William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Vierzehntes Kapitel

In dem Pen um den Bart zu gehen beginnt

Schwermütig war das große Haus in Clavering Park in den Tagen gewesen, ehe sein bankerotter Eigentümer heiratete, als er noch als Flüchtling in fremdem Lande lebte; aber nicht viel heiterer war es jetzt, wo Sir Francis Clavering kam, es zu bewohnen. Der größere Teil des Schlosses war zugeschlossen, und der Baronet bewohnte nur ein paar Zimmer im Erdgeschosse, wo seine Hausverwalterin und ihre Magd aus dem Portierhäuschen dem unglückseligen Herrn in seiner unfreiwilligen Abgeschiedenheit von der Welt aufwarteten und einen Teil des Wildprets zubereiteten, welches er an den trübseligen Morgen zu schießen sich bestrebte. Lightfoot, sein Bedienter, war in Myladys Dienste übergetreten und hatte, wie Pen durch einen Brief Herrn Smirkes, der die Trauung vollzog, erfuhr, seinen klugen Vorsatz ins Werk gesetzt, Frau Bonner, die Kammerfrau Myladys, zu heiraten, die in ihren reifen Jahren von den Reizen des Jünglings bezaubert worden war und ihn mit ihren Ersparnissen und ihrer reifen Person beschenkt hatte. Wirt und Wirtin im »Schilde von Clavering« zu werden, war beider ehrgeiziges Streben, und man kam überein, daß sie in den Diensten der Lady Clavering verbleiben sollten, bis das Vierteljahr um wäre, wo sie von ihrem Gasthofe Besitz ergreifen 290 wollten. Pen versprach gnädigst, daß er seinen Wahlschmaus dort geben wolle, wenn der Baronet seinen Sitz im Parlamente zu seinen Gunsten erledigen werde; und wie es von seinem Onkel ausgemacht war, dem Clavering nichts abschlagen zu können schien, kam Arthur im September auf Besuch nach Clavering Park, dessen Besitzer sehr froh war, einen Gesellschafter zur Erheiterung in seiner Einsamkeit zu haben, der ihm noch außerdem vielleicht ein bißchen bares Geld vorstrecken würde.

Pen versah seinen Wirt mit dieser wünschenswerten Geldhilfe ein paar Tage, nachdem er in Clavering erschienen war, und kaum waren diese kleinen Fonds in Sir Francis Tasche, als der letztere entdeckte, daß er ein Geschäft zu Chatteris und in den benachbarten Badeorten habe, deren –shire eine Menge zu haben sich rühmt, und fortging, um nach seinen Geschäften zu sehen, die, wie man sich denken kann, auf den Wettrennbahnen und in den Billardstuben der Gegend verhandelt wurden. Arthur konnte recht gut allein leben, da er mancherlei geistige Hilfsquellen und Vergnügungen hatte, die die Gesellschaft anderer Personen nicht verlangten; er konnte des Morgens mit dem Wildhüter einen Gang machen, und für die Abende gab es eine Menge Bücher und Beschäftigungen für ein literarisches Genie wie Herrn Arthur, der nur einer Zigarre und ein paar Bogen Papier bedurfte, um sich die Nacht angenehm vergehen zu machen. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er in zwei oder drei Tagen die Gesellschaft Sir Francis Claverings vollkommen unerträglich gefunden, und es geschah mit boshafter Bereitwilligkeit 291 und Befriedigung, daß er Clavering die kleine Geldhilfe anbot, die der letztere, nach seiner Gewohnheit, sich erbat, und ihn mit den Mitteln versah, aus seinem eigenen Hause zu entfliehen.

Außerdem hatte unser geistvoller Freund sich bei den Bewohnern von Clavering und den Wählern des Burgfleckens, den er zu vertreten hoffte, beliebt zu machen, und er ging mit umso größerem Eifer an diese Aufgabe, als er sich erinnerte, wie unbeliebt er vorher in Clavering gewesen; und er beschloß, den Haß zu überwinden, den er den simpeln Leuten dort eingeflößt hatte. Sein Sinn für Humor bewirkte, daß er an dieser Aufgabe Vergnügen fand. Von Natur ziemlich verschlossen und schweigsam in der Oeffentlichkeit, wurde er plötzlich so offen, gemütlich und lustig wie Kapitän Strong. Er lachte mit jedermann, der ein Lachen mit ihm austauschen wollte, schüttelte zur Rechten und Linken mit einer Herzlichkeit die Hände, die man sicherlich eine rechte nennen konnte, erschien am Markttage und beim Schmause der Pächter, kurz, handelte wie ein ausgemachter Heuchler und wie Herren vom vornehmsten Herkommen und fleckenlosester Rechtschaffenheit handeln, wenn sie sich bei ihren Wählern angenehm zu machen wünschen und einen Zweck bei den Landleuten erreichen wollen. Wie kommt es, daß wir uns zwar nicht täuschen, wohl aber so bereitwillig zu denken verpflichten lassen, wenn uns eine glatte Zunge, ein schnellbereites Lachen und ein ungezwungenes Benehmen entgegentreten? Wir wissen meistenteils, daß es falsche Münze ist, und nehmen sie doch an; wir wissen, daß es Schmeichelei ist, deren Verteilung niemand 292 etwas kostet, und doch wollen wir sie lieber haben, als ohne dieselbe sein. Freund Pen ging in Clavering herum mit mühsam angekünstelter Einfachheit und erzwungen vergnügter Miene, ein ganz verschiedenes Wesen von dem höhnischen und ziemlich mürrischen jungen Stutzer, dessen sich die Einwohner von vor zehn Jahren her erinnerten.

Die Rektorei war verschlossen. Doktor Portman war mit seiner Gicht und seiner Familie nach Harrogate gegangen, ein Ereignis, das Pen in einem Brief an den Doktor sehr tief beklagte, worin er mit wenigen freundlichen und einfachen Worten sein Bedauern ausdrückte, seinen alten Freund nicht sehen zu können, dessen Rat er bedürfe und dessen Beistand er vielleicht eines Tages nötig haben würde; aber Pen tröstete sich über des Doktors Abwesenheit dadurch, daß er Bekanntschaft mit Herrn Simcoe, dem Prediger der Opposition, und mit den beiden Teilhabern der Tuchfabrik in Chatteris, sowie mit dem Independentenprediger dort machte, welche er allesamt im Claveringer Athenäum traf, das die liberale Partei in Uebereinstimmung mit dem fortgeschrittenen Zeitgeiste und vielleicht aus Opposition gegen das aristokratische alte Lesezimmer gestiftet hatte, wo einst kaum die ›Edinburgh Review‹ Zulaß erlangt hatte, und wo man keinem Handwerker den Eintritt gestattete. Er stimmte sich den jüngeren Teilhaber der Tuchfabrik günstig, indem er ihn in freundschaftlicher Weise ins Schloß zu Tische bat; er bekomplimentierte die ehrenwerte Frau Simcoe mit Hasen und Rebhühnern von demselben Orte und mit der Bitte, ihm doch ihres Gemahls letzte 293 Predigt zur Lektüre zu schicken, und als er eines Tages ein bißchen unwohl war, nutzte der Schlingel diesen Umstand aus, um Herrn Huxter seine Zunge zu zeigen, der ihm Medizinen schickte und am folgenden Morgen seinen Besuch machte. Wie entzückt würde der alte Pendennis über seinen Zögling gewesen sein! Pen selbst war sehr vergnügt über den Spaß, mit dem er beschäftigt war, und sein Erfolg flößte ihm eine gottlose Lustigkeit ein.

Und dennoch, wenn er nachts aus Clavering ging, nachdem er einer Versammlung im Athenäum ›präsidiert‹ oder sich durch einen Abend bei Frau Simcoe durchgearbeitet hatte, die nebst ihrem Gemahl über den Ruf des jungen Londoners staunte und von seinen Erfolgen in der vornehmen Gesellschaft gehört hatte; wenn er über die alte wohlbekannte Brücke des rauschenden Brawl schritt und jenes ihm so erinnerliche Rauschen der Wasser drunten vernahm, und sein eigenes kleines Schlößchen von Fairoaks unter den Bäumen sah, deren dunkle Umrisse sich klar vom sternenhellen Himmel abhoben, gingen ohne Zweifel andere Gedanken durch des jungen Mannes Gemüt und erweckten Regungen von Kummer und Beschämung dort. Noch immer pflegte ein Licht in den Fenstern des Zimmers zu sein, dessen er sich so wohl erinnerte, und in dem die Heilige, die ihn geliebt, so manche Stunde der Sorge, der Sehnsucht und des Gebetes verbracht hatte. Er wandte seinen Blick ab von dem schwachen Lichtschimmer, der ihn mit seinem bleichen vorwurfsvollen Lichte zu verfolgen schien, als ob es der Geist seiner Mutter wäre, der ihn beobachte und warne. Wie klar die 294 Nacht war, wie hell die Sterne schienen, wie rastlos die flutenden Wasser dahinrauschten, wie die alten heimatlichen Bäume leise mit ihren dunklen Häuptern und Zweigen über dem Dache des Schlößchens flüsterten und nickten! Dort, in dem schwachen Schimmer des Sternenlichts war die Terrasse, wo er als Knabe an Sommerabenden gewandelt, feurig und offenherzig, unbefleckt, unbekannt mit den Versuchungen der Welt, mit den Zweifeln und Leidenschaften, noch geschützt vor dem Schutze der Welt an dem reinen und sorgenden Busen mütterlicher Liebe . . . . Die Uhr der nahen Stadt schlägt hallend die Mitternachtsstunde und stört den Traum unseres Wanderers und sendet ihn weiter nach dem Orte, wo er die Nacht Ruhe finden wird, durch die Pförtnerswohnung in die Avenue von Clavering und unter die dunklen Arkaden der rauschenden Linden.

Als er das Haus das nächste Mal sieht, lächelt es im Sonnenuntergange; jene Schlafstubenfenster, wo vergangene Nacht das Licht brannte, sind offen, und Pens Abmieter, Kapitän Stokes von der Bombay-Artillerie (dessen Mutter, die alte Frau Stokes, in Clavering lebt) empfängt den Besuch seines Gutsherrn mit großer Herzlichkeit, zeigt ihm das Land und den neuen Teich, den er im Garten hinter den Ställen gegraben, spricht vertraulich zu ihm über das Dach und die Schornsteine und bittet Herrn Pendennis, ihm einen Tag zu nennen, wo er ihm und der Frau Stokes das Vergnügen machen will, und so weiter. Pen, der schon vierzehn Tage auf dem Lande ist, entschuldigt sich, daß er nicht früher dem Kapitän seine Aufwartung gemacht, 295 indem er offen gesteht, daß er nicht den Mut dazu gehabt habe. »Ich verstehe Sie, mein Herr,« sagt der Kapitän, und Frau Stokes, die entschlüpft war, als die Klingel ertönte (wie seltsam kam es Pen vor, die Klingel zu ziehen!), kommt in ihrem besten Kleide, umgeben von ihren Kindern, herunter. Die Kleinen klammern sich an Stokes, der Knabe springt in einem Armstuhl. Es war der Armstuhl von Pens Vater, und Arthur erinnert sich der Tage, wo er ebenso leicht auf den Gedanken gekommen wäre, des Königs Thron zu besteigen, als sich in diesen Armstuhl zu setzen. Er fragt, ob Fräulein Stokes – sie ist doch ihrer Mama wie aus den Augen geschnitten – Piano spielen kann. Er möchte gern eine Melodie auf diesem Piano hören. Sie spielt. Er hört noch einmal die Töne des alten Instruments, die durch das Alter geschwächt sind, aber er hört nicht auf die Spielende. Er lauscht auf Laura, die wie in den Tagen ihrer Kindheit singt, und sieht seine Mutter, wie sie sich über die Schulter des Mädchens beugt und den Takt schlägt.

Das Diner, das in Fairoaks zu Ehren Pens von seinem Abmieter gegeben wurde, und bei dem die alte Frau Stokes, Kapitän Glanders, Squire Hobnell und der Geistliche nebst Gemahlin von Tinckleton zugegen waren, war für Pen sehr einfältig und melancholisch, bis der Kellner von Clavering (der den Stallknecht des Kapitäns und den Bedienten der Frau Stokes bei Bedienung der Gäste unterstützt), dessen Pen sich als einen Gassenjungen erinnerte, und der jetzt eigentlich Barbier an diesem Orte war, einen Teller über Pens Schulter fallen ließ, worauf Herr Hobnell (der ihn gleichfalls 296 beschäftigte) bemerkte: »Ich glaube, Hodson, Ihre Hände sind schlüpfrig von Bärenfettpomade. Er schmeißt fortwährend Geschirr hin, dieser Hodson ist – he, he!« Worauf Hodson errötete und so verblüfft aussah, daß Pen in ein Gelächter ausbrach, und gute Laune und Heiterkeit die Parole dieses Abends wurden. Für den zweiten Gang war ein Hase und Rebhühner Anfang und Ende, und als nach dem Rückzuge der Dienerschaft Pen zu dem Vikar von Tinckleton sagte: »Ich glaube, Herr Stocks, Sie hätten Hodson den Hasen zerschneiden lassen sollen,« wurde der Witz von dem Geistlichen sogleich begriffen, und diesem folgten im Verlauf etlicher Minuten die Kapitäne Stokes und Glanders, sowie Herr Hobnell, der ziemlich spät beim Begreifen anlangte, dafür aber in ein unermeßliches Gelächter ausbrach.

Während Herr Pen auf dem Lande mit diesen ebenerwähnten Plänen beschäftigt war, geschah es, daß die Dame seiner Wahl von der Villa in Tunbridge nach London kam, um wichtige Geschäfte in den Läden zu besorgen; sie kam in Begleitung der alten Frau Bonner, der Kammerfrau ihrer Mutter, die mit Blanche seit ihren Kinderjahren gelebt und sich tausendmal mit ihr gezankt hatte, und die jetzt, wo sie Lady Claverings Dienst zu verlassen im Begriff stand, um in den Stand zu treten, dessen Gott Hymen ist, als eine gutmütige Seele es sich durchaus nicht nehmen lassen wollte, ihrer alten und jungen Herrin ein Zeichen achtungsvoller Liebe zu verehren, ehe sie sie ganz verließ, um ihre Stelle als Ehefrau Lightfoots einzunehmen und Wirtin des ›Schildes von Clavering‹ zu werden. 297

Das wackere Frauenzimmer benutzte den Vorteil von Fräulein Amorys Geschmack bei dem Einkaufe, den sie Ihrer Ladyschaft anzubieten gedachte, und bat die schöne Blanche, sich etwas nach ihrem Gefallen auszusuchen, wobei sie sich ihrer alten Wärterin erinnern möge, die sie manch schlaflose Nacht und manches gefährliche Zahnfieber und manche Kinderkrankheit hindurch gepflegt hätte und sie beinahe wie ihr eigenes Kind liebte. Diese Einkäufe waren gemacht, und wenn die Wärterin darauf bestand, eine ungeheure Bibel für Blanche zu kaufen, so riet dagegen die junge Dame, die Bonner solle für ihre Mama ein großes ›Wörterbuch von Johnson‹ nehmen. Beide Frauen konnten gewiß von den ihnen gemachten Geschenken profitieren.

Dann verwendete Frau Bonner Geld auf einige Einkäufe von Leinenwaren, die im ›Schilde von Clavering‹ gebraucht werden konnten, und kaufte ein rot und gelbes Halstuch, welches, wie Blanche sogleich sah, für Herrn Lightfoot bestimmt war. Da er mindestens fünfundzwanzig Jahre jünger als sie selbst war, so betrachtete Frau Bonner diesen Jüngling mit einer zugleich mütterlichen und eheweiblichen Zärtlichkeit und hatte ihre Freude daran, seine Person verschwenderisch mit Zieraten auszuschmücken, obschon er bereits von Brustnadeln, Ringen, Hemdknöpfen, Ketten und Petschaften funkelte, die alle auf Kosten des guten Geschöpfes angeschafft waren.

Es war am Strand, wo Frau Bonner ihre Einkäufe unter dem Beistande des Fräuleins Blanche machte, der der Spaß sehr gefiel, und als die alte Dame alles, was sie wünschte, gekauft hatte und den Laden 298 verließ, sagte Blanche mit lächelndem Gesicht und einer holden Verbeugung zu einem der Herren im Laden: »Bitte, mein Herr, wollen Sie wohl die Güte haben, uns den Weg nach Shepherds Inn zu zeigen.«

Shepherds Inn war nur ein paar hundert Schritte von da entfernt, Oldcastlestreet war nahe dabei, der elegante Ladenjüngling zeigte der jungen Dame die Richtung, die sie zu nehmen hatte, und sie und ihre Begleiterin gingen zusammen fort.

»Shepherds Inn! Was können Sie nur in Shepherds Inn wollen, Fräulein Blanche?« erkundigte sich die Bonner. »Herr Strong wohnt dort. Wollen Sie etwa den Kapitän besuchen?«

»Ich möchte den Kapitän wohl gern einmal sehen. Ich mag den Kapitän, aber es ist nicht er, den ich haben will. Ich möchte ein liebes kleines gutes Mädchen sehen, die sehr freundlich gegen – gegen Herrn Arthur gewesen ist, als er vergangenes Jahr so krank war, und die ihm beinahe das Leben gerettet hat; und ich möchte ihr dafür danken und sie fragen, ob sie einen Wunsch hat. Ich habe zu diesem Zweck heute morgen mehrere von meinen Kleidern ausgesucht, Bonner!« und sie sah die Bonner an, als ob sie bewundert werden müßte und eine Handlung von hervorragender Tugend vollbracht hätte. Blanche war in der Tat eine große Freundin von Zuckerdüten; sie würde die Armen damit gefüttert haben, wenn sie genug gehabt hätte, und einem Bauernmädchen ein Ballkleid geschenkt haben, wenn sie es abgetragen gehabt hätte und seiner überdrüssig geworden wäre.

»Hübsches Mädchen – hübsches junges 299 Frauenzimmer!« murmelte Frau Bonner. »Ich weiß, ich werde Lightfoot keine hübschen jungen Weiber nahekommen lassen,« und im Geiste bevölkerte sie das ›Schild von Clavering‹ mit einem Harem der allerhäßlichsten Stuben- und Schenkmädchen.

Blanche, in rosa und blau, Federn, Blumen und Schmucksachen, einem schillernden Seidenkleide, einer wundervollen Mantille und einem bezaubernden Sonnenschirme bot einen so eleganten und schönen Anblick dar, daß die Augen der Frau Bolton, die den Flur der Hausmannswohnung in Shepherds Inn scheuerte, vor Staunen weit aufgingen, und Betsy-Jane und Ameliar-Anne entzückt daraufhinsehen machten.

Blanche blickte sie mit einem Lächeln an, das unaussprechlich hold und gnädig war, wie Rowena, die Rebekka besucht, wie Marie Antoinette, die die Armee in der Hungersnot aufsuchte, wie die Marquise von Carabas, wenn sie an der Tür eines armen Pächters aus ihrem vierspännigen Wagen steigt und von John II. ein Paket Epsomer Salz zur Heilung der Kranken nimmt und es mit eigener allerdurchlauchtigster Hand in die Krankenstube trägt – Blanche fühlte sich wie eine Königin, die von ihrem Throne steigt, um einen Untertanen zu besuchen, und sie genoß das volle schmeichelnde Bewußtsein, ein gutes Werk zu tun.

»Meine gute Frau! Ich möchte Fanny sehen – Fanny Bolton, ist sie hier?«

Frau Bolton hatte einen plötzlichen Verdacht, daß, dem Glanze von Blanches Kleidung nach, sie eine Schauspielerin oder gar noch etwas Schlimmeres sein müßte. 300

»Bitte, was wollen Sie von Fanny?« fragte sie.

»Ich bin die Tochter von Lady Clavering – Sie haben von Sir Francis Clavering gehört? Und ich möchte Fanny Bolton in der Tat recht gern einmal sehen.«

»Bitte, treten Sie ein, Fräulein – Betsy-Jane, wo ist Fanny?«

Betsy-Jane sagte, daß Fanny die Treppe Nr. 3 hinaufgegangen wäre, worauf Frau Bolton sagte, sie wäre wahrscheinlich in Strongs Zimmern, und das Kind nachsehen ließ, ob sie dort sei.

»In Kapitän Strongs Zimmern! Oh, wir wollen nach Kapitän Strongs Zimmern gehen,« rief Fräulein Blanche aus. »Ich kenne ihn sehr gut. Du allerliebstes kleines Mädchen, zeige uns den Weg zu Kapitän Strong!« sagte Fräulein Blanche, denn der Flur roch nach dem eben stattgefundenen Scheuern, und die Göttin liebte den Geruch schwarzer Seife nicht.

Und als sie die Treppe hinaufgingen, sagte ein Herr namens Costigan, der zufällig im Hofe herumschlenderte und aus seinem Auge einen höchst pfiffigen Blick unter Blanches Hut entsendete, zu sich selbst: »Das ist ein verteufelt schönes Mädchen, bei Gott, das jetzt zu Strong und Altamont raufging, die haben doch immer schöne Mädchen bei sich oben.«

»Halloh – was ist das?« sagte er bald darauf, indem er nach den Fenstern hinaufsah, aus denen ein paar durchdringende Schreie erklangen.

Beim Klange der Stimme eines in Not befindlichen weiblichen Wesens stürzte der unerschrockene Cos die Treppen hinauf, so schnell seine alten Beine ihn nur 301 tragen wollten, wobei er beinahe von Strongs Bedienten umgerannt wurde, der die Treppe hinunterkam. Cos fand die Außentür von Strongs Wohnung offen und begann an dem Türklopfer anzudonnern. Nach vielen gewaltigen Schlägen wurde die innere Tür teilweise geöffnet, und Strongs Kopf erschien.

»Ich bin's, mein Junge! Was ist das für ein Lärm, Strong?« fragte Costigan.

»Geh zum T–,« war die einzige Antwort, und die Tür wurde vor Costigans ehrwürdiger roter Nase geschlossen; und er ging die Treppe hinunter, Drohungen murmelnd über die ihm widerfahrene Unbill und schwörend, daß er sich Genugtuung verschaffen würde. Inzwischen wird der Leser, glücklicher als der Kapitän Costigan, das Vorrecht haben, mit dem Geheimnisse bekannt gemacht zu werden, das diesem Offizier vorenthalten wurde.

Es ist gesagt worden, von was für einer großmütigen Gemütsart Herr Altamont war, und wie freigiebig er, wenn er mit Geld versehen war, dasselbe vertat. Von gastfreiem Wesen, hatte er kein größeres Vergnügen, als in Gesellschaft anderer Leute zu trinken, so daß man in Greenwich und Richmond niemanden lieber ankommen sah, als den Gesandten des Nabobs von Lucknow.

Nun begab sich's, daß an dem Tage, wo Blanche und Frau Bonner die Treppe zu Strongs Wohnung in Shepherds Inn hinaufstiegen, der Oberst Fräulein Delaval vom Königlichen Theater nebst ihrer Mutter Frau Hodge zu einer kleinen Partie den Fluß hinunter 302 eingeladen hatte, und man war übereingekommen, daß sie sich bei Strong treffen und von dort aus nach einem Hafenplatz am benachbarten Strande gehen wollten, wo man zu Schiffe steigen würde. So sagte denn, als Frau Bonner und mes larmes an die Tür kamen, wo Grady, Altamonts Bedienter, gerade stand, der Diener mit der größten Leutseligkeit: »Gehen Sie nur hinein, meine Damen«, und führte sie in das Zimmer, das so arrangiert war, als ob man sie dort erwartet hätte. In der Tat, zwei Blumensträuße, diesen Morgen in Covent Garden gekauft und Beispiele der zarten Galanterie Altamonts, erwarteten seine Gäste auf dem Tische. Blanche roch an dem Strauß, steckte ihr niedliches rosiges Näschen hinein und trippelte im Zimmer umher, guckte hinter die Vorhänge und auf die Bücher und Kupfer und nach dem Plane des Gutes Clavering, der an der Wand hing, und hatte den Diener nach Kapitän Strong gefragt und hatte seine Existenz und den Zweck, wegen dessen sie gekommen war, nämlich Fanny Bolton zu besuchen, fast vergessen, so gefiel ihr das neue Abenteuer und die drollige, sonderbare, entzückende, komische kleine Idee, in einer Junggesellenwohnung in einem seltsamen alten Winkel der City zu sein!

Inzwischen war Grady mit einem Paar gewaltiger Lackstiefeln im Zimmer seines Herrn verschwunden. Blanche hatte kaum Zeit gehabt, zu bemerken, wie groß die Stiefel und wie ungleich denen von Herrn Strong sie waren.

»Die Weiber sind gekommen,« sagte Grady, der seinem Herrn in die Stiefeln half. 303

»Hast du sie gefragt, ob sie irgend etwas trinken wollten?« fragte Altamont.

Grady kam heraus und fragte sie: »Er sagt, ob Sie was zu trinken haben wollen,« worauf Blanche, ergötzt von der unbefangenen Frage, in ein niedliches kleines Gelächter ausbrach und Frau Bonner fragte: »Wollen wir was trinken?«

»Na, Sie können's halten, wie Sie wollen,« sagte Herr Grady, der sein Anerbieten für abgelehnt hielt, und dem das geringschätzige Benehmen der Neuangekommenen nicht gefiel, und so verließ er sie.

»Wollen wir was trinken?« fragte Blanche wieder und fing wieder zu lachen an.

»Grady,« brüllte eine Stimme aus dem Zimmer drinnen – eine Stimme, die Frau Bonner auffahren ließ.

Grady antwortete nicht, sein Gesang ward in der Ferne, aus der Küche, seinem oberen Gemache gehört, wo Grady bei seiner Arbeit sang.

»Grady, meinen Rock!« brüllte die Stimme wieder von drinnen.

»Ei, das ist aber nicht Herrn Strongs Stimme,« sagte die Sylphide, immer noch halb lachend. »Grady, mein Rock! – Bonner, wer ist dieser ›Grady, mein Rock?‹ Wir sollten lieber fortgehen.«

Die Bonner sah immer noch ganz verblüfft aus über den Klang der Stimme, die sie gehört hatte.

Da öffnete sich die Kammertür, und das Individuum, das ›Grady, mein Rock‹ geschrien hatte, erschien ohne das fragliche Kleidungsstück.

Er nickte den Frauen zu und ging quer über das 304 Zimmer. »Ich bitte Sie um Verzeihung, meine Damen; Grady, bring meinen Rock herunter, mach! Nun, mein Herzchen, es ist ein schöner Tag, und wir werden einen schönen Spaß haben in – –«

Er sagte nichts weiter, denn hier kreischte Frau Bonner, die ihn mit entsetzten Augen angesehen hatte, plötzlich auf: »Amory! Amory!« und fiel schreiend auf ihrem Stuhl in Ohnmacht.

Der so angeredete Mann blickte einen Augenblick auf die Frau, dann stürzte er auf Blanche zu, umfaßte sie und küßte sie. »Ja, Betsy,« sagte er, »bei Gott, ich bin es. Mary Bonner erkannte mich. Was für ein hübsches Mädel wir geworden sind! Aber es ist ein Geheimnis, vergiß das nicht. Ich bin tot, obwohl ich dein Vater bin. Deine arme Mutter weiß es nicht. Was für ein hübsches Mädel wir geworden sind! Küsse mich – küsse mich tüchtig, meine Betsy! Verd – – ich liebe dich, ich bin dein alter Vater.«

Betsy oder Blanche sah ganz entsetzt aus und begann ebenfalls zu kreischen, ein, zwei, drei Mal; und ihr durchdringendes Geschrei war es, das Kapitän Costigan hörte, als er unten im Hofe spazieren ging.

Bei dem Lärm dieses Gekreisches schlug der bestürzte Vater seine Hände zusammen (die Bändchen seiner Hemdärmel waren offen, und auf dem einen gebräunten Arm konnte man Buchstaben mit blauer Farbe tätowiert sehen), dann rannte er in sein Zimmer, kam mit einer Flasche Eau de Cologne aus seiner großen silbernen Toilette zurück, mit deren duftendem Inhalt er die Bonner und Blanche reichlich zu bespritzen begann.

Das Geschrei der Frauen brachte die anderen 305 Bewohner der Wohnung in die Stube, Grady aus seiner Küche und Strong aus seinem Zimmer im oberen Stocke. Der letztere merkte an dem Aussehen der beiden Frauen sogleich, was vorgefallen war.

»Grady, geh und warte im Hofe,« sagte er, »und wenn jemand kommt – du verstehst mich.«

»Ist es denn die Schauspielerin und ihre Mutter?« fragte Grady.

»Ja freilich, hol dich der Teufel, sage, es wäre niemand zu Hause, und mit der Partie wäre es heute nichts.«

»Soll ich das sagen, Herr Kapitän? Und nachdem ich ihnen die Bukette gekauft habe?« fragte Grady seinen Herrn.

»Ja,« sagte Amory, mit dem Fuße stampfend, und indem auch Strong zur Tür ging, erreichte er sie noch gerade zu rechter Zeit, um den Eintritt des Kapitäns Costigan zu verhüten, der eben die Treppe heraufgestiegen war.

Die Damen vom Theater hatten ihr Traktement in Greenwich nicht, noch stattete Blanche diesen Tag Fanny Bolton ihren Besuch ab. Und Cos, der Gelegenheit nahm, sich majestätisch bei Grady zu erkundigen, was denn los gewesen wäre und wer geschrien hätte, erhielt zur Antwort, es wäre eine Weibsperson und noch eine gewesen, und seiner Meinung nach wären die Weibsleute fast an allem Skandal in der Welt schuld. 306



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