William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Siebentes Kapitel

Alte Freunde

Es begab sich bei jenem großen englischen Feste, bei dem ganz London auf den Dünen von Epsom sich einen Feiertag machte, daß eine große Anzahl von Persönlichkeiten, denen wir im Laufe dieser Geschichte vorgestellt worden sind, versammelt waren, um das Derbyrennen zu sehen. In einem bequemen offenen Wagen, der von zwei Pferden dorthin gezogen war, konnte man Frau Bungay von Paternoster Row, geschmückt wie Salomo in aller seiner Pracht und Herrlichkeit, sehen, an ihrer Seite die bescheidene Frau Shandon, der die Gemahlin des würdigen Buchhändlers seit dem Beginn ihrer Bekanntschaft eine dauernde Freundschaft bewahrt hatte. Bungay, der sich mit einem reichlichen Frühstück gestärkt hatte, bäumte sich wie toll an den in der Nähe befindlichen »Sticks« in die Höhe, bis ihm der Schweiß von seinem kahlen Schädel troff, Shandon schlenderte unter den Trinkzelten und Zigeunern herum, und Finucane machte den getreuen Schleppenträger der beiden Damen, zu denen Herren von ihrer Bekanntschaft, die mit dem Haus des Verlegers in Verbindung standen, kamen, um sie zu begrüßen.

Unter anderen kam auch Herr Archer herbei, um seine Verbeugung zu machen, und erzählte der Frau Bungay, wer beim Rennen wäre. Da drüben wäre der Premierminister; Seine Lordschaft hätten ihm eben gesagt, er sollte Borax zum Wettritte besteigen, aber er, 133 Archer, hielte Muffineer für das bessere Pferd. Er zeigte der entzückten Frau Bungay zahlreiche Herzöge und Granden. »Sehen Sie mal dorthin nach dem großen Pavillon,« sagte er. »Da sitzt der chinesische Gesandte mit den Mandarinen von seinem Gefolge. Fou-choo-foo brachte mir Empfehlungsbriefe von dem Generalgouverneur von Indien, meinem intimsten Freunde, mit dem ich eine Zeitlang sehr befreundet war; er fand seine Eßhölzchen allzeit an meinem Tische bereit gelegt, sobald es ihm nur beliebte, zum Essen zu kommen. Aber er brachte seinen eigenen Koch mit sich, und – werden Sie's wohl glauben, Frau Bungay? – eines Tages, wo ich ausgegangen war und der Gesandte sich mit Frau Archer im Garten befand und Stachelbeeren aß, von denen die Chinesen leidenschaftliche Freunde sind, sieht das Vieh von einem Koche den lieben kleinen Blenheimer Wachtelhund meiner Frau, (den wir vom Herzog von Marlborough selbst hatten, dessen Ahnherrn Frau Archers Ur-Urgroßvater in der Schlacht bei Malplaquet das Leben gerettet), stürzt sich auf das arme kleine Kerlchen, schneidet ihm die Kehle durch, zieht ihm die Haut ab und serviert ihn, mit gewiegtem Fleische gefüllt, beim zweiten Gange.«

»Jesus!« rief Frau Bungay.

»Sie können sich die Seelenangst meiner Frau denken, als sie erfuhr, was vorgefallen! Die Köchin kam kreischend die Treppe herauf und erzählte uns, gerade als wir alle von dem Gericht gekostet hatten, daß sie des armen Fido Fell auf dem Platze vor dem Hause gefunden! Sie wollte nie wieder mit dem Gesandten sprechen, nie und nimmer wieder; und, auf mein Wort, 134 er ist seitdem nie wieder bei uns zu Tische gewesen. Der Lord Mayor, der mir die Ehre erwies, mit uns zu speisen, fand großes Gefallen an dem Gerichte, und mit grünen Erbsen gegessen, schmeckt es ziemlich wie Ente.«

»Ei, was Sie nicht sagen!« schrie die erstaunte Frau Verlagsbuchhändlerin.

»Tatsache, auf mein Wort! Sehen Sie, die Dame da in Blau, die neben dem Gesandten sitzt, ist Lady Flamingo, man sagt, sie werde sich mit ihm verheiraten und mit Seiner Exzellenz nach Peking zurückkehren. Sie läßt sich zu dem Zweck ihre Füße zusammenpressen. Aber sie wird sich damit nur zum Krüppel machen und nie dazu imstande sein – niemals. Meine Frau hat den kleinsten Fuß in ganz England und trägt die Schuhe eines sechsjährigen Kindes; aber was ist das gegen den Fuß einer chinesischen Dame, Frau Bungay?«

»Wessen Kutsche ist das, bei der Herr Pendennis steht, Herr Archer?« fragte plötzlich Frau Bungay. »Er und Herr Warrington waren eben erst hier. Er ist recht eingebildet in seinen Manieren, dieser Herr Pendennis, und das kann er auch recht gut, denn ich hörte, er gibt sich mit der allervornehmsten Gesellschaft ab. Hat er ein großes Vermögen geerbt, Herr Archer? Er trauert immer noch, wie ich sehe.«

»Achtzehnhundert Pfund jährlich, und zweiundzwanzigtausendfünfhundert dreieinhalbprozentige Renten, so ist es ungefähr,« sagte Herr Archer.

»Herrjes! Sie wissen aber auch alles, Herr Archer!« sagte die Dame von Paternoster Row. 135

»Ich weiß es zufällig, weil sie mich wegen des Testaments der armen Frau Pendennis rufen ließen,« entgegnete Herr Archer. »Pendennis' Onkel, der Major, tut selten etwas ohne mich, und da es wahrscheinlich ist, daß er extravagant wird, so haben wir das Vermögen verklausuliert, damit er nicht allerhand dummes Zeug damit macht. – Wie geht's Ihnen, Mylord? – Kennen Sie den Herrn, meine Damen? Sie haben seine Reden im Parlament gelesen, es ist Lord Rochester.«

»Lord Quatschkopf,« rief Finucane vom Bocke herunter. »Es ist ja Tom Staples von dem ›Morning Advertiser‹, Archer.«

»Wirklich?« sagte Archer harmlos. »Na, ich bin sehr kurzsichtig, und, auf mein Wort, ich dachte, es wäre Rochester. Der Herr da mit dem doppelten Operngucker (wieder ein Kopfnicken) ist Lord John, und der lange Mann neben ihm, kennen Sie ihn nicht? ist Sir James.«

»Sie kennen sie, weil Sie sie im Parlamente sitzen sehen,« brummte Finucane.

»Ich kenne sie, weil sie so freundlich sind, mir zu gestatten, daß ich sie meine intimsten Freunde nenne,« fuhr Archer fort. »Sehen Sie da den Herzog von Hampshire; welch ein Muster von einem netten alten englischen Gentleman! Er versäumt nie ein Derby. ›Archer‹, sagte er erst gestern zu mir, ›ich bin sechsundfünfzigmal beim Derby gewesen! erschien auf dem Platze zum ersten Male auf einem scheckigen Pony, als ich sieben Jahr alt war, mit meinem Vater, dem Prinzen von Wales und dem Oberst Hanger; und habe nur 136 zwei Rennen versäumt, – eins, wo ich zu Eton die Masern hatte, und eins im Jahre von Waterloo, wo ich mit meinem Freunde Wellington in Flandern war‹.«

»Und wem gehört die gelbe Kutsche mit den rosa und gelben Sonnenschirmen, zu denen Herr Pendennis spricht und so viele andere Herren?« fragte Frau Bungay.

»Das ist Lady Clavering von Clavering-Park, dem nächsten Gute neben meinem Freunde Pendennis. Das auf dem Bock ist der junge Sohn und Erbe; er ist schrecklich benebelt, der kleine Lump! Die junge Dame ist Fräulein Amory, Lady Claverings Tochter aus erster Ehe, und ungemein verschossen in meinen Freund Pendennis; aber ich habe Ursache, zu denken, daß er sein Herz anderswo gelassen hat. Sie haben von dem jungen Herrn Foker gehört – dem großen Brauer Foker, wissen Sie – er war im Begriffe, sich aufzuhängen wegen einer verhängnisvollen Leidenschaft für Fräulein Amory, die ihn abwies, wurde aber noch zu rechter Zeit von seinem Kammerdiener abgeschnitten und ist jetzt, unter Aufsicht, auf Reisen.«

»Wie glücklich der junge Mensch ist!« seufzte Frau Bungay. »Wer hätte sich, als er vor drei oder vier Jahren so still und bescheiden zu Tische zu uns kam, denken können, daß er eine so wichtige Person werden würde! Ei, ich sah seinen Namen neulich bei Hofe und vom Marquis von Steyne und all den Vornehmen vorgestellt, und in jeder vornehmen Gesellschaft kann man seinen Namen so sicher finden, als zwei mal zwei vier ist.«

»Ich habe ihn an vielen Orten eingeführt, als er 137 zuerst in die Stadt kam,« sagte Herr Archer, »und sein Onkel, Major Pendennis, tat das Uebrige. Halloh! Da ist Cobden, vor allen Menschen in der Welt mein bester Freund! Ich muß hingehen und mit ihm reden. Leben Sie wohl, Frau Bungay! Guten Morgen, Frau Shandon!«

Eine Stunde vor dieser Zeit und an einem anderen Teile der Rennbahn hätte man eine alte Postkutsche sehen können, auf deren schäbigem Dache ein Haufen lumpiger Bummler stampften und hallohten, als das große Ereignis des Tages – das Derbyrennen – über den grünen Rasenplan und an den schreienden Millionen von Menschen, die sich, um das prächtige Schauspiel zu sehen, versammelt hatten, vorbeisauste. Dies war die ›Spritze‹ Wheelers (aus dem ›Harlekinskopf‹), die eine Gesellschaft erwählter Geister von Bow Street mit einem frugalen Frühstücke im ›Kutschkasten‹ herbefördert hatte. Als die Hatze vorbeischoß, daß es einem vor den Augen wirbelte, brüllte jeder dieser erwählten Geister den Namen des Pferdes oder der Farben, von denen er dachte oder hoffte, daß sie die ersten sein würden. »Der Fähnrich!« »Es ist Muffineer!« »Es ist der Blauärmel!« »Gelbe Mütze! gelbe Mütze! gelbe Mütze!« und so fort kreischten die Herren vom Sport während jener köstlichen, alle Nerven durchzuckenden Minute, ehe der Wettkampf entschieden war, und als das flatternde Signal in die Höhe fuhr und die Nummer des berühmten Rosses Podasokus als Gewinner des Rennens anzeigte, sprang einer der Herren auf der ›Spritze‹ aus dem ›Harlekinskopfe‹ vom Dach in die Höhe, als ob er eine Taube wäre und im Begriff 138 stände, mit der Neuigkeit nach London oder York zu fliegen. Aber dieser Luftsprung erhob ihn nicht sehr viele Zoll von seinem Standorte, auf den er augenblicklich wieder niederkam, daß die Bretter des verdrehten alten Kutschendaches von dem Gewicht seiner Freude erkrachten. »Hurra! Hurra!« brüllte er, »Podasokus ist das Pferd! Ein Abendessen für zehn Mann, Wheeler, mein Junge! Bitte euch natürlich alle rund herum dazu, und der Teufel hol die Kosten!«

Und die Herren auf dem Wagen, die schäbigen Strolche, die zweifelhaften Stutzer, sagten: »Danke schön – gratulieren Ihnen, Oberst, soupieren mit Vergnügen mit Ihnen,« und wisperten einander zu: »Der Oberst hat fünfzehnhundert Pfund gewonnen, und er hat mit 'nem Manne gewettet, der sicher ist.«

Und jeder dieser schäbigen Stutzer und erbärmlichen Dandys fing an, seinen Nachbar mit verdächtigen Blicken zu beobachten, aus Furcht, der Nachbar möchte die Gelegenheit wahrnehmen, den Obersten auf die Seite ziehen und ihm Geld abborgen. Und der Gewinner auf Podasokus konnte während dieses ganzen Nachmittags nie allein sein, so scharf bewachten seine Freunde ihn und sich untereinander.

An einem noch anderen Teile der Rennbahn hätte man ein Gefährt sehen können, sicherlich bescheidener, wenn nicht schäbiger als jene gebrechliche Kutsche, welche die erwählten Geister aus dem »Harlekinskopfe« hergebracht hatte; dies war Fiaker Nr. 2002, welcher von dem Fiakerstande am Strand einen Herrn und zwei Damen herbefördert hatte, von denen die eine, die auf dem Bocke des Fiakers saß und sich 139 mit ihrer Mama und ihrem Begleiter an einem Schmause von Hummersalat und bitterem Ale gütlich tat, so frisch und hübsch aussah, daß viele von den glänzenden jungen Stutzern, die über den Platz hinschlenderten, sich mit dem edlen Spiele des »Sticks« amüsierten und sich mit den schöngekleideten Damen in den prächtigen Wagen auf der Anhöhe unterhielten, diese bezaubernden Dinge mit dem Rücken ansahen, um einen Blick auf das lächelnde rosawangige Mädchen im Fiaker zu tun. Das Erröten der Jugend und der guten Laune stieg auf die Wangen des Mädchens und spielte über das holde Gesichtchen, gleich den niedlichen glänzenden Wolkenschäfchen an dem heiteren Himmel droben; die Wange der älteren Dame war gleichfalls rot, aber das war eine stets blühende getäfelte Rose, die nur tiefer glühte, wenn sie frische Züge von weißem Ale und Grog zu sich nahm, bis schließlich ihr Antlitz mit der hochroten Schale des Hummers wetteiferte, den sie verschlang.

Der Herr, der die Eskorte dieser beiden Damen bildete, war im Erweisen von Aufmerksamkeiten gegen sie sehr tätig, und zwar hier beim Rennen ebenso wie er es während der Herfahrt gewesen war. Während dieser ganzen belebten und entzückenden Fahrt von London hatten seine Witze nie aufgehört. Er sprach ebenso unverzagt in die gewaltigsten Karossen, gefüllt mit den größten und feierlichsten Gardeoffizieren, als in die bescheidenste Eselskutsche hinein, worin Bob, der Gassenkehrer, seine Molly zum Wettrennen fuhr. Er hatte erstaunliche Ladungen von dem, was man »chaff« nennt, in endlose Fenster abgefeuert, wo er 140 vorüberkam, in Reihen grienender Mädchenschulen, in kleine Regimenter schreiender Gassenbuben, die hinter den Gittern ihrer Gelehrten- oder Handelsschulen ihr Hurra ertönen ließen, in Fensterbrüstungen, aus denen lächelnde Dienstmädchen und kinderwartende Ammen oder ehrbare alte Jungfern mit mißbilligenden Gesichtern schauten. Und das hübsche Mädchen in dem Strohhute mit rosa Band und ihre Mama, die Hummerverschlingerin, waren darin übereingekommen, daß nichts Herrn Sam gleich käme, wenn er guter Laune wäre. Er hatte den Fiaker voller Trophäen, die er den bankerotten Besitzern der neben ihnen befindlichen »Sticks« abgenommen, und voll zahlloser Nadelkissen, hölzerner Aepfel, Tabakskästchen, Springdosen und kleiner Soldaten gestopft. Er hatte eine Zigeunerin mit einem schwarzbraunen Kinde in ihren Armen herbeigeholt, um den Damen wahrzusagen, und die einzige Wolke, welche den Sonnenschein der glücklichen Gesellschaft auf einen Augenblick verdunkelte, war zu sehen, als die Schicksalsverkündigerin der jungen Dame mitteilte, daß sie Ursache gehabt hätte, sich vor einem blonden Manne in acht zu nehmen, der falsch gegen sie gewesen, daß sie eine schlimme Krankheit gehabt hätte, und daß sie finden würde, ein Mann mit dunklem Haar würde sich treu gegen sie erweisen.

Das Mädchen sah bei dieser Nachricht sehr niedergeschlagen aus; ihre Mutter und der junge Mann wechselten Zeichen der Verwunderung und des Verständnisses. Vielleicht hatte die Zauberin dieselben Worte an jenem Tage zu hundert verschiedenen Malen gebraucht. 141

Einsam durch das Gedränge der Menschen und Kutschen daherkommend und dabei, nach seiner Gewohnheit, die mannigfaltigsten Umstände und Charaktere beobachtend, die das beliebte Schauspiel darbot, schritt ein junger Freund von uns plötzlich auf den Fiaker 2002 und auf die kleine Gruppe von Personen zu, die auf der Außenseite des Fuhrwerks versammelt waren. Als er der jungen Dame auf dem Bocke ansichtig wurde, fuhr sie empor und wurde blaß; ihre Mutter wurde röter als je; der vordem heitere und triumphierende Herr Sam nahm auf der Stelle eine grimmige und verdächtige Miene an, und seine Augen wendeten sich zornentbrannt von Fanny Bolton (die der Leser ohne Zweifel in der jungen Dame im Fiaker erkannt hat) auf Arthur Pendennis, der auf sie zuschritt.

Auch Arthur machte ein finsteres und verdachtwitterndes Gesicht, als er Herrn Samuel Huxter in Gesellschaft seiner alten Bekannten bemerkte; aber sein Verdacht war der der aufgeschreckten Moralität und, ich möchte sagen, höchlichst zu loben an Herrn Arthur, wie der Verdacht von Frau Lynx, wenn sie Herrn Brown und Frau Jones zusammen sprechen sieht oder wenn sie Frau Lamb zwei- oder dreimal in einer hübschen Opernloge bemerkt. Möglich, daß an der Unterhaltung mit Frau Jones nichts Unrechtes ist, und die Opernloge von Frau Lamb (obschon sie bekannterweise keine erschwingen kann) auf ehrbare Weise erlangt wurde; aber doch hat eine Moralistin wie Frau Lynx ein Recht zu ein bißchen Furcht im voraus, und Arthur war ohne Zweifel gerechtfertigt, wenn er dieses ernste Benehmen annahm. 142

Fannys Herz begann heftig zu pochen; Huxters Fäuste, in die Taschen seines Paletots versenkt, ballten sich unwillkürlich und bewaffneten sich sozusagen im Hinterhalte; Frau Bolton begann mit aller Macht und wundervoller Zungenfertigkeit zu schwatzen und zu sagen: Herrjes! sie wäre so glücklich, den Herrn Pendennis einmal zu sehen, und wie wohl er doch aussähe, und sie hätten eben erst von Herrn Pendennis geredet, nicht wahr, Fanny? Und wenn dies das berühmte Hepsomrennen sein sollte, wovon die Leute so viel redeten, so wär's ihr ganz egal, ob sie es je wieder sähe. Und wie es Major Pendennis ginge und dem freundlichen Herrn Warrington, der Fanny Herrn Pendennis' schönes Geschenk überbracht hätte, und sie würde das nie nie vergessen, und Herr Warrington wäre so lang, er hätte sich beinahe den Kopf eingerannt an ihrer Tür. Du weißt doch, Fanny, wie Herr Warrington sich seinen Kopf stieß?

Ich möchte wissen, wieviel tausend Gedanken, während Frau Bolton so schwatzte, durch Fannys Gemüt zogen, und was für liebe Erinnerungen, traurige Kämpfe, einsame Kümmernisse und darauf folgende Stunden der Tröstungen mit Scham auf der Stirn ihr wieder vor die Seele traten. Welche Qualen litt das arme kleine Ding, als sie daran dachte, wie sehr sie ihn geliebt hatte, und daß sie ihn nun nicht mehr liebte! Da stand er, um den sie vor zehn Monaten hatte sterben wollen, stutzerhaft, hochmütig, mit einem schwarzen Krepp um seinen weißen Hut, Jetknöpfen in seinem Hemd, einer Nelke in seinem Knopfloch, die ihm wahrscheinlich irgendeine andere gegeben, mit den 143 engsten lavendelfarbigen Handschuhen mit schwarzen Nähten und mit dem kleinsten Spazierstöckchen. Und Herr Huxter trug keine Handschuhe, sondern große Blücherstiefel und duftete allerdings stark nach Tabak, und sah – oh, das mußte man gestehen – aus, als ob ihm ein Waschbecken höchst dienlich sein würde. All diese Gedanken und eine Unmenge anderer fuhren durch Fannys Kopf, während ihre Mama ihre Rede losließ und das Mädchen mit verstohlenem Blick Pendennis betrachtete, ganz und gar, von Kopf bis zu den Füßen, den Eindruck auf seiner weißen Stirn, den sein Hut zurückließ, als er ihn abnahm (sein schönes wunderschönes Haar war wieder gewachsen), die Petschafte an seiner Uhrkette, den Ring an seiner Hand unter seinem Handschuhe, den hübschen Glanzstiefel, der den schiefgetretenen Sams so ungleich war, betrachtete und nachdem ihre Hand den lavendelfarbenen ziegenlederbekleideten Fingern, die ihr entgegengestreckt wurden, einen leisen bebenden Druck zurückgegeben hatte, war alles, was Fanny hervorbringen konnte: »Dies ist Herr Samuel Huxter, den Sie, wie ich glaube, schon früher kannten; Herr Samuel, Sie wissen, daß Sie Herrn Pendennis früher kannten – und – und wollen Sie nicht einen Tropfen genießen?«

Diese wenigen Worte, bebend und ungeschminkt wie sie waren, wurden doch von Pendennis in der Weise verstanden, daß sie ihm eine große Last von Verdacht von der Seele – ja vielleicht von Gewissensbissen vom Herzen nahmen. Die finstere Miene auf dem Gesicht des Prinzen von Fairoaks verschwand, und ein gutmütiges Lächeln und pfiffiges Zwinkern des Auges 144 erleuchtete das Gesicht seiner Hoheit. »Ich bin sehr durstig,« sagte er, »und werde mich freuen, Ihre Gesundheit zu trinken, Fanny; und ich hoffe, Herr Huxter wird mir vergeben, daß ich das letztemal, wo wir zusammentrafen, sehr unhöflich zu ihm gewesen bin, da ich damals so krank und mißgestimmt war, daß ich tatsächlich kaum wußte, was ich sagte.« Und hiermit wurde der lavendelfarbene Glacéhandschuh Huxter als Zeichen der Freundschaft hingehalten.

Die schmutzige Faust in der Tasche des jungen Chirurgen war genötigt, auseinanderzugehen und unbewaffnet aus ihrem Hinterhalt hervorzukommen. Der arme Bursche selbst fühlte, als er sie in Pens Hand legte, wie heiß und schwarz seine eigene war – sie ließ schwarze Flecke auf Pens Handschuh zurück; er sah sie – er würde sie gern wieder geballt und dem anderen in das gutmütige Gesicht geschlagen und hier auf diesem Boden Fanny und ganz England als Zuschauer rundum gesehen haben, wer die Oberhand behielt, er, Sam Huxter von Bartholomäus oder dieser grinsende Stutzer.

Pen nahm mit unauslöschlicher guter Laune ein Glas an – es kümmerte ihn nicht, was es war – er war zufrieden, nach den Damen zu trinken, und er füllte es mit schäumendem lauwarmem Bier, das er köstlich nannte und mit herzlichen Worten auf die Gesundheit der Gesellschaft leerte.

Während er so in verbindlicher Weise zu trinken und zu reden fortfuhr, schritt eine junge Dame in einem taubengrauen Kleide mit einem weißen rosagefütterten Sonnenschirm und den niedlichsten taubengrauen 145 Stiefelchen, die je die Erde betraten, an Pen vorüber, auf den Arm eines stattlichen Herrn mit militärischem Schnurrbart gelehnt.

Die junge Dame ballte ihre kleine Faust und tat einen boshaften Seitenblick, als sie an Pen vorüberging. Der mit dem Schnurrbart brach in ein lustiges Gelächter aus. Er hatte seinen Hut vor den Damen im Fiaker 2002 abgenommen. Man hätte Fanny Boltons Augen einmal die taubengraue junge Dame beobachten sehen sollen! Sogleich merkte Huxter die Richtung, die sie nahmen; sie hörten auf, der taubengrauen Nymphe nachzublicken, wandten sich ab und sahen mit dem harmlosesten Ausdruck heiterer Laune in Sam Huxters Augäpfel.

»Was für ein schönes Geschöpf!« sagte Fanny. »Was für ein niedliches Kleid! Bemerkten Sie, Herr Sam, diese ganz kleinen Händchen?«

»Es war Kapitän Strong,« sagte Frau Bolton, »aber ich möchte wissen, wer die junge Frauensperson war.«

»Eine Nachbarin von mir auf dem Lande, ein Fräulein Amory,« sagte Arthur, »Lady Claverings Tochter. Sie haben Sir Francis doch oft in Shepherds Inn gesehen, Frau Bolton.«

Während er sprach, baute sich Fanny einen vollständigen Roman in drei Bänden auf – Liebe – Treulosigkeit – glänzende Trauung in der St. Georgskirche, Hannover Square – ein Mädchen mit gebrochenem Herzen – und Sam Huxter war nicht der Held der Geschichte – der arme Sam, der inzwischen eine 146 über die Maßen schlechte Kubazigarre hervorgelangt hatte und sie unter Fannys kleiner Nase rauchte.

Nachdem dieser vermaledeite Bengel Pendennis die Gesellschaft getroffen und wieder verlassen hatte, schien die Sonne Sam Huxter weniger hell, der Himmel weniger blau, die Sticks hatten keine Anziehungskraft für ihn, das bittere Bier war heiß und untrinkbar, die Welt war verändert. Er hatte einen Vorrat von Erbsen und eine Schleuder in der Wagentasche, zum Amüsement auf dem Heimwege. Er nahm sie nicht heraus und vergaß ihre Existenz, bis ein anderer Spaßvogel bei ihrer Rückkehr vom Rennen eine Salve in Sams trauriges Gesicht abfeuerte, auf welchen Gruß er nach einigen seine Ueberraschung ausdrückenden Flüchen in ein wildes sardonisches Gelächter ausbrach. Aber Fanny war den ganzen Weg nach Hause bezaubernd. Sie schmeichelte, machte Faxen und lächelte fortwährend. Sie lachte niedlich, bewunderte alles, ließ das liebe Männchen in der Springdose herausschnellen und war Sam so dankbar. Und als sie nach Hause kamen und Herr Huxter, immer noch mit finsterem Antlitz, einen frostigen Abschied von ihr nahm, brach sie in Tränen aus und sagte, er wäre ein gottloser garstiger Mensch.

Hierauf zog der junge Chirurg mit einem Gefühlsausbruche, der fast so heftig wie der ihre war, das Mädchen in seine Arme – schwur, daß sie ein Engel wäre und er ein eifersüchtiges Vieh, gestand, daß er ihrer nicht wert wäre und daß er kein Recht hätte, Pendennis zu hassen, und bat sie, beschwor sie, noch einmal zu sagen, daß sie – 147

Daß sie was? – Das Ende der Frage und Fannys Antwort wurden von Lippen gesprochen, so nahe aneinander, daß kein Dabeistehender die Worte vernehmen konnte. Frau Bolton sagte nur: »Kommen Sie, kommen Sie, Herr Huxter – bitte, kein dummes Zeug, und ich meine wirklich, Sie haben sich abscheulich benommen und sind ungeheuer garstig zu Fanny gewesen.«

Als Arthur Nr. 2002 verließ, ging er fort, um dem Wagen seine Aufwartung zu machen, zu welchem die taubengraue Verfasserin von »Mes Larmes« inzwischen an die Seite ihrer Mama zurückgekehrt war. Der unermüdliche alte Major Pendennis begleitete Lady Clavering und hatte den Rücksitz in ihrem Wagen eingenommen; während der Bock im Besitz des hoffnungsvollen jungen Herrn Sohnes unter der Obhut des Kapitän Strong war.

Eine Anzahl von Modeherren und Leuten, die man in gewisser Hinsicht zur feinen Welt rechnen konnte, – von militärischen Stutzern, jungen Lebemännern aus dem Staatsdienste, von Menschen, die man eher Herren- als Frauendiener nennen kann – waren zu der Kutsche gekommen, während sie auf der Anhöhe stand, hatten ein paar Worte mit Lady Clavering ausgetauscht und ein bißchen geschwatzt (ein bißchen »gekohlt« nannten einige der elegantesten Männer ihre Unterhaltung) mit Fräulein Amory. Sie hatten ihr Wetten auf Rennpferde angeboten und mit ihr allerhand freie Reden und pfiffige Anspielungen ausgetauscht. Sie zeigten ihr, wer beim Rennen war, und 148 dieser »Wer« war nicht immer die Person, die eine junge Dame kennen sollte.

Als Pen zu Lady Claverings Wagen hinaufkam, hatte er sich durch einen Haufen dieser jungen Modeherrchen Bahn zu brechen, die Fräulein Amory den Hof machten, um in die Nähe dieser jungen Dame zu kommen, die ihn durch manches liebevolle Signal an ihre Seite gewinkt hatte.

»Ich habe sie gesehen,« sagte sie auf Französisch; »sie hat sehr schöne Augen, aber Sie sind ein Ungeheuer!«

»Warum denn ein Ungeheuer?« fragte Pen lachend; »Honi soit qui mal y pense. Meine junge Freundin da drüben ist so gut beschützt, als nur irgendeine junge Dame der Christenheit. Sie hat ihre Mama auf der einen, ihren Zukünftigen auf der anderen Seite. Könnte irgendeinem Mädchen zwischen diesen beiden ein Unglück passieren?«

»Man weiß nicht, was geschehen oder nicht geschehen kann,« sagte Fräulein Blanche auf Französisch, »wenn ein Mädchen Lust hat und von einem gottlosen Ungeheuer wie Sie verfolgt wird. Malen Sie es sich selbst aus, Major, daß ich Ihren Monsieur Neffen an einem Fiaker bei zwei Damen und einem Manne treffe – oh, und was für ein Mann! und der Hummer aß und lachte, und wie lachte!«

»Es wundert mich nicht, daß der Mann lachte,« sagte Pen. »Und was die Hummer betrifft, so kam es mir vor, als ob er nach den Hummern mich mit Vergnügen verspeist haben würde. Er schüttelte mir die Hand und packte mich dabei so an, daß er mir meine 149 Hand braun und blau gedrückt hat. Er ist ein junger Chirurg. Er kommt von Clavering. Erinnern Sie sich nicht des goldenen Mörsers mit der Keule in der High Street?«

»Wenn er Sie während einer Krankheit in die Kur bekommt, wird er Sie umbringen,« fuhr Fräulein Amory fort. »Und er wird recht daran tun, denn Sie sind ein Ungeheuer.«

Das fortwährende Zurückkommen auf das Wort »Ungeheuer« machte Pen stutzig. »Sie spricht über diese Dinge viel zu leichtfertig,« dachte er. »Wenn ich ein Ungeheuer gewesen wäre, wie sie es nennt, so würde sie mich ganz genau ebenso aufgenommen haben. Das ist nicht die Art, wie eine englische Dame sprechen oder denken sollte. Laura würde nicht so sprechen, Gott sei Dank;« und als er so dachte, verfinsterte sich sein Gesicht.

»Woran denken Sie? Wollen Sie mich jetzt ärgern?« fragte Blanche. »Major, schelten Sie Ihren ekligen Neffen einmal aus! Er amüsiert mich durchaus nicht. Er ist ebensolche bête wie Kapitän Crackenburg.«

.,Was sagen Sie da von mir, Fräulein Amory?« fragte der Gardeoffizier mit einem Grinsen. »Wenn es etwas Gutes ist, so sagen Sie es Englisch, denn ich verstehe kein Französisch, wenn es so teuflisch schnell gesprochen wird.«

»Es ist durchaus nichts Gutes, Crack,« sagte Crackenburgs Kamerad, Kapitän Clinker. »Komm, wir wollen gehen, verdirb dir den Spaß am Rennen nicht. Es heißt, Pendennis hat ein Auge auf sie.« 150

»Man sagt, er sei ein höllisch gescheiter Kerl,« seufzte Crackenburg. »Lady Violet Lebas sagt, er sei ein höllisch gescheiter Kerl. Er hat ein Buch oder ein Gedicht oder irgendsowas geschrieben, und die höllisch gescheiten Sachen in den – in den Zeitungen, weißt du. Hol mich der Teufel, ich wünschte, ich wär 'n gescheiter Kerl, Clinker.«

»Zu dem Wunsche ist's zu spät, Crack, mein Junge,« sagte der andere. »Ich kann kein gutes Buch schreiben, aber ich denke, ich kann ein ziemlich gutes über das Derbyrennen machen. Was für 'n Schafskopf dieser Clavering ist! Und die Begum! Ich habe diese alte Begum gerne. Sie ist zehnmal soviel wert, wie ihre Tochter. Wie sich das alte Weibsbild über ihren Gewinn in der Lotterie freute!«

»Clavering ist doch hoffentlich sicher, daß er bezahlt?« fragte Kapitän Crackenburg.

»Ich hoffe es,« antwortete sein Freund; und sie verschwanden, um sich bei den Sticks zu vergnügen.

Vor Beendigung des Vergnügens an diesem Tage kamen noch viele andere Herren von Lady Claverings Bekanntschaft an ihren Wagen heran und unterhielten sich mit der Gesellschaft, die er in sich schloß. Die treffliche Dame war in der heitersten Stimmung und der besten Laune, lachte und schwatzte nach ihrer Gewohnheit und bot all ihren Freunden Erfrischungen an, bis ihre geräumigen Körbe und Flaschen geleert und ihre Bedienten und Kutscher in einem solchen Zustande der Aufregung waren, wie Bediente und Kutscher am Derbytage es gewöhnlich sind.

Der Major bemerkte, daß mehrere von denen, die 151 die Kutsche besuchten, mit ziemlich sonderbaren und bedeutsamen Blicken ihre Besitzerin anzusehen schienen. »Wie leicht sie es nimmt!« flüsterte einer dem anderen zu. »Die Begum ist aus Geld gemacht,« entgegnete der Freund. »Wie leicht sie was nimmt?« dachte der alte Pendennis. »Hat denn irgend jemand Geld verloren?« Lady Clavering sagte doch, sie wäre diesen Morgen glücklich, weil Sir Francis ihr versprochen, nicht zu wetten.

Herr Welbore, der Gutsnachbar der Claverings auf dem Lande, ging an dem Wagen vorbei, als er von der Begum zurückgerufen wurde, die ihm Vorwürfe machte, daß er ihr hätte aus dem Wege gehen wollen. »Warum er denn nicht eher gekommen wäre. Warum er denn nicht zum Frühstück erschienen wäre?« Ihre Ladyschaft war ganz entzückt, wie sie jedermann erzählte, daß sie fünf Pfund in einer Lotterie gewonnen hätte. Als sie ihm diese Neuigkeit mitteilte, sah Herr Welbore so eigentümlich pfiffig und dabei doch melancholisch aus, daß sich eine trübe Befürchtung des Major Pendennis bemächtigte. »Er wolle doch einmal gehen und nach den Pferden und diesen Schurken von Kutschern sehen, die so lange auf sich warten ließen.«

Als er wieder zum Wagen zurückkam, waren seine gewöhnlich wohlwollenden und schmunzelnden Züge von einiger Besorgnis verdunkelt. »Was fehlt Ihnen denn auf einmal?« fragte die gutmütige Begum. Der Major gab Kopfschmerzen vor von der Anstrengung und Sonnenhitze des Tages. Der Wagen fuhr von dem Rennen weg und nahm seinen Weg nach London 152 zu, nicht als die am wenigsten glänzende Equipage in dieser ungeheueren und malerischen Prozession. Die betrunkenen Kutscher jagten tapfer über den Rasen hin, zur Bewunderung der Fußgänger und unter dem ironischen Hochrufen der kleinen Eselskarossen und Federwägelchen und den lauten Schimpfreden der Chaisenführer, mit denen die unachtsamen Wagenlenker zusammenstießen. Die lustige Begum sah wie die leibhaftige Gutmütigkeit aus, als sie sich in ihre prächtigen Kissen zurücklehnte; die liebliche Sylphide lächelte mit gelangweilter Eleganz. Manch ehrlicher Philister, der sich mit seiner Familie einen Feiertag gemacht hatte und mit ihr in einen Kremser gepfropft saß, manch ärmlicher Stutzer, der auf seinem müden Mietsgaul nach Hause klapperte, bewunderte diese prächtige Equipage und dachte ohne Zweifel, wie glücklich diese vornehmen Leute sein müßten. Strong saß noch immer auf dem Bocke und schrie mit mächtiger Stimme den Kutschern und der Menge zu. Master Frank war in das Innere der Kutsche gesetzt worden und dort an der Seite des Majors eingeschlummert, indem er die Wirkungen des fortwährenden Frühstückens und Champagnertrinkens verschlief, woran er fleißig teilgenommen hatte.

Der Major überlegte sich inzwischen die Nachrichten, deren Empfang ihn so ernst gestimmt hatte. »Wenn Sir Francis Clavering in dieser Weise fortfährt,« dachte Pendennis der Aeltere, »so wird dieser kleine besoffene Schlingel hier bald so bankerott sein, wie sein Vater und Großvater vor ihm. Das Vermögen der Begum kann solche Griffe in dasselbe nicht aushalten; 153 kein Vermögen könnte sie aushalten; sie hat seine Schulden schon ein halbes Dutzendmal bezahlt. Noch ein paar Jahre mehr auf der Rennbahn und ein paar Stöße mehr wie dieser werden sie ruinieren.«

»Meinst du nicht, daß wir in Clavering Wettrennen veranstalten könnten, Mama?« fragte Fräulein Amory. »Ja, wir müssen wieder welche dort haben. In der alten Zeit gab es Wettrennen dort, in der guten alten Zeit! Es ist ein Nationalvergnügen, weißt du, und wir könnten einen Ball in Clavering haben, und Tänze für die Pächterschaft und ländliche Spiele im Parke – oh, es würde bezaubernd sein.«

»Hauptspaß,« sagte Mama. »Nicht wahr, Major?«

»Das Wettrennen ist ein sehr teures Amüsement, meine liebe Dame,« antwortete Major Pendennis mit so verstörtem Gesicht, daß die Begum über ihn spottete und ihn lachend fragte, ob er etwa Geld beim Wettrennen verloren hätte.

Nach einem Schlummer von etwa einundeinerhalben Stunde begann der Erbe des Hauses Symptome des Erwachens zu zeigen, indem er seine jungen Arme dem Major ins Gesicht streckte und die Knie seiner Schwester stieß, die ihm gegenüber saß. Als der liebenswürdige Jüngling wieder ganz zum Bewußtsein gekommen war, begann er eine flotte Unterhaltung.

»Höre, Mamachen,« sagte er, »ich hab's diesmal mitgemacht, wahrhaftig.«

»Was hast du mitgemacht, Frankchen, mein Junge?« fragte Mama. 154

»Wieviel ist siebzehn halbe Kronen? – Zwei Pfund und eine halbe Krone, nicht wahr? Ich zog Borax in der Lotterie, aber ich kaufte Podasokus und Man-milliner von Leggat minor für zwei Törtchen und eine Flasche Ingwerbier.«

»Du kleine ruchlose gaunerische Krabbe, wie kannst du es dir unterstehen, so zeitig anzufangen?« sagte Fräulein Amory.

»Halt dein Maul, wenn's beliebt! Wer hat dich denn je um Erlaubnis gefragt, Mamsell?« sagte der Bruder. »Und, hör mal, Mamachen –«

»Was denn, mein lieber Frank?«

»Du wirst mich allemal dabei treffen, weißt du, daß ich wieder hingehe –« und hierbei brach er in ein Gelächter aus. »Höre, Mamachen, soll ich dir etwas erzählen?«

Die Begum drückte den Wunsch aus, dieses Etwas zu hören, und ihr Sohn und Erbe fuhr fort:

»Als ich und Strong nach dem Rennen unten am großen Stand waren und ich mit Leggat minor redete, der mit seinem Erzieher dort war, sah ich den Papa ein so wildes Gesicht machen wie ein Bär. Und, hör mal, Mamachen, Leggat minor erzählte mir, daß er seinen Erzieher sagen hörte, Papa hätte siebentausend Pfund beim Wetten auf den Favoriten verloren. Ich werde nie auf den Favoriten wetten, wenn ich mündig bin. Nein, nein – hol mich der Henker, wenn ich es tue, weiß Gott, Strong, ist's nicht wahr?«

»Kapitän Strong! Kapitän Strong! Ist das wahr?« schrie die unglückliche Begum. »Hat Sir 155 Francis wieder gewettet? Er versprach es mir, es nicht zu tun. Er gab mir sein Ehrenwort, daß er's nicht tun wollte.«

Strong hatte von seinem Platze auf dem Bocke das Ende der Rede des jungen Clavering überhört und versuchte umsonst, sein unglückseliges Plappermaul zu stopfen.

»Ich fürchte, es ist wahr, Madame,« sagte er, sich umwendend. »Ich beklage den Verlust so sehr, wie Sie es nur können. Er versprach es mir ebenso, wie er es Ihnen versprach; aber das Spiel zieht ihn zu stark an! Er kann ihm nicht widerstehen.«

Lady Clavering brach bei dieser traurigen Nachricht in einen Tränenstrom aus. Sie beklagte ihr elendes Los und nannte sich die unglücklichste der Weiber. Sie erklärte, sich von ihrem Manne trennen und keine Schulden mehr für diesen Undankbaren bezahlen zu wollen. Sie erzählte mit tränenreicher Zungenfertigkeit eine Menge nur zu begründeter Geschichten, die zeigten, wie ihr Gatte sie betrog und wie sie sich beständig ihm hilfreich erwiesen; und in dieser melancholischen Stimmung, während der hoffnungsvolle Herr Sohn an die beiden Guineen dachte, die er selbst gewonnen hatte, und der Major in seinem verdüsterten Gemüte es sich überlegte, ob es nicht doch etwa besser wäre, gewisse Pläne, die er sich gemacht, fallen zu lassen, fuhr der Wagen endlich vor dem Hause der Begum in Grosvenor Place vor, wobei die Müssiggänger und Straßenjungen, die auf dem Platze herumlungerten, um nach allbekannter Gewohnheit das Ende des Derbytages zu sehen, die Kutsche, als sie heranfuhr, mit Hurras 156 begrüßten und die glücklichen Leute, die aus derselben herausstiegen, mit neidischen Augen betrachteten.

»Und wegen des Sohnes eines solchen Menschen wurde ich zur Bettlerin gemacht?« sagte Blanche, vor Wut mit den Lippen zuckend, als sie, auf den Arm des Majors gelehnt, die Treppe hinaufstieg, »wegen dieses Betrügers, wegen dieses Spielgauners, wegen dieses Lügners, dieses Schurken, der Frauen ausraubt!«

»Beruhigen Sie sich, mein liebes Fräulein Blanche,« sagte der alte Herr, »ich bitte Sie, beruhigen Sie sich. Sie sind hart behandelt worden, höchst ungerecht. Aber erinnern Sie sich, daß Sie stets an mir einen Freund haben und vertrauen Sie einem alten Manne, der den Versuch machen wird, Ihnen zu dienen.«

Und nachdem die junge Dame und der Erbe des hoffnungsvollen Hauses Clavering sich in ihre Betten zurückgezogen hatten, blieben die übrigen drei von der Epsomer Gesellschaft noch einige Zeitlang in tiefer Beratung.



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