William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Exeunt omnes

Unsere Personen sind allesamt einen Monat älter, als sie es waren, wie die zuletzt beschriebenen Abenteuer und Gespräche stattfanden, und zufällig hat sich eine große Anzahl der Persönlichkeiten wieder in dem kleinen Landstädtchen versammelt, wo wir zuerst bei ihnen eingeführt wurden. Frédéric Lightfoot, früher Maître d'hôtel in Diensten des Baronets Sir Francis Clavering von Clavering Park, hat um die Erlaubnis gebeten, einem hohen Adel und verehrlichen Publikum von –shire die Anzeige zu machen, daß er jenes wohlbekannte und komfortable Gasthaus zum ›Schilde von Clavering‹ in Clavering in Pacht genommen hat, wo er sich der fortgesetzten Gönnerschaft der Gentlemen und Familien des Landes zu erfreuen hofft. »Dieses alte und wohleingerichtete Haus,« sagte Herrn Lightfoots Manifest, »ist in einem Stile des höchsten Komforts restauriert und dekoriert worden. Herren, die mit den Dumplingbearehunden jagen, werden ausgezeichnete Stallung usw. für ihre Pferde im ›Schilde von Clavering‹ finden. Ein bequemes Billardzimmer ist dem Hotel hinzugefügt worden, und die Keller sind mit den auserlesensten Weinen und Spirituosen versehen worden, die ohne Rücksicht auf Kosten durch F. L. ausgesucht worden sind. Die Herren Handlungsreisenden werden finden, daß das ›Schild von Clavering‹ ein höchst komfortables Absteigequartier ist, und die Preise 462 sind für die Verhältnisse aller eingerichtet worden, so daß sie dem ökonomischen Geiste des Zeitalters entsprechen.«

In der Tat, das alte Wirtshaus hat ein beträchtlich lebhafteres Aussehen gewonnen, das Wappen von Clavering über dem Torwege ist prächtig ausgemalt worden. Die Fenster des Gastzimmers sind hell und neu und mit weihnachtlichem Schmucke verziert; die Magistratspersonen sind zu kleinen Sitzungen im Spielzimmer der alten Gesellschaft zusammengekommen. Die Wochenmarktsversammlung der Pächter wird wie früher abgehalten und ist zahlreicher besucht, da die Gäste an der Küche der Frau Lightfoot Gefallen finden. Ihre indischen Currys und Mulligatawnysuppen sind bei den Leuten besonders beliebt. Major Stokes, der geachtete Insasse des Herrenhauses von Fairoaks, Kapitän Glanders, H. P. und andere hier wohnende vornehme Leute haben sich günstig darüber ausgesprochen und sie mehr als einmal probiert, privatim sowohl als auch bei dem Festessen des Claveringer Instituts, das bei Gelegenheit der Einweihung des Lesezimmers stattfand, und wobei die vornehmsten Bewohner dieses blühenden Städtchens zusammenkamen und den vortrefflichen Vorräten der Wirtin Gerechtigkeit widerfahren ließen. Den Vorsitz führte der Baronet, den der geschätzte Rektor Dr. Portman unterstützte; den Stuhl des Vizepräsidenten füllte in gebührender Weise Barker, Esquire, dem Se. Ehrwürden Herr J. Simcoe und Se. Ehrwürden Herr S. Jowls Beistand leisteten, das unternehmende Haupt der Bandfabrik in Clavering und Hauptdirektor der Zweigbahn der Großen Westeisenbahn nach Clavering und Chatteris, die nächstes Jahr eröffnet werden 463 wird und mit deren Anlegung Ingenieure und Arbeiter jetzt fleißig beschäftigt sind.

»Ein interessantes Ereignis, das wahrscheinlich im Leben unseres hochbegabten Mitbürgers, Herrn Arthur Pendennis, Esquire, stattfinden wird, hat, wie wir hören, denselben veranlaßt, die Absicht aufzugeben, sich als Kandidaten für unseren Burgflecken aufstellen zu lassen und das Gerücht flüstert,« (so sagt der ›Kämpfer von Chatteris‹, der ›Agrikulturist von Clavering‹ und der ›Fischersmann von Baymouth‹, – dieses unabhängige Blatt, das sich durch seine nie wankenden Grundsätze und sein treues Stehen zur britischen Eiche so ausgezeichnet hat und ein so empfehlenswertes Mittel für Anzeigen ist) – »das Gerücht flüstert,« sagt also der K. von Ch., der A. von C. und der F. von B., »daß, sollte Sir Francis Clavering sich auf Grund seiner schwachen Gesundheit gezwungen sehen, seinen Sitz im Parlamente aufzugeben, er ihn zugunsten eines jungen Herrn von kolossalem Vermögen und verwandt mit den vornehmsten Familien des Reiches aufgeben werde, der im Begriffe steht, ein Ehebündnis mit einer begabten und liebenswürdigen Dame einzugehen, die durch die engsten Bande mit der hochachtbaren Familie zu Clavering Park verknüpft ist. Lady Clavering und Fräulein Amory sind im Parke angekommen, um daselbst die Weihnachtsfeiertage zu verbringen, und wir hören, daß eine große Zahl von der Aristokratie erwartet wird, und daß Festlichkeiten von ganz besonders interessanter Art dort beim Beginne des neuen Jahres stattfinden werden.«

Der ingeniöse Leser wird sich mit Hilfe der obigen 464 Anzeige in den Stand gesetzt sehen, zu verstehen, was während der kleinen Lücke, die sich in unserer Erzählung vorfindet, stattgefunden hat. Obschon Lady Rockminster über den Vorzug, den Laura Pendennis vor Blaubart erteilt, ein bißchen brummte, werden doch die, welche das Geheimnis des letzteren kennen, es begreiflich finden, daß das junge Mädchen keine andere Wahl treffen konnte, und die gütige alte Dame, die sich selbst zum Vormund des Fräulein Bell eingesetzt hatte, war nicht übel zufrieden damit, daß sie nun den großen Lebenszweck junger Damen erfüllen und sich verheiraten wollte. Sie benachrichtigte noch dieselbe Nacht ihre Kammerfrau von dem interessanten Ereignisse, und natürlich war Frau Beck, die von jedem einzelnen Umstande vollkommen unterrichtet war und von Martha von Fairoaks stets die vollständigsten Nachrichten über alles, was vorging, erhielt, unermeßlich erstaunt und erfreut. »Das Einkommen des Herrn Pendennis beträgt so und so viel, die Eisenbahn wird ihm, wie er behauptet, so und so viel mehr geben; Fräulein Bell hat so und so viel und wird vielleicht eines Tages noch etwas mehr haben. Für Leute von ihrer Stellung werden sie imstande sein, recht gut durchzukommen. Und ich werde mit meinem Neffen Pynsent sprechen, der, wie ich glaube, früher ziemlich verliebt in sie war, – was aber natürlich eine Sache der Unmöglichkeit war (›Oh! natürlich! Mylady, ich sollte das wahrhaftig meinen!‹) – nicht, daß Sie irgendwie das mindeste davon wissen, noch es nötig haben, an die Sache überhaupt zu denken, – ich werde also mit Georg Pynsent reden, der jetzt erster Sekretär 465 in der Aktenband- und Siegellackkanzlei ist, und bewirken, daß Herr Pendennis ein Aemtchen bekommt. Und hören Sie, Beck, morgen früh werden Sie unten dem Major Pendennis meine Empfehlung ausrichten und sagen, daß ich ihm um ein Uhr meinen Besuch machen werde.«

»Ja,« murmelte die alte Dame, »der Major muß ausgesöhnt werden und den Kindern Lauras sein Vermögen hinterlassen.«

So erschien denn also um ein Uhr die Gräfinwitwe Lady Rockminster in der Wohnung des Majors Pendennis, der, wie man sich wohl denken kann, entzückt war, einen so vornehmen Besuch bei sich zu empfangen. Der Major war, wenn auch nicht auf die Nachricht, die Ihre Ladyschaft ihm mitzuteilen im Begriff war, doch wenigstens auf den Bericht vorbereitet, daß Pens Heirat mit Fräulein Amory abgebrochen wäre. Es muß eingestanden werden, daß der junge Herr sich erst jetzt zum ersten Male an diesem Tage seines Oheims erinnerte. Als er dessen neuem Bedienten in der Halle des Hotels begegnete, fragte er Herrn Frosch nach des Majors Gesundheit und ging dann in das Gastzimmer des Hotels, wo er einige wenige Zeilen schrieb, um seinen Oheim mit dem, was vorgefallen war, bekannt zu machen. »Lieber Onkel,« sagte er, »wenn eine Differenz zwischen uns gewesen ist, so ist sie nun vorüber. Ich ging gestern nach Tunbridge Wells und fand dort, daß jemand anders den Preis davongetragen hatte, über den wir stritten. Fräulein Amory hat, ohne irgendwelche Rücksicht auf mich zu nehmen, ihre Person an Harry Foker mit 466 seinen fünfzehntausend Pfund jährlich verschenkt. Ich kam plötzlich dazu, als sie miteinander liebelten und fand und ließ ihn in ihrem Besitze.

»Außerdem werden Sie erfreut sein, zu hören, daß Tatham mir schreibt, er habe drei von meinen Feldern zu Fairoaks an die Eisenbahngesellschaft verkauft, und zwar zu einem hohen Preise. Ich werde Ihnen dies und noch mehr erzählen, sobald wir zusammenkommen, und bin allezeit

Ihr

Sie liebender Neffe A. P.«

»Ich glaube, ich bin schon unterrichtet von dem, was Sie mir erzählen wollen,« sagte der Major mit einem höchst artigen Lächeln und einer tiefen Verbeugung zu der Abgesandten Pens. »Es war eine sehr große Freundlichkeit von Ihrer Ladyschaft, daß Sie daran dachten, mir selbst die Nachricht zu überbringen. Wie wohl Sie aussehen! Wie sehr gütig Sie doch sind! Wie so sehr freundlich Sie stets gegen diesen jungen Mann gewesen sind!«

»Es war um seines Onkels willen,« sagte Lady Rockminster höchst artig. »Er hat mich vom Stande der Sachen benachrichtigt und mir ein hübsches Billet geschrieben, – ja, ein hübsches Billet,« fuhr der alte Herr fort, »und ich ersehe daraus, daß sein Vermögen gewachsen ist, – ja, und, alles zusammen betrachtet, bedauere ich es nicht eben sehr, daß diese Geschichte mit Fräulein Amory aus ist, obwohl ich es einst sehr gern gesehen hätte, – ja, wirklich, alles genau betrachtet, bin ich recht froh darüber.« 467

»Wir müssen ihn trösten, Major Pendennis,« fuhr die Dame fort, »wir müssen ihm eine Frau verschaffen.« Da ging dem Major ein Licht auf, und er sah, zu welchem Zwecke Lady Rockminster beliebt hatte, das Amt einer Gesandtin zu übernehmen.

Es ist nicht nötig, auf die Unterhaltung, die nun folgte, einzugehen oder des breiteren zu erzählen, wie Ihre Ladyschaft ein Geschäft abschloß, das in Wahrheit sehr leicht war. Es konnte kein Grund vorliegen, weshalb Pen nicht nach seinem eigenen und seiner Mutter Wunsche heiraten sollte, und was Lady Rockminster betraf, so unterstützte sie die Heirat durch Andeutungen, die bei dem Major sehr viel Gewicht hatten, von denen wir jedoch nichts sagen werden, da Ihre Ladyschaft (jetzt natürlich sehr vorgerückt an Jahren) noch am Leben ist und die Familie böse sein möchte, und endlich wurde der alte Herr von der außerordentlich gnädigen Herablassung der Dame und ihrer zärtlichen Liebe für Laura ganz überwältigt. Nichts in der Tat konnte einschmeichelnder und freundlicher sein, als das ganze Benehmen der Lady Rockminster, ausgenommen einen Augenblick lang, wo der Major davon sprach, daß sein Junge sich wegwürfe, worauf Ihre Ladyschaft eine kleine Rede losließ, in der sie dem Major begreiflich machte, was der arme Pen und seine Freunde sehr demütig anerkennen, daß nämlich Laura tausendmal zu gut für ihn wäre. Laura wäre dazu wie geschaffen, die Gemahlin eines Königs zu werden, – Laura wäre ein Muster an Tugend und Vortrefflichkeit. Und es muß erwähnt werden, daß Major Pendennis, als er fand, 468 daß eine Dame vom Range der Gräfin Rockminster ernstlich Fräulein Bell bewunderte, augenblicklich sie auch zu bewundern anfing.

So kam es, daß, als Herr Frosch ersucht wurde, in die Gemächer der Lady Rockminster und Fräulein Bell hinaufzugehen und Herrn Arthur Pendennis zu benachrichtigen, der Major werde sie empfangen, und Laura errötend und glücklich, an Pens Arme hängend, erschien, der Major beiden seine zitternde Hand nicht ohne Rührung und Herzlichkeit reichte und dann Laura noch auf eine andere Weise begrüßte, bei der sie noch mehr errötete. Seliges Erröten! Helle Augen, strahlend im Lichte der Liebe! Der Erzähler dieser Geschichte wendet sich von dieser Gruppe zu seinen jungen Zuhörern und hofft, daß eines Tages ihre Augen alle auch so leuchten werden.

Da Pen sich in der freundschaftlichsten Weise zurückgezogen und die liebliche Blanche ihre jugendliche Neigung einem errötenden Bräutigam mit fünfzehntausend Pfund jährlich geschenkt hatte, gab es im Herzen und in der Familie Clavering einen solchen Ausbruch des Jubels, wie ihn die gute Begum viele Jahre nicht gekannt hatte, und sie und Blanche waren auf dem Fuße wonnevollster Herzlichkeit und Liebe. Der liebeglühende Foker betrieb die Beschleunigung des seligen Tages, und war, wie man sich denken kann, eifrig bemüht, die Periode der Trauer abzukürzen, die ihn in den Besitz so vieler Reize und liebenswürdigen Eigenschaften setzen sollte, von denen er bis dahin nur der voraussichtliche Erbe sozusagen, nicht der wirkliche Eigentümer gewesen war. Die liebliche Blanche, die alles tat, was 469 ihr verlobter und zukünftiger Herr Gemahl nur wünschen konnte, war nicht abgeneigt, die Wünsche ihres zärtlichen Harry zu gewähren. Lady Clavering kam aus Tunbridge nach der Stadt, Putzmacherinnen und Goldschmiede wurden in Arbeit genommen und beauftragt, die wonnigen Paraphernalien Hymens zu bereiten. Lady Clavering war bei so guter Laune, daß selbst Sir Francis davon profitierte und eine derartige Versöhnung zwischen diesem Paare stattfand, daß Sir Francis nach London kam, sich an seinem Tische wieder obenansetzte und in seinen Billardstuben und Spielhäusern wieder ganz erträglich mit Gelde versehen erschien. Eines Tages, als Major Pendennis und Arthur gingen, um in Grosvenor Place zu speisen, fanden sie dort einen alten Bekannten in der Eigenschaft eines Majordomus angestellt, und der Gentleman in schwarzer Kleidung, der ihnen mit vollendeter Höflichkeit und Würde die Wahl zwischen süßem oder herbem Champagner stellte, war kein anderer als Herr James Morgan. Der Chevalier Strong war einer von der Partie; er war in vortrefflicher Laune und Stimmung und unterhielt die Gesellschaft mit Berichten von seinen Vergnügungen im Auslande.

»Es war Mylady, die mich einlud,« sagte Strong leise zu Arthur, »dieser Kerl, der Morgan, sah wie vom Donner gerührt aus, als ich hereinkam. Er ist hier nicht auf Gutes aus. Ich will zuerst fortgehen und auf Sie und Major Pendennis am Tor vom Hyde Park warten.«

Herr Morgan half dem Major Pendennis seinen Ueberrock anziehen, als er das Haus verließ, und 470 murmelte etwas von der Annahme eines zeitweiligen Postens in der Familie Clavering.

»Ich habe ein Papier von Ihnen, Herr Morgan,« sagte der alte Herr.

»Das Sie, wenn Sie wollen, dem Sir Francis zeigen können, dem es sehr willkommen sein wird,« sagte Herr Morgan mit niedergeschlagenen Augen. »Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, Herr Major Pendennis, und wenn ich Ihnen alle Ihre Güte vergelten kann, so werde ich es tun.«

Arthur hörte den Satz und sah den Blick des Hasses, der ihn begleitete, und so rief er plötzlich laut, er hätte sein Taschentuch vergessen, und lief wieder in das Gesellschaftszimmer hinauf. Foker war noch da und lungerte um seine Sirene herum. Pen warf der Sirene einen vielsagenden Blick zu; und wir glauben, daß die Sirene sich auf vielsagende Blicke verstand, denn als er, nachdem das Taschentuch, wonach er fragte, sich wirklich gefunden, wieder hinaufging, sagte die Sirene mit heiterer Stimme: »O Arthur – Herr Pendennis – ich möchte, daß Sie bei meiner lieben Laura etwas ausrichteten!« und damit kam sie vor die Tür heraus.

»Was ist es?« fragte sie, die Tür schließend.

»Haben Sie es Harry erzählt? Wissen Sie wohl, daß dieser Schuft Morgan alles weiß?«

»Ich weiß es,« sagte sie.

»Haben Sie es Harry erzählt?«

»Nein, nein,« antwortete sie. »Sie werden mich doch nicht verraten?«

»Morgan aber wird es tun,« sagte Pen.

»Nein, er wird nichts verraten,« entgegnete 471 Blanche. »Ich habe ihm versprochen.– n'importe. Warten Sie bis nach unserer Heirat – ach, bis nach unserer Heirat – oh, wie unglücklich ich doch bin!« sagte das Mädchen, das den ganzen Abend hindurch eitel Lächeln, Anmut und Heiterkeit gewesen war.

Arthur sagte: »Ich bitte Sie und flehe Sie an, es Harry zu sagen. Sagen Sie es ihm gleich jetzt. Sie sind doch nicht schuld daran. Er wird Ihnen alles verzeihen. Sagen Sie es ihm noch heute Abend!«

»Und richten Sie ihr das – il est là – mit meinem Gruße aus, bitte, und ich bitte sie um Entschuldigung, daß ich Sie zurückgerufen habe, und wenn sie um halb vier Uhr im Laden der Madame Crinoline sein will und Lady Rockminster sie entbehren kann, würde ich so froh sein, mit ihr im Park spazieren fahren zu können«; und sie ging hinein, indem sie sang und mit ihrer kleinen Hand eine Kußhand warf, als Morgan, der Sammetfüßige, die teppichbelegte Treppe heraufkam.

Pen hörte, wie Blanches Piano in eine brillante Musik ausbrach, als er hinabging, um seinen Onkel zu treffen, und sie gingen miteinander fort. Arthur erzählte ihm kurz, was er getan hatte. »Was war zu tun?« fragte er.

»Was ist da zu tun, mein Gott?« sagte der alte Herr. »Was soll da zu tun sein, als die Sache ihren Lauf nehmen zu lassen? Bei Gott, laß uns dem Himmel danken,« sagte der alte Knabe mit einem Schaudern, »daß wir von der Sache los sind, und überlassen wir es denen, die es angeht.«

»Ich hoffe von ganzem Herzen, daß sie es ihm erzählen wird,« sagte Pen. 472

»Bei Gott, sie wird ihren eigenen Weg gehen,« sagte der alte Mann. »Fräulein Amory ist ein verteufelt scharfblickendes Mädchen, mein Junge, und muß ihre Karten selber ausspielen, und ich bin höllisch froh, bei Gott, höllisch froh, daß du davon los bist. Wer raucht da? Oh, es ist wieder Herr Strong. Der möchte auch gern die Hand mit im Spiele haben, glaube ich. Ich sage dir, laß dich mit der Geschichte nicht mehr ein, Arthur.«

Strong begann ein oder zwei Mal, als ob er über den Gegenstand eine Unterhaltung anspinnen wollte, aber der Major wollte kein Wort hören. Er machte Bemerkungen über das Mondlicht auf Apsley House, das Wetter, die Fiakerstände – über alles andere als den fraglichen Gegenstand. Er verbeugte sich steif gegen Strong und hing sich in den Arm seines Neffen, als er sich nach St. James Street hinabwendete, und verwarnte Pen abermals, die Sache ihren Lauf nehmen zu lassen. »Es hätte dich beinahe so viel gekostet, daß du meinen Rat wohl annehmen wirst,« sagte er.

Als Arthur aus dem Hotel kam, waren Strongs Mantel und Zigarre ein paar Häuser davon sichtbar. Der lustige Chevalier lachte, als sie sich begegneten. »Ich bin auch ein alter Soldat,« sagte er. »Ich wünschte mit Ihnen zu sprechen, Pendennis. Ich habe von allem gehört, was vorgefallen ist, und von all den Veränderungen, die während meiner Abwesenheit stattgefunden haben. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Heirat, und ich gratuliere Ihnen auch zu Ihrem glücklichen Entkommen, – Sie verstehen, was ich meine! Es war nicht meine Sache, zu sprechen, aber ich weiß 473 so viel, daß gewisse Leute so ein bißchen von einem durchtriebenen Erz – na, na, schon gut, gleichviel von was sind. Sie haben wie ein Ehrenmann und wie ein Tausendsassa gehandelt und sich glücklich aus der Affäre gezogen.«

»Ich habe keinen Grund, mich zu beklagen,« sagte Pen. »Ich ging zurück, um die arme Blanche zu bitten, Foker alles zu erzählen, ich hoffe, um ihretwillen wird sie es tun; aber ich fürchte nein. Es gibt bloß ein Mittel, Strong, bloß eins dagegen.«

»Und wohl dem, der sich daran halten kann,« sagte der Chevalier. »Dieser Schuft Morgan beabsichtigt Böses. Er ist die letzten zwei Monate um unsere Wohnung herumgeschlichen, er hat dieses armen Teufels Amory Geheimnis ausgeschnüffelt. Er hat versucht, zu entdecken, wo er wäre; er hat Herrn Bolton angebohrt und den alten Costigan verschiedene Male betrunken gemacht. Er bestach den Portier des Gasthofs, ihm zu sagen, wann wir zurückkämen, und er ist kraft seines Wissens um das Geheimnis in Claverings Dienste gekommen. Er wird sehr gut dafür bezahlt werden, der Spitzbube, denken Sie an meine Worte.«

»Wo ist Amory?« fragte Pen.

»Ich glaube in Boulogne. Ich verließ ihn dort und warnte ihn, zurückzukommen. Ich habe mit ihm gebrochen, nach einem verzweifelten Streite, wie man ihn bei solch einem Wahnwitzigen hätte erwarten können. Und ich bin froh, zu denken, daß er jetzt in meiner Schuld ist, und daß ich Ursache gewesen bin, ihn mehr als einmal vor Mißgeschick zu bewahren.« 474

»Er hat vermutlich alles, was er gewonnen, wieder verloren?« fragte Pen.

»Nein, er ist sogar besser bei Kasse, als wie er wegging oder wie er es vor vierzehn Tagen war. Er hatte außerordentliches Glück in Baden-Baden, sprengte mehrere Abende die Bank und war das Wundertier des ganzen Ortes. Er liierte sich dort mit einem Kerl, namens Bloundell, der eine Gesellschaft von allerhand Gaunern um sich versammelte, Männer und Weiber, Russen, Deutsche, Franzosen, Engländer. Amory wurde so unverschämt, daß ich mich gezwungen sah, ihn eines Tages so durchzubläuen, daß er um ein Haarbreit gestorben wäre. Ich konnte mir nicht helfen, der Kerl hat unbändig viel Mut im Leibe, und ich hatte deshalb nichts zu tun, als scharf drauflos zu schlagen.«

»Und forderte er Sie heraus?« fragte Pen.

»Sie meinen, wenn ich ihn übern Haufen geschossen hätte, würde ich keinem Menschen Schmerz verursacht haben? Nein, mein Herr, ich wartete auf seine Herausforderung, aber sie kam nie, und das nächstemal, wo ich ihm begegnete, bat er mich um Entschuldigung und sagte: ›Strong, ich bitte Sie um Verzeihung, Sie walkten mich durch, und Sie taten recht daran‹. Ich schüttelte ihm die Hand, aber ich konnte nach dieser Geschichte nicht mehr mit ihm zusammenleben. Ich zahlte ihm, was ich ihm von der Nacht vorher schuldete,« sagte Strong errötend. »Ich versetzte alles, um ihn zu bezahlen, und dann ging ich mit meinen letzten zehn Gulden und versuchte es mit dem Roulette. Wenn ich verloren hätte, würde ich mich den Morgen darauf 475 von ihm haben totschießen lassen. Ich hatte mein Leben satt. Beim Jupiter, Herr, ist es nicht eine wahre Schande, daß ein Mann wie ich, der vielleicht ein paar Wechselchen herumlaufen gehabt, aber nie einen Freund in der Not verlassen oder eine unredliche Tat begangen hat, alles Mögliche in die Hand nehmen mußte, um sich sein Brot zu verdienen? Ich machte einen guten Schlag diese Nacht an dem Roulette, und ich habe mit derartigen Dingen abgeschlossen. Ich denke es nun mit dem Weinhandel anzufangen. Die Verwandten meiner Frau leben in Cadix. Ich beabsichtige, spanische Weine und Schinken einzuführen, damit läßt sich ein gutes Geschäft machen, Herr Pendennis – ein famoses Geschäftchen – hier ist meine Karte. Wenn Sie mal Xeres oder Schinken brauchen, so erinnern Sie sich, daß Ned Strong der rechte Mann für Sie ist.« Und der Chevalier zog eine hübsche Karte heraus, auf welcher zu lesen war, daß Strong und Co. in Shepherds Inn die alleinigen Agenten des berühmten Diamant Manzanilla des Herzogs von Garbanzos, Granden erster Klasse von Spanien, sowie der berühmten Tobososchinken, nur mit Eichelmast im Vaterlande Don Quixotes, wären. »Kommen Sie mal zu mir und kosten Sie, Herr Pendennis – kommen Sie und versuchen Sie sie in meiner Wohnung. Sie sehen, ich habe ein Auge fürs Geschäft, und, beim Jupiter, diesmal wird mir's glücken.«

Pen lachte, als er die Karte nahm.

»Ich weiß nicht, ob es mir erlaubt sein wird, zu Junggesellenschmäuschen zu gehen,« sagte er. »Sie wissen, ich will mich – –« 476

»Aber Sie müssen doch Xeres haben, Herr Pendennis. Sie müssen doch Xeres haben.«

»Verlassen Sie sich darauf, ich werde ihn von Ihnen beziehen, es ist recht gut, daß Sie Ihren anderen Kompagnon losgeworden sind. Dieser würdige Altamont und seine Tochter wechseln, wie ich höre, Briefe,« fügte Pen nach einer Pause hinzu.

»Ja, sie schrieb ihm die längsten phrasenreichsten Briefe, die ich je im Leben gelesen habe, der schlaue kleine Teufel; und er antwortete unter der Adresse der Madame Bonner. Er war die ersten paar Tage dafür, sie zu entführen, und nichts wollte ihn zufriedenstellen, als wenn er sein Kind zurückhätte. Aber sie hatte keine Lust zu kommen, wie Sie sich wohl denken können, und er war auch nicht so begierig danach.« Hier brach der Chevalier in ein Gelächter aus. »Ei, Herr Pendennis, wissen Sie wohl, was die Ursache unseres Zankes und Boxerkampfes war? Es war eine gewisse Witwe zu Baden, eine Madame la Baronne de la Couche-cassée, die nicht viel besser war als er selber und die der Schuft heiraten wollte und geheiratet haben würde, hätte ich ihr nicht erzählt, daß er schon verheiratet wäre. Ich denke nicht, daß sie viel besser war als er selber. Ich sah sie auf dem Landungsplatze in Boulogne an dem Tage, wo ich nach England fuhr.«

Und nun haben wir unsere Geschichte bis zu dem Punkte gebracht, wohin uns die Anzeige im »Kämpfer von Chatteris« schon geführt hatte.

Es fehlten nur noch wenige, sehr wenige Tage, ehe der Wonnetag kam, wo Foker Blanche sein eigen nennen sollte; die Leute in Clavering hatten sich alle 477 gedrängt, um die neue, prächtigste Kutsche der ganzen Welt zu sehen, die im Wagenschuppen des »Schildes von Clavering« stand und als dankbares Entgelt für verabreichtes Getränk von Herrn Fokers Oberkutscher gezeigt wurde; Frau Frisby war beschäftigt, ein paar reizende Anzüge für die Pächtertöchter zu fertigen, die beim Frühstück und der Trauungszeremonie als eine Art Chor von Brautjungfern figurieren sollten. Und es sollten unermeßliche Festlichkeiten im Park bei dieser glücklichen Gelegenheit stattfinden.

»Ja, Herr Huxter, ja, eine Schar glücklicher Pächtersleute, der Stolz ihres Vaterlandes, wird sich in der Halle des Baronets versammeln, wo überall wackelnde Bärte zu sehen sein, Ochsen geschlachtet und Becher geleert werden, und die Glocken sollen ihr edles Geläut erheben, und mein Schwiegervater, mit den Tränen der Rührung sein Auge betauend, soll uns am Portale seines Schlosses segnen. Das soll, meine ich, die Ordnung der Vorgänge sein, Herr Huxter, und ich hoffe, wir werden Sie und Ihre liebliche junge Gattin an der Seite ihres Gatten sehen, und was werden Sie zu trinken belieben, Liebster, Madame Lightfoot, wollen Sie meinem vortrefflichen Freunde und Leibwundarzte, Herr Huxter, Herrn Samuel Huxter, M. R. E. S. jede Erfrischung zukommen lassen, die Ihr Hotel zu liefern imstande ist, und den Betrag des festlichen Tages auf meine Rechnung setzen! Und, Herr Lightfoot, Bester, was wollen Sie haben, obwohl Sie, glaube ich, bereits genug haben, jawohl, ha ha.«

So sprach Harry Foker am Schenktische des »Schildes von Clavering«. Er hatte seine Wohnung in 478 diesem Hotel aufgeschlagen und dort einen Kreis von Freunden um sich versammelt. Er traktierte alle, die hinkamen, mit Getränken. Er stieß mit jedermann an. Er war so glücklich! Er tanzte um Madame Frisby, Frau Lightfoots große Verbündete, herum, die in Gedanken versunken am Schenktische saß. Er tröstete Frau Lightfoot, die bereits angefangen hatte, Ursache zu ehelicher Beunruhigung zu finden, denn, um die Wahrheit zu gestehen, der junge Lightfoot, der jetzt volle Gewalt über den Keller hatte, besaß keine Gewalt über seine eigenen zügellosen Begierden und becherte vom Morgen bis in die Nacht hinein, bis er benebelt war. Und es war ein erbarmungswürdiger Anblick für seine zärtliche Gattin, den dicken Jüngling im Hofe und im Gastzimmer herumtaumeln oder mit den Pächtern und Handelsleuten seine eigenen netten Weinchen und sorgsam ausgewählten Spirituosenvorräte austrinken zu sehen.

Wenn er Zeit finden konnte, kam Herr Morgan, der Kellermeister vom Parke, her und genoß ein Glas Wein auf Kosten des Wirtes vom »Schilde von Clavering«. Er beobachtete die Tölpeleien, die der arme Lightfoot in seinem bezechten Zustande beging, mit höhnischem Lächeln. Frau Lightfoot fühlte sich allemal doppelt unbehaglich, wenn ihr unseliger Gatte sich unter den Augen seines ehemaligen Kameraden befand. Erst ein paar Monate verheiratet und schon denken zu müssen, daß sie sich solch ein Kreuz aufgeladen habe! Madame Frisby konnte es ihr nachfühlen. Madame Frisby konnte ihr Geschichten von Männern erzählen, die in allen Stücken ebenso schlecht gewesen. Sie hatte auch 479 ihren Kummer gehabt und ihre traurige Erfahrung mit den Männern. So ist es nun einmal auf der Welt, daß niemand ganz glücklich scheint, und daß, wie Herr Foker bemerkte, sich im Becher von jedermanns Leben etwas Bitteres befindet. Und doch schien es, als ob in dem seinen nichts davon wäre, der wackere junge Mensch! Er schäumte über von Glück und fröhlicher Laune.

Herr Morgan erwies Foker fortwährend die größten Aufmerksamkeiten. »Und doch mag ich ihn nicht recht leiden,« sagte der offenherzige junge Mann zu Frau Lightfoot. »Es scheint mir immer, als ob er mir das Maß zu meinem Sarge nähme. Schwiegerväterchen fürchtet sich vor ihm, Schwiegerväterchen, hm! Doch einerlei, aber Schwiegermütterchen ist eine prächtige Frau, Madame Lightfoot.«

»Ja, das ist Mylady,« und Frau Lightfoot gestand sich mit einem Seufzer, daß es vielleicht besser für sie gewesen wäre, wenn sie ihre Herrin nie verlassen hätte.

»Nein, ich kann dich, Doktor Fell, nicht leiden, den Grund warum, kann ich nicht erklären,« fuhr Foker fort; »und er möchte gern als mein Alleroberster angenommen werden. Blanche will, daß ich ihn nehme. Weshalb mag ihn denn Fräulein Amory so gern?«

»Mag sie ihn denn wirklich?« Dieser Gedanke schien Frau Lightfoots Gemütsruhe zu stören, und jetzt kam noch eine andere Ursache zur Beunruhigung dieser würdigen Dame hinzu. Ein Brief, der den Poststempel Boulogne trug, wurde ihr eines Morgens überbracht, und sie und ihr Gatte zankten sich über denselben, als Foker auf seinem Wege nach dem Parke die Treppe 480 neben dem Schänktisch herabkam. Seine Gewohnheit war, dort zu frühstücken und eine Weile in Gegenwart Armidas zu girren; denn, weil die Gesellschaft Claverings ihn über die Maßen langweilte und er sich aus Sport nichts machte, pflegte er auf ein oder zwei Stunden zurückzukehren, um Billard zu spielen oder die Gesellschaft im »Schilde von Clavering« zu genießen; dann pflegte es Zeit zu sein, mit Fräulein Amory auszureiten, und nachdem er mit ihr gespeist, verließ er sie und kehrte bescheiden in seinen Gasthof zurück.

Lightfoot und seine Frau also zankten sich über den Brief. Was das für ein Brief aus dem Auslande wäre? Warum kriegte sie ewig Briefe von auswärts? Wer schriebe ihr? – er wollte es wissen. Er glaubte es einfach nicht, daß es ihr Bruder wäre. Es ginge ihn nichts an? Es ginge ihn wohl an, und mit einem Fluche packte er seine Frau und stürzte auf ihre Tasche mit dem Briefe darin los. Die arme Frau kreischte auf und sagte:

»Nun gut, so nimm ihn.« Grade als ihr Mann sich des Briefes bemächtigte und Herr Foker in die Tür trat, stieß sie bei seinem Anblicke abermals einen Schrei aus und versuchte nochmals, sich des Papieres zu bemächtigen. Lightfoot öffnete dasselbe, stieß sie von sich und ein beigeschlossenes Billet fiel auf den Frühstückstisch.

»Die Hände weg, zum Donnerwetter,« schrie der kleine Harry, hereinspringend. »Legen Sie nicht Hand an ein Frauenzimmer, der Mann, der Hand an ein Frauenzimmer legt, ausgenommen auf freundliche Weise, ist ein – halloh! es ist ein Brief für Fräulein Amory. Was ist das, Madame Lightfoot?« 481

Frau Lightfoot redete in jämmerlichen Tönen des Vorwurfs auf ihren Mann ein: »Du unmännlicher Wicht! Eine Frau so zu behandeln, die dich von der Straße aufgelesen hat. Oh, du elender Schuft, Hand an deine Frau zu legen! Warum habe ich dich nur geheiratet? Warum verließ ich Mylady deinethalben? Warum gab ich achthundert Pfund aus, dies Haus hier einzurichten, damit du darin saufen und faulenzen könntest?«

»Sie kriegt Briefe und will mir's nicht sagen, wer die Briefe schreiben tut,« sagte Herr Lightfoot mit mürrischer Stimme; »es ist 'ne Familiengeschichte, Herr Foker. Wollen Sie was zu sich nehmen, Herr Foker?«

»Ich will diesen Brief zu Fräulein Amory besorgen, weil ich gerade nach dem Parke gehe,« sagte Foker, der sehr bleich wurde, und indem er ihn vom Tische fortnahm, der für das Frühstück der armen Gastwirtin hergerichtet war, ging er fort.

»Er kommt – verdammt, wer kommt? Wer ist J. A., Weib – verflucht, wer ist J. A.?« schrie der Gatte.

Frau Lightfoot schrie: »Halt gefälligst dein Maul, du betrunkene Bestie!« – und sie rannte nach Hut und Umschlagetuch, warf dasselbe über, sah Herrn Foker die Straße hinabwandeln, schlug die Seitengasse, die sie begrenzt, ein und lief so schnell sie konnte zu dem Portiershäuschen von Clavering Park. Foker sah eine laufende Gestalt vor sich; sie war aber schon verschwunden, als er an das Portiershäuschen kam. Er blieb stehen und fragte: »Wer ist denn da eben hereingekommen? War das nicht Frau Bonner?« Er taumelte fast auf seinem Wege, die Bäume verschwammen ihm vor 482 den Augen. Er lehnte sich ein paarmal an die Stämme der kahlen Linden.

Lady Clavering war im Frühstückszimmer mit ihrem Gatten, der über seiner Zeitung gähnte. »Guten Morgen, Harry,« sagte die Begum. »Hier sind Briefe, ganze Haufen; Lady Rockminster wird am Dienstag statt am Montag kommen, und Arthur und der Major kommen heute, und Laura wird zu Doktor Portmans gehen und von dort aus in die Kirche kommen, und – was ist denn los, mein Lieber? Warum werden Sie so blaß, Harry?«

»Wo ist Blanche?« fragte Harry mit zitternder Stimme, »noch nicht unten?«

»Blanche ist immer die letzte,« sagte der Knabe, Buttersemmeln stopfend, »sie ist eine richtige Schlafratte, wahrhaftig. Wenn Sie nicht hier sind, liegt sie oft bis zum Lunch im Bette.«

»Sei ruhig, Frank,« sagte die Mutter.

Blanche kam bald darauf herunter, sie sah bleich aus und warf einen ziemlich verdrießlichen Blick auf Foker; dann kam sie heran, küßte ihre Mutter und hatte ein Gesicht aufgesetzt, das beim Begrüßen von Harry von ihrem allerholdesten Lächeln strahlte.

»Wie geht es Ihnen, Harry?« sagte sie, ihm beide Hände entgegenstreckend.

»Ich bin krank,« antwortete Harry. »Ich – ich habe einen Brief für Sie mitgebracht, Blanche.«

»Einen Brief, und von wem, bitte? Voyons,« sagte sie.

»Ich weiß nicht – ich möchte es aber gern wissen,« sagte Foker. 483

»Wie kann ich es sagen, wenn ich ihn noch nicht sehe?« fragte Blanche.

»Hat Frau Bonner es Ihnen nicht gesagt?« sagte er mit zitternder Stimme; »hier gibt es ein Geheimnis. Geben Sie ihr den Brief, Lady Clavering.«

Lady Clavering nahm verwundert den Brief aus der zitternden Hand des armen Foker und sah nach der Aufschrift. Als sie sie erblickte, begann sie ebenfalls an allen Gliedern zu zittern, ließ mit entsetztem Gesicht den Brief fallen und rannte auf Frank zu, preßte den Knaben an sich und brach schluchzend in den Ausruf aus:

»Nehmt das weg – es ist unmöglich, es ist unmöglich!«

»Was ist denn los?« schrie Blanche mit einem Lächeln, aber geisterbleich; »der Brief ist ja nur von – von einem armen Pensionär und Verwandten von uns.«

»Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr,« rief Lady Clavering. »Nein, mein Frank, es ist nicht wahr, – nicht wahr, nein, Clavering!«

Blanche hatte den Brief aufgehoben und ging mit demselben zum Feuer hin, aber Foker lief auf sie zu und packte sie krampfhaft am Arm. »Ich muß diesen Brief sehen,« sagte er; »geben Sie ihn mir. Sie sollen ihn nicht verbrennen.«

»Sie – Sie sollen Fräulein Amory in meinem Hause nicht so behandeln,« rief der Baron. »Geben Sie den Brief heraus oder beim Jupiter –«

»Lesen Sie ihn – und sehen Sie sie dabei an,« schrie Blanche, mit dem Finger auf ihre Mutter deutend; »es – war ihretwegen, daß ich es geheimhielt! Lesen Sie ihn, Sie Grausamer!« 484

Und Foker öffnete und las den Brief:

»Ich habe drei volle Wochen nicht geschrieben, meine liebste Bessy, aber jetzt tue ich es, um dir den Segen eines Vaters zu geben, und ich werde ziemlich ebenso schnell wie mein Billet ankommen, und ich denke mir die Trauung und meinen Schwiegersohn anzusehen. Ich werde bei der Bonner absteigen. Ich habe einen angenehmen Herbst gehabt und halte mich hier in einem Hotel auf, wo gute Gesellschaft ist und wo es vornehm zugeht. Ich weiß nicht, ob ich es ganz gutheißen soll, daß du Herrn P. um Herrn F.s wegen über Bord geworfen hast, und ich meine nicht, daß Foker solch ein hübscher Name ist, und nach deiner Beschreibung von ihm scheint er ein Muffel und keine Schönheit. Aber er hat Moos, das ist die Hauptsache. Jetzt aber, meine liebe kleine Bessy, bis wir uns treffen, nichts mehr von

deinem
dich liebenden Vater

J. Amory Altamont.«

»Lesen Sie es, Lady Clavering; es ist zu spät, es Ihnen jetzt vorzuenthalten,« sagte der arme Foker, und das schmerzgequälte Weib brach, nachdem sie den Brief mit den Augen überflogen, wieder in hysterisches Schreien aus und umschlang krampfhaft ihren Sohn.

»Sie haben dich zum Ausgestoßenen gemacht, mein Kind,« sagte sie. »Sie haben deine alte Mutter entehrt; aber ich bin unschuldig, Frank, bei Gott, ich bin unschuldig! Ich wußte es nicht, Herr Foker, wahrhaftig, wahrhaftig, ich wußte es nicht!«

»Ich bin überzeugt davon, daß Sie nichts gewußt 485 haben,« sagte Foker, indem er auf sie zuging und ihr die Hand küßte.

»Edelmütiger, edelmütiger Harry,« rief Blanche in Ekstase aus. Aber er zog seine Hand zurück, die sich auf ihrer Seite befand, und drehte sich mit zuckender Lippe von ihr weg. »Das ist etwas anderes,« sagte er.

»Es war um ihretwillen – nur um ihretwillen, Harry!«

»Es war auch um meinetwillen etwas zu tun,« sagte Foker. »Ich würde Sie genommen haben, wer Sie auch waren. Es wird von allem in London gesprochen. Ich weiß, daß Ihr Vater in – daß er ein Unglück gehabt hatte. Sie meinen doch nicht etwa, daß – daß ich Sie Ihrer Verwandtschaft willen heiraten wollte? Verdammt – die ganze Geschichte! Ich habe Sie zwei Jahre lang von ganzem Herzen und Gemüte geliebt, und Sie haben mit mir gespielt und mich betrogen,« brach der junge Mann weinend aus. »Oh, Blanche, Blanche, das ist sehr, sehr hart!« und er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und schluchzte hinter denselben.

Blanche dachte: »Warum habe ich es ihm auch nicht an jenem Abend erzählt, wo Arthur mich warnte?«

»Weisen Sie sie nicht zurück, Harry,« sagte Lady Clavering. »Nehmen Sie sie, nehmen Sie alles, was ich habe. Alles gehört ihr bei meinem Tode, wissen Sie. Dieser Junge ist enterbt.« – (Master Frank, der dem seltsamen Auftritt mit verstörter Miene zugesehen hatte, brach hier in ein lautes Geschrei aus.) – »Nehmen Sie jeden Schilling! Geben Sie mir nur gerade so viel, daß ich davon leben, fortgehen und mein Angesicht mit diesem Kinde verbergen und von 486 beiden wegfliehen kann. Oh, sie sind beide böse, böse Männer gewesen! Vielleicht ist er jetzt hier. Daß er mir nicht vor die Augen kommt! Clavering, du Feigling, verteidige mich vor ihm!«

Clavering fuhr bei diesem Vorschlage empor. »Du sprichst das doch nicht im Ernste, Jemima? Du meinst das doch nicht wirklich?« sagte er. »Du wirst doch Frank und mich nicht von dir stoßen? Ich wußte es nicht, so wahr mir – – Foker, ich hatte nicht die leiseste Ahnung davon – bis der Kerl kam und mich ausfindig machte, der verdammte entlaufene Zuchthäusler und Halunke!«

»Der was?« fragte Foker. Blanche schrie auf.

»Ja,« sagte der Baron. »Ja, ein verd– verdammter entlaufener Zuchthäusler – ein Kerl, der die Namensunterschrift seines Schwiegervaters, eines verd– Anwalts, fälschte und einen Kerl in Botany Bay totgeschlagen hat, der Halunke – und hernach in den Busch gelaufen ist, hol ihn der Teufel; ich wollte, er wäre dort gestorben! Und er kam zu mir, über sechs Jahre sind es her, und bestahl mich, und ich habe mich zugrunde gerichtet, um ihn zu erhalten, den höllischen Halunken! Und Pendennis weiß es, und Strong weiß es auch und dieser verd– Morgan weiß es auch, und sie weiß es auch schon so lange, und ich wollte es nie erzählen, nie, ich verschwieg es meiner Frau.«

»Und du sahst ihn und schlugst ihn nicht tot, Clavering, du Memme?« sagte die Frau Amorys. »Komm fort, Frank, dein Vater ist eine Memme! Ich bin entehrt, aber ich bin deine alte Mutter, und du – du wirst mich lieben, nicht wahr?« 487

Blanche ging liebevoll auf ihre Mutter zu; aber Lady Clavering zuckte entsetzt vor ihr zurück. »Rühr mich nicht an,« sagte sie; »du hast kein Herz, du hast nie eins gehabt. Das sehe ich jetzt. Ich sehe, warum diese Memme Arthur im Parlament ihren Platz abtreten mußte, ja, diese Memme! Und warum du drohtest, daß du mich zwingen würdest, dir Franks halbes Vermögen zu geben. Und als Arthur das Anerbieten machte, dich ohne einen Schilling zu heiraten, weil er meinen Jungen nicht berauben wollte, da verließest du ihn und nahmst den armen Harry. Lassen Sie sich nicht mit ihr ein, Harry. Sie sind gut, ja, wahrhaftig. Heiraten Sie diese – diese Tochter eines Zuchthäuslers nicht! Komm fort, Frank, mein Jungchen, komm zu deiner armen alten Mutter. Wir wollen uns verbergen, aber wir sind rechtschaffen, ja, das sind wir!«

Diese ganze Zeit über hatte sich der Seele Blanches ein seltsames Gefühl von Aufregung bemächtigt. Dieser mit dem armen Harry verlebte Monat war ihr ein langweiliger gewesen. All sein Vermögen und Glanz reichten kaum hin, den Gedanken an ihn selbst erträglich zu machen. Sie war seiner einfachen Art und Weise überdrüssig und war es satt, ihn zu umschmeicheln und zu kajolieren.

»Halt, Mama, bleiben Sie, Madame!« rief sie mit einer Gebärde, die dem Gegenstande angepaßt, wenn auch ziemlich theatralisch war; »ich habe also kein Herz, nicht wahr? Ich bewahre das Geheimnis von meiner Mutter Schande. Ich gebe meine Rechte zugunsten meines Stiefbruders und meines Bastardbruders auf – ja, meine Rechte und mein 488 Vermögen! Ich verrate meinen Vater nicht, und dafür habe ich kein Herz! Ich will jetzt meine Rechte haben, und die Gesetze meines Vaterlandes sollen sie mir geben. Ich berufe mich auf die Gesetze meines Vaterlandes – ja, die Gesetze meines Vaterlandes! Der Verfolgte kehrt heute zurück. Ich wünsche, zu meinem Vater zu gehen.« Und die kleine Dame schwenkte ihre Hand und glaubte, sie wäre eine Heldin.

»Wollen Sie das wirklich?« rief Clavering und begleitete seine Worte mit einem seiner gewöhnlichen Flüche. »Ich bin eine obrigkeitliche Person, und, verdammt, ich werde ihn abstrafen lassen. Da kommt ein Wagen; vielleicht ist er es. Laßt ihn nur kommen!«

Es kam in der Tat ein Wagen die Straße herauf, und die beiden Frauen kreischten aus Leibeskräften, da sie jeden Augenblick Altamont eintreffen zu sehen erwarteten.

Die Tür öffnete sich, und Herr Morgan meldete den Major und Herrn Pendennis, die eintraten und alle Parteien in diesen hitzigen Streit verwickelt fanden. Eine große spanische Wand teilte das Frühstückszimmer von der Halle, und es ist wahrscheinlich, daß Herr Morgan nach seiner Gewohnheit die spanische Wand benutzt hat, sich mit allem, was vorging, bekannt zu machen.

Es war am vorhergehenden Tage ausgemacht worden, daß die jungen Leute ausreiten sollten, und zu der festgesetzten Stunde am Nachmittag trafen Herrn Fokers Pferde aus dem ›Schilde von Clavering‹ ein. Aber Fräulein Blanche begleitete ihn bei dieser Gelegenheit nicht. Pen kam heraus und schüttelte ihm auf 489 den Türstufen die Hand, und Harry Foker ritt in Trauer fort, gefolgt von seinem Reitknecht. Die gesamten Vorfälle, die den lebendigsten Teil unserer Geschichte eingenommen haben, wurden von den betreffenden Parteien während dieser zwei oder drei Stunden durchgesprochen. Viele Ratschläge wurden gegeben, viele Geschichten erzählt und Vergleichsvorschläge gemacht; und am Ende ritt Harry Foker mit einem traurigen: »Behüt dich Gott!« von Pen fort.

Es war ein trauriges Diner zu Clavering Park, bei dem der neueingesetzte Kellermeister nicht aufwartete und beide Damen abwesend waren. Nach dem Essen sagte Pen: »Ich will nach Clavering hinuntergehen und sehen, ob er gekommen ist.« Und er schritt durch die dunkle Allee über die Brücke und die Straßen an seinem eigenen Hause vorbei, – die einst so ruhigen und wohlbekannten Felder flammten von den Oefen und Ziegelbrennereien der Bauleute, die jetzt bei den neuen Eisenbahnwerken beschäftigt waren; und so kam er in die Stadt und begab sich ins ›Schild von Clavering‹.

Es war Mitternacht vorbei, als er nach Clavering Park zurückkehrte. Er war über die Maßen bleich und aufgeregt. »Ist Lady Clavering noch auf?« fragte er. Ja, sie war in ihrem Wohnzimmer. Er ging zu ihr hinauf und fand dort die arme Dame in einem jammervollen Zustand der Tränen und Aufregung.

»Ich bin es – Arthur,« sagte er, hineinblickend, und ergriff beim Eintreten ihre Hand sehr liebevoll und küßte sie. »Sie sind mir immer die gütigste Freundin gewesen, liebe Lady Clavering,« sagte er. »Ich 490 habe Sie sehr lieb. Ich habe eine gute Nachricht für Sie.«

»Nennen Sie mich nicht bei dem Namen,« sagte sie, seine Hand drückend. »Sie waren immer ein guter Junge, Arthur, und es ist freundlich von Ihnen, jetzt zu kommen, – sehr freundlich. Sie sehen doch manchmal ganz wie Ihre Mama aus, mein Lieber.«

»Liebe gute Lady Clavering,« wiederholte Arthur mit besonderer Betonung, »etwas sehr Seltsames hat sich ereignet.«

»Ist mit ihm irgend etwas vorgefallen?« stotterte Lady Clavering. »Oh, es ist gräßlich, denken zu müssen, daß mich das freuen würde – gräßlich!«

»Er ist wohl. Er ist dagewesen und wieder fortgegangen, meine liebe Frau Baronin. Aengstigen Sie sich nicht mehr, – er ist fort, und Sie sind noch immer die Lady Clavering.«

»Ist es wahr, was er manchmal zu mir sagte,« sagte sie, – »daß er – –?«

»Er war verheiratet, ehe er Sie heiratete,« sagte Pen. »Er hat es heute Nacht eingestanden. Er wird nie wieder zurückkommen.« Und noch einmal stieß Lady Clavering einen Schrei aus, während sie ihre Arme um Pen schlang und ihn küßte und an seiner Schulter in Tränen ausbrach.

Was Pen, unterbrochen von einer Unmenge Seufzer und Zwischenrufe, zu erzählen hatte, muß kurz zusammengefaßt werden, denn, siehe da, die uns vorgeschriebene Grenze ist erreicht, und unsere Geschichte nähert sich ihrem Ende. Mit dem Wagen der 491 Eisenbahn, die die Nachfolgerin der alten Eilkutsche geworden, kam Amory an und wurde im ›Schilde von Clavering‹ abgesetzt. Er bestellte sein Diner am Orte unter seinem angenommenen Namen Altamont, aber, da er in jovialer Stimmung war, lud er den Wirt dazu ein, der durchaus nicht abgeneigt war, seinen Wein vertilgen zu helfen. Nachdem er Herrn Lightfoot alle Neuigkeiten, die Familie im Park betreffend, herausgelockt und durch eine Prüfung seines Wirtes herausgefunden hatte, daß Frau Lightfoot, wie sie sagte, reinen Mund gehalten hatte, rief er nach mehr Wein, und am Ende dieses Symposions wandelten er und Herr Lightfoot, die beide sehr aufgeregt waren, nach Frau Lightfoots Schenktisch.

Sie war dort und trank Tee mit ihrer Freundin, der Madame Frisby, und Lightfoot befand sich jetzt in solch seligem Zustande, daß er sich über nichts gewundert haben würde, was vorgefallen wäre, so daß, als Altamont der Frau Lightfoot wie einer alten Bekannten die Hand schüttelte, dieses Wiedererkennen ihm nicht im mindesten sonderbar, sondern nur als ein vernünftiger Grund zum Weitertrinken vorkam. Die Herren nahmen hierauf Grog zu sich, den sie den Damen anboten, ohne sich um die entsetzten Blicke der einen oder der anderen zu kümmern.

Während sie so beschäftigt waren, kam etwa um sechs Uhr abends Herr Morgan, Sir Francis Claverings neuer Bedienter, herein und wurde zum Mittrinken aufgefordert. Er wählte sein Lieblingsgetränk, und die Parteien begannen eine allgemeine Unterhaltung. Nach einer Weile begann Herr Lightfoot 492 einzunicken. Herr Morgan hatte der Frau Frisby zu wiederholten Malen einen Wink gegeben, das Haus zu verlassen, aber diese Dame, von einem seltsamen Zauber festgehalten und furchtgelähmt, wie es schien, oder von Frau Lightfoot überredet, nicht zu gehen, blieb hartnäckig auf ihrem Platze. Ihre Hartnäckigkeit machte Herrn Morgan großen Verdruß, dem er endlich in solcher Sprache Luft gab, daß Frau Lightfoot sich schmerzlich davon berührt und Herr Altamont sich zu der Bemerkung veranlaßt fühlte, er sei ein sonderbarer Geselle und eben nicht artig gegen das schöne Geschlecht.

Der Zank zwischen den beiden Herren wurde den Frauen sehr peinlich, besonders Frau Lightfoot, die alles Mögliche tat, um Morgan zu besänftigen, und unter dem Vorwande, dem Fremden einen Fidibus zu reichen, ihm ein Papier einhändigte, worauf sie insgeheim die Worte geschrieben hatte: »Er kennt Sie. Fort!« Es mag etwas Verdächtiges in der Art gelegen haben, mit dem sie das Papier hinreichte oder mit der ihr Gast dasselbe las; denn als er kurz darauf aufstand und sagte, er wollte zu Bette gehen, stand Morgan gleichfalls auf, lachte und sagte, es wäre ja noch zu zeitig, um zu Bette zu gehen.

Der Fremde sagte darauf, er wollte in sein Schlafzimmer gehen. Morgan meinte, er wollte ihm den Weg zeigen.

Hierauf antwortete der Gast: »Kommen Sie mit herauf. Ich habe oben ein paar Pistolen, um jedem Verräter oder lauernden Spion das Gehirn auszublasen,« und schoß einen so wütenden Blick auf Morgan, 493 daß der letztere, Lightfoot am Kragen fassend und aufweckend, ausrief: »John Amory, ich verhafte Sie im Namen der Königin! Stehen Sie mir bei, Lightfoot. Dieser Fang ist seine tausend Pfund wert!«

Er streckte seine Hand aus, als ob er seinen Gefangenen packen wollte, aber jener ballte seine Faust und gab Morgan mit seiner linken Hand einen so heftigen Schlag gegen den Brustkasten, daß er hinter Herrn Lightfoot zurücktaumelte. Dieser Gentleman, der athletische Kraft und viel Mut besaß, sagte, er wollte seinem Gaste den Kopf herunterschlagen, und bereitete sich dazu vor, während der Fremde seinen Rock auszog und, seine beiden Gegner verfluchend, ihnen zubrüllte, nur heranzukommen.

Aber mit durchdringendem Aufkreischen warf Frau Lightfoot sich vor ihren Gatten, während ebenfalls und noch lauter aufschreiend Madame Frisby auf den Fremden zulief und mit dem Geschrei: »Armstrong, Johnny Armstrong!« seinen nackten Arm umfaßte, auf welchem in blauer Tätowierung ein Herz und die Buchstaben M. F. sichtbar waren.

Der Ausruf der Madame Frisby schien den Fremden zu verblüffen und nüchtern zu machen. Er sah auf sie nieder und schrie: »Weiß Gott, 's ist Polly!«

Frau Frisby fuhr fort zu schreien: »Das ist nicht Amory. Das ist Johnny Armstrong, mein gottvergessener – gottvergessener Ehemann, mir angetraut in der St. Martinskirche, Steuermann an Bord eines Indienfahrers, und er verließ mich zwei Monate später, der gottvergessene Sünder! Dies ist Johnny 494 Armstrong – hier ist das Merkzeichen auf seinem Arme, das er für mich machte!«

Der Fremde sagte: »Ich bin Johnny Armstrong, sehr richtig, Polly. Ich bin Johnny Armstrong, Amory, Altamont – und mögen Sie alle miteinander herankommen und versuchen, was Sie gegen einen britischen Seemann ausrichten können. Hurra! Wer getraut sich es?«

Morgan schrie noch immer: »Verhaftet ihn!« Aber Frau Lightfoot sagte: »Ihn verhaften! Lieber Sie arretieren, Sie niederträchtiger Spion! Was! die Heirat hindern und Mylady zugrunde richten und uns das ›Schild von Clavering‹ hier wegnehmen?«

»Was? Sagte er, er wollte uns das ›Schild von Clavering‹ wegnehmen?« sagte Herr Lightfoot, sich herumdrehend. »Hol ihn der Henker, ich werde ihn erdrosseln!«

»Halt ihn fest, Herzchen, bis der Wagen zum Zuge nach der Stadt vorbeikommt. Er wird gleich hier sein.«

»Verdammter Halunke, ich will ihn kurz und klein hauen, wenn er Stänkereien macht,« sagte Lightfoot. Und so hielten sie Morgan in Verwahrung, bis die Kutsche kam und Herrn Amory oder Armstrong nach London zurückbrachte.

Morgan war ihm gefolgt; aber von diesem Ereignisse berichtete Arthur Pendennis der Lady Clavering nichts, sondern verließ sie, die den Segen des Himmels auf ihn herabrief, an der Tür ihres Sohnes, zu dem sie hineingegangen war, um ihn, während er schlief, zu küssen. Es war ein heißer Tag gewesen.

Wir haben nun nur noch die Ereignisse eines 495 einzigen Tages mitzuteilen, und dies war der Tag, wo Herr Arthur, angetan mit einem neuen Hute, einem neuen blauen Rocke und blauen Halstuche, in einer neuen Phantasieweste, neuen Stiefeln und neuen Hemdknöpfchen (einem Geschenk der Sehr Ehrenwerten Gräfin Witwe von Rockminster) an einem einsamen Frühstückstische zu Clavering Park erschien, wo er kaum einen Bissen zu sich nehmen konnte. Zwei Briefe waren neben den Teller des würdigen Herrn gelegt, und er beliebte den ersten, der von einer runden Schreiberhand herrührte, zu öffnen und gab ihm so den Vorrang vor dem zweiten, dessen Aufschrift ihm bekannt vorkam.

Billet Nr. 1 lautete wie folgt:

»Garhanzos Wein-Kompagnie, Shepherds-Inn.

Montag.

»Mein lieber Pendennis. – Indem ich Ihnen herzlich zu dem Ereignisse Glück wünsche, das Sie auf Lebenszeit glücklich machen wird, sende ich zugleich meine freundlichsten Grüße an Madame Pendennis, die ich länger zu kennen hoffe, als ich sie bereits gekannt habe. Und wenn ich ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenke, daß einer der notwendigsten Artikel für die Behaglichkeit ihres Herrn Gemahls reiner Xeres ist, so weiß ich, daß ich sie um Ew. Wohlgeboren willen zu meiner Kundin haben werde.

»Aber ich habe mit Ihnen von anderen Dingen zu reden, als denen, die mich betreffen. Gestern Nachmittag traf ein gewisser J. A. von Clavering in meiner Wohnung ein, das er unter Umständen verlassen hatte, die Ihnen ohne Zweifel jetzt bekannt sind. Trotz 496 unseres Zwistes konnte ich nicht umhin, ihm Nahrung und Obdach zu gewähren (und er hielt sich sowohl bei dem Garhanzos Amontillado als auch bei dem Tobososchinken wacker dazu), und er erzählte mir, was ihm passiert wäre, nebst einer Menge anderer erstaunlicher Abenteuer. Der Schurke hat mit sechzehn Jahren geheiratet und hat seitdem diese heilige Handlung zu wiederholten Malen durchgemacht – in Sidney, in Neu-Seeland, in Südamerika, in Newcastle, hier, wie er sagt, ehe er unsere arme Freundin, die Putzmacherin, kennen lernte. Er ist ein vollkommener Don Juan.

»Und es schien, als ob der Kommandatore ihn zuletzt eingeholt hätte, denn, als wir bei unserem Mahle saßen, geschahen drei schwere Schläge an meine Außentür, die unsern Freund erschrocken auffahren ließen. Ich habe schon früher ein paar Belagerungen hier ausgehalten und ging zu meinem gewöhnlichen Rekognoszierungsplatze. Dank meinem Glücksstern habe ich jetzt keinen Wechsel mehr von mir in der Welt umlaufen, und außerdem kommen Herrschaften solcher Art nicht in solcher Weise. Ich fand, daß es der ehemalige Kammerdiener Ihres Onkels, Morgan, und ein Polizeimann waren (ich glaube, es war ein falscher Polizeimann), und sie sagten, sie hätten einen Verhaftsbefehl, um sich der Person John Armstrongs, alias Amory, alias Altamont, eines entlaufenen Zuchthäuslers, zu bemächtigen, und drohten, die Tür einzuschlagen.

»Nun hatte ich in den Tagen, wo ich selbst gefangen gehalten wurde, eine kleine Passage über die Gosse ins Fenster von Bows und Costigan entdeckt, und ich schickte Jack Alias durch diesen bedeckten Weg, und 497 zwar nicht ohne Gefahr für sein Leben. Denn das Ding war sehr wacklig geworden; dann ließ ich nach einigem Hin- und Herparlamentieren Monsieur Morgan und seinen Freund ein.

»Der Schurke war von dem bedeckten Wege unterrichtet, denn er ging augenblicklich ins Zimmer, während er dem Polizeimann gebot, hinabzugehen und die Tür zu bewachen; und er schoß meine kleine Treppe hinauf, als ob er die Räumlichkeiten gekannt hätte. Als er aus dem Fenster stieg, hörten wir eine Stimme, die Sie kennen, aus Bows Dachstübchen, die sagte: »Wer sind Sie und was zum Teufel haben Sie vor? Sie täten besser, die Gosse zu verlassen, denn, weiß Gott, hier hat sich schon einer zu Tode gefallen.«

»Und als Morgan sich hinüberbeugte und in die Dunkelheit hinausschaute, um den Versuch zu machen, ob er sehen könnte, was an dieser schrecklichen Nachricht Wahres sei, nahm Costigan einen Besenstiel und brach mit einem kräftigen Stoße die Verbindungsröhre nieder – und erzählte mir diesen Morgen mit großer Freude, daß er sich an diese ›leichtauszuführende Kriegslist‹ erinnert hätte, weil er an seine geliebte Emilie gedacht hätte, wie sie die Rolle der Cora im Schauspiel gab – und bei der Brücke des Pezawro, weiß Gott. Ich wollte, dieser schurkische Morgan wäre auf der Brücke gewesen, als der General die ›Kriegslist‹ versuchte.

»Wenn ich mehr von Jack Alias höre, werde ich es Ihnen mitteilen. Er hat noch eine schwere Menge Geld, und ich bat ihn, doch unserer armen Freundin, der Putzmacherin, ein paar Pfund zu senden, aber der 498 Halunke lachte und sagte, er hätte nicht mehr, als er brauchte, wollte aber jedem, der Lust hätte, eine Haarlocke von sich geben. Leben Sie wohl – seien Sie glücklich und glauben Sie mir, daß ich stets bin und bleibe

Ihr

treuer Freund

E. Strong.«

»Und nun zu dem anderen Briefe,« sagte Pen. »Lieber alter Junge!« und er küßte das Siegel, ehe er es erbrach.

»Warrington, Dienstag.

»Ich darf den Tag nicht vorübergehen lassen, ohne euch beiden Gottes Segen zuzurufen. Möge der Himmel euch glücklich machen, teurer Arthur und teure Laura! Ich glaube, Pen, daß du die beste Frau auf der Welt bekommen hast, und bitte dich, daß du sie darum stets lieb und wert halten mögest. Die Wohnung wird einsam sein ohne dich, lieber Pen, aber wenn ich ihrer überdrüssig bin, werde ich im Hause meines Bruders und meiner Schwester ein neues Heim haben, wo ich hingehen kann. Ich übe mich hier in der Kinderstube, um mich auf die Rolle des Onkels Georg vorzubereiten. Lebewohl! Mache deinen Hochzeitsausflug und komme glücklich zurück zu deinem

dich liebenden

G. W«

Pendennis und seine Frau lasen diesen Brief zusammen, nachdem Doktor Portmans Frühstück vorüber war und als die Kutsche im Gedränge an der Außentür des Doktors wartete. Aber das Pförtchen führte in den 499 Kirchhof von St. Mary, wo die Glocken mit aller Macht läuteten, und hier war es, über Helenes grünem Rasen, wo Arthur seinem Weibe den Brief Georgs zeigte. War es Kummer oder Wonne, was es bewirkte, daß Lauras Tränen reichlich auf das Papier strömten? Und noch einmal, in der Gegenwart des geheiligten Staubes, küßte und segnete sie ihren Arthur.

An diesem Tage war aber in der Kirche von Clavering nur eine einzige Trauung; denn trotz Blanches Aufopferung für ihre teuerste Mutter konnte der ehrliche Harry Foker dem Weibe nicht vergeben, das ihren rechtmäßigen Bräutigam getäuscht hatte, und schloß mit Recht, daß sie ihn wieder täuschen würde. Er ging nach den Pyramiden und Syrien, ließ dort seine Liebeskrankheit und kehrte mit einem schönen Barte und einem Vorrate an Tarbuschen und Nargilehs zurück, mit denen er all seine Freunde regalierte. Er lebt herrlich und in Freuden und bezieht durch Pens Vermittlung seinen Wein aus den berühmten Weinbergen des Herzogs von Garhanzos.

Was den armen Cos betrifft, so ist sein Schicksal schon in einem früheren Teil dieser Geschichte erwähnt worden. Von einer solchen Laufbahn konnte kein sehr ruhmreiches Ende erwartet werden. Morgan ist einer der achtbarsten Leute im Kirchspiele von St. James und hat sich bei der gegenwärtigen politischen Bewegung wie ein Ehrenmann und Brite ausgesprochen. Und Bows – beim Hinscheiden des Herrn Piper, der zu Clavering die Orgel spielte, brachte die kleine Frau Sam Huxter, die den Doktor Portman ganz in ihrer Gewalt hat, Bows von London her, um sich um die 500 Organistenstelle zu bewerben, und ihr Kandidat bekam den Posten. Als Sir Francis Clavering dieses schnöde Leben verließ, nahm dieselbe kleine unermüdliche Stellenjägerin den Burgflecken mit Sturm, und derselbe wird jetzt von Herrn Arthur Pendennis, Esquire, vertreten. Blanche Amory heiratete, wie alle Welt weiß, zu Paris, und die Salons der Madame la Comtesse de Montmorenci de Valentinois gehörten zu den besuchtesten dieser Hauptstadt. Das Duell zwischen dem Grafen und dem jungen und feurigen Vertreter der Bergpartei Alcide de Mirobo hatte seine Ursache einzig und allein darin, daß der letztere im Klub die von dem erstgenannten Edelmann getragenen Titel in Zweifel zog. Madame de Montmorenci de Valentinois ging nach dem Vorfalle auf Reisen, und Bungay kaufte ihre Gedichte und gab sie mit der auf das Werk der Gräfin in Gold gepreßten Grafenkrone heraus.

Major Pendennis wurde auf seine letzten Tage sehr ernst und war nie so glücklich, als wenn Laura ihm mit ihrer holden Stimme vorlas oder seinen Geschichten zuhorchte. Denn diese holde Dame ist die Freundin von jung und alt, und ihr ganzes Leben vergeht darin, daß sie anderer Leben beglückt.

»Und was für einen Ehemann muß dieser Pendennis abgegeben haben?« wird mancher Leser fragen, der das Glück einer solchen Ehe und das heitere Geschick Lauras bezweifelt. Die Fragesteller werden, wenn sie sie treffen sollten, auf diese Dame selbst verwiesen, die, wenn sie seine Fehler und eigensinnigen Launen sieht – und sieht und zugesteht, daß es bessere Männer als ihn gibt – ihn doch allezeit mit der 501 treuesten Zärtlichkeit liebt. Seine Kinder oder deren Mutter haben nie ein rauhes Wort von ihm gehört, und wenn seine Anfälle von Verdrießlichkeit und Trübsinn vorüber sind, heißen sie ihn mit nie fehlender Achtung und Vertraulichkeit willkommen. Sein Freund ist noch immer sein Freund, sein Herzens- und Busenfreund. Jene Krankheit ist einem gesunden Organ nie verhängnisvoll. Und Georg spielt seine Rolle als Pate vortrefflich und lebt für sich allein. Wenn Herrn Pens Werke ihm einen größeren Ruf verschafft haben, als sein höher begabter Freund, den niemand kennt, sich erworben hat, so lebt Georg zufrieden ohne den Ruhm. Wenn die besten Menschen im Leben nicht die großen Lose ziehen, so wissen wir, daß es von dem Ordner der Lotterie so eingerichtet worden ist. Wir gestehen und sehen täglich, wie die Falschen und Nichtswürdigen leben und gedeihen, während die Guten abgerufen werden und geliebte junge Seelen frühzeitig dahinsterben; wir bemerken in jedermanns Glück ein verstümmeltes Glück, ein häufiges Fallen, ein Streben, ohne das Ziel zu erreichen, einen Kampf von Recht und Unrecht, in dem die Starken oft unterliegen und die Schnellen im Laufe stürzen; wir sehen Blumen des Guten an faulen Orten blühen, wie andererseits in Lebensläufen voll Glück und Glanz plötzliche Stöße von Verbrechen und Gemeinheit und Flecken von Sünde vorkommen; und da wir wissen, wie gemein auch der beste unter uns ist, wollen wir dem Arthur Pendennis, der ja keinen Anspruch darauf macht, ein Held, sondern bloß ein Mensch und ein Bruder zu sein, mit all seinen Fehlern und Mängeln eine Hand der Barmherzigkeit reichen.

 


 


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