Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Siebentes Kapitel.

Die Traumbilder wickelten sich leise aus Abdallahs Armen und er erwachte. Zulma war sein erster Gedanke, der gestrige Abend stand vor ihm und seine Einbildung holte ihm jede seiner gestrigen Empfindungen zurück. Alles lag ahndungsvoll wie ein Traum vor seiner Seele, oder wie eine mondbeglänzte Gegend, er zweifelte an allen seinen Gefühlen, durch ihre ganze 51 Harmonie wand sich sein Geist hindurch und suchte die Quelle, aus der dieser Strom seiner umgewandelten Empfindungen geflossen sei.

Ein früher Strahl des Morgens zitterte durch sein Fenster, er öffnete es und sahe sinnend in die schöne Gegend hinaus. Ein frischer, kühlender Hauch kam ihm entgegen, die Sonne schimmerte auf den Wellen des Flusses und brannte golden an den Fenstern der hundert Palläste umher, ein dünner Nebel sank in den Fluß zurück und durch den Himmel war ein purpurnes Meer ausgegossen. Durch jedes Wolkengebilde blickte Zulma's Gestalt hindurch, sie stand in den Sonnenstrahlen, die sich auf den Wellen brachen und lächelte ihm entgegen, in den Gebüschen am gegenüberliegenden Berge säuselte ihr Name, die ganze Natur umher war nur ein Wiederhall seiner Empfindungen. – Dürftig und ohne Reiz schien ihm alles, was er vor dieser Umwandlung gefühlt hatte, seine Phantasie war nun erst mündig geworden und verschmähte ihr voriges kindisches Spielwerk, seine erhabensten Gedanken reihten sich willig an das, vor dem er sonst kalt und ohne Empfindung vorübergegangen war, ein heiliges Entzücken flüsterte im Grase und spielte in der Gluth der Wolken, wie ein großes verschloßnes Buch hatte sich ihm die ganze Natur aufgeschlagen.

Raschid trat herein, als Abdallah sich noch seinen Schwärmereien überließ, er wollte seinem Freunde Vorwürfe machen, daß er sein Wort gebrochen und ihn am Abend nicht erwartet habe, dieser aber hörte nicht, was er sagte, sondern sprach mit seinen Träumen und wußte kaum, daß Raschid neben ihm stand. Dieser 52 verließ ihn endlich voll Verdruß, als ihm Abdallah nur durch einzelne unzusammenhängende Töne antwortete.

Abdallah hatte sich und sein ganzes Wesen vergessen, er hing glühend an seinen Phantasieen und Omar und seine traurige Weisheit war von seinen neuen Gefühlen verschlungen. – Vordem hatte er mit Kindlichkeit die Tugend und sich geliebt, alle Räthsel, die vor ihm lagen, hatte ihm Niemand Räthsel genannt und er stand unbefangen vor ihnen; seit jenem Abend, an welchem Omar ihn in seine Weisheit eingeweiht hatte, schien ihm alles Glück der Einbildung erloschen, die schöne Hülle war von der Natur abgefallen und er sahe nur das nackte Gerippe; er hatte schon daran verzweifelt, daß ihn je wieder ein Strahl aus den glücklichen Tagen seiner Unwissenheit anfliegen könnte, – und itzt schmückte sich alles schöner als je, so zauberreich stand noch nie die Wirklichkeit vor ihm, so geläutert und rein hatte noch kein Gefühl in ihm geklungen.

Omar trat herein, aber Abdallah bemerkte ihn nicht. – Worüber denkst du? fragte ihn dieser. – Ueber nichts, fuhr Abdallah erschrocken auf und Omar entfernte sich wieder. Abdallah war so froh, als ihn sein geliebter Lehrer verließ, als wenn eine lästige Gesellschaft von ihm gegangen wäre; er überließ sich ungestört seinen Schwärmereien, wie jemand, der in einem schönen Traum erwacht und wieder einzuschlafen sucht. – Was ist dir, mein Abdallah, sprach Omar nach einiger Zeit, indem er von neuem hereintrat.

Abdallah schwieg. – Was hat dich so tiefsinnig gemacht? fragte ihn Omar mit freundschaftlicher Unruhe.

Omar! stammelte Abdallah, sieh die Natur, die unendliche, unbegränzte, sieh, wie tausend Schönheiten 53 mich anlächeln und tausend schlafende Empfindungen in meinem Busen wecken. Sieh, wie die Herrliche ausgegossen von mir liegt, vom himmlischen Reiz umfangen. Wie des Morgens Gluth sich durch die Wolken schwingt, wie die blühende Erde sich lächelnd in die Arme des Himmels schließt, sieh, wie alles rund umher in dem lebendigen Glanze schwelgt, – o daß ich diese Göttlichkeit an mein Herz drücken könnte und mit Seligkeit gesättigt in den hohen allgemeinen Wohllaut zerfließen!

Es ist nicht das, sprach der ernste Omar, indem er Abdallah's Hand ergriff, du willst deinen alten Freund hintergehen und das solltest du nicht. Du warst mir noch nie verschlossen, noch nie vergaßest du über deine Empfindungen mich, noch nie brannte dein Auge so wie itzt, – noch nie suchtest du deinen Blick meinen Forschungen zu verbergen, – nein Abdallah, noch nie strebtest du deine Hand aus der Hand deines Freundes zu ziehn. –

Abdallah sahe nieder und schwieg; Omar hatte die geheimsten Geberden seines Geistes verstanden, er suchte daher beschämt seine Gesinnungen zu verbergen und dann war er wieder im Begriff, dem Freund mit seinen innigsten Gefühlen entgegen zu gehn. Sein Gesicht glühte, seine Blicke irrten ungewiß auf den Boden umher und suchten einen Gegenstand, der sie fesseln könnte. – Omar fuhr fort:

Hast du denn alles Vertrauen zu mir verloren? – Bin ich nicht mehr Omar, dein Freund? Warum willst du dich mir verbergen? Entdecke dich mir, unsre Seelen sind sich ja verschwistert, laß mich dein Glück oder 54 Unglück mit genießen oder leiden; seit wann ist Abdallah so eigennützig geworden?

Er schwieg und Abdallah wollte sprechen, aber eine heiße Thräne stieg in sein Auge, ein großer Seufzer erstickte seine Worte, seine Hand zitterte in der Hand Omars, dieser ließ sie mit freundschaftlichem Unwillen fallen.

Ich habe mich geirrt, dies ist nicht mehr mein Abdallah, so stehen Omar und er nicht mit einander. – Gut, ich muß dein Vertrauen noch erst zu verdienen suchen. – Er wollte gehn. –

Nein, nein, Omar, rief ihm Abdallah heftig nach, bleib! o ich will ja zu dir sprechen. – Doch was soll ich dir sagen? Wie wirst du mich verstehn, da ich mich selbst nicht verstehe? – Es giebt keine Worte, keine Sprache, in der ich alles so lebendig, so lauter hingießen könnte, wie es hier in meinem Herzen strömt und lebt! – Könnt' ich dein Herz in das meinige legen, deinen Geist in den meinigen schmelzen, o dann, dann würdest du mir die Worte ersparen und mich ohne Sprache verstehn!

Omar. Seelen, die sich so vertraut sind, wie die unsrigen, legen in die Worte jene Empfindungen hinein, die keine Beschreibung ausfüllt, den geistigen Hauch, der sich in keinen Tönen festhalten läßt, – darum werd' ich dich verstehen.

Abdallah. Aber kann deine ernste Weisheit auch dem jungen Freunde verzeihen?

Omar. So sehr kann Abdallah nicht fehlen, daß für sein Vergehn keine Verzeihung sein sollte.

Abdallah. Ach nein, ich bedarf keiner Verzeihung, das sagt mir mein Herz, die Unbefangenheit, mit der ich 55 den Blick in mein Innres werfe. Es ist kein Verbrechen, denn alles, die Natur, ich selbst, du mein Omar, alles ist mir unendlich theurer als vorher, das Lebende und Leblose ist meinem Herzen näher gerückt, ich fühle mich größer, edler, geistiger, – o mein Omar, laß dir alles in einem Wort' enträthseln: ich liebe!

Omar. Du liebst?

Abdallah. O du möchtest lächeln! Ach nein, es ist nicht das, nein, es ist nicht jenes Gefühl, das unsre Dichter so oft beschreiben, – kein Mensch hat noch je dieses hohe, heilige, unaussprechliche Wesen in seiner Brust beherbergt, Liebe ist es nicht, es ist das Gefühl der Seligen, mir allein seit Ewigkeiten aufbewahrt, mich aus dieser Welt hinauszureissen; eine allmächtige Woge hat mich auf die hohe gähe Spitze einer Klippe geschleudert, die Welle sinkt ins Meer zurück und ich stehe schwindelnd über Wolken, von allen Menschen die einst waren und sind auf ewig abgerissen, die Unendlichkeit um mich her, – die Gottheit hat heut mein Leben von neuem berührt und durch die leisesten Töne hindurch zittert der allmächtige Stoß. – Wer würde nicht dies Verbrechen mit mir theilen und welcher Freund mir nicht verzeihen?

Omar. Dir verzeihen, daß du liebst? Ist Liebe nicht der Zweck alles Erschaffenen, das, was uns die öde Welt in einen Garten umwandelt?

Abdallah. Du sprichst zu meiner Seele, wie ein Vater zu seinem kranken Kinde; ja, es ist die schönste Vollendung des Menschen, ich fühl' es, Liebe ist die einzige Tugend; nimm mir alle, laß mir nur diese übrig und ich werde sie nicht vermissen. 56

Omar. Sie bleibe dir ewig. Verdient aber auch deine Geliebte, – nenne mir ihren Namen.

Abdallah. Omar, du bist ein Gotteslästerer! – Setze das Paradies auf die eine und Zulma auf die andre Seite, und ich werde Zulma ohne Bedenken wählen. – Ich sahe sie gestern und seitdem sehe ich nichts, als sie, – mir war's, als fiele ein lächelnder Blick ihres holden Angesichts auf mich herab, – o wär' es Wahrheit, ich wollte mein Leben gegen noch einen dieser Himmelsblicke tauschen!

Omar. Zulma? – Ali's, des Sultan's Ali's Tochter?

Abdallah schwieg, dann fuhr er langsamer fort: Ach Omar, warum hast du die freundliche Binde von meinen Augen genommen? Ich war so glücklich, als ich nicht daran dachte, warum gönntest du mir nicht diesen lieblichen Betrug?

Omar. Wo willst du Adlersfittige hernehmen, dich zu dieser Sonne empor zu schwingen?

Abdallah. O die Liebe, die Allmächtige wird sie mir reichen! – Der Verzagte verliert ewig, dem Kühnen geht das Glück selbst entgegen.

Omar. Du stehst vor einem Abgrund, der sich zwischen zwei Felsen reißt, ein dichter Nebel liegt wie Land dazwischen und du trittst mit vertrauendem Fuß in die Luft, aber du wirst in die Tiefe stürzen.

Abdallah. Ach Omar, ich habe dir mein Geheimniß entdeckt, kannst du nichts, als es tadeln, hast du keinen mitleidigen Trost, keinen Rath für mich?

Omar. Und wenn ich ihn hätte? 57

Abdallah. O dann wollt' ich vor dir knien und dich meinen Erschaffer nennen. – Nur Hoffnung und ich bin nicht ganz elend!

Omar. Nicht elend? Wenn aber tausend Gefahren –

Abdallah. Die Unmöglichkeit soll unter das Joch den ehernen Nacken beugen, Gefahren will ich wie Blumen brechen und sie Zulma entgegentragen, ich will durch wilde Ströme schwimmen, über Abgründe springen, durch hundert Schauder unerschrocken gehen, mich durch Klüfte drängen, durch die kein Leben wandelt, wenn sie nur am Ziel der schreckenvollen Wanderung steht. – O sprich! nur ein Strahl, der mir aus der Ferne leuchtet und ich will ihm mit Adlersflug entgegenfliegen!

Abdallah! rief Omar aus, sein Gesicht war feierlich ernst, seine Augen durchschauten wild den Jüngling, – heut in der Nacht will ich dich wieder sprechen. Dann ging er und Abdallah sah' ihm staunend nach.

Unglücklicher! rief er aus, – wo sind nun alle deine hohen, himmlischen Schwärmereien? Sie sind vor einem Worte wie Nebel niedergesunken, und eine kahle Felsenwand steht vor dir, wo erst ein goldner Duft im tausendfachen Schimmer spielte. – Welche Kette hängt an dem Worte Ali, die mich so gewaltsam von Zulma zurückreißt? Lieg' ich in den Staub gebunden und glänzt sie ewig unerreichbar wie ein Sirius über mir? – Nein, ich will eine Leiter bis in den Himmel legen, ohne sie giebt es kein Glück, kein Leben für mich, bei diesem Spiele kann ich nur gewinnen.

Er schwieg und sein Blick senkte sich, als wenn ihn ein Gedanke plötzlich überraschte.

Nur gewinnen? fuhr er dann langsam und traurig 58 fort. – Und mit deines Vaters Fluch, Elender, verlierst du nichts? – O eine schwarze Ahndung breitet sich über meine Seele aus. Mit diesem Tage nimmt vielleicht das Elend meines Lebens seinen Anfang, ich stehe hier vielleicht am Scheidewege, wo ich in einen dunkeln, unendlichen Wald hineingehe und die freie helle Flur auf immer verlasse. – Mein Vater selbst tritt mir in den Weg und hält mich an, mein Vater liebt mich, um mich elend zu machen. – Alle meine Hoffnungen stürzen von diesem Fels zurück und hinter mir stehn schwarze Klippen furchtbar aufgepackt, und versperren mir den Rückweg. – Omar, leite deinen Freund aus dieser Irre! –

Er überließ sich seinen Gedanken, die bald den vorigen Schwärmereien weichen mußten, bald wieder kalt und verweisend ihre Stelle einnahmen. – So träumte und dachte er bis zum Abend.



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