Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Viertes Kapitel.

Selim saß in tiefen Gedanken, als Abdallah zu ihm hereintrat, er bemerkte seinen Sohn und stand auf. Ich habe dich rufen lassen, sagte er, um dir eine wichtige Nachricht anzukündigen; hat dir Omar nichts davon gesagt?

Nichts, antwortete Abdallah, – aber dieser Name den du genannt hast, lieber Vater, erinnert mich an eine Bitte, sage mir, wer ist dieser Omar?

Und wie kömmst du so plötzlich zu dieser Frage, fragte Selim, du kennst ihn schon so lange und noch nie ist es dir eingefallen, etwas näher von ihm unterrichtet zu sein.

Dieser Omar, antwortete Abdallah, ist mein zweiter Vater, nach dir lieb' ich ihn am meisten, ja vielleicht, wenn ich aufrichtig sein soll, habe ich zwischen dir und ihm meine Liebe ganz gleich vertheilt. – So tief meine Erinnerung in die Vergangenheit hinunterreicht, eben so lange kenne ich auch diesen Omar; er war der Spielgenosse meiner Kindheit und ist der Lehrer meiner Jugend, als Knabe konnt' ich mir Gott nie anders, als meinen Omar denken und itzt ist er mir ein Bild der Weisheit. Alles, was ich denke und weiß, habe ich aus ihm geschöpft, – ohne seine Liebe könnte ich 24 nicht glücklich sein. – Er ist mir bekannter, als meine eigne Gestalt, sein Geist ist meiner Seele so vertraut, ich schmiege mich so kindlich an ihn, alle seine Züge hab' ich so oft betrachtet und tief in meine Seele geprägt, – nur gestern am Abend, war es die magische Nacht, die meine Einbildung mehr als gewöhnlich hob, – oder war es das nüchterne leere Erwachen von einem Schlummer, wo uns sogleich in der freien Landschaft hundert verworrene Gebilde entgegentreten; als ich gestern durch den Wald mit Omar zur Stadt zurückging, trat mich plötzlich das sonderbare Gefühl an, als wenn ein fremder Mann zu meiner Seite gehe, – ich war hundertmal im Begriff, meine Hand aus der seinigen zu ziehn, ich wagte es nicht, ihn anzusehn, der Schein der Nacht flatterte ungewiß um ihn her und verstellte alle seine bekannten Züge, – ich war aus mir selbst herausgerissen, – ich folgte ihm schaudernd.

Selim. In den Jahren, wo die Einbildungskraft unsre Amme ist, spielen tausend Schwärmereien und trügende Gefühle um uns her, die, wenn wir nach ihnen greifen, in Luft zerfließen und unsern Geist zu einer trägen, thatenlosen Beschaulichkeit führen. Der männliche Jüngling muß alle diese kindischen Einbildungen mit ernstem Blick zurückweisen, auf seiner Bahn ungestört weiter gehn und diesen Morgendünsten nicht einmal ein zurückgeworfenes Auge schenken.

Abdallah. Seit gestern aber beunruhigt mich der Gedanke. Sage mir, wer ist dieser Omar?

Ich will dir alles sagen, was ich von ihm weiß, antwortete Selim; du hast ihn bis itzt als deinen Lehrer und Freund geliebt, du wirst ihn nun auch als deinen Wohlthäter ehren. – Ali, der wie ein 25 verzehrender Brand in dem Körper seines Landes wüthet, gegen den tausend Flüche der Wittwen und Waisen rastlos um den Thron Gottes schweben, Ali hatte auch mich unter Tausenden elend gemacht. Ich war reich und meine Schätze lockten seine Habsucht, er entriß mir alles, was ich besaß, – nur deine Mutter und du – weiter blieb mir in dieser Welt nichts übrig. Du warst damals einen Sommer alt und lächeltest am Busen deiner Mutter unverständig dem Elend entgegen. – Wir verließen die Stadt und wanderten über unbekannte Berge zu fremden Gegenden, der Jammer ging neben uns und reichte uns die ärmliche Nahrung, alle meine Freunde verließen mich, als hätten sie mich nie gekannt, Sorge und Dürftigkeit waren unsre einzigen unzertrennlichen Gefährten: so wandelten wir von Stadt zu Stadt und lebten kärglich von den Allmosen, die uns das Mitleid der Menschen zuwarf. – Ein stiller Gram wühlte unsichtbar in dem Herzen deiner Mutter, sie reichte mir lächelnd den Abschiedskuß – und ging nach einigen Stunden in ihre bessere Heimath zurück. Ich blieb mit meinem Unglück in der Einsamkeit.

Traurig schwieg Selim einige Zeit, dann fuhr er fort:

Sie ward begraben. Die Erde fiel feucht und schwer auf sie hinab, ein Dolch schnitt durch meine Seele, wenn du mit kindischem Lächeln nach deiner Mutter fragtest und an den Grabhügel pochtest, um sie wieder heraufzulocken; aber dein Lächeln war das letzte schwache Band, das mich damals an diese Welt zurück hielt, unverletzliche Pflichten sprachen mich aus deinem freundlichen Auge an, du lebtest noch und darum war mir das Leben noch etwas theuer. Ich konnte mich nicht aus der 26 Gegend entfernen, in der Zamiri ruhte, ihr Geist schien dort zu schweben und mich in dem Wohnorte meines Grams zurück zu halten. – Ach Abdallah, es waren traurige Tage, – wenn das junge Morgenroth so glühend heraufstieg und zitternd auf mein schlafloses Auge schien, wenn der goldne Abend über die Berge zog und die traurige einsame Nacht mit hundert neuen Sorgen langsam aufstieg, – die Erinnerung dieser Tage, – der Mensch muß viel erdulden, aber sein Muth muß ihn nie verlassen.

Eine kleine Stille. Aufmerksam und traurig hörte Abdallah die Erzählung seines Vaters, dieser sprach dann weiter:

Ich besuchte täglich den Kirchhof, auf dem sie ruhte, ich betete andächtig auf ihrem Grabe und flehte um Stärke. Im innigsten Gefühle meines Elends saß ich einst auf dem Grabhügel, du spieltest unbefangen vor mir im tiefen Grase, die Vergangenheit trat freundlich auf mich zu und setzte sich traulich an meine Seite, unmännliche Thränen rannen heiß über meine Wangen und fielen auf gelbe Todtenblumen, die auf dem Grabe blühten. – Plötzlich sah' ich einen Derwisch, der sich mir aus dem Schatten der Bäume näherte. Er hatte mich in meinem Glücke oft besucht und in seiner Gegenwart empfand ich stets eine heilige Ehrfurcht, denn ein stiller Schauer hauchte mich an, als wenn aus ihm der Geist des Propheten wehte. Mein Unglück schien ihn zu rühren: Grabe, sprach er, hinter jenem verfallnen Hügel und ein neues Glück wird dir entgegenblühen. – Ich grub und fand einen großen Schatz, der mir mehr ersetzte, als mir Ali genommen hatte, – als ich dem Derwisch meinen heißen 27 Dank bringen wollte, konnt' ich ihn nirgends entdecken – und dieser Derwisch ist Omar!

Abdallah. Omar?

Selim. Dein Lehrer Omar. – Ihm dank' ich alles, was ich besitze, alles was ich habe ist nur ein Gut, das er mir geliehen hat. – Ich ließ mich an der fernsten Gränze des Reiches nieder, veränderte meinen Namen und nannte mich Selim. Hier war ich vor Ali's Grausamkeit und Habsucht sicher, bis er nun seit einem Jahre seinen Wohnsitz verändert und sich hierher begeben hat. – Ich war itzt so glücklich als ich nur werden konnte, als nach dreien Jahren eine seltsame Erscheinung mein Haus besuchte. Ein hagrer ausgedörrter Greis reichte mir seine lange Hand, die wie ein Todtengebein klapperte, der Tod sahe aus seinen tiefen eingefallnen Augen, kraftlos wankte der Schädel hin und her und seine Sprache war nur das Keuchen eines Sterbenden. Ich erschrack bei diesem Anblick des Jammers und erst nach langer Zeit erkannte ich in diesem Todtengerippe – deinen Omar.

Abdallah. Omar?

Selim. Ich nahm ihn auf, wie meinen Wohlthäter, verpflegte ihn wie einen Vater, bis er von seiner Siechheit genaß. Als seine Gesundheit und seine Kräfte zurückgekehrt waren, nahm er freundschaftlich meine Hand und sagte: »du bist mein Wohlthäter Selim, du hast mein Leben gerettet und ich will nicht undankbar sein; du hast einen Sohn, ihm will ich bezahlen, was ich dem Vater nicht bezahlen kann.« So ward unser Wohlthäter dein Gespiele, dein Lehrer, dein Freund.

Abdallah stand nachdenkend. Eine neue Dankbarkeit band ihn fester an Omar und hing an seine Lehren ein noch größeres Gewicht; seines Lehrers Tugend war 28 unbezweifelt, um so zuverlässiger mußte also seine Weisheit werden; der Lasterhafte, der die Tugend läugnet, wird nicht gehört, aber wenn der Edle dem Bösewicht die Hand reicht und ihn ungescheut Bruder nennt, dann zagt die stolze Tugend und sieht zweifelhaft in ihr Innres.

Du schweigst, begann Selim von neuem, bist du nun nicht begierig, die Nachricht zu hören, die ich dir anzukündigen hatte?

Abdallah. Verzeih mein Vater – ich höre. –

Selim. Du sollst dich vermählen.

Abdallah. Dein Gebot ist mein Wille.

Selim. Des edlen Abubekers Tochter.

Abdallah. Du willst es und sie ist meine Gattin.

Selim. Diesen Gehorsam hatte ich von dir erwartet, mein Sohn. Abdallah wird seines Vaters Liebe nicht mit Undank vergelten.

Abdallah. Nein, nie mein Vater.

Selim. Du liebst also nicht, mein Sohn?

Abdallah. Ich liebe nur dich und Omar. –

Selim. Laß diese kindliche Liebe nie in deinem Busen verlöschen. – Abubekers Tochter, – oder meinen Fluch!

Selim sahe ihn mit einem durchbohrenden halberzürnenden Blick an, den Abdallah nicht verstand. Es war ein kalter fester Blick, der sich unauslöschlich mit dem fürchterlichen Worte Fluch in Abdallah's Gedächtniß grub; bei diesem Blicke kehrte plötzlich wie ein Blitzstrahl die sonderbare Unbekanntschaft mit Omar in seine Seele zurück, – als dieser hereintrat.

29 Er sahe ihn an und es war ganz wieder der alte, freundliche, bekannte Omar; er ging froh hinweg und alle seine ängstlichen Besorgnisse waren verschwunden.



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