William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Fünfzehntes Kapitel

Pen beginnt über seine Wahl zweifelhaft zu werden

Während Pen in seiner heimatlichen Grafschaft seine selbstsüchtigen Pläne und parlamentarischen Absichten verfolgte, erhielt er die Nachricht, daß Lady Rockminster in Baymouth angekommen wäre und unsere Freundin Laura mitgebracht hätte. Bei der Ankündigung, daß Laura, seine Schwester, in seiner Nähe weilte, fühlte sich Pen beinahe wie schuldbewußt. Sein Wunsch war, in ihrer Achtung höher zu stehen, vielleicht mehr, als in der irgendeiner andern Person der Welt. Sie war seiner Mutter Vermächtnis an ihn. Er sollte in irgendeiner Art ihr Beistand und Beschützer sein. Wie würde sie die Nachricht überwinden, die er ihr zu erzählen hatte, und wie sollte er ihr die Pläne auseinandersetzen, mit denen er sich trug? Es war ihm zumute, als ob weder er noch Blanche den verwirrenden Blick von Lauras ruhiger Erforschung auszuhalten vermöchten, und als ob er es nicht wagen würde, dieser fleckenlosen Richterin seine selbstsüchtigen Hoffnungen und ehrgeizigen Bestrebungen zu eröffnen. Bei ihrem Eintreffen in Baymouth schrieb er einen Brief dorthin, der eine große Menge schöner Phrasen und Ergebenheitsversicherungen und ein gutes Teil leichtfertige Satire und Witzelei enthielt, aber mitten in alledem konnte Herr Pen 307 doch nicht umhin, zu fühlen, daß er in Angst wäre, und daß er als Schurke und Heuchler handelte.

Wie kam es, daß ein einfaches Landmädchen solch einem klugen Herrn wie Herrn Pen Furcht und Zittern einjagen konnte? Er fühlte irgendwie, daß seine weltliche Taktik und Diplomatie, seine Satire und Weltkenntnis ihrer Reinheit gegenüber nichts vermöchten. Und er mußte sich gestehen, daß seine Angelegenheiten in solch einem Zustande wären, daß er dieser ehrlichen Seele die Wahrheit nicht mitteilen konnte. Als er von Clavering nach Baymouth ritt, fühlte er sich so schuldbewußt wie ein Schulbube, der seine Lektion nicht weiß und seinem fürchterlichen Schulmeister entgegenzutreten im Begriff ist. Denn ist Wahrheit nicht stets der Schulmeister, und hat sie nicht die Gewalt und hält sie nicht das Heft in der Hand?

Als Pflegebefohlene ihrer gütigen, wenn auch etwas launischen und kurz angebundenen Gönnerin, der Lady Rockminster, hatte Laura im vergangenen Jahre etwas von der Welt gesehen, hatte sich einige Fertigkeiten erworben und durch die Lektionen der Gesellschaft gewonnen. Manches Mädchen, das an jene zu große Zärtlichkeit gewöhnt gewesen wäre, in der Laura ihre Jugendzeit verlebt hatte, würde für die veränderte Existenz nicht geeignet gewesen sein, die sie jetzt zu führen hatte. Helene betete ihre beiden Kinder an und dachte, wie Frauen, die nicht viel in die große Welt kommen, zu tun pflegen, daß die ganze Welt für sie gemacht wäre oder nach ihrem Bedürfnisse gemessen werden müßte. Sie pflegte Laura mit einer liebevollen Aufmerksamkeit, die sie nie verließ. Wenn sie einmal 308 Kopfschmerz hatte, so war die Witwe in Angst, als ob es vorher noch nie Kopfschmerz in der Welt gegeben hätte. Sie schlief und wachte, las und bewegte sich unter der liebevollen Aufsicht ihrer Mutter, die ihr jetzt mit dem zärtlichen Geschöpfe, dessen besorgtes Herz nicht mehr schlug, entzogen worden war. Und ohne Zweifel hatte Laura schmerzliche Augenblicke des Kummers und der Niedergeschlagenheit, als sie in der großen gleichgültigen Welt allein stand. Niemand kümmerte sich um ihren Kummer oder ihre Einsamkeit. Sie war in sozialer Stellung der Dame, deren Gefährtin sie war, oder den Freunden und Verwandten der gebieterischen aber gutherzigen alten Witwe nicht ganz gleich. Mehrere waren ihr höchstwahrscheinlich nicht sehr freundlich gesinnt, manche vielleicht behandelten sie geringschätzig, es kam wohl auch vor, daß die Dienerschaft sich grob gegen sie benahm, ihre Herrin tat dies sicherlich oft. Laura sah sich nicht selten in Familienzusammenkünften, deren Vertraulichkeit und Ungezwungenheit durch ihr Eindringen, wie sie fühlte, gestört wurden, und ihre Empfindsamkeit war natürlich bei dem Gedanken, daß sie solchen Verdruß machen oder haben sollte. Wie viele Gouvernanten gibt es aber nicht in der Welt, dachte die heitere Laura, wie viele Damen, deren Verhältnisse sie zwingen, Sklavinnen und Gesellschafterinnen von Profession zu werden! Was für schlechte Laune und grobe Unfreundlichkeiten haben diese nicht zu ertragen! Wie unendlich besser ist mein Los bei diesen von Herzen guten und liebevollen Leuten, als das von tausenden von unbeschützten Mädchen! Mit diesem wohlgemuten Herzen fügte sich unsere junge Dame in ihre neue 309 Stellung und schritt ihrem Schicksale mit zuversichtlichem Lächeln entgegen.

Kanntest du jemals einen Menschen, Leser, der dem Schicksal in dieser Art begegnete und den die Göttin nicht freundlich angesehen hätte? Werden nicht selbst böse Menschen durch eine fortdauernde Heiterkeit des Gemüts und ein reines und liebevolles Herz gewonnen? Als die Kinder im Walde in der Ballade freundlich und vertrauensvoll zu jenen ausgemachten Schurken aufblickten, denen sie ihr Onkel übergeben, um die kleinen Leutchen beiseite zu schaffen, so wissen wir alle, wie einer der Schufte in sich ging und den andern umbrachte, weil er nicht das Herz hatte, grausam gegen so viel Unschuld und Schönheit zu sein. O selig diejenigen, die jenes jungfräuliche liebende Vertrauen und jene holdlächelnde Zuversicht auf die Welt haben und nichts Böses fürchten, weil sie nichts Böses denken! Fräulein Laura Bell war eine jener glücklichen Personen, und hatte außer dem kleinen Kreuze der gütigen Witwe, das ihr, wie wir sahen, Pen gegeben hatte, solch einen funkelnden und strahlenden Kohinoor in ihrem Busen, der sogar noch kostbarer ist, als das berühmte Kleinod, denn derselbe wird nicht nur bezahlt und von seinem Eigentümer in jener Welt, wo Diamanten, wie es heißt, ohne Wert sind, behalten, sondern ist für seinen Besitzer auch hier von unschätzbarem Werte, ist ein Talisman gegen das Böse und erleuchtet die Dunkelheit des Lebens gleich Cogia Hassans berühmtem Steine.

So kam es, daß, ehe Fräulein Bell ein Jahr im Hause der Lady Rockminster gewesen war, sich in 310 demselben nicht eine einzige Person fand, deren Liebe sie sich nicht durch diesen Talisman erworben hätte. Von der alten Dame herab bis zu dem niedrigsten der von ihrer Güte Abhängigen, hatte Laura sich des Wohlwollens von jedermann versichert. Bei einer Herrin von solch einem Temperamente konnte man von Myladys Kammerfrau (die vierzig Jahre lang ihre Gebieterin ertragen hatte und in diesem Zeitraum Tag und Nacht gekratzt, ausgezankt und gestoßen worden war) nicht erwarten, daß sie selbst ein gutes Temperament haben sollte, und so war sie denn auch zuerst gehässig gegen Fräulein Laura, wie sie gegen die fünfzehn vorhergehenden Gesellschafterinnen Ihrer Ladyschaft gewesen war. Aber als Laura in Paris krank war, pflegte dies alte Frauenzimmer sie trotz ihrer Gebieterin, die sich fürchtete, das Fieber zu bekommen, und kämpfte geradezu um ihre Medizin mit Martha von Fairoaks, die jetzt bis zu Lauras Kammermädchen aufgerückt war. Als sie in der Genesung begriffen war, wollte Grandjean, der Küchenchef, sie durch die Menge der Delikatessen, die er für sie bereitet, umbringen und weinte vor Wonne, als sie ihr erstes Schnittchen Huhn aß. Der schweizer Majordomus des Hauses pries das Lob des Fräuleins Bell beinahe in allen europäischen Sprachen, die er gleich unrichtig redete; der Kutscher war glücklich, sie ausfahren zu können; der Page heulte, als er hörte, daß sie krank wäre, und Calverley und Coldstream (jene Bedienten, so groß, so ruhig gewöhnlich und so schwer zu erregen) brachen auf die Nachricht von ihrer Genesung in außerordentliche Freude aus und machten den Pagen in einer Weinschenke betrunken, um Lauras 311 Genesung zu feiern. Sogar Lady Diana Pynsent (unser früherer Bekannter Pynsent hatte sich inzwischen verheiratet), die eine Zeitlang einen beträchtlichen Widerwillen gegen Laura gehabt hatte, war so begeistert von ihr, daß sie sagte, sie hielte Fräulein Bell für eine recht angenehme Person, und Großmama hätte in ihr eine große trouvaille gefunden. All dieses Wohlwollen hatte sich Laura nicht durch Kunstgriffe oder Schmeichelei erworben, sondern durch die einfache Gewalt eines guten Herzens und die Himmelsgabe zu gefallen und Gefallen zu empfinden.

Ein oder zweimal, wo Lady Rockminster ihn gesehen hatte, war die alte Dame, die ihn eben nicht bewunderte, gegen unseren jungen Freund sehr unbarmherzig und kurz angebunden gewesen, und vielleicht erwartete Pen, als er nach Baymouth kam, Laura in ihrem Hause in der demütigenden Stellung einer Gesellschafterin und nicht besser behandelt zu finden, als er selbst. Als sie von seiner Ankunft hörte, kam sie die Treppe hinabgelaufen, und ich bin nicht sicher, ob sie Pen nicht in Gegenwart von Calverley und Coldstream umarmte, nicht, daß diese Herren es jemals erzählt hätten, wenn der fractus orbis zum Platzen gekommen wäre, wenn Laura, anstatt Pen zu küssen, ihre Schere genommen und ihm den Kopf abgeschnipst hätte, – Calverley und Coldstream würden unbeweglich zugeschaut haben, ohne sich durch den Unfall auch nur ein Puderstäubchen in ihren Haaren verrücken zu lassen.

Laura hatte sich in ihrer Gesundheit und ihrem Aussehen so sehr zu ihren Gunsten verändert, daß Pen nicht umhin konnte, sie zu bewundern. Die offen 312 blickenden Augen, die den seinen begegneten, strahlten von frischer Gesundheit, die Wange, die er küßte, schmückte die Röte der Schönheit. Als er sie ansah, wie sie ungekünstelt und anmutig, rein und unschuldig vor ihm stand, dachte er, daß er sie nie so schön gesehen hätte. Warum bemerkte er ihre Schönheit jetzt so sehr und bemerkte auch bei sich selbst, daß sie ihm nicht früher aufgefallen wäre? Er ergriff ihre schöne treue Hand und küßte sie zärtlich, er sah ihr in die hellen klaren Augen und las in ihnen das aufflackernde Willkommen, das er dort zu finden stets sicher war. Er war ergriffen und gerührt durch den zärtlichen Ton und den reinen strahlenden Blick; ihre Unschuld traf ihn, er wußte nicht wie, ans Herz und bewegte ihn.

»Wie gut du doch gegen mich bist, Laura – Schwester!« sagte Pen. »Ich verdiene es nicht, daß du – daß du so gütig gegen mich bist.«

»Mama hinterließ dich mir,« sagte sie, indem sie sich niederbeugte und hastig mit ihren Lippen über seine Stirn streifte; »du weißt, daß du zu mir kommen wolltest, wenn du betrübt wärest und mir's erzählen würdest, wenn du sehr glücklich wärest; das war unser Pakt voriges Jahr, Arthur, als wir schieden. Bist du nun jetzt sehr glücklich oder bist du betrübt, wie steht es?« und sie sah ihn listig dabei an. »Freust du dich aufs Parlament? Gedenkst du dich dort auszuzeichnen? Wie werde ich um deine erste Rede zittern!«

»So weißt du also von dem Plane mit dem Parlament?« fragte Pen.

»Wissen? – alle Welt weiß davon! Ich habe oftmals davon sprechen hören. Lady Rockminsters Doktor 313 sprach erst heute davon. Ich glaube, es wird morgen in der Zeitung von Chatteris sein. Es ist in der ganzen Grafschaft bekannt, daß Sir Francis Clavering, von Clavering, im Begriffe steht, sich zurückzuziehen, und zwar zugunsten des Herrn Arthur Pendennis von Fairoaks, und daß das junge und schöne Fräulein Blanche Amory –«

»Was! auch das?« fragte Pendennis.

»Auch das, lieber Arthur. Tout le sait, wie jemand sagen würde, den recht lieb zu haben ich mir vorgenommen habe, und der, wie ich überzeugt bin, sehr klug und hübsch ist. Ich habe einen Brief von Blanche bekommen. Den liebenswürdigsten Brief. Sie spricht mit solcher Wärme von dir, Arthur! Ich hoffe – ich weiß, daß sie fühlt, was sie schreibt. – Wann wird es denn vor sich gehen, Arthur? Warum hast du mir nichts davon erzählt? Ich darf dann wohl zu euch kommen und bei euch leben, nicht wahr?«

»Mein Haus ist das deine, liebe Laura, wie alles, was ich habe,« sagte Pen. »Wenn ich dies nicht selbst erzählt habe, so war es, weil – weil – ich weiß selbst nicht, nichts ist bis jetzt entschieden. Es hat keine Erklärung zwischen uns stattgefunden. Aber du meinst, Blanche könne glücklich mit mir sein – nicht wahr? Nicht eine romantische Zärtlichkeit, weißt du. Ich habe kein Herz, glaube ich, ich habe ihr dies gesagt: nur so ein nüchtern überlegtes Verhältnis – und ich will meine Frau an der einen Seite des Feuers und meine Schwester an der anderen haben, – Parlament in der Sitzungszeit und Fairoaks in den Ferien, und meine 314 Laura soll mich nicht verlassen, bis jemand kommt, der ein Recht hat, sie hinwegzuführen.«

Jemand der ein Recht hat – jemand mit einem Rechte! Weshalb begann Pen, als er das Mädchen ansah und langsam diese Worte aussprach, ärgerlich und eifersüchtig auf den unsichtbaren jemand zu werden mit dem Rechte sie hinwegzuführen? Erst eine Minute vorher noch ängstlich, wie sie die Nachricht von seinen wahrscheinlichen Arrangements mit Blanche aufnehmen würde, fühlte sich Pen jetzt irgendwie verletzt, daß sie die Mitteilung so leicht nahm und sein Glück für ausgemacht hielt.

»Bis jemand kommt,« sagte Laura lachend, »will ich zu Hause bleiben und Tante Laura sein und auf die Kinder acht geben, wenn Blanche in der großen Welt ist. Ich habe mir schon alles ausgedacht. Ich bin eine vortreffliche Haushälterin. Weißt du wohl, daß ich in Paris mit der Frau Beck auf den Markt gegangen bin und einige Stunden bei Monsieur Grandjean genommen habe? Und ich habe in Paris auch ein paar Singstunden genommen und sie mit dem Gelde bezahlt, das du mir geschickt hast, mein guter Junge, und ich kann jetzt viel besser singen, und ich habe auch tanzen gelernt, wenn auch nicht so gut wie Blanche, und wenn du Staatsminister wirst, soll Blanche mich vorstellen;« und hiermit machte sie in herausfordernd guter Laune vor ihm den neuesten Pariser Knix.

Lady Rockminster kam herein, während dieser Knix ausgeführt wurde, und gab Arthur einen Finger zur Begrüßung, den er ergriff und über den er sich beugte, was in der Tat sehr unbeholfen aussah. 315

»So werden Sie sich also verheiraten, Herr Pendennis?« sagte die alte Dame.

»Schelten Sie ihn aus, Lady Rockminster, daß er uns nichts davon gesagt hat,« sagte Laura, indem sie fortging, was dann auch die alte Dame sogleich zu tun begann. »So wollen Sie sich also verheiraten und ins Parlament gehen anstelle jenes nichtsnutzigen Sir Francis Clavering. Ich wünschte, er sollte meinem Enkel seinen Sitz abtreten – warum gab er meinem Enkel seinen Sitz nicht? Sie werden hoffentlich recht viel Geld mit Fräulein Amory bekommen. Ich meinesteils möchte sie nicht ohne viel Geld.«

»Sir Francis Clavering ist des Parlaments überdrüssig,« sagte Pen kleinlaut, »und – und ich möchte gern einen Versuch mit dieser Laufbahn machen. Das übrige von der Geschichte ist mindestens vorzeitig.«

»Ich wundere mich nur, daß Sie, der doch Laura zu Hause hatte, sich solch ein kleines affektiertes Geschöpf wie jene anschaffen konnten,« fuhr die alte Dame fort.

»Ich bedaure sehr, daß Fräulein Amory Ihrer Ladyschaft nicht gefällt,« sagte Pen lächelnd.

»Sie meinen – daß mich das nichts angeht, und daß ich sie ja nicht heiraten will. Nun, das ist wahr, und ich bin recht froh darüber – ein kleines widerwärtiges Ding; wenn ich denke, daß jemand sie meiner Laura vorziehen könnte, so habe ich keine Geduld mit ihm, und das sage ich Ihnen, Herr Arthur Pendennis.«

»Ich freue mich, daß Sie Laura mit so günstigen Augen ansehen,« sagte Pen. 316

»Sie freuen sich, und Sie bedauern sehr. Was hat es zu sagen, mein Herr, ob Sie sich über so etwas freuen oder es sehr bedauern? Ein junger Mann, der Fräulein Amory dem Fräulein Bell vorzieht, hat gar nichts zu bedauern oder sich über gar nichts zu freuen. Ein junger Mann, der sich mit solch einem schiefgewachsenen Zieraffen einläßt, wie diese kleine Amory, – denn ich sage Ihnen, daß sie schief ist, – nachdem er meine Laura gesehen hat, hat kein Recht, wieder mit erhobener Stirne einherzugehen. Wo ist Ihr Freund Blaubart? Den langen jungen Mann meine ich – Warrington, heißt er nicht so? Warum kommt er nicht her und heiratet Laura? Was meinen die jungen Leute damit, daß sie solch ein Mädchen wie sie nicht heiraten? Sie heiraten jetzt alle nach Geld. Ihr seid Egoisten und Lumpen alle miteinander. Wir liefen zu meiner Zeit miteinander davon und gingen törichte Verbindungen ein. Ich kann die jungen Leute nicht ausstehen! Als ich im Winter in Paris war, fragte ich alle drei Attachés bei der Gesandtschaft, weshalb sie sich nicht in Fräulein Bell verliebten. Sie lachten – sie sagten, sie brauchten Geld. Ihr seid alle Egoisten – allesamt Lumpen!«

»Hoffentlich haben Sie, ehe Sie Fräulein Bell den Attachés antrugen, ihr die Gnade erzeigt, sie darüber zu befragen,« sagte Pen etwas hitzig.

»Fräulein Bell hat nur wenig Geld, Fräulein Bell muß bald heiraten. Irgend jemand muß ihr eine Partie verschaffen, mein Herr, ein Mädchen kann sich nicht selbst ausbieten,« sagte die alte vornehme Witwe mit großer Feierlichkeit. 317

»Laura, mein Herz, ich habe eben deinem Cousin gesagt, daß alle jungen Männer Egoisten sind, und daß unter ihnen nicht für einen Pfennig Romantik mehr ist. Er ist ebenso schlimm wie die übrigen.«

»Haben Sie Arthur gefragt, weshalb er mich nicht heiraten will?« sagte Laura mit einem Lächeln, indem sie zurückkam und die Hand ihres Cousins ergriff. (Sie war vielleicht weggewesen, um irgendwelche Spuren von Aufregung zu verbergen, die sie andere nicht sehen lassen wollte.) »Er will gerade jemand anderes heiraten, und ich habe mir vorgenommen, sie recht lieb zu haben und bei ihnen zu leben, vorausgesetzt, daß er dann nicht jeden Junggesellen, der in sein Haus kommt, fragt, warum er mich nicht heiratet.«

Nachdem die Schrecken von Pens Gewissen auf diese Art beschwichtigt waren, und sein Examen vor Laura ohne irgendwelche Vorwürfe auf Seiten der letzteren abgelaufen war, begann Pen zu finden, daß seine Pflicht wie seine Neigung ihn fortwährend nach Baymouth führten, wo Lady Rockminster ihm bemerkte, daß an ihrem Tische stets ein Platz für ihn bereit sein sollte. »Und ich empfehle Ihnen, oft zu kommen,« sagte die alte Dame, »denn Grandjean ist ein ausgezeichneter Koch, und mit mir und Laura zusammen zu sein wird Ihren Manieren gut tun. Es ist leicht zu bemerken, daß Sie immer nur an sich selbst denken. Werden Sie doch nicht rot und stottern Sie doch nicht – fast alle junge Leute denken immer nur an sich selbst. Meine Söhne und Enkel taten es immer, bis ich sie kurierte. Kommen Sie her und lassen Sie sich von uns gehörig Lebensart lehren; Sie werden nicht vorzuschneiden 318 haben, das wird am Seitentische abgemacht. Hecker wird Ihnen so viel Wein geben, als Ihnen gut ist, und an Tagen, wo Sie besonders gut und amüsant sind, sollen Sie etwas Champagner haben; Hecker, merken Sie auf, was ich Ihnen sage. Herr Pendennis ist der Bruder von Fräulein Laura, und Sie werden es ihm behaglich machen und hübsch nachsehen, daß er nicht zu viel Wein hat oder mich stört, während ich mein Mittagsschläfchen mache. Sie sind egoistisch, ich beabsichtige, Sie von dem Egoismus zu heilen. Sie werden hier speisen, wenn Sie nicht anderswohin versprochen sind, und wenn es regnet, täten Sie besser, im Hotel abzusteigen.« So lange die gute Dame jedermann um sich herum nach ihrem Willen tun lassen konnte, war sie leicht zufriedenzustellen, und alle die Sklaven und Untertanen ihres kleinen Witwenhofes zitterten vor ihr, liebten sie aber.

Sie empfing keine sehr zahlreiche oder glänzende Gesellschaft bei sich. Der Doktor natürlich hatte Zutritt als fortwährender und getreuer Besucher; der Vikar und sein Stellvertreter, und bei feierlichen Gelegenheiten des Vikars Gattin nebst ihren Töchtern und einige andere von den Gästen Baymouths während der Saison wurden bei den Gesellschaften der alten Dame empfangen, aber gewöhnlich war die Gesellschaft eine kleine, und Herr Arthur trank seinen Wein für sich allein, wenn Lady Rockminster sich zurückzog, um ihr Schläfchen zu machen, und sich nach dem Essen von Laura in Schlummer spielen und singen zu lassen.

»Wenn meine Musik ihr ein Ruhestündchen geben 319 kann,« sagte das gutherzige Mädchen, »sollte ich da nicht so froh sein, daß ich so viel Gutes damit zu tun vermag? Lady Rockminster schläft sehr wenig des Nachts, und ich pflegte ihr vorzulesen, bis ich in Paris krank wurde, seit welcher Zeit sie nicht mehr davon hören will, daß ich aufbleibe.«

»Warum hast du denn nicht an mich geschrieben, als du krank warst?« fragte Pen errötend.

»Was hätte es mir geholfen? Ich hatte ja Martha zur Pflege und den Doktor alle Tage. Du hast zu viel zu tun, um an Weiber zu schreiben oder an sie zu denken. Du hast deine Bücher und Zeitungen, deine Politik und deine Eisenbahnangelegenheiten, die dich beschäftigen. Ich schrieb, als ich gesund war.«

Und Pen sah sie an und errötete wieder, als er sich erinnerte, daß er in der ganzen Zeit ihrer Krankheit auch kein einziges Mal an sie geschrieben, ja kaum an sie gedacht hatte.

Infolge seiner Verwandtschaft stand es Pen frei, mit seiner Kusine fortwährend spazieren zu gehen und zu reiten, und er fand bei diesen Gängen und Ritten Gelegenheit, die holde Offenheit ihres Gemüts und die Wahrhaftigkeit, Einfachheit und Güte ihrer schönen reinen Seele schätzen zu lernen. In der Zeit, wo ihre Mutter noch lebte, hatte sie nie so offen oder so herzlich zu ihm gesprochen wie jetzt. Der Wunsch der armen Helene, eine Verbindung zwischen ihren beiden Kindern zustande zu bringen, hatte auf Seiten Lauras eine gewisse Zurückhaltung gegen Pen hervorgerufen, zu welcher unter den veränderten Umständen von Pens Leben jetzt nichts mehr nötigte. Er war an ein 320 anderes Weib gefesselt, und Laura wurde sogleich seine Schwester, – indem sie vor sich alle Zweifel, die ihr hinsichtlich seiner Wahl kommen mochten, verbarg oder verbannte; sie bestrebte sich, heiter in die Zukunft zu schauen und sein Glück zu erhoffen, indem sie sich selbst versprach, alles, was Liebe tun kann, zu tun, um den Liebling ihrer Mutter glücklich zu machen.

Ihre Unterhaltung lenkte sich oft auf ihre hingeschiedene Mutter. Und aus tausend Geschichten, die Laura ihm erzählte, erfuhr Arthur, wie beständig und alles andere hintenansetzend jene stille mütterliche Liebe gewesen war, die ihn, mochte sie zugegen oder fern von ihm sein, durchs Leben begleitet und erst mit dem letzten Atemzuge der zärtlichen Witwe geendet hatte. Eines Tages sahen die Leute von Clavering einen Burschen, der ein paar Pferde an der Kirchhofsmauer hielt, und man erzählte sich im Orte, daß Pen und Laura zusammen Helenes Grab besucht hätten. Seit Arthur aufs Land herausgekommen war, war er ein- oder zweimal dort gewesen, aber der Anblick des heiligen Steines hatte ihm keinen Trost gebracht. Ein schuldbeladener Mensch, der eine schuldvolle Tat begehen will, ein bloßer Spekulant, zufrieden, seinen Glauben und seine Ehre für ein Vermögen und eine weltlich glänzende Karriere hinzugeben, und zugestehend, daß sein Vermögen nichts als eine verächtliche Uebergabe sei – was für ein Recht hatte er an dem heiligen Orte? – was half es ihm, daß andere in der Welt, in der er lebte, nicht besser als er waren? Arthur und Laura ritten an den Toren von Fairoaks 321 vorüber, und er gab den Kindern seines Pächters die Hände, die auf dem Rasenplatze und der Terrasse spielten – Laura sah unablässig nach der Mauer des Hauses, auf das Schlingkraut an der Tür und die Magnolie, die nach ihrem Fenster hinaufrankte. »Herr Pendennis ritt heute mit einer Dame vorbei,« erzählte einer der Jungen seiner Mutter, »und er hielt an und sprach mit uns und bat um ein bißchen Geisblatt vor der Tür und gab es der Dame. Ich konnte nicht sehen, ob sie hübsch war, sie hatte ihren Schleier heruntergelassen. Sie ritt auf einem Pferde von Cramp aus Baymouth.«

Als sie über die Dünen zwischen der Heimat und Baymouth ritten, sprach Pen nicht viel, obschon sie sehr nahe beieinander ritten. Er dachte daran, was für ein Possenspiel das Leben sei, und wie Menschen das Glück von sich weisen, wenn sie es haben könnten, oder es umstoßen, wenn sie es haben, oder mit offenen Augen es für ein bißchen wertloses Geld oder bettelhafte Ehre verschachern. Und dann kam ihm der Gedanke: was hat es bei dem kurzen Zeitraum zu bedeuten? Das Leben der Besten und Reinsten von uns wird von vergeblichem Sehnen verzehrt und endet in Enttäuschung, wie das der teuren Seele, die dort in ihrem Grabe schläft. Auch sie hatte ihren egoistischen Ehrgeiz so gut wie Cäsar und starb an der Sehnsucht, die sie ihr ganzes Leben hindurch begleitete. Der Grabstein bedeckt unser Hoffen und Gedächtnis, der Ort, wo wir gelebt haben, kennt uns nicht. »Anderer Leute Kinder spielen auf dem Grase, wo du und ich zu spielen pflegten, Laura,« brach er endlich in bitterem Tone aus. 322 »Und du siehst, wie die Magnolie, die wir gepflanzt haben, seit unserer Zeit gewachsen ist. Ich habe mich in ein paar Hütten umgesehen, die meine Mutter zu besuchen pflegte. Es ist kaum ein Jahr, seit sie hingeschieden ist, und die Leute, denen sie Gutes zu tun pflegte, kümmern sich nicht mehr um ihren Tod als um den der Königin Anna. Wir sind alle egoistisch, die Welt ist egoistisch; es gibt nur wenige Ausnahmen, wie du, meine Liebe, um als edle Taten in einer erbärmlichen Welt zu glänzen und die Dunkelheit nur noch trübseliger erscheinen zu lassen.«

»Ich wollte, du sprächest nicht in dieser Weise, Arthur,« sagte Laura, die niederblickte und ihren Kopf auf das Geisblatt an ihrer Brust neigte. »Als du dem kleinen Knaben sagtest, mir dieses hier zu geben, warst du nicht egoistisch.«

»Ein großes Opfer, das ich für dich brachte, um es zu bekommen!« antwortete der Spötter.

»Aber dein Herz war gütig und voll Liebe, als du es tatest. Man kann nicht mehr als Liebe und Güte verlangen, und wenn du gering von dir denkst, Arthur, so sind deshalb Liebe und Güte nicht minder wert – nicht wahr? Ich dachte oft, daß unsere teure Mutter dich zu Hause durch ihre Anbetung verdarb, und daß, wenn du – ich hasse das Wort – bist, was du sagst, ihre zu große Zärtlichkeit beitrug, dich dazu zu machen. Und was die Welt betrifft, so meine ich, daß Leute, die in sie hineingehen, nicht anders als egoistisch sein können. Du hast für dich zu kämpfen und für dich vorwärts zu kommen und dir einen Namen zu machen. Mama und dein Onkel haben dich beide zu diesem 323 Ehrgeize angefeuert. Wenn es ein eitles Ding ist, weshalb es verfolgen? Ich glaube, daß ein so begabter Mann wie du beabsichtigt, durch seinen Eintritt ins Parlament dem Lande viel Gutes zu tun, sonst würdest du nicht dort zu sein wünschen. Was willst du tun, wenn du im Unterhause bist?«

»Frauen verstehen nichts von Politik, meine Liebe,« sagte Pen, indem er über sich selbst spöttisch lächelte, als er sprach.

»Aber warum macht ihr nicht, daß wir etwas davon verstehen? Ich konnte mir hinsichtlich Herrn Pynsents nie erklären, warum er nur so gern dort sein wollte. Er ist kein gescheiter Kopf.«

»Er ist sicherlich kein Genie, dieser Pynsent,« sagte Pen.

»Lady Diana sagt, daß er den ganzen Tag Komitees besucht, daß er dann die ganze Nacht im Parlament ist, daß er stets so stimmt, wie man's ihm gesagt hat, daß er nie spricht, daß er nie einen anderen als einen untergeordneten Platz einnehmen wird, und, wie seine Großmutter ihm sagt, ein Aktenwurm ist. Hast du Lust, dieselbe Karriere zu machen, Arthur? Was ist darin nur so Glänzendes, daß du so eifrig dahinter her bist? Ich wollte lieber, du bliebest zu Hause und schriebst Bücher – gute Bücher, edle Bücher, mit milden edlen Gedanken, wie du sie ja hast, lieber Arthur, und wie sie den Leuten gut tun würden, wenn sie sie läsen. Und wenn du dir keinen Ruhm gewännst, was wäre es dann? Du gestehst ein, daß es Eitelkeit ist, und du kannst sehr glücklich ohne denselben leben. Ich darf deine Ratgeberin nicht spielen wollen, aber 324 ich nehme dich bei deinen eigenen Worten hinsichtlich der Welt und frage dich, da du bekennst, daß sie schlecht ist und daß du ihrer überdrüssig bist, weshalb du sie nicht verlässest?«

»Und was wolltest du, daß ich tun sollte?« fragte Arthur.

»Ich wollte, du brächtest deine Frau nach Fairoaks, um dort zu leben und zu studieren und Gutes um dich herum zu tun. Ich möchte gern deine eigenen Kinder auf dem Rasenplatze spielen sehen, Arthur, und daß wir wieder in unserer Mutter Kirche beten könnten, teurer Bruder. Wenn die Welt ein Ort der Versuchung ist, hat man uns da nicht gesagt, daß wir beten sollten, daß wir nicht in Versuchung geführt werden?«

»Meinst du, daß Blanche eine gute Frau für einen kleinen Landedelmann abgeben wird? Meinst du, ich würde zu einer solchen Rolle sehr gut passen, Laura?« fragte Pen. »Erinnere dich, daß die Versuchung sowohl um die Heckenzäune als durch die Straßen der Stadt wandelt, und Trägheit die größte Versucherin von allen ist.«

»Was sagt dann – was sagt Herr Warrington dazu?« fragte Laura, während ihr die Röte in die Wangen stieg, was Pen recht wohl bemerkte, obwohl Lauras Schleier über ihr Gesicht herabfiel, um sie zu verbergen.

Pen ritt eine Weile schweigend an Lauras Seite. Georgs Name, in dieser Weise erwähnt, rief ihm die Vergangenheit zurück und die Gedanken, die er dereinst in bezug auf Georg und Laura gehegt. Warum regte ihn die Wiederkehr des Gedankens jetzt so auf, wo er 325 wußte, daß die Verbindung unmöglich war? Warum war er nur so begierig, zu wissen, ob Laura während der Monate ihres vertraulichen Beisammenlebens eine Neigung für Warrington gefühlt habe? Von diesem Tage bis auf die Gegenwart hatte Georg nie wieder auf seine Geschichte angespielt, und Arthur besann sich jetzt, daß seit damals Georg kaum Lauras Namen erwähnt habe.

Schließlich ritt er ganz nahe an sie heran. »Sage mir etwas, Laura,« versetzte er.

Sie schlug ihren Schleier zurück und schaute ihn an. »Was ist's, Arthur?« fragte sie, obwohl sie es, nach dem Zittern ihrer Stimme zu schließen, sehr wohl erriet. »Sag mir – wenn Georgs Unglück nicht wäre – ich habe ihn vor oder seit jenem Tage nie davon sprechen hören – ob du – ihm das gegeben haben würdest – was du mir versagtest?«

»Ja, Pen,« sagte sie in Tränen ausbrechend.

»Er war deiner mehr wert als ich,« seufzte der arme Arthur mit einem unbeschreiblichen Gram in seiner Brust. »Ich bin nur ein elender Egoist, und Georg ist besser, edler, treuer als ich bin. Gott segne ihn!«

»Ja, Pen,« sagte Laura, indem sie ihrem Vetter die Hand hinreichte, und er legte seinen Arm um sie, und sie schluchzte einen Augenblick an seiner Schulter.

Das sanfte Mädchen hatte ihr Geheimnis gehabt und erzählte es. Auf der letzten Reise der Witwe von Fairoaks hatte Laura, als sie mit ihrer Mutter an Arthurs Krankenbett eilte, ein anderes Geständnis abgelegt, und erst, als Warrington seine eigene Geschichte erzählte und das hoffnungslose Verhältnis seines 326 Lebens beschrieb, entdeckte sie, wie sehr ihre Gefühle sich verändert hatten, und mit welcher zärtlichen Teilnahme, mit welcher großen Achtung, Wonne und Bewunderung sie den Freund ihres Vetters zu betrachten begonnen. Bis sie erfuhr, daß Pläne, von denen sie geträumt haben mochte, unausführbar waren, und daß Warrington, der vielleicht in ihrem Herzen gelesen, seine traurige Geschichte erzählt hatte, um sie zu warnen, hatte sie sich nicht die Frage vorgelegt, ob es möglich wäre, daß ihre Neigung sich einem anderen Gegenstande zuwenden könnte, und bei der Entdeckung der Wahrheit war sie erschrocken und betroffen gewesen. Wie hätte sie es Helenen erzählen und ihre Schande bekennen können? Die arme Laura fühlte sich schuldig vor ihrer Freundin mit ihrem Geheimnisse, das sie ihr nicht anzuvertrauen wagte, fühlte, als ob sie undankbar gewesen wäre für Helenens Liebe und Aufmerksamkeit, fühlte, als ob sie sich einer schändlichen Treulosigkeit gegen Pen schuldig gemacht, indem sie ihm die Liebe entzogen, die er sich gar nicht einmal anzunehmen die Mühe gab, fühlte sich sogar vor Warrington gedemütigt und reuig, daß sie ihn vielleicht durch ungehörige Teilnahme ermutigt oder ihn die Bevorzugung merken gelassen hätte, die sie zu empfinden begann.

Die Katastrophe, die Lauras heimischen Kreis zerstörte, der Gram und der Kummer, die sie über den Tod ihrer Mutter empfand, gaben ihr wenig Zeit zu egoistischeren Gedanken, und während der Zeit, wo sie sich von dieser Trübsal erholte, heilte auch der kleine Schmerz beinahe ganz. Es war nur für einen 327 Augenblick, daß sie sich einer Hoffnung hinsichtlich Warringtons hingegeben hatte. Ihre Bewunderung und ihre Achtung vor ihm blieben so stark wie immer. Aber das zärtliche Gefühl, mit dem sie sich bewußt war, ihn betrachtet zu haben, wurde zu solch einer Ruhe abgekühlt, daß man sagen kann, es sei tot und dahin gewesen. Der Schmerz, der davon zurückblieb, war ein Schmerz der Demütigung und der Gewissensbisse. »Oh, wie schlecht und stolz ich gegen Arthur war,« dachte sie, »wie selbstvertrauend auf mich und wie wenig zum Vergeben bereit! Nie habe ich von Herzen diesem armen Mädchen vergeben, die ihn liebte, oder ihm, daß er ihre Liebe ermutigte, und ich bin schuldiger gewesen als sie, das arme, kleine, ungekünstelte Geschöpf! Ich konnte, während ich vorgab, einen Mann zu lieben, nur zu begierig einem anderen lauschen und wollte den Wechsel der Gefühle in Arthur nicht verzeihen, während ich selbst wechselte und untreu war.« Und so sich selbst herabsetzend und ihre Schwäche anerkennend, suchte das arme Mädchen Kraft und Zuflucht in der Weise, in der sie stets danach auszuschauen gewohnt gewesen war.

Sie hatte nichts Unrechtes getan, aber es gibt gewisse Leute, die für einen Fehler, sei er auch noch so klein, so viel leiden, wie andere, deren dickhäutige Gewissen mit Verbrechen von beinahe jedem Gewicht beladen einherwandeln können, und der armen Laura beliebte es, sich einzubilden, daß sie bei diesem zarten Verhältnisse ihres Lebens wie eine sehr große Verbrecherin gehandelt hätte. Sie bestand darauf, daß sie Pen durch Entziehung jener Liebe, die sie 328 insgeheim vor dem Ohre von Pens Mutter ihm geschenkt hatte, ihm ein großes Unrecht zugefügt hätte, daß sie undankbar gegen ihre verstorbene Wohltäterin gewesen wäre, indem sie sich gestattet hätte, an einen anderen zu denken und ihr Versprechen zu brechen, und daß sie, in Anbetracht ihrer eigenen ungeheuren Vergehen, sehr mild in Beurteilung derer von anderen sein müßte, die sehr wahrscheinlich weit schwerere Versuchungen zu bestehen gehabt und deren Beweggründe sie nicht begreifen könnte.

Vor einem Jahre würde Laura entrüstet gewesen sein über die Idee, daß Arthur Blanche heiraten sollte, und ihr stolzer Geist würde sich empört haben bei dem Gedanken, daß er aus weltlichen Motiven sich erniedrigen könnte, ein seiner so unwürdiges Mädchen zu heiraten. Jetzt aber, wo die Nachricht von einer derartigen Möglichkeit ihr überbracht wurde (die Mitteilung wurde ihr von der alten Lady Rockminster gemacht, deren Reden so rücksichtslos und kurz angebunden waren wie eine Ohrfeige), wand sich das gedemütigte Mädchen unter dem Schlage ein wenig, aber ertrug ihn mit Sanftmut und verzweifelter Geduld. »Er hat ein Recht zu heiraten, er weiß viel mehr von der Welt als ich,« dachte sie bei sich. »Blanche mag nicht so leichtsinnig sein, als es schien, und wer bin ich, ihr Richter zu sein? Ich glaube, es ist sehr gut, daß Arthur ins Parlament eintritt und sich auszeichnet, und meine Pflicht ist, alles zu tun, das in meiner Macht liegt, ihm und Blanche beizustehen und sein Haus glücklich zu machen. Ich denke, ich werde bei ihnen leben. Wenn ich bei einem ihrer Kinder Pate bin, so werde 329 ich ihm meine dreitausend Pfund hinterlassen.« Und sofort begann sie sich zu überlegen, was sie Blanche von ihren kleinen Schätzen geben und wie sie sich am besten ihre Zuneigung erwerben könnte. Sie schrieb ihr auf der Stelle einen freundlichen Brief, in dem natürlich der Pläne, die sie vorhatte, keine Erwähnung getan wurde, aber in dem Laura ihr die alte Zeit ins Gedächtnis zurückrief, und ihr Wohlwollen aussprach, und als Antwort hierauf empfing sie schnell ein Schreiben von Blanche, in dem allerdings kein Wort von Heiraten erwähnt, wohl aber zwei- oder dreimal des Herrn Pendennis gedacht war, und sie waren fortan die teuerste Laura und die teuerste Blanche und liebende Schwestern und so weiter.

Als Pen und Laura nach deren Geständnis die Heimat erreichten (Pens edelmütiges Eingeständnis seines eigenen geringen Wertes und seine großherzigen Worte der Liebe für Warrington bewirkten, daß das Herz des Mädchens pochte, und machten die Tränen, die sie schluchzend an seiner Schulter weinte, doppelt schmerzlich) erwartete ein kleiner feiner Brief Fräulein Bell in der Halle, den sie beinahe wie schuldbewußt zitternd entsiegelte und den Pen errötend erkannte, denn er sah sofort, daß er von Blanche kam.

Laura öffnete ihn hastig und überflog ihn schnell mit den Augen, während Pen die seinen errötend auf sie geheftet hielt.

»Sie schreibt von London,« sagte Laura. »Sie ist mit der alten Bonner, der Kammerfrau der Lady Clavering, dort gewesen. Die Bonner steht im Begriff, sich mit Lightfoot, dem Kellermeister, zu verheiraten. 330 Wo meinst du, daß Blanche gewesen ist?« rief sie hastig aus.

»In Paris, in Schottland, im Kasino?«

»In Shepherds Inn, um Fanny zu sehen, aber Fanny war nicht dort, und Blanche will ihr ein Geschenk dort zurücklassen. Ist das nicht freundlich und rücksichtsvoll von ihr?« Und sie händigte den Brief Pen ein, welcher las:

»Ich sah Madame mère, die das Zimmer mit einem Borstenbesen schrubberte und mich mit sehr borstigem Gesichte ansah, aber la belle Fanny war nicht au logis, und da ich hörte, sie wäre in Kapitän Strongs Wohnung, so stiegen ich und die Bonner hinauf au troisième, um diese berühmte Schönheit zu sehen. Eine neue Enttäuschung – nur der Chevalier Strong und ein Freund von ihm waren in der Stube, und so gingen wir fort, ohne die bezaubernde Fanny gesehen zu haben.

»Je t'envoie mille et mille baisers. Wann wird dies entsetzliche Herumlaufen nach Stimmen vorüber sein? Man trägt die Kleiderärmel jetzt usw. usw. usw.«

Nach Tische las der Doktor die ›Times‹.

»Ein junger Herr, den ich behandelte, als er vor etwa acht oder neun Jahren hier war, ist zu einem schönen Vermögen gekommen,« sagte der Doktor. »Ich sehe hier den Tod von John Henry Foker, Esquire, von Logwood Hall, gestorben zu Pan in den Pyrenäen am 15., angezeigt.« 331



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