William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Fünftes Kapitel

Fremder Boden

Major Pendennis erfüllte sein Warrington gegebenes Versprechen insofern, als er sein eigenes Gewissen zufriedenstellte und die arme Helene hinsichtlich ihres Sohnes beruhigte, indem er ihr auseinandersetzte, daß jede Beziehung Arthurs zu der widerwärtigen kleinen Portierstochter aufgehört und daß sie nicht mehr nötig hätte, in Angst zu sein, daß auf Pens Seite eine unkluge Neigung oder eine entwürdigende Heirat stattfände. Und das Herz dieses jungen Burschen war ebenfalls erleichtert, als er es sich (nachdem er sich von dem Stoße, den seine Eitelkeit erlitten, erholt hatte) überlegte, daß Fräulein Fanny nicht aus Liebe zu ihm sterben würde, und daß von der unseligen und nur kurz andauernden Verbindung keine unangenehmen Folgen zu fürchten wären.

So hatte denn die ganze Gesellschaft Zeit und Gelegenheit, ihren projektierten Ausflug aufs Festland ins Werk zu setzen, und Arthur Pendennis, Rentier, mit Madame Pendennis und Fräulein Bell, reisend, und Georg Warrington, Partikulier, 32 Jahre alt, sechs englische Fuß groß, Gesicht gewöhnlich, Haar schwarz, Bart ebenso usw. usw., besorgten sich Pässe 89 von dem Konsul Sr. Majestät des Königs von Belgien zu Dover und schifften sich von diesem Hafen nach Ostende ein, von wo die Gesellschaft ihren Weg gemächlich, indem sie unterwegs Brügge und Gent besuchte, nach Brüssel und zum Rhein einschlug.

Es ist nicht unsere Absicht, diese oft bereiste Tour oder Lauras Entzücken über die ruhigen altertümlichen Städte, die sie zum ersten Male sah, oder Helenes Verwunderung und Interesse an den Beguinenklöstern, die sie besuchten, oder das dem Entsetzen nahe Gefühl zu beschreiben, mit dem sie die schwarzverschleierten Nonnen mit ausgestreckten Armen vor den kerzenstrahlenden Altären und den wunderbaren Pomp und feierlichen Prunk des katholischen Gottesdienstes erblickte. Barfüßige Klosterbrüder in den Straßen und gekrönte Bilder der Heiligen Jungfrau und sonstiger Heiligen in den Kirchen, vor denen das Volk, wenn es sie anschaute, in offener Verhöhnung des Gebots der Schrift, sich beugte und die es anbetete; Priester in prachtvollen Gewändern oder in finstern Beichtstühlen verborgen, an Sonntagen geöffnete Theater und Sonntags tanzendes Volk; all diese neuen Bilder und Sitten erschreckten und bestürzten die einfache Dame vom Lande, und wenn die jungen Leute nach einer am Abend vorgenommenen Spazierfahrt oder einem Spaziergang zu der Witwe und ihrer Adoptivtochter heimkehrten, fanden sie ihre Andachtsbücher auf dem Tische, und bei ihrem Eintritt hörte Laura gewöhnlich auf, einen der Psalmen oder sonst eine der Stellen der Heiligen Schrift zu lesen, die Helene vor allen anderen liebte. Die letzten Ereignisse mit ihrem Sohne hatten sie furchtbar erschüttert; Laura bewachte 90 mit äußerst gespannter, obwohl verborgener Aengstlichkeit jeden Augenblick ihrer teuersten Freundin, und der arme Pen wartete mit großer Beharrlichkeit und Liebe seiner Mutter, deren verwundeter Busen von Liebe für ihn glühte, obwohl ein Geheimnis zwischen ihnen war und auf Seiten der Mutter bei dem Gedanken, daß sie irgendwie das Herz ihres Sohnes verloren hätte oder daß in demselben Winkel wären, in die sie nicht eindringen dürfte oder einzudringen wagen könnte, sich eine Angst, ja beinahe ein Ingrimm regte. Sie wurde krank vor Qual, wenn sie der heiligen Tage der Kindheit gedachte, wo es nicht so gewesen, wo ihres Arthurs Herz keine Geheimnisse gehabt hatte und sie ihm sein Alles gewesen war, wo er seine Hoffnungen und Freuden, seine kindischen Schmerzen, eitlen Wünsche und Triumphe in ihrer bereitwilligen und zärtlichen Umarmung vor ihr ausschüttete, wo ihr Haus noch sein Nest war und Verhängnis, Selbstsucht, Natur ihn noch nicht hinweggetrieben hatten auf irrenden Schwingen, nach eigener Willkür zu fliegen, sein eigenes Lied zu singen und sich sein eigenes Haus und seine eigene Lebensgefährtin zu suchen. Laura beobachtete diesen verzehrenden Kummer und diese peinigende Unzufriedenheit an ihrer Freundin, und so sagte sie eines Tages zu Helene: »Wenn Pen mich geliebt hätte, wie du es wünschtest, so würde ich ihn zwar gewonnen, dich aber verloren haben, Mama, das weiß ich, und ich will lieber, daß du mich liebst. Die Männer wissen nicht so, was Liebe heißt, als wir, glaube ich«, und Helene gab diesen Teil von der Rede der jungen Dame seufzend zu, obwohl sie gegen den ersten Teil protestierte. 91

Ich meinerseits vermute, daß Fräulein Laura mit beiden Behauptungen Recht hatte, und daß es besonders hinsichtlich des letzteren Ausspruches eine alte und anerkannte Wahrheit ist, daß die Liebe bei uns eine Stunde, bei dem Weibe aber den ganzen Tag und die ganze Nacht dauert. Damon hat an die Steuern, die Predigt, die Parade, die Schneiderrechnungen, die parlamentarischen Pflichten und der Teufel weiß sonst noch an was zu denken, Delia aber nur an Damon; Damon ist die Eiche (oder der Pfahl) und ragt in die Höhe, und Delia ist der Efeu oder das Geißblatt, dessen Arme ihn umschlingen. Ist es nicht so, Delia? Ist es nicht deine Natur, dich an seine Füße zu schmiegen und sie zu küssen, dich um seinen Stamm zu winden und dort zu hangen; und liegt es nicht in Damons Natur, wie ein echter Brite mit den Händen in den Hosentaschen dazustehen, während die hübsche zärtliche Schmarotzerpflanze sich um ihn schlingt?

Der alte Pendennis hatte unsere Freunde nur bis an den Rand des Wassers begleitet und sie an Bord des Bootes verlassen, indem er Warrington den Oberbefehl über die kleine Expedition erteilte. Er selbst hatte noch eine kurze Visite im Hause eines großen Mannes, eines seiner Freunde, abzustatten, nach welchem Aufenthalt er vorschlug, seine Schwägerin in dem deutschen Badeorte zu treffen, wohin sich die Gesellschaft begab. Der Major selbst meinte, seine langen Aufmerksamkeiten gegen seine kranke Familie hätten ihm ein Anrecht auf ein wenig Erholung erworben, und obwohl die besten Völker Rebhühner sehr gelichtet waren, gab es doch zu Stillbrook, wo der edle Besitzer war, noch Fasanen zu 92 schießen; der alte Pendennis begab sich in dies gastfreundschaftliche Haus und machte es sich dort recht bequem. Ein Herzog von königlichem Geblüt, einige Fremde von Rang, mehrere berühmte Staatsmänner und etliche nette Leute besuchten es; es tat dem Herzen des alten Herrn gut, seinen Namen in der ›Morgenpost‹ unter der Liste der vornehmen Gesellschaft zu sehen, die der Marquis von Steyne in seinem Landhause in Stillbrook bewirtete. Er war eine sehr nützliche und angenehme Persönlichkeit in einem Landhause. Er unterhielt die jungen Leute auf ihren Jagdpartien oder in ihrem Rauchzimmer mit närrischen kleinen Anekdoten und histoires privoises, und sie lachten über ihn und mit ihm. Er war des Morgens verbindlich gegen die Damen in den ihnen zur Verfügung stehenden Zimmern. Er führte die Neuangekommenen in Park und Garten herum und zeigte ihnen die carte du says, und wo man die beste Aussicht auf das Schloß und den schönsten Blick auf den See hatte; er zeigte ihnen, wo man Holz fällte und wo der alte Weg entlangführte, ehe die neue Brücke gebaut und der Hügel abgetragen wurde, und wo der Platz im Walde war, an dem der alte Lord Lynx Sir Phelim O'Neal auf den Knien vor Ihrer Ladyschaft liegend entdeckte usw. usw.; er nannte die Türhüter und Gärtner bei ihren Namen, er wußte die Zahl der Dienstboten, die in der Stube der Haushälterin saßen, und wußte auch, wieviel in der Gesindestube aßen; er hatte ein Wort für jeden und über jeden, und auch ein Wörtchen gegen jeden. Kurz, er war unschätzbar in einem Landhause und verdiente und genoß seine Ferien nach seinen Mühen in 93 reichem Maße. Und vielleicht war der Major, während er sich in so verdienter Weise bei seinen Freunden auf dem Lande vergnügte, nicht böse darüber, Warrington die Leitung der Familien-Expedition nach dem Kontinent übertragen und ihn so mit Gewalt im Dienste der Damen zurückgehalten zu haben, eine Sklaverei, die Georg um seines Freundes und der Gesellschaft willen, die er täglich entzückender fand, nur zu willig auf sich nahm. Warrington verstand gut Deutsch und war bereit, Fräulein Laura, die sehr große Lust hatte, sich in der deutschen Sprache zu vervollkommnen, Unterricht darin zu geben, während Pen seinerseits zu schwach oder zu träge war, um seine deutschen Studien jetzt wieder aufzunehmen. Warrington machte den Kurier und Dolmetscher, Warrington besorgte die Ein- und Ausladung des Gepäcks aus Schiffen, Gasthäusern und Wagen sowie die Geldgeschäfte und erteilte der kleinen Truppe Anweisungen, wie sie ihren Weg nehmen sollte. Warrington fand den Platz heraus, wo die englische Kirche war, und wenn Frau Pendennis und Fräulein Laura geneigt waren, dorthin zu gehen, wandelte er mit großer Würde mit ihnen. Warrington ging neben Frau Pendennis' Esel her, wenn diese Dame ihre abendlichen Ausflüge machte, oder nahm Kutschen für sie oder besorgte für sie »Galignani«, oder suchte für sie behagliche Sitze unter den Lindenbäumen, wo die Badegäste nach Tische Parade gingen und das Musikkorps des Kursaals in dem Bade, wo unsere müden Freunde ihren Aufenthalt nahmen, seine angenehmen Weisen unter den Bäumen spielte. Mancher seine schnurrbärtige preußische oder französische Stutzer, der 94 des »Trente et Quarante« wegen nach dem Bade gekommen war, warf sehnsüchtige Blicke auf das hübsche rotwangige englische Mädchen, welches die bleiche Witwe begleitete, und würde glücklich gewesen sein, einen Galopp oder Walzer einmal mit ihr zu tanzen. Aber Laura erschien nicht im Ballsaale, ausgenommen ein- oder zweimal, wo Pen geruhte, mit ihr spazieren zu gehen; Warrington aber, dieser ungeschliffene Diamant, hätte nicht die Politur eines Tanzmeisters gehabt und verstand nicht zu walzen, obwohl er es gern gelernt haben würde, wenn er eine solche Tänzerin wie Laura hätte haben können. Solch eine Tänzerin! Ha, was hatte ein alter Junggeselle mit Tänzerinnen und Walzer zu tun? Was wollte er, wenn er hier beim Tanze zugegen war? Wenn er süße Wonne in sich hineintrank auf die Gefahr hin, später wer weiß was für Traurigkeit, Reue und schwermütige Sehnsucht zu empfinden? Aber er blieb doch. Man würde, wenn man seine stete Sorge und Aufmerksamkeit auf ihre Wünsche beobachtet hätte, gesagt haben, er wäre der Sohn der Witwe oder ein Abenteurer, der ihr Vermögen zu heiraten wünschte, oder daß er auf jeden Fall einen sehr großen Schatz oder Vorteil von ihr erstrebte, was höchst wahrscheinlich auch wirklich der Fall war, denn unsere Erzählung ist, wie der Leser möglicherweise bereits entdeckt hat, eine Geschichte von selbstsüchtigen Leuten, und fast jede Person ist, ihrer Natur gemäß, mehr oder weniger großmütig als Georg, und, wie es uns vorkommt, nach der Art und Weise der Welt, mit Nummer Eins, d. h. mit sich selbst beschäftigt. So widmete Warrington sich aus selbstsüchtigen Gründen Helenen, die 95 sich ihrerseits selbstsüchtig Pen widmete, der sich augenblicklich selbstsüchtig sich selbst widmete, da er keine andere Person oder keinen anderen Gegenstand hatte, sich damit zu beschäftigen, ausgenommen allerdings die Gesundheit seiner Mutter, die ihn ernstlich und wirklich beunruhigte; aber obwohl sie zusammensaßen, sprachen sie nicht viel, und eine Wolke stand immer zwischen ihnen.

Jeden Tag sah Laura nach Warrington aus und empfing ihn mit offnerem und lebhafterem Wohlgefallen. Er ertappte sich dabei, daß er zu ihr in einer Weise sprach, wie er von sich nie geglaubt hatte sprechen zu können; er ertappte sich dabei, daß er im Gebiete der Galanterie Dinge leistete, die ihn nach der Leistung in Erstaunen versetzte; er ertappte sich dabei, daß er verdrießlich im Spiegel auf die Krähenfüßchen um seine Augen und auf einige weiße Spitzchen unter seinen Haaren und etliche zudringliche silberne Borsten in seinem düsteren blauschwarzen Barte blickte; er ertappte sich dabei, wie er die jungen Stutzer im Bade beobachtete – die blonden in der Taille geschnürten Deutschen – die leichtfüßigen Franzosen mit ihren gewichsten Schnurrbärtchen und engen Lackstiefeln – die englischen Dandys, Pen unter ihnen, mit ihrer ruhigen erhabenen Herrschermiene und unverschämten Gelangweiltheit, und beneidete jeden von ihnen um irgendeinen Vorzug, der eine jugendliche Eigenschaft oder Schönheit, die er besaß, und die Warrington, wie er fühlte, abging. Und jeden Abend, wenn die Nacht kam, verließ er den kleinen Kreis weniger gern und fühlte sich, wenn er sich in seine eigene Wohnung in ihrer 96 Nachbarschaft zurückzog, um so verlassener und unglücklicher. Die Witwe konnte nicht umhin, seine Neigung zu bemerken. Sie verstand nun, warum Major Pendennis (der stets ein stiller Feind ihres Lieblingsplanes war) es so eifrig betrieben hatte, daß Warrington mit von der Partie sein sollte. Laura gestand offen ihr großes, ihr begeistertes Interesse für ihn, und Arthur regte sich nicht im mindesten. Arthur hatte keine Lust, zu sehen, was vorging, und kümmerte sich nicht um Vorbeugungsmaßregeln oder unterstützte die Sache sogar. Sie erinnerte sich, wie er oft gesagt, er könnte nicht begreifen, wie ein Mann sich einem Frauenzimmer zweimal antragen könnte. Sie quälte sich ab, war in heimlicher Fehde mit ihrem Sohn, der ihr doch von allen Dingen der Welt am liebsten war – war in Zweifeln hinsichtlich Lauras befangen, die sie sich selbst nicht auszusprechen wagte – war Warrington abgeneigt, der doch so gut und großmütig war. Kein Wunder, daß die heilenden Wasser von Rosenbad ihr nicht halfen, oder daß Doktor von Glauber, der Badearzt, wenn er ihr seinen Besuch machte, fand, daß die arme Dame keine Fortschritte zur Genesung machte. Inzwischen wurde es mit Pen schnell besser, er schlief mit unermüdlicher Ausdauer zwölf von den vierundzwanzig Tagesstunden, aß ungeheure Mahlzeiten und hatte nach Verlauf von ein paar Monaten fast die Körperkraft und das Körpergewicht wieder erlangt, die er vor seiner Krankheit besessen.

Nachdem sie etwa vierzehn Tage an ihrem Ruhe- und Erholungsorte zugebracht, kam ein Brief von Major Pendennis an, in welchem er seine baldige Ankunft 97 in Rosenbad ankündigte, und bald nach dem Briefe erschien der Major denn auch selbst, von Morgan, seinem getreuen Kammerdiener, begleitet, ohne den der alte Gentleman nicht reisen konnte. Wenn der Major auf Reisen war, trug er ein leichtes jugendliches Reisekostüm; wenn man ihn von hinten sah, würde man ihn immer noch für eins der jungen Herrchen gehalten haben, deren geschniegelte Taille und jugendliches Aussehen Warrington zu beneiden anfing. Erst wenn der würdige Mann sich zu bewegen begann, bemerkte der Beobachter, daß die Zeit seine alten Knie geschwächt und unfreundlicherweise sich in seine Angelegenheiten gemischt und ihn in der Bewegung der hübschen Lackstiefelchen behindert hatte, in die der eitle alte Reisende noch immer seine Füße zwängte. In diesem Herbste waren Magnaten, sowohl aus England als von fremden Nationen, in Rosenbad anwesend. Der ältere Pendennis überlas in der Nacht nach seinem Eintreffen mit großer Befriedigung die Fremdenliste und war erfreut, unter den vornehmen Leuten mehrere seiner Bekannten zu finden; er überlegte sich, wie er, ehe noch lange Zeit vergangen, die Ehre haben würde, seinen Neffen einer deutschen Großherzogin, einer russischen Fürstin und einem französischen Marquis vorzustellen; auch war Pen durchaus nicht abgeneigt, die Bekanntschaft dieser großen Persönlichkeiten zu machen, denn er hatte eine Vorliebe für das vornehme Leben und all die prachtvollen und angenehmen Dinge, die dazu gehörten. Diesen selben Abend schon erschien der kurz entschlossene alte Herr, auf den Arm seines Neffen gelehnt, in den Hallen des Kursaals und verlor oder 98 gewann einen oder ein paar Napoleons beim Trente et Quarante. Er spiele, sagte er, nicht um zu verlieren oder zu gewinnen, aber er täte, wie andere Leute täten, verwettete seine Napoleons und nähme sein Glück, wie es eben käme. Er zeigte auf die Russen und Spanier, die um Haufen von Gold spielten, und bezeichnete ihren Eifer als etwas Schmutziges und Barbarisches; ein englischer Gentleman sollte spielen, wo es Mode wäre zu spielen, sich aber nicht beim Spiele großtun oder erniedrigen; und er erzählte, wie er seinen Freund, den Marquis von Steyne, damals noch Lord Gaunt, achtzehntausend bei einem Spiel hätte verlieren sehen, und wie er in Paris drei Abende hintereinander die Bank gesprengt hätte, ohne je auch nur die mindeste Gemütsaufregung über seine Niederlage oder seinen Sieg zu zeigen. »Und das nenne ich einen englischen Gentleman, Pen, mein lieber Junge,« sagte der alte Herr, indem er warm wurde, wenn er von seinen Erinnerungen schwatzen konnte – »das nenne ich das echt vornehme Benehmen, das sich nur bei uns und in einigen wenigen Familien Frankreichs erhalten hat.« Und als russische Prinzessinnen, deren Ruf schon längst aufgehört hatte, zweifelhaft zu sein, und englische Damen, deren Ehre Schiffbruch gelitten und die für die Zeit, wo sie in diesen heiteren Freudenjagden schwelgen, fortwährend in Gesellschaft ihrer getreuen Schleppenträger zu sehen sind, an ihm vorübergingen, erzählte der alte Major mit eifriger Geschwätzigkeit und Lust am üblen Leumund seinem Neffen wundersame Einzelheiten von dem Leben dieser Heldinnen und amüsierte den jungen Mann mit tausend kleinen 99 Skandälchen. Bei Gott, er fühle sich ganz jung wieder, bemerkte er zu Pen, als die Prinzessin Obstropski, geschminkt und feixend, ihren ungeheuren Jäger hinter sich, der ihren Schal trug, ihn anlächelte, wiedererkannte und anredete. Er erinnerte sich ihrer von anno 14 her, wo sie eine Schauspielerin auf dem Pariser Boulevard gewesen und der Adjutant Kaiser Alexanders, Obstropski (ein Mann von großen Talenten, der viel von Kaiser Pauls Tod zu erzählen wußte und ein wahrer Spielteufel war) sie heiratete. Er bat in der höflichsten und achtungsvollsten Weise, der Prinzessin seine Aufwartung machen und ihr seinen Neffen, Herrn Arthur Pendennis, vorstellen zu dürfen, und er zeigte dem letzteren ein halbes Dutzend anderer Persönlichkeiten, deren Namen ebenso berühmt und deren Lebensgeschichten ebenso erbaulich waren. Was würde die arme Helene gedacht haben, hätte sie diese Geschichten gehört oder gewußt, welcher Art Leuten ihr Schwager ihren Sohn vorstellte! Nur ein einziges Mal hatte sie, auf Arthurs Arm gelehnt, einen Gang durch den Saal gemacht, wo die grünen Tische zum Spiele aufgestellt waren und die krächzenden Croupiers ihr verhängnisvolles »Rouge gagne« und »Couleur perd« ausriefen. Sie war entsetzt vor diesem Pandämonium zurückgefahren und hatte Pen flehentlich gebeten und ihm ein Versprechen auf sein Ehrenwort abgepreßt, daß er nie an diesen Tischen spielen würde; aber die Szene, die die einfache Witwe so erschreckte, vergnügte den weltlichgesinnten alten Veteranen nur und machte ihn wieder jung! Er konnte die Luft, die sie erstickte, ganz fröhlich einatmen. Ihr Recht war nicht sein Recht, 100 seine Nahrung war ihr Gift. Die menschlichen Geschöpfe sind in dieser Hinsicht verschieden eingerichtet, und mit dieser Mannigfaltigkeit ist die wunderbare Welt bevölkert. Was Pen anlangt, so sei es zu seiner Ehre gesagt, daß er das seiner Mutter gegebene Versprechen redlich hielt und seinem Onkel kühn heraussagte, es wäre seine Absicht, dabei zu bleiben.

Als der Major eintraf, übte seine Anwesenheit wenigstens auf drei der Personen unserer kleinen Gesellschaft irgendwie einen Druck aus – auf Laura, die eher alles andere als Achtung vor ihm hatte, auf Warrington, dessen Benehmen gegen ihn ein unwillkürliches Gefühl der Erhabenheit und Geringschätzung zeigte, und auf die schüchterne und ängstliche Witwe, die fürchtete, er würde ihre mit Liebe gehegten, obwohl fast aufgegebenen Pläne mit ihrem Sohne vereiteln. Und in der Tat war der Major, ohne sich dessen bewußt zu sein, der Träger von Nachrichten, die eine Katastrophe in den Angelegenheiten aller unserer Freunde hervorbringen sollten.

Pen mit seinen beiden Damen hatte Apartements in der Stadt Rosenbad, der wackere Warrington eine Wohnung dicht dabei; der Major aber hatte bei seinem Eintreffen in Rosenbad, wie es sich für einen so würdigen Herrn schickte, sein Quartier in einem der großen Hotels, im »Römischen Kaiser« oder den »Vier Jahreszeiten« genommen, wo zwei- oder dreihundert Spielgauner, Freudenjäger oder Invaliden sich täglich an die ungeheure Table d'hôte setzten und überaßen. In dieses Hotel ging Pen am Morgen nach der Ankunft des Majors, um pflichtschuldigst seinem Oheim einen 101 respektvollen Besuch abzustatten, und fand das Vorzimmer des letzteren gehörig von Herrn Morgan mit des Majors ausgebürsteten Hüten und seinen hingelegten Röcken vorbereitet und geordnet; seine Reisekoffer und Regenschirmfutterale, seine Reisehandbücher, Pässe, Mappen und andere ausgesuchte Notwendigkeiten des englischen Reisenden waren allesamt so sauber an Ort und Stelle, als sie nur im eigenen Zimmer ihres Herrn in Jermyn Street sein konnten. Alles stand in Ordnung, von der Medizinflasche an, die frisch beim Apotheker gefüllt worden, bis zu dem Gebetbuche des alten Herrn, ohne das er nie reiste; denn er machte es sich zur Regel, in der englischen Kirche eines jeden Ortes zu erscheinen, den er mit seinem Aufenthalt beehrte. »Jedermann tut es,« sagte er; »jeder englische Gentleman tut es,« und dieser fromme Mann würde ebenso daran gedacht haben, dem englischen Gesandten in einer Stadt des Festlandes seine Aufwartung zu machen, als sich an dem Orte vaterländischer Gottesverehrung zu zeigen.

Der alte Herr war ausgewesen, um eines der Bäder zu nehmen, wegen deren Rosenbad berühmt ist, und die jedermann nimmt, und seine Toilette nach dem Bade war noch nicht vollendet, als Pen anlangte. Der Aeltere rief Arthur mit fröhlicher Stimme aus dem inneren Gemache zu, in dem er und Morgan beschäftigt waren, und der Kammerdiener kam bald mit einem kleinen, Pens Adresse tragenden Pakete heraus – Herrn Arthurs Briefe und Zeitungen, sagte Morgan, die er Herrn Arthur aus seiner Stube in London mitgebracht hätte, und die hauptsächlich aus Nummern 102 der »Pall Mall Zeitung« bestanden, die, wie unser Freund Herr Finucane gemeint hatte, sein Mitarbeiter gern sehen würde. Die Zeitungen waren zusammengebunden, die Briefe in einem von der Hand des letztgenannten Herrn mit Pens Adresse beschriebenen Umschlage.

Unter den Briefen war ein kleines Billet, adressiert wie ein früherer Brief, von dem wir gehört haben, an »Arthur Pendennis, Esquire«, das Arthur auffahrend und errötend öffnete und mit heftig pochendem Herzen, Kummer und Teilnahme las. Sie wäre in Arthurs Haus gekommen, schrieb Fanny Bolton, und hätte gefunden, daß er fort gewesen – fort nach Deutschland, ohne auch nur ein Abschiedswort für sie zu hinterlassen – oder auf ihren letzten Brief zu antworten, in dem sie nur um ein einziges freundliches Wort gebeten – oder um die Bücher, die er ihr in glücklicheren Zeiten, ehe er krank geworden, versprochen, und die sie gern als Andenken an ihn aufgehoben hätte. Sie sagte, daß sie diejenigen nicht tadeln wollte, die sie, als er im Fieber gelegen und niemand gekannt, neben seinem Bette gefunden und das arme Mädchen ohne ein Wort zu sagen hinausgestoßen hätten. Sie dächte, schrieb sie, sie wäre daran gestorben, hätte Doktor Goodenough sich ihrer nicht so freundlich angenommen und ihr das Leben gerettet, wo die Erhaltung desselben vielleicht keine Wohltat gewesen wäre, und sie vergäbe jedem, und was Arthur beträfe, so würde sie immer und ewig für ihn beten. Und als er so krank gewesen und sie ihm sein Haar abgeschnitten hätten, da wäre sie so frei gewesen, eine einzige kleine 103 Locke davon für sich zu behalten, und das gestände sie auch ein. Und ob sie dieselbe wohl behalten dürfte oder ob seine Mama befehlen würde, daß sie auch die hergäbe? Sie wäre willens, ihm in allen Dingen zu gehorchen, und könnte sich nur erinnern, daß er einst so freundlich gewesen wäre, oh, so gut und freundlich gegen seine arme Fanny!

Als Major Pendennis, frisch und geschniegelt von seiner Toilette aus seinem Schlafzimmer in sein Wohnzimmer trat, fand er Arthur mit diesem Billet vor sich und einen Ausdruck wütenden Zorns auf seinem Gesichte, der den älteren Herrn verwunderte. »Was gibt's denn Neues von London, mein Junge?« fragte er mit ziemlich unsicherer Stimme; »sind dir die Manichäer auf den Fersen, daß du so sauertöpfisch aussiehst?«

»Wissen Sie irgend etwas von diesem Briefe, Onkel?« fragte Arthur.

»Von welchem Briefe, mein Lieber?« sagte jener trocken, sogleich bemerkend, was passiert war.

»Sie wissen, was ich meine – über – über Fräulein – über Fanny Bolton – das arme liebe kleine Mädchen,« fuhr Arthur heraus. »Wann war sie auf meiner Stube? War sie da, wie ich phantasierte – ich bildete mir das ein – nicht wahr, sie war es? Wer schickte sie aus meiner Wohnung fort? Wer unterschlug ihre Briefe an mich? Wer unterstand sich das? Taten Sie's, Onkel?«

»Es ist nicht meine Art, die Briefe anständiger Leute aufzubrechen oder verdammt unverschämte Fragen zu beantworten!« rief Major Pendennis, über und über vor Aufregung und Entrüstung zitternd. »Es 104 war ein Mädel in deinen Zimmern, als ich mit großer persönlicher Unbequemlichkeit mich zu dir auf den Weg gemacht hatte, verdammt – und einem derartigen Danke für meine Liebe zu dir zu begegnen, ist nicht angenehm, bei Gott, Neffe – durchaus nicht angenehm.«

»Darum handelt es sich jetzt nicht, Onkel,« sagte Arthur hitzig – »und – und, ich bitte Sie um Verzeihung, Onkel. Sie waren – Sie sind stets sehr gütig zu mir gewesen, aber ich sage nochmals, sprachen Sie irgendein hartes Wort zu diesem armen Mädchen? Schickten Sie sie von mir weg?«

»Ich habe nie auch nur ein Wort zu dem Mädel gesprochen,« antwortete der Onkel, »und ich habe sie auch nie von dir weggeschickt, und ich weiß nicht mehr von ihr und wünsche auch nicht mehr von ihr zu wissen, als vom Mann im Monde.«

»Dann hat's meine Mutter getan,« brach Arthur los. »Schickte meine Mutter dieses arme Kind weg?«

»Ich wiederhole, ich weiß nichts davon,« sagte der ältere mit Nachdruck. »Gehen wir, bitte, zu einem anderen Gegenstand über.«

»Ich werde es der Person, die es getan hat, nie, nie vergeben,« sagte Arthur, sich in die Brust werfend und seinen Hut ergreifend.

Der Major rief: »Halt ein, Arthur, um Gotteswillen, halt ein!« aber ehe er noch diesen Satz beendet, war Arthur schon aus dem Zimmer gestürzt, und in der nächsten Minute sah ihn der Major eilends die Straße hinabschreiten, die nach seiner Wohnung führte. 105

»Hol's Frühstück!« sagte der alte Herr zu Morgan, und er schüttelte seufzend den Kopf, während er aus dem Fenster sah. »Arme Helene – arme Seele! Das wird einen Zank setzen. Ich wußte es, daß es einen geben würde, und, weiß Gott, die ganze Pastete ist eingefallen.«

Als Pen nach Hause kam, fand er nur Warrington im Salon der Damen, wo er ihrer wartete, um sie nach dem Saale zu geleiten, wo die kleine englische Kolonie zu Rosenbad ihren sonntäglichen Gottesdienst abhielt. Helene und Laura waren bis jetzt noch nicht erschienen, die erstere war leidend und ihre Adoptivtochter bei ihr. Pens Wut war so groß, daß er sich nicht helfen konnte, sondern sie aussprechen mußte. Er warf Fannys Brief über den Tisch seinem Freunde zu. »Da sieh, Warrington,« sagte er; »sie pflegte mich in meiner Krankheit, sie rettete mich aus den Klauen des Todes, und das ist die Manier, mit der man das liebe kleine Geschöpf behandelt hat. Sie haben mir ihre Briefe vorenthalten, sie haben mich wie ein Kind behandelt und sie wie einen Hund, das arme Ding! Meine Mutter hat das getan!«

»Wenn sie es getan hat, so mußt du daran denken, daß es deine Mutter ist,« unterbrach Warrington.

»Das macht das Verbrechen nur noch größer, weil sie es ist, die es getan hat,« antwortete Pen. »Sie hätte die Verteidigerin des armen Mädchens, nicht ihre Feindin sein sollen; sie sollte vor ihr auf die Knie fallen und sie um Verzeihung bitten. Ich sollte das! Ich will es auch! Ich bin entsetzt über die Grausamkeit, die man gegen sie verübt hat. Was? Sie gab mir 106 ihr Alles, und das ist der Dank dafür! Sie opfert alles für mich, und sie stoßen sie mit dem Fuße weg!«

»Pst!« sagte Warrington, »sie können dich nebenan hören.«

»Hören? Mögen sie es doch hören!« schrie Pen nur noch lauter. »Wer meine Briefe auffängt, kann auch meine Reden hören. Ich sage, dies arme Mädchen ist schmählich behandelt worden, und ich werde mein bestes tun, ihr gerecht zu werden, das will ich!«

Die Tür des anstoßenden Zimmers öffnete sich, und Laura trat mit bleichem und ernstem Gesichte heraus. Sie sah Pen mit Blicken an, aus denen Stolz, Herausforderung und Widerwillen strahlten. »Arthur, deine Mutter ist sehr krank,« versetzte sie, »es ist ein Jammer, daß du so laut sprichst, um sie zu stören.«

»Es ist ein Jammer, daß ich gezwungen bin, überhaupt zu sprechen,« antwortete Pen. »Und ich habe noch mehr zu sagen, ehe ich fertig bin.«

»Ich sollte meinen, daß das, was du zu sagen hast, wohl schwerlich für mein Ohr geeignet sein wird,« versetzte Laura hochmütig.

»Du kannst nach Belieben zuhören oder nicht,« antwortete Herr Pen. »Ich werde jetzt hineingehen und mit meiner Mutter sprechen.«

Laura trat hastig zu ihm heran, damit sie von ihrer Freundin drinnen nicht gehört werden könnte. »Jetzt nicht,« sagte sie zu Pen. »Du könntest sie töten, wenn du es tätest. Deine Aufführung ist schon schlimm genug gewesen, um sie unglücklich zu machen.«

»Was für eine Aufführung?« schrie Pen wütend. 107 »Wer wagt es, sie anzugreifen? Wer untersteht sich, mich zu tadeln? Du bist es also, die die Anstifterin dieser Verfolgung ist?«

»Ich bemerkte dir bereits, dies wäre ein Gegenstand, von dem zu hören oder zu sprechen sich für mich nicht schickte,« sagte Laura. »Aber, was Mama betrifft, wenn sie anders gehandelt hätte, als sie hinsichtlich dieser – dieser Person handelte, an der du ein so großes Interesse zu nehmen scheinst, so würde ich es gewesen sein, die dein Haus hätte verlassen müssen, und nicht jene – jene Person.«

»Beim Himmel, das ist stark!« rief Pen mit einem gewaltigen Fluche.

»Aber vielleicht ist es das, was du wünschest,« sagte Laura, ihren Kopf aufwerfend. »Nichts mehr davon, wenn du so gefällig sein willst; ich bin nicht gewöhnt, derartige Dinge in solcher Sprache besprechen zu hören«; und mit einem großartigen Knixe begab sich die junge Dame in das Zimmer ihrer Freundin, wobei sie ihrem Gegner, als sie sich zurückzog und die Tür vor ihm schloß, voll ins Gesicht sah.

Pen war außer sich vor Staunen, Verdutztheit und Wut über diese ungeheure und unvernünftige Verfolgung. Er brach in ein lautes und bitteres Lachen aus, als Laura ihn verließ und verspottete wie ein Mann, der bei einer Operation Gesichter schneidet, mit höhnischem Lachen und Grimassen zu gleicher Zeit seine eigene Pein und den Aerger seiner Verfolgerin. Das Lachen, das ein Ausdruck der Bitterkeit und kein unmännlicher oder boshafter Ausdruck eines Leidens unter der grausamsten und unverdientesten Peinigung war, wurde 108 wie mehrere seiner unglückseligen vorherigen Aeußerungen im anstoßenden Zimmer gehört und gleich diesen von den Hörerinnen ganz falsch ausgelegt. Es fuhr wie ein Dolch in das verwundete und zärtliche Herz Helenes, es durchbohrte Laura und brachte das stolze Mädchen in Verachtung und Zorn.

»Und diesem verhärteten Wüstling,« dachte sie, »diesem Menschen, der sich gemeiner Liebeshändel rühmt, hatte ich mein Herz geschenkt!« »Er bricht die heiligsten Gebote,« dachte Helene. »Er zieht das Geschöpf, an das sich seine Leidenschaft gehängt hat, seiner eigenen Mutter vor, und wenn er deswegen zur Rede gestellt wird, so lacht er und ist noch obendrein stolz auf sein Verbrechen. ›Sie gab mir ihr Alles‹, hörte ich ihn sagen«, grübelte die arme Witwe, »und er rühmt sich dessen und lacht und bricht seiner Mutter das Herz.« Die Aufregung, die Scham, der Kummer, der tödliche Verdacht brachten sie beinahe um. Sie fühlte, daß sie an seiner Herzlosigkeit sterben würde!

Warrington dachte an Lauras Wort: »Aber vielleicht ist es das, was du wünschest.« »Sie liebt Pen immer noch,« sagte er. »Eifersucht ließ sie so sprechen. – Komm Pen, komm fort, laß uns in die Kirche gehen und Ruhe sammeln. Du mußt deiner Mutter diese Angelegenheit auseinandersetzen. Sie scheint die Wahrheit nicht zu wissen, und ebenso weißt du sie nicht ganz, mein guter Junge. Komm fort und laß uns die Sache bereden.« Und wieder murmelte er für sich: »Vielleicht ist es das, was du wünschest. Ja, sie liebt ihn. Warum sollte sie ihn denn auch nicht lieben? Wen anders möchte ich denn, daß sie liebte? Was kann sie mir denn 109 sein, als das teuerste, das holdeste und das beste der Weiber?«

So gingen die beiden Herren, die die Frauen in ähnlichen Gesprächen zurückließen, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, fort und schwiegen eine beträchtliche Strecke lang. »Ich muß diese Geschichte zur Aufklärung bringen,« dachte der ehrliche Georg, »da sie ihn noch liebt, ich muß auch seine Mutter über das andere Frauenzimmer aufklären.« Und mit diesem mitleidigen Gedanken fing der gute Junge an, des Breiteren zu erzählen, was ihm Bows hinsichtlich Fräulein Boltons Benehmen und ihrer Flatterhaftigkeit gesagt, und er beschrieb, wie das Mädchen nichts besseres als ein leichtsinniges Schmeichelkätzchen wäre, und übertrieb vielleicht die gute Laune und Behaglichkeit, von der er selbst in ihrem Benehmen bei der Szene mit Huxter Zeuge gewesen zu sein meinte.

Nun waren alle Angaben Bows von der unvernünftigen Eifersucht und Wut dieses alten Mannes gefärbt gewesen, und statt Pens wiedererwachende Sehnsucht, seine kleine Eroberung wiederzusehen, zu beschwichtigen, dienten Warringtons Mitteilungen nur dazu, Pendennis zu entflammen und zu ärgern und ihn begieriger als zuvor zu machen, Fanny, wie er sich fortwährend ausdrückte, gerecht zu werden. Sie kamen bald an die Kirchentür, aber kaum ein Wort des Gottesdienstes und nicht eine Silbe von Herrn Shambles Predigt ging wahrscheinlich einem der Beiden zu Gemüte, so sehr war jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Der Major kam nach dem Gottesdienste auf sie zu, in wohlgebürstetem Hut und Perücke und mit 110 seiner heitersten fröhlichsten Miene. Er bekomplimentierte sie darüber, daß man sie in der Kirche gesehen und sagte abermals, daß jede Person comme il faut es sich im Ausland angelegen sein ließe, den englischen Gottesdienst zu besuchen, und ging mit den jungen Leuten zurück, in geschwätziger Gutgelauntheit mit ihnen plappernd; er machte allen seinen Bekannten im Vorübergehen eine Verbeugung und bildete sich in seiner Unschuld ein, daß Pen und Georg beide wer weiß wie sehr von seinen Anekdoten entzückt wären, die sie sich doch nur mit spöttischem Gesichte und schweigender Geduld gefallen ließen.

Während Herr Shamble (ein verlaufener englischer Geistlicher, der sich für die Saison an den Aufenthaltsorten der Engländer mieten ließ und dem Schuldenmachen, Trinken und sogar, wie es hieß, auch der Roulette ergeben war) seine Predigt losließ, hatte Pen, knirschend unter der Verfolgung, mit der seine weiblichen Verwandten ihn quälten, sich eine große Tat des Widerstandes und der Gerechtigkeit, wie er, sich selbst mehr und mehr anstachelnd, glaubte, ausgesonnen, und Warrington hatte sich seinerseits überlegt, daß auch in seinen Angelegenheiten eine Krisis eingetreten und daß es für ihn notwendig geworden wäre, sich von einem Verhältnis loszureißen, das ihn jeder Tag als ein größeres Unglück und doch auch wieder als ein größeres Glück erscheinen ließ. Ja, die Zeit war gekommen. Er nahm jene verhängnisvollen Worte: »Vielleicht ist es das, was du wünschtest« als Text zu einer trübseligen Predigt, die er sich in dem dunkeln Betstübchen seines eigenen Herzens vortrug, während Herr 111 Shamble mit schwacher Stimme seine Predigt herleierte.



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