilde auseinander wickelt und am weitesten ausgestreckt, verschwindet. Im Lager und in Schlachten hatte Abubeker seinen Geist nur wenig bilden können, er dachte daher nur langsam und beharrte unerschütterlich auf jede gefaßte Meinung, jede seiner Ueberzeugungen ließ er sich ungern nehmen und eine neue an ihre Stelle setzen: denn das, worüber er einmal gedacht hatte, schien ihm die einzige und letzte Wahrheit.

30 Selim bewillkommte ihn und seine Begleiter, und alle setzten sich.

Eine kleine Stille weilte über die Versammlung, als Selim endlich aufstand, Abubekers Hand ergriff und wie von einem heiligen Feuer ergriffen, also redete:

Abubeker, du bist mein Freund und was mehr ist, ein wackrer Mann; das seid Ihr alle, die Ihr zugegen seid, und wäre einer unter uns, der dies große Gefühl nicht in seinem Busen trüge, der entferne sich, ehe ich weiter spreche, denn meine Worte taugen für kein unedles Ohr. – Aber nein, – die edelsten Männer des Staats sind hier versammelt und darum sollen ungescheut meine Gedanken und Worte einerlei Weg wandeln. Zum Biedermanne muß der Biedermann ohne Umschweif sprechen, und eben dies war die Ursach meiner Einladung.

Alle schwiegen; Selim stand und sahe in der Versammlung umher, dann fuhr er fort:

Abubeker, du erinnerst dich vielleicht noch der goldnen Tage, als der Scepter des weisen Alfargo dieses Land beherrschte, als ein ewiger Friede an den Gränzen des Reiches wachte, als eine unzerbrechliche Treue alle Unterthanen in ein schönes Band vereinte und die Rüstung des Fürsten war, als das Glück in unsern Häusern wohnte, als – wozu der schönen Erinnerung, Freunde? diese Zeit war und ist nicht mehr, der Sonnenstrahl, der scheu an des Gefängnisses Mauern zittert, macht dem Gefangenen den Kerker enger, diese Erinnerung ist uns das, was dem verirrten Wandrer in der Sturmnacht das ausgelöschte Licht. Wir waren glücklich, aus diesem Gedanken springt die traurige Ueberzeugung: wir sind unglücklich! – Wie beim 31 Gewitter hängt die Luft schwer und drückend über unserm Vaterlande, die Arbeiter haben furchtsam das Feld verlassen und verbergen sich in Höhlen, das Gras zittert leise dem kommenden Sturm, die ganze Natur athmet schwer und harrt mit banger Ungeduld dem einbrechenden Wetter. – Dies ist das Bild unsers Vaterlandes, Freunde; kein Gesicht lächelt, als das der unverständigen Kinder, kein Auge glänzt, als das Auge des Sterbenden, keine Fröhlichkeit lacht aus betrübten Herzen, – traurig, mit gesenktem Haupte, in uns selbst versunken, von keinem heitern Gefühl aus unsern schwarzen Träumen geweckt, stehn wir verlassen auf einer spitzen, meerumheulten Klippe und klagen in das wilde Rauschen der See. – Und warum hängen unsre Thränen so schwer an den rothgeweinten Augenliedern? Warum schwellen unterdrückte Seufzer unsre Brust so hoch? – Sind die blühenden Felder um uns her Wüsten von Sand geworden? Entfaltet die Sonne nicht mehr ihren Mantel über dieses Reich? Hängt eine verzehrende Seuche über unsern Häuptern? Sind unsre Freunde verschieden? –

Ach ja, unsre Freunde sind verschieden, eine Pest schaut wild auf uns herab, die Sonne ist uns untergegangen und die Blüthe unsrer Fluren ist dahin! Ein liebliches Morgenroth spielte im fröhlichen Wogengeräusch um uns her, die Fluth sinkt zurück und unser Nachen steht auf einem dürren Felsengrund eingeklammert. – Das Glück hat uns seine Hand zum ewigen Abschied gereicht und wir sehen mißvergnügt seinem Scheiden nach. – Und tröstet uns denn kein Ersatz über unsern Verlust und sind wir auch nicht einmal begierig, die Ursach unsers Elends zu erfahren?

32 O zum Allgütigen laßt eure Klagen nicht dringen, denn er zürnt uns nicht, die freigebige Natur hält keine karge Hand über uns ausgestreckt. – Aber welche übermenschliche Gewalt schnürt unsre Brust so mächtig zusammen? Wer schlägt dies verfinsternde Gewölbe um uns her? – O daß ich es schaamroth aussprechen muß, – ein Fremder würde staunend unsrer Schwachheit spotten, – ein Mensch!

Ihm tragen unsre Felder, zu ihm fließt, wie zu einem geizigen Meere, alle unsre Arbeit zurück, wir leben nur für ihn, für den Einzigen kämpfen im unnützen Streit alle unsre Kräfte. – Ihm hast du, dem Undankbaren, deine Schlachten gefochten, Abubeker, er ist die Pest, die das Land verzehrt, hinter seinem Thron ist unsre Sonne untergegangen, in seiner fürchterlichen Allmacht liegt der Tod aller unsrer Freunde. – Leben und Vernichtung hält er auf der verfälschten Wage, an seinen Launen hängt schwankend unser Glück, Gewitter donnern aus seinem zürnenden Auge, das Lächeln seines Mundes ist unsre erquickende Frühlingssonne, seine Worte des Ewigen unveränderliche Gesetze, – wir stehn da, und fühlen daß wir elend sind, und o der Schande! – wir begnügen uns damit, daß wir es fühlen!

Sind wir alle schon so tief in Kraftlosigkeit versunken, daß wir auch nicht einmal murren? Sind wir uns so fremd geworden, daß wir auch nicht einmal unser Schicksal geändert wünschen? Daß wir uns mit dem begnügen, was er uns aus der Verheerung zurückwirft und uns der Gnade freuen, die uns noch unter den Trümmern unsrer vorigen Heimath zu wandeln vergönnt? Die Schlange verwundet wüthend die Ferse 33 ihres Mörders, die schuldlose Taube kämpft ohnmächtig gegen den Zerstörer ihres Nestes, ja der zertretene Wurm krümmt sich zürnend unter dem Fuße des Wandrers – und wir! – Wer ist der Schändliche, der sich nicht der Ketten schämte und sie gern von seinen Armen streifte? – O er gehe hin und erzähle Ali meine Rede!

Sklave und freier Bürger sind in unsern Zeiten gleich, das Reich kennt nur einen freien, wir alle sind seine Sklaven, das Vaterland und seine Bürger sind in dem Einzigen untergegangen, unsre Wünsche knien vor seinem Willen, das hohe Recht, das jeder Mensch mit auf die Welt bringt, haben wir an diesen Betrüger verspielt. Unser Dasein können wir nicht Leben nennen, wir sind todte Massen ohne eignen Willen, Steine, die ein muthwilliger Knabe zum Spielwerk am Abend in das Meer wirft. – – Und wer ist dieser Allgewaltige? Ein Riese mit ehernem Körper, von dem zerbrochen jeder Stahl zurückprallt? – Nein, eine Sammlung Staub, wie wir, von einem aufgehobnen Arm auf ewig zu Boden gestürzt.

Wo ist der Muth, der in unsern Vätern focht und die Feinde erzittern machte? Sind alle Dolche stumpf? Ist keiner mehr, der zu den Waffen greift und sich und seine Brüder rächt? Keiner? – O ich habe mich geirrt, ich vergaß, daß ich jetzo lebe, itzt, wo Knechtschaft ehrt, wo unser höchster Wunsch ist, der schändlichste seiner Sklaven zu werden. – Die Zeit hat ihren Kreis gemacht und alles Edle aus unsern Jahren hinweggenommen, nur mich Unglücklichen hat sie einsam stehen lassen.

Er schwieg. – Die Männer glühten, die Arme der 34 Jünglinge zuckten unwillkührlich. In vielen Augen stand die Thräne der hohen Begeisterung, viele wollten aufspringen und ihre Dolche schwenken, als der weise Abubeker mit langsamer bedächtiger Stimme also sprach:

Selim, deine Stimme ist die Stimme der Wahrheit, das Reich ist unglücklich, die Tyrannei herrscht mit erschlichener Gewalt von ihrem Thron herab, das Volk seufzt tiefgebückt unter dem ehernen Joch, – aber höre mich als Freund und zürne nicht. – Ich stehe auf einem hohen Gipfel, von dem ich über so manche Jahre hinweg sehe, die zu meinen Füßen ausgebreitet liegen, das Alter und die Erfahrung tritt endlich an die Stelle der Weisheit. – Hast du nie, Selim, eine Fluth gesehn, die verheerend das Gefilde überschwemmt, und es gedüngt und fruchtbarer wieder verläßt? Einen Stamm, den der Blitz verbrennt und aus dessen Asche ein schönerer mit frischer Kraft hervorschießt? – In dem gegenwärtigen Uebel liegt oft die Geburt eines künftigen Glücks, nur daß das sterbliche Auge nicht durch die Dunkelheit der Zukunft dringt, daß unser kleiner Blick nur das umfaßt, was vor uns, nicht, was oft dicht daneben liegt. – Schon vielen Völkern sandte der Herr zur Züchtigung einen eisernen Scepter und schon viele erkennten die bessernde Hand. – Ali ist vielleicht nur der Abgesandte einer höhern Macht, der uns von dorther den Krieg ankündigt: können wir rebellisch gegen den Ewigen aufstehn und seine weisen Plane meistern und verwerfen? Ziemt es dem Sklaven, seinen Herrn zur Rechenschaft zu ziehn? – Tausend Diener horchen auf das Gebot des Unendlichen und vollbringen die Befehle seines Zorns. Er darf nur winken und Ali wird vom Blitz durchbohrt, vom Sturm zerrissen. 35 Er vermag die Erde aus ihren Angeln zu heben, und im Unmuth mit dem Hauch seines Mundes gegen die Gränze des Weltalls zu zerschmettern, – und er sollte nicht einen Staub zum Staube wieder hinabsenden, wenn es sein Wille wäre? – Nein, wir wollen dulden, Selim, und im Dulden unsre große Seele zeigen. Rache brüllt nur aus den Thieren, der Mensch dulde und verzeihe! –

O Greis! rief Selim aus, das Alter, das alle unsre Kräfte verzehrt, spricht aus dir. Der Stunden, die du noch zu leben hast, sind dir zu wenige, um für sie zu handeln, – aber unsre Kinder, Abubeker!

Abubeker. Wacht nicht über sie das große Auge, das sich niemals schließt? – Laß sie die Tugend und Gott verehren und sie können nicht elend werden.

Selim wandte sich unwillig hinweg und Omar fing an zu sprechen:

Du sprachst mit tiefer Weisheit, Abubeker, die Hand aus den Wolken lenkt oft sichtbar die Schicksale der Menschen, das dunkle Verhängniß tritt oft aus seiner Finsterniß hervor, und zwingt selbst den kühnsten Zweifler zur schaudernden Verehrung.

Selim. Und auch du, Omar? der du meinen großen Entwurf zuerst zur Reife brachtest?

Omar. Oft aber waltet die Allmacht in ihrer Undurchdringlichkeit und lagert vor die frechen Augen Finsternisse um sich her. Oft tritt das unerbittliche Schicksal zurück, es zerreißt den Faden, an dem es den Menschen lenkt und läßt ihn ohne Leitung gehn. Dann schaut es auf den Weg des Wandrers herab und zeichnet ihn mit ewigen Zügen auf der unvergänglichen Tafel. Dann wird des Menschen Name unter die 36 Seeligen oder Verdammten eingeschrieben, ohne fremden Druck stehn aus dem Herzen die Tugend oder das Laster auf.

Abubeker. Ich fasse den Sinn deiner Rede, Omar. Wenn das ewige unwandelbare Schicksal niemals den Menschen aus seiner Hand ließe, dann trieben wir einen reissenden Strom hinab, der ohne unsre Schuld den Nachen vielleicht an einen Fels zerschellte, oder in die See versenkte.

Omar. Alle Widersprüche vereinten sich dann in einen Mittelpunkt, die ganze Natur wäre eine Flöte, auf der ewig die Töne des schaffenden Künstlers erklängen, keine That gehörte uns, unschuldig kehrten alle zum Schöpfer zurück. – Nein, Abubeker, wenn der Ewige auch nach seiner Güte das Laster zuläßt, so ist er es doch nicht selbst, der den Lasterhaften führt, das hieße ihn aus seinem Wesen hinausschelten, denn er ist ja das Gute selbst; blind ihn aus seinem Glanz vernünfteln, mit eben der Vernunft, die er uns lieh, ihn zu erkennen.

Abubeker. Ein Irrthum täuschte mich, Omar.

Omar. Ein Athem seines Wesens streifte leise den irdischen Staub und es entstand der Mensch. Dieser göttliche Funke, der aus der Nacht sich ihm freundlich zugesellte, ist es, der ihn aus den Thieren des Waldes, den Bäumen und Felsenwänden heraushebt, dieses ist das große Zeichen, an dem die Menschen sich erkennen, das untrügliche Unterpfand, daß uns jenseit ein neues Leben entgegentrete, wenn die Seele hier den Staub wieder von sich abschüttelt und zürnend das Thal verläßt, um einen schönern Hügel zu ersteigen. 37

Abubeker. Deine Worte wecken in meiner Seele eine Sonne, die das Dunkel erleuchtet.

Omar. Dieser Verstand lehrt uns die Wunder der Natur finden. Wie der Schnecke und dem Wurme Fühlhörner gegeben sind, um ihre Nahrung zu suchen und ihre Feinde zu fliehen, so verlieh der Gütige dem Menschen den Verstand. Der Zweck des Wurmes ist das Leben, dem edleren Menschen ist das Leben nur ein Weg, auf dem er zu seinem Endzweck geht: durch seinen Verstand sich selbst und Gott erkennen; je näher er diesem Ziele gekommen ist, je mehr hat er die Krone des Siegers verdient. – Ohne diesen Stern, der unser Schiff regiert, lebten wir, wie der Maulwurf, unter tausend Wundern, ohne sie zu bemerken. – Die Kraft der Heilung liegt in tausend Pflanzen ausgegossen, aber der Schöpfer tritt uns nicht unmittelbar in den Weg; die schwache menschliche Natur würde zu sehr vor ihm zusammenschaudern, er legt seine Furchtbarkeit ab und in schönen Blüthen findet der Verstand des Menschen die Kraft des Gütigen wieder, und Tod und Krankheiten fliehen vor dem wohlbekannten, allbelebenden Hauch, der ihnen aus den Kräutern entgegen duftet.

Abubeker. Deine Gedanken über den Ewigen sind wie der Schein des Mondes, sie leuchten auf den Pfad, ohne zu blenden, du verschlingst die Allmacht mit der Lieblichkeit und vor dem wonnevollen Bilde kann der Mensch anbetend in tiefer Ehrfurcht knien, und es zugleich lieben.

Omar. Der Verstand regiert wie ein Steuermann unsern Willen gegen Wind und Wogen der Leidenschaften und des Unglücks. – Der Verstand formt aus dem ungestellten Zufall eine Säule; statt uns selbst die Hand 38 zu reichen und durch das Dunkel zu führen, haucht der Ewige an diesen Funken und er leuchtet heller. – Dann werden große und edle Thaten geboren, Tyrannenthronen gestürzt, des Vaterlandes Feinde geschlagen, Völker besiegt und des Propheten Glaube über Meere getragen. – Diesen Fingerzeig der Gottheit nicht achten, heißt seiner Güte spotten, da er uns einen Schatz anvertraute, den wir nicht benutzen, dann wird er uns einst schwer zur Rechenschaft ziehen, daß wir ein Gut verachteten, das uns ihm ähnlich macht. – Es waren Propheten, die die Zukunft weissagten von Gottes Athem angeweht: wenn nur der Ewige selbst in unsre Seelen diese Gedanken gesendet hätte, wenn er durch uns Ali strafen und das Reich wieder glücklich machen wollte und seine Allmacht dabei unsichtbar erhalten, wenn wir die Pflanzen wären, aus denen der Gütige mittelbar Genesung unsern Brüder zusendete?

Abubeker dachte tief den Worten Omar's nach, die übrigen horchten aufmerksam auf seine Rede.

Omar. Ist es dann nicht unsre Pflicht, seinem Wink zu folgen und unverzeihliche Trägheit, wenn wir die Arbeit, die er uns in den Weg legt, verdrossen liegen lassen? – Auf dann! tretet alle Zweifel unter euch, beginnt das Werk und sagt der Ewige »Nein« zu unsrer That, – nun, dann wird das Unglück unsern Schritten folgen und uns von seinem Zorne Nachricht bringen.

Abubeker. Du hast mich überwunden, Omar, ich gebe deiner Weisheit nach.

Omar. Ha! wenn wir keine Leuchte hätten, die uns durch die Nacht begleitete! – aber wir tragen sie in unserm Busen. – Glaubet! ruft uns der Ewige 39 selbst zu – und handelt nach eurem Glauben und Herzen! Daher jagt das nagende Gewissen den Bösewicht, dies ist der gute Engel, der den Menschen zu edeln Thaten winkt. – Ein jeder muß nach seiner Ueberzeugung handeln – und wer glaubt nicht, daß wir alle glücklicher wären, wenn Ali von seinem Thron herunterstiege? Unser Recht? – o er hat unser Recht verletzt, er hat unsre Menschheit gekränkt, er zwingt uns, unser Wort zu brechen, das wir ihm gaben, er ist unser Feind, nicht unser Fürst. Wir scheuchen das Unglück über die fernen Gebirge, das itzt so dräuend über uns hängt, wir sind die Retter unsers Vaterlandes, aus seinem Grabe wird das Glück dann wieder auferstehn und uns dafür belohnen, unsre Brüder werden Freudenthränen weinen, – ha! wer steht noch müssig? Wer kann noch furchtsam zurückzagen? – Nein, Abubeker, Freunde, – wir wollen nicht die Krone von Ali's Haupte reissen, wir müssen es, – das Land liegt kniend zu unsern Füßen, des Ewigen ernstes Auge schaut anmahnend auf uns herab, die Nothwendigkeit reicht uns den blutigen Dolch, – wir können nicht zurücktreten und den furchtbaren Arm von uns weisen.

Selim. Nein, wir können, wir dürfen es nicht. Die Gefahr streckt uns ihren Rachen entgegen, – stürzt auf sie zu, Freunde, sie verherrlicht unsern Triumph! Welcher Feige würde nicht mit dem Edlen um jeglichen Kampfpreis ringen, wenn die Furchtbarkeit nicht die große nie zerfallende Scheidemauer zöge? Daß wir unser Leben wagen, o das ist es, was unser Unternehmen zu einer großen That stempelt, das ist es, warum sie Männer und keine Knaben fordert. Das Glück 40 schwebt um uns her; faßt mit starkem Arm den ehernen Ring und haltet ihn fest, – dreht er sich allmächtig weiter, – nun was können wir mehr als sterben? Und können wir in tausend Jahrhunderten einen ruhmvollern Tod finden, als im Kampf mit der Tyrannei dahinzusinken? – O wem das Leben das höchste Gut ist, der mag zagen, ihm sei es erlaubt zu zittern, er mag sich hinter Ali's Thron verkriechen und sich fest an seine Ketten klammern und an den Pfahl, an dem er gefesselt ist, – wir kämpfen, siegen oder sterben für's Vaterland und unsre Brüder, – das Schild am Arm, den Säbel in der Faust stürzen wir vor Ali hin und fordern uns selbst von ihm zurück, – wir verschwinden in dem großen Ganzen, eine Woge im Meer; was liegt an mir, wenn ich auch untergehe? – Die Gefahr nicht achten, heißt sie tödten; sich selber muß der Edle freudig seinen Brüdern opfern können. – Wer so denkt, der reiche mir seine Rechte!

Alle sprangen auf, man lief eilig durcheinander, jeder wollte der Erste sein, der die Hand des edlen Selim faßte. – Es ist kein Schändlicher unter uns! riefen alle, wie aus einem Munde, auch Abubeker trat hinzu und umarmte Selim und Omar. Eine große Begeisterung wandelte durch den Saal, alle Gesichter glühten, alle Augen funkelten.

Brüder! rief Selim aus, – das Loos ist gefallen! – Er kniete nieder. – Hier schwör' ich bei dem Ewigen und seinem Propheten, bis auf meine letzte Lebenskraft gegen Ali zu kämpfen, mein Vaterland zu retten oder zu sterben!

Alle knieten und schwuren ihm den großen Eid nach, dann umarmten sie sich von neuem, drückten sich die 41 Hand und küßten sich wie Brüder. Ein Gedanke lebte in allen Seelen, eine Entzückung, ein Geist wehte durch die ganze Versammlung.

Freunde! sprach Omar, – und wer soll denn an Ali's Stelle treten und eine neue Sonne über unser Reich heraufgehn lassen.

Alle schwiegen und Omar fuhr fort.

Das unmündige Volk bedarf eines Führers, ohne Oberhaupt würde es sich selber vernichten. Ein weiser Mann muß an der Spitze stehn, der alle die schweifenden Kräfte in einen Mittelpunkt sammelt, die sonst unnütz an tausend mannichfaltigen Gegenständen zerschellen. – Ihr kennt Selims Weisheit, seinen Muth, seine Güte und Menschenliebe. Er betrete den verwaisten Thron, er werfe unser Elend in das unergründete Meer und wecke das Glück aus seinem Schlummer. – Wer andrer Meinung ist, der spreche!

Du thust mir Unrecht, rief Selim, als alle schwiegen; warlich Omar, deine Worte schmerzen mich tief. – Hat denn Ehrgeiz oder Herrschsucht meine Gedanken geleitet? Bin ich der einzige Edle in dieser Versammlung? – Ich widerspreche dir hier laut, ich widerspreche euch allen, wenn ihr ihm beistimmt. – Der Unbetrügliche sieht mein Herz, beim Grabe seines Propheten schwör' ich hier, – durch meinen Tod, ja durch meine Schande wollt' ich Euer Elend von mir kaufen, ungenannt sterben und vergessen werden. Ich selbst war bei diesem Entwurf mein letzter Gedanke. – Omar, wie konntest du dem weisen, tapfern, erfahrnen Abubeker vorübergehn? – Hier steht unser Herrscher! Er verdient das Diadem zu tragen, das Ali entweiht. –

42 Er warf sich vor dem Greise nieder und berührte mit der Stirn dreimal den Boden, alle übrigen folgten seinem Beispiel. Der erstaunte Abubeker war gerührt und konnte ihnen nur durch Thränen antworten.

Du bist unser, Abubeker, sprach Selim, freiwillig zu uns herübergetreten, von keinem äußern Zwange gedrückt. Der Edle muß aus eignem Willen handeln, und damit auch nicht der kleinste Schein von Eigennutz auf dich fiele, hab' ich dir noch eine Nachricht vorbehalten, die du itzt erfahren sollst. – Ali, nach deinen Schätzen begierig, hat das Ziel deines Lebens näher rücken wollen; Omar hat durch seine Weisheit diesen Anschlag vernichtet und dich uns gerettet.

Der Greis Abubeker drückte ihm schweigend die Hand. – Selim, sprach er dann, ich bin dir sehr viel schuldig, dir dank' ich meinen Reichthum, du wandest ihn aus den Händen ungerechter Feinde, du schütztest mein Leben gegen einen Räuber, dessen Säbel schon über meinen Schädel blinkte, – erinnerst du dich noch jener Tage, als wir uns ewige, unzerbrechliche Freundschaft schwuren. Wir haben unsern Eid gehalten und wollen ihn noch ferner halten. – Damals schwurst du feierlich in meine Hand, dein Sohn Abdallah sollte der Gatte meiner Tochter werden, ist es noch dein Wille?

Selim. Ich schwur und ich hätte keinen Willen mehr, wenn es nicht mein sehnlichster Wunsch, mein freudenvollster Gedanke wäre.

Abubeker. Mein Kind vermält sich deinem Sohne.

Selim. Und wenn auch das Unglück uns verfolgt, auch wenn ich tausend Schätze besäße und du wärst eben so elend, wie ich einst war, – sie wird meine 43 Tochter, – nimm dies Versprechen noch einmal vor dieser feierlichen Versammlung.

Abubeker. Eben dies verspreche ich dir, wackrer Selim. – Dein Sohn wird der meinige, – aber wo ist er? Meine Augen haben ihn schon vorher vermißt. Sollte er keinen Theil an diesem großen Schauspiel nehmen?

Omar trat hervor. – Der zarte gefühlvolle Jüngling, sprach er, taugt noch nicht für Männer Unternehmungen. Tausend zärtliche Besorgnisse für seinen Vater würden sein Innres zerreissen; sein Geist steht itzt noch in der Blüthe und kann noch keine Früchte treiben; diese Gedanken würden ihm Ruhe und Schlaf rauben und seine Hülfe würde uns unmerklich sein. – So tragen wir ihn schlummernd den steilen Fels hinan, auf dem ein Schwindel ihn wachend seiner Vernunft berauben würde. Wenn er oben steht, dann wecken wir ihn sanft und er wird uns unsre zärtliche Sorgfalt danken.

Alle stimmten ihm bei und man beschloß am folgenden Tage sich von neuem zu versammeln, um über die Mittel zur Ausführung ihres Entwurfs zu berathschlagen. Dann ging man froh auseinander und ein jeder nahm große Gedanken und schöne Entwürfe in seiner Brust verschlossen mit sich. 44



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