Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Achtes Kapitel.

Schwarz lag die Nacht auf dem Gefilde, als Omar und Abdallah die Stadt verließen.

Wolken gossen sich gedrängt und düster von den Bergen herab, in hohen unendlichen Gebirgen aufgewälzt, wie eine dicke gewölbte Mauer hing der schwarze Himmel mit seinen wankenden Riesenschatten über ihnen, kein Stern sah durch die Hülle, kein Strahl des Mondes zitterte durch die Wolkenwildniß: ein Regen rauschte in den nahen Bäumen, durch den fernen Wald wandelte der Sturm dumpf murrend, die Wächter riefen 59 aus der Stadt die Stunden der Nacht, die Natur schwieg mit feierlichem Ernst und ein heimliches Grauen stieg von den finstern Bergen. – Beide gingen schweigend und in tiefen Gedanken versunken. – Nach einer langen Stille begann Omar:

Sieh Abdallah, wie der hohe Himmel mit seinen unabsehbaren Finsternissen über uns schwebt, wir treten wie in eine unendliche Wüste hinaus. Wie fürchterlich verlieren wir uns in diesem Wogensturm, der sich schwarz um uns her wälzt, – sieh, wie es durch einander wogt und flieht und sich zerrissen jagt! – Kaum ist ein ferner Schimmer des Mondes sichtbar, der unaufhörlich mit der Finsterniß kämpft, der Regen fällt in schweren Tropfen auf die Flur und der Sturmwind heult durch den dichten Wald, wie ein verlornes Kind, das in der Irre winselt.

Abdallah schloß sich fester an den Arm seines Freundes, – Omar, sprach er mit beklemmter Stimme, – o diese Nacht ist das Bild eines unglücklichen Lebens! So schwebt der Elende am Finger der Allmacht in die Nacht des Jammers verlassen hinausgehalten, von keinem Lichtstrahl erquickt. – Horch! wie sich der Strom in wunderbaren Tönen an dem Ufer bricht! Wie verworren alles vor uns liegt, – Omar, diese Nacht ist fürchterlich!

Omar. Fürchterlich?

Abdallah. Noch nie hab' ich mich so einsam in der Natur gefühlt, so einsam unter tausend Schaudern und fremden Gefühlen, so losgespühlt wie ein Sandkorn und an ein fremdes Gestade angeworfen. Dies wunderbare Gefühl der Einsamkeit, Omar, macht mich schaudern. 60

Omar. Mich begeistert diese Einsamkeit zu hohen Gedanken und Träumen; so in der stillen Nacht umherzugehn, so den Flug der Wolken zu sehn, das einsame wimmernde Plätschern des Ufers zu hören, – o dann ist mir, als stiege ich tief in eine Grube hinab, wo ich nur noch in einer weiten Ferne unvernehmlich ein loses Wehen dieser Welt verstände, dann ist mir oft, als könnt' ich den ewigen Weltgeist durch die Glieder seiner Weltordnung stillschaffend wandeln hören, als könnte mein entkörperter Blick durch das große Gebäude dringen und die hohe Ordnung verstehn. – Ja, Abdallah, eine solche Nacht winkt der Schwärmerei, hier wohnen tausend kühne Gedanken, die vor dem kalten ernsten Tageslicht zurückzittern, hier tritt unsre ungestammte Furcht wieder in ihre Rechte, hier machen uns dieselben Gedanken erblassen, die wir frech im Sonnenschein verlachen; der Spötter sinkt nieder und ruft: Gnade! der Zweifler greift geängstigt nach seinen Zweifeln und dem Weisen verstummt das dumpfe verworrne Getöse der Zeitlichkeit, er vernimmt den Gang der ewigen Naturgesetze, die Kleidung fällt von der Endlichkeit ab und er sieht mit anbetendem Schauder die unendlichen Kräfte durch einander weben und die Räder im ewigen Schwung sich drehen.

Abdallah. Sieh, wie hier verloren ein Glühwurm mit mattem Fluge summt und sich in das feuchte Gras setzt, so einsam und traurig wie die verarmte Wittwe, die im engen Gemach bei der kleinen Lampe weinend betet und sie nicht auslöschen will, um mit dem Strahl nicht auch das Bild eines Freundes zu verlieren. – Ach Omar, dieser kleine Wurm verliert sich so armselig unsern Blicken, das aufkeimende Gras ist 61 ihm ein Wald, unser Auge muß ihn ängstlich wiedersuchen, – und wie verlieren wir uns in diesem mitternächtlichen Gefilde, und diese unbegränzte Flur wird auf der Erde kaum bemerkt. –

Omar. Und wie versinkt diese Erde in der Unermeßlichkeit der Welt? – Abdallah, unser kühnster Schwung fällt lahm von dem Gedanken zurück, – diese Welt, – o vielleicht, daß für Wesen jenseit unsrer Gedanken dieser Mond und diese Sterne nur Feuerwürmer sind, die der Erde wie einem Grashalm einen grünen vorüberscheidenden Lichtstrahl zuwerfen, – und die höchsten Gedankenschwünge dieser Wesen schlagen gewiß noch nicht an die Gränze des Weltalls. Die Unendlichkeit wirbelt sich noch immer höher und höher, Millionen Arme streckt sie durch die ernste Ewigkeit und in jeder Hand hält sie tausend Welten.

Abdallah. Der Gedanke stürzt unter dieser Gewalt zusammen. Wo die Orionen und die Macht der Sterne wie Nebelblasen schwinden, o was bin ich da und dieser Verstand, der diese Wunder fassen will?

Omar. Ja, Abdallah, der Donner kann sich nicht durch die schwachen Saiten der Laute wälzen, sie brechen unter seiner Last. Je eilender wir diesem Gedanken folgen, je weiter flieht er von uns hinweg und um so lauter spottet ein höhnendes Gelächter unsrer Schwachheit.

Abdallah. Eine fremde Hand streckt sich uns entgegen, aber wir verstehen ihr Winken nicht.

Omar. Die Gottheit zieht an die große Kette des Lebens und vom Elephanten bis zum Wurm, den unser Auge kaum bemerkt, zittern alle ihre Glieder, ein Faden, der alle diese Perlen schüttelt. – Du wirst 62 Gewürme gesehen haben, Abdallah, die nur wenige Stunden leben, die sich freuen und ihr armseliges Geschlecht nicht untergehen lassen, – für uns sind sie nur Wesen eines Augenblicks, – auf uns lächeln vielleicht eben so mitleidig andre Geschaffene herab, denen unser Dasein nur ein Athemzug scheint; ihr Leben scheint höhern Wesen nur ein Tropfen Thau's, den der erste Sonnenstrahl aufküßt, und diese verwehen doch nur wie ein Staub in der Ewigkeit.

Abdallah. Das Leben ist nur eine Wasserblase, die sich aus der Fluth emportaucht und im Auftauchen zerspringt.

Omar. Darum sagte jener große Sänger: »Jahrtausende sind vor dir nur wie ein Augenblick.« – Und doch kriechen die nichtigen Gewürme auf der Erde umher und nennen sich dem Ewigen ähnlich, und brüsten sich mit Weisheit und tiefen Forschungen, und verachten den, der nicht ihre Weisheit kennt, – o Abdallah, dies ist ein Anblick, der den Unbefangenen zur Verzweiflung bringen könnte. – Eine alberne Mummerei, wo ein jeder nur darauf sinnt, seine Larve nicht Lügen zu strafen, – wenn wir sie nach Hause begleiten und die Larve abnehmen sehn – so sind sie nichts als Knochen und verächtliche Verwesung. – Ha! sie wollen den Ewigen fassen und sind sich selber unbegreiflich, und brandmarken alles Lüge, und verlachen alles, was in ihren engen Sinn nicht geht.

Abdallah. Verachtung sei ihre Strafe!

Omar. Ihr Verstand, eine Sammlung Staub, der wieder in Staub zerfällt, der nichts als Staub ist, in eine unkenntliche Form gemodelt, der aus Würmern ward und wieder zu Würmern wird, – o des 63 Erbarmens! mit diesem verläugnen sie den Finger, der seinen Namen in die Unendlichkeit hineinschreibt.

Abdallah. O sie sollten verehrend niederknien, blinde Anbetung des Ewigen sollte ihre Weisheit sein.

Omar. Die Welten sollen in ihrem Gehirn ihren Lauf vollenden und sie können die Lebenskraft der Schnecke nicht begreifen, ihre armselige Erfahrung stempeln sie Gesetze der Natur; daß die Sonne auf- und untergeht, hat ihrem dumpfen Sinn die Gewohnheit begreiflich gemacht, aber das sie einst stille stände, oder an den Gestirnen zertrümmerte, – dagegen sträubt sich ihr Glaube und die Welt nennt sie Weise.

Abdallah. Der blöden Thoren!

Omar. Wir stehn unter unendlichen Räthseln, nur die Gewohnheit hat sie uns weniger fremd gemacht; vom Baum bis zum Grase, vom Elephanten bis zur Mücke, wer sind diese Fremdlinge, die an uns vorüber gehn? O könnten wir an diese Wunder allmächtig schlagen und Antwort fordern; – aber es ist nur der Ton unsers Arms, der durch den Felsen dröhnt, – sie ziehn vorüber und bleiben stumm. – Wir selbst sind uns eben so unbegreiflich, als der Geist, der aus Mondstrahlen niederschwebend durch die Wolken flattert und Wälder mit einem Hauch ausrottet.

Abdallah. O könnte der richtende Mensch von allen Wesen Rechenschaft fordern!

Omar. Empfandest du nie, Abdallah, daß wenn dein Verstand durch tausend Stufen auf der höchsten schmalen Spitze schwindelnd taumelte, – daß er dann wieder zur thierischen Dumpfheit, zur Unbehülflichkeit des Steins herabstürzte? 64

Abdallah. Oft Omar. Dann liegt die Menschheit am verächtlichsten vor mir, wenn wir endlich gegen unsre Schwäche kämpfend im Begriff sind ringend den Preis zu gewinnen, und ohnmächtig hinsinken, und nichts als verworrene Gefühle davon tragen, dunkler und körperlicher als die unmittelbarsten, die todte Gegenstände um uns unsern Sinnen reichen. – O es sind Augenblicke, wo ich mein Wesen mit dem Wesen der Schwalbe austauschen möchte!

Omar. Auf dieser gähen Spitze gelingt es zuweilen dem Forscher, diesen fliegenden Augenblick zu fesseln. Dann weht es ihn wie mit reineren Lüften an, dann sieht er, wie durch einen dicken Vorhang, ein Licht über die nächtliche Haide wandeln; dies ist der fürchterliche Augenblick, wo der Verstand zwischen höherer Weisheit und Wahnsinn ungewiß hängt, ein Windstoß von hier oder dorther jagt ihn auf ewig auf die eine oder auf die andre Seite. – Dem Weisen fallen dann der Wesen vorgehaltne Bilder nieder, er erkennt was ist, ihm antworten die Wunder umher, sein Blick gräbt bis auf den Mittelpunkt der Erde. – Verstehst du mich, Abdallah?

Abdallah. Ich folge deinem Geiste.

Omar. Diesen ist dann die Binde von den Augen genommen, der Verblendete nennt sie Thoren, die Welt bewundert oder verachtet sie dumm, doch ihre Weisheit ist ihnen genug, der Gesunde bedarf keiner Krücken. Sie ergreifen die großen Zügel der Natur und lenken sie nach ihrer Willkühr, sie rufen Geister aus dem Abgrund, sie lassen die Jahreszeiten wandeln, das Meer sinken und anschwellen, sie fassen ein Glied von der großen Kette des Schicksals und lassen sie bis 65 tief hinunter wanken. – Die Weisen der Welt sehn mit Verachtung auf sie herab und der Weisere klagt sie nicht ihrer Blindheit wegen an, er greift dreist an die Handhabe der Natur, er hat die verborgenen aber einfachen Gesetze gesehn und er ist Herr der Welt, durch Zuversicht hat er die Herrschaft gewonnen, nichts kann sie ihm entreissen; daher sagte ein weiser Prophet mit tiefem Sinn zu seinen Schülern: Glaubet, und ihr werdet Berge versetzen! und sie glaubten und die Natur gehorchte ihnen.

Abdallah stand in tiefen Gedanken und Omar fragte ihn leise: Liebst du Zulma noch?

Abdallah fuhr auf. – Zulma? – Du hast alles um mich her ausgelöscht, Omar, aber in tiefer Ferne winkt mir aus der dicken Nacht noch ein freundlicher Funke, – ja, Omar, ich liebe sie, ich werde sie ewig lieben. – Ich stoße die Verächtlichkeit der Welt auf die Seite, ich gehe unwissend ihren Räthseln vorüber, – diese Weisheit ist nicht für ein sterbliches Gehirn, – meine Weisheit sei Genuß, mögen Wunder und Furchtbarkeiten um mich spielen, ich verhülle mich an ihrem Busen und sehe sie nicht.

Omar. Wenn dich aber nur dies Reich der Geister glücklich machen kann?

Abdallah. Ich gehe freudig jeden Weg, der mich zu dieser Krone führt.

Omar. Fühlst du dich stark genug für die furchtbare, zermalmende Vertraulichkeit?

Abdallah. O ich will zentnerschwere Bürden mit allen ihren haarsträubenden Schaudern, mit allem kalten Grausen auf meinen Rücken nehmen, – denn 66 Zulma steht vor mir und lächelt und sie drücken mich nicht.

Omar ergriff schweigend die Hand des Jünglings. – Abdallah! rief er laut, Abdallah! so erfahre, was du nie erfahren solltest und laß es tief in deinem Innern widerhallen, Omar ist mehr als dein Freund, mir sind die Gesetze der Welt unterthänig!

Abdallah fuhr zurück und riß seine Hand aus der Hand Omars. – Wie? – Omar? – Ha! wie eine eiskalte Hand mich fürchterlich von dir hinwegreißt! Omar, dieser bekannte Omar mehr als Mensch? – Er tausend Stufen höher als ich – und doch derselbe, mit dem der Knabe Abdallah spielte? – O fürchterlich! fürchterlich!

Omar. So jämmerlich sinkst du unter diesem Grausen zusammen und sollst es nur bis zu deiner Zulma tragen?

Abdallah. Nein, Omar, ich sinke nicht. – So sei denn mehr als Mensch, laß die mächtigen Riegel der Zukunft aufspringen, und die Welt sich unter deinen Sprüchen krümmen, laß alle deine Kraft meinen Wünschen nachfliegen und aus meinen Träumen Wirklichkeit schaffen.

Es sei, sprach Omar langsam und Ernst. – Sie waren in ein kleines Felsenthal gekommen, in dem sich ein Wasserfall schäumend von einem Hügel goß. – Wo sind wir? rief Abdallah aus, – diese Gegend sah ich noch nie. – Omar schlug mit seinem Stab dreimal auf den Boden und ein dumpfes Dröhnen und Pochen unter der Erde antwortete ihm. Man ruft dich, sprach Omar und zugleich riß sich eine schwarze Kluft klingend in den Boden. – Omar faßte die 67 bebende kalte Hand Abdallah's. – Hier steige hinab und gehe im geraden Wege, so weit du gehen kannst, dort wird sich dir die Zukunft enthüllen.

Abdallah setzte langsam den Fuß hinein und sahe seinen Lehrer zweifelhaft an; Eulen heulten ihm aus der Kluft entgegen, aus tiefer Ferne rief der Wächter in der Stadt die Mitternachtstunde, – Omar ließ die Hand Abdallah's fahren und dieser taumelte hinab. – Die Erde verschloß sich wieder.

Die Wolken entflohen und der Mond und die Sterne sahen durch das blaue Gewölbe, zuweilen noch rauschten die Bäume und schüttelten rasselnd den Regen von den Blättern, Omar stand sinnend an eine Felsenwand gelehnt.

Ein fernes Winseln zitterte unter der Erde, Omar schlug auf den Boden – und Adballah trat bleich, mit verzerrten Zügen und starren Augen wie ein Gespenst aus der Grube, seine Knie zitterten. – Er stürzte wüthend nieder und betete mit einer Inbrunst, die der Raserei ähnlich war.



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