William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Neunzehntes Kapitel

Fiat justitia

Das Essen war aufgetragen, als Arthur zurückkehrte, und Lady Rockminster begann ihn auszuschelten, daß er so spät gekommen.

Aber Laura, die einen Blick auf ihren Vetter warf, sah, daß sein Gesicht so bleich und verzerrt war, daß sie ihre gebieterische Gönnerin unterbrach und mit zärtlicher Besorgnis fragte, was sich begeben habe. Ob Arthur krank wäre?

Arthur trank ein großes Weinglas voll Xeres aus. »Ich habe die außerordentlichsten Nachrichten gehört und werde sie Ihnen später mitteilen,« sagte er mit einem Blicke auf die Dienerschaft. Er war während des Essens sehr nervös und aufgeregt. »Trampeln und stampfen Sie nicht so mit Ihren Füßen unter dem Tische,« sagte Lady Rockminster. »Sie haben auf Fido 382 getreten und sein Näpfchen umgeworfen. Sie sehen ja, daß Herr Warrington seine Füße still hält.«

Beim Dessert – es schien, als ob das unglückselige Essen nie ein Ende nehmen wollte – sagte Lady Rockminster: »Dieses Diner ist über alle Maßen stumpfsinnig gewesen. Ich glaube, es ist etwas vorgefallen, und Sie wünschen mit Laura zu sprechen. Ich will darum gehen und mein Schläfchen machen. Ich bin aber nicht sicher, daß ich einen Tropfen Tee bekommen werde – nein. Gute Nacht, Herr Warrington. Sie müssen einmal wiederkommen, und zwar, wenn es keine Geschäfte zu besprechen gibt.« Und die alte Dame richtete ihren Kopf in die Höhe und wandelte mit großer Gravität aus dem Zimmer.

Georg und die übrigen hatten sich mit ihr erhoben, und Warrington stand im Begriffe, auch wegzugehen, und wünschte eben Laura gute Nacht, die natürlich sehr ängstlich auf ihren Vetter sah, als Arthur sagte: »Bitte, bleib da, Georg. Du sollst meine Nachrichten auch hören und mir deinen Rat bei diesem Falle geben. Ich weiß kaum, wie ich dabei verfahren soll.«

»Es handelt sich um Blanche, Arthur,« sagte Laura, deren Herz klopfte und deren Wange errötete, wie sie in ihrem Leben nie errötet zu sein glaubte.

»Ja – und zwar die außerordentlichste Geschichte,« sagte Pen. »Als ich euch verließ, um in die Wohnung meines Onkels zu gehen, fand ich seinen Diener Morgan, der so lange bei ihm gewesen ist, an der Tür, und er sagte, er und sein Herr hätten sich diesen Morgen getrennt, mein Onkel hätte das Haus verlassen und wäre in ein Hotel – dieses Hotel 383 gegangen. Ich fragte nach ihm, als ich hereinkam, aber er war zu Tisch fortgegangen. Morgan sagte dann, er hätte mir etwas von der höchsten Wichtigkeit mitzuteilen, und bat mich in das Haus, jetzt sein Haus, zu treten. Es scheint, der Schuft hat sich, während er bei meinem Onkel in Diensten stand, eine große Menge Geld gespart und ist jetzt, soviel ich weiß, ein Kapitalist und Millionär. Gut, ich ging mit in das Haus, und was meint ihr wohl, was er mir erzählte? Das muß ein Geheimnis bleiben zwischen uns allen – wenigstens, wenn wir es jetzt, wo es im Besitze dieses Halunken ist, vor dem Bekanntwerden bewahren können. Blanches Vater ist nicht tot. Er ist wieder zum Leben erwacht. Die Heirat zwischen Clavering und der Begum ist keine Heirat.«

»Und Blanche vermutlich die Erbin ihres Großvaters?«

»Vielleicht, aber das Kind von was für einem Vater! Amory ist ein entlaufener Verbrecher – Clavering weiß es, mein Onkel weiß es; und mit dieser Geschichte, mit der er Clavering in Schrecken hielt, vermochte der unselige alte Mann ihn dazu, mir seinen Burgflecken abzutreten.«

»Blanche weiß doch nichts davon,« sagte Laura, »ebenso die arme Lady Clavering?«

»Nein,« sagte Pen. »Blanche kennt nicht einmal die Geschichte ihres Vaters. Sie wußte, daß er und ihre Mutter sich getrennt hätten, und hatte als Kind von der Bonner, ihrer Wärterin, gehört, daß Herr Amory in Neu Süd-Wales ertrunken wäre. Er war dorthin als Verbrecher transportiert worden und nicht 384 als Schiffskapitän dorthin gegangen, wie das arme Mädchen dachte. Lady Clavering hat mir erzählt, sie hätten nicht glücklich zusammengelebt und ihr Gatte hätte einen schlechten Charakter besessen. Sie wollte mir, sagte sie, eines Tages alles erzählen, und ich entsinne mich, wie sie mir einst mit Tränen in den Augen sagte, es wäre hart für eine Frau, wenn sie sich zu dem Geständnisse gezwungen sähe, sie freute sich, zu hören, daß ihr Mann tot wäre, und daß sie zweimal in ihrem Leben so schlecht gewählt hätte. Was ist aber jetzt zu tun? Der Mann darf sich nicht sehen lassen und Anspruch auf seine Frau machen; der Tod würde wahrscheinlich sein Los sein, wenn er sich auffinden ließe, Rücktransportation sicherlich. Aber der Schurke hat die Drohung, die Sache zu entdecken, schon eine geraume Zeit lang über Clavering gehalten und ihm von Zeit zu Zeit Summen über Summen Geldes abgepreßt.«

»Es ist unser Freund Kolonel Altamont, natürlich,« sagte Warrington, »ich sehe jetzt alles.«

»Wenn der Schurke zurückkommt,« fuhr Arthur fort, »so wird Morgan, der sein Geheimnis kennt, es gegen ihn benutzen; und da er in Besitz desselben ist, will er uns allen Geld abpressen. Der verd– Schuft meinte, ich wüßte von der Sache,« sagte Pen, kreideweiß vor Wut, »fragte mich, ob ich ihm ein Jahrgeld geben wollte, damit er es verschwiege, drohte mir, mir, als ob ich Schacher triebe mit dem Unglück dieser unglückseligen alten Begum und jenem erbärmlichen Clavering einen Parlamentssitz abpressen wollte. Gütiger Himmel! War mein Onkel verrückt, als er solch eine Verschwörung anstiftete? Denke dir, Laura, 385 unserer Mutter Sohn mit solcher Verräterei Geschäftchen machend!«

»Ich kann mir das nicht denken, lieber Arthur,« sagte Laura, Arthurs Hand ergreifend und küssend.

»Nein!« brach Warringtons tiefe Stimme zitternd aus; er schaute die beiden edeln und liebenden jungen Leute vor sich mit einem Seelenschmerz voll unbeschreiblicher Liebe und Wehmut an. »Nein. Unser Junge kann sich mit solch einer elenden Intrige nicht befassen. Arthur Pendennis kann nicht die Tochter eines Verbrechers heiraten und im Parlament als Mitglied für die Zuchthäuser sitzen. Du mußt deine Hände von der ganzen Geschichte reinwaschen, Pen. Du mußt das Verhältnis abbrechen. Du mußt keine Erklärungen, warum und weshalb, geben, sondern sagen, Familienrücksichten machten die Partie unmöglich. Es ist besser, daß diese armen Frauen dich für falsch und wortbrüchig halten, als daß sie die Wahrheit erfahren. Außerdem kannst du von jener feigen Kanaille, dem Clavering, ein Anerkenntnis verlangen – ich kann dir es ganz leicht verschaffen – daß die Gründe, die du ihm als dem Haupte der Familie angegeben, vollkommen hinreichend sind, die Verbindung abzubrechen. Denken Sie nicht ebenso wie ich, Laura?« Er wagte ihr, als er sprach, kaum ins Gesicht zu sehen. Er wußte, daß er jede leiseste Hoffnung, die er etwa haben mochte, jeden schwachen Halt an dem letzten Balken des gescheiterten Schiffes seines Glückes von sich stieß, und er ließ die Woge seines Elendes über sich zusammenschlagen. Pen war aufgesprungen, als er sprach, und sah ihn mit begierig fragenden Blicken an. Er aber 386 wandte sein Haupt ab. Er sah, wie auch Laura sich erhob, zu Pen ging, seine Hand wieder ergriff und küßte. »Sie denkt ebenfalls so – Gott segne es ihr!« sagte Georg.

»Die Schande ihres Vaters ist nicht Blanches Schuld, lieber Arthur, oder denkst du anders?« sagte Laura, die sehr bleich war und sehr schnell sprach. »Gesetzt den Fall, ihr wäret verheiratet gewesen, würdest du sie verlassen, weil sie nichts Unrechtes getan hat? Hast du dich nicht mit ihr verlobt? Möchtest du sie von dir stoßen, weil sie im Unglücke ist? Und wenn sie unglücklich ist, wolltest du sie nicht trösten? Unsere Mutter würde es getan haben, wenn sie hier gewesen wäre.« Und während sie so sprach, legte das gute Mädchen ihre Arme um ihn und begrub ihr Gesicht an seiner Brust.

»Unsere Mutter ist ein Engel bei Gott,« schluchzte Pen laut. »Und du bist die teuerste und beste unter den Frauen – die teuerste, die liebste und die beste. Lehre mich meine Pflicht. Bitte für mich, daß ich sie tun möge – du reines Herz. Gott segne dich – Gott segne dich, meine Schwester.«

»Amen,« stöhnte Warrington, seinen Kopf in den Händen. »Sie hat recht,« murmelte er vor sich hin. »Sie kann, deucht mich, kein Unrecht tun – dieses Mädchen.« Und in der Tat, sie schaute und lächelte wie ein Engel um sich. Nach vielen, vielen Tagen noch sah er dieses Lächeln, sah ihr strahlendes Antlitz, als sie zu Pen aufblickte, sah, wie sie sich errötend und lächelnd und immer noch liebevoll auf ihn schauend die Locken zurückstrich. 387

Sie stützte einen Augenblick lang ihre kleine schöne Hand auf den Tisch und spielte darauf. »Und nun, und nun?« sagte sie mit einem Blicke auf die beiden Herren.

»Und was nun?« fragte Georg.

»Und nun wollen wir eine Tasse Tee trinken,« sagte Fräulein Laura mit ihrem Lächeln.

Aber ehe dieser unromantische Schluß zu einem ziemlich empfindsamen Auftritt stattfinden konnte, brachte ein Diener die Nachricht, der Major Pendennis wäre in sein Hotel zurückgekehrt und erwarte seinen Neffen. Auf diese Ankündigung hin nahm Laura, nicht ohne einige Besorgnis und mit einem bittenden Blick auf Pen, welcher sagte: »Benimm dich gut, bleibe bei dem, was recht ist, und tue deine Pflicht, sei rücksichtsvoll, aber fest mit deinem Oheim« – nahm also Laura, der diese Warnungen auf ihrem Gesicht geschrieben standen, Abschied von den beiden Herren und zog sich in ihr Schlafgemach zurück. Warrington, der im allgemeinen kein Freund von Tee war, bedauerte dennoch den Verlust der erwarteten Tasse sehr. Warum konnte denn der alte Pendennis nicht eine Stunde später heimkommen? Doch, eine Stunde eher oder später, was hat es zu bedeuten? Die Uhr schlägt doch einmal die letzte Stunde. Der unausbleibliche Moment kommt doch, wo man Lebewohl sagen muß. Ein Händedruck, die Tür schließt sich, der Freund ist fort, und die kurze Freude ist vorüber, man ist allein. »In welchen von den vielen Fenstern des Hotels mag ihr Licht strahlen?« fragte er sich vielleicht, wenn er die Straße hinunterschreitet. Er geht mit großen Schritten nach dem Rauchzimmer 388 eines benachbarten Klubs und sucht dort seinen gewöhnlichen Trost in einer Zigarre. Die Leute plappern und schwatzen laut von Politik, Ballettänzerinnen, Pferderennen, die entsetzliche Tyrannei des Komitees, und sein heiliges Geheimnis bei sich tragend, mischt er sich in das Geplauder. Schwatzt nur immerzu, und einer immer noch lauter wie der andere. Plappert und reißt eure Witze. Lacht und erzählt euch tolle Geschichtchen. Es ist seltsam, inmitten des Rauchs und Lärms Platz zu nehmen und mitmachen und dabei denken zu müssen, jedermann hier hat höchstwahrscheinlich sein Geheimnis, das sein Ich allein angeht, und das einsam und abgeschieden im innersten Kämmerchen sitzt, fern von dem lauten Wechselspiel der Unterhaltung, an dem das übrige von unserem Ich sich beteiligt!

Arthur fühlte, als er die Gänge des Hotels durchschritt, wie sein Verdruß ihm mehr und mehr zu Kopfe stieg. Er war entrüstet bei dem Gedanken, daß jener alte Herr, dem er im nächsten Augenblick entgegentreten sollte, ihn zu solch einem Werkzeug und Spielball gemacht, und so seine Ehre und seinen guten Namen kompromittiert hatte. Die Hand des alten Gesellen war sehr kalt und zittrig, als Arthur sie ergriff. Er hustete und brummte vor dem Feuer; Frosch konnte ihm seinen Schlafrock nicht so bringen und seine Zeitungen nicht so ordnen, wie jener verd– unverschämte Halunke von einem Morgan. Der alte Herr beseufzte sich selbst und verfluchte Morgans Undankbarkeit mit mürrischem Pathos.

»Der verdammte unverschämte Halunke! Er war gestern Abend besoffen und forderte mich heraus, mit 389 ihm zu fechten, Pen, und, weiß Gott, einen Moment war ich so außer mir, daß ich ihm ein Messer in den Bauch hätte stechen können, und der höllische Schurke hat sich, glaube ich, seine zehntausend Pfund zusammengescharrt und verdient gehangen zu werden, und wird es auch einmal; aber, hol ihn der Teufel! ich wollte, er hätte warten können, bis es mit mir aus ist. Er kannte alle meine Bedürfnisse, und, verdammt, wenn ich die Klingel zog, brachte der verdammte Spitzbube gerade das, was ich brauchte, nicht wie dieser dumme deutsche Schöps. Und wie hast du deine Zeit auf dem Lande draußen verbracht? Viel mit Lady Rockminster zusammengewesen? Du kannst nichts besseres tun. Sie ist eine von der alten Schule, vieille école, bonne école, wie? Verdammt, es werden jetzt keine echten Herren und Damen mehr erzogen, und in fünfzig Jahren wirst du kaum noch einen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen herausfinden. Aber es wird noch so lange gehen, wie ich noch da bin. Ich werde nicht mehr lange machen, ich werde allmählich sehr alt, Pen, mein Junge, und, bei Gott, ich dachte, als ich meine kleine Bibliothek zusammenpackte, es ist eine Bibel unter den Büchern, die meiner seligen Mutter gehörte; ich wollte, du behieltest die, Pen. Ich dachte da, wollte ich sagen, du würdest sehr wahrscheinlich den Koffer aufmachen, wenn er dein Eigentum geworden und der alte Bursche unter den Rasen gelegt wäre.« Und der Major hustete und wackelte mit seinem alten Kopfe über dem Feuer.

Sein Alter und seine Freundlichkeit entwaffneten Pens Zorn einigermaßen und bewirkten, daß Arthur 390 in nicht geringer Verlegenheit darüber war, was er tun wollte. Er wußte, daß die Ankündigung, die er zu machen im Begriff war, die Lieblingshoffnung des ganzen Lebens des alten Herrn vernichten und in seiner Brust schmerzlichen Aerger und Verdruß hervorrufen würde.

»Hm – hm – ich muß fort, Neffe,« sagte mit einem Kopfnicken der alte Mann, »aber ich möchte gar gern erst noch eine Rede von dir in der ›Times‹ lesen, ehe ich mich fortmache –: ›Herr Pendennis sagte: Ungewohnt wie ich bin, öffentlich zu sprechen‹ – he, nicht wahr, Arthur? Weiß Gott, du siehst höllisch wohl und gesund aus, Neffe. Ich sagte immer, mein Bruder Jack würde die Familie wieder zu Ehren und Ansehen bringen. Du mußt hinunter in den Westen gehen, Neffe, und das alte Gut wieder kaufen. Nec tenui penna, he? Wir werden wieder auffliegen – auffliegen mit dem Gefieder – und, weiß Gott, ich sollte mich nicht wundern, wenn du ein Baronet wirst, ehe du stirbst.«

Seine Worte machten Pen betroffen. »Und ich stehe im Begriff,« dachte er, »das Luftschloß des armen alten Mannes umzuwerfen. Aber, wohlan, es muß geschehen. Vorwärts also. – Ich – ich ging in Ihre Wohnung in Bury Street, obschon ich Sie dort nicht traf,« begann Pen langsam, »und ich sprach mit Morgan, Onkel.«

»So!« Die Wange des alten Herrn färbte sich unwillkürlich rot, und er murmelte: »Weiß Gott, jetzt ist die Bombe geplatzt!« 391

»Er erzählte mir eine Geschichte, die mich auf das schmerzlichste überraschte,« sagte Pen.

Der Major versuchte unbetroffen auszusehen. »Was – die Geschichte von – von, wie heißt er doch gleich, he?«

»Von Fräulein Amorys Vater – von Lady Claverings erstem Gatten, und wer und was er ist.«

»Hm – eine verteufelt kitzliche Affäre!« sagte der alte Mann, indem er sich die Nase rieb. »Ich – ich habe davon gewußt – hm – verwünschter Umstand auf etliche Zeit.«

»Ich wollte, ich hätte es eher oder überhaupt nicht erfahren,« sagte Arthur düster.

»Der ist ganz sicher,« dachte der alte Herr sehr erleichtert. »Guter Gott! Ich hätte es dich lieber nun und nimmermehr erfahren lassen – und ebensowenig jene beiden armen Weiber, die bei dem Handel so unschuldig sind, wie das Kind im Mutterleibe.«

»Sie haben recht. Es liegt kein Grund vor, weshalb die beiden Frauen es hören sollten, und ich meinerseits werde es ihnen nie erzählen; vielleicht wird es jener Schurke Morgan tun,« fügte Arthur düster hinzu. »Er scheint Lust zu haben, aus seinem Geheimnisse ein Geschäft zu machen, und hat mir bereits die Bedingungen vorgeschlagen, unter denen ich mich loskaufen soll. Ich wollte, ich hätte von der Sache eher gewußt, lieber Onkel. Es ist für mich eben kein sehr angenehmer Gedanke, mit der Tochter eines transportierten Verbrechers verlobt zu sein.«

»Gerade der Grund, weswegen ich es vor dir verbarg, mein lieber Junge. Aber siehst du denn nicht, 392 daß Fräulein Amory nicht die Tochter eines Verbrechers ist? Fräulein Amory ist die Tochter der Lady Clavering mit fünfzig- bis sechzigtausend Pfund Vermögen, und ihr Stiefvater ein Baronet und Landedelmann vom vornehmsten Range, billigt die Verbindung und gibt seinen Sitz im Parlamente zugunsten seines Schwiegersohnes auf. Was kann einfacher sein?«

»Ist das wahr, Onkel?«

»Bei Gott, ja, freilich ist es wahr, natürlich ist es wahr. Amory ist tot. Ich sage dir, er ist tot. Beim ersten Lebenszeichen, das er gibt, ist er tot. Er kann sich nicht sehen lassen. Wir haben ihn in der Klemme, wie der Kerl im Schauspiele drin stak – der ›Kritiker‹, he, nicht wahr? – Höllisch amüsantes Stück, dieser Kritiker. Unbändig witziger Mann, dieser Cheridan, und ebenso sein Sohn. Weiß Gott, Neffe, als ich auf dem Kap war, erinnere ich mich – –«

Die Geschwätzigkeit des alten Herrn und sein Wunsch, Arthur auf das Kap zu führen, hatten vielleicht ihren Grund in dem Wunsche, den Gegenstand zu vermeiden, der seinem Neffen am meisten am Herzen lag, aber Arthur platzte los und unterbrach ihn mit den Worten: »Wenn Sie mir diese Geschichte eher erzählt hätten, so würden Sie, glaube ich, mir und Ihnen selbst einen großen Schmerz und eine große Enttäuschung erspart haben, und ich hätte mich nicht an eine Verlobung gefesselt gefunden, von der ich mich in ehrenhafter Weise nicht zurückziehen kann.«

»Nein, weiß Gott, wir haben dich festgemacht, und ein Mann, der an einen Sitz im Parlamente und an ein hübsches Mädchen mit ein paar tausend Pfund 393 jährlichen Einkommens gefesselt ist, ist, muß ich dir sagen, eben an kein übles Ding gefesselt,« sagte der alte Mann.

»Großer Gott, lieber Onkel!« rief Arthur, »sind Sie denn blind? Können Sie denn nicht sehen?«

»Was denn sehen, junger Herr?« fragte der andere.

»Sehen, daß ich, ehe ich mit diesem Geheimnis Amorys Handel triebe,« rief Arthur aus, »lieber hingehen und mich zu meinem Schwiegervater ins Verbrecherschiff setzen wollte! Sehen, daß ich, ehe ich mich von Clavering für mein Stillschweigen mit einem Sitze im Parlamente bestechen ließe, lieber silberne Löffel vom Tische stehlen wollte! Sehen, daß Sie mir die Tochter eines Verbrechers zum Weibe geben, mich zu Armut und Schande verdammt, an meine Laufbahn einen Fluch geheftet haben, wo sie so – wo sie ohne Sie so ganz anders hätte sein können! Sehen Sie denn nicht, daß wir ein verbrecherisches Spiel getrieben haben und überholt worden sind, daß ich, indem ich mich erbot, dieses arme Mädchen wegen ihres Geldes und der Förderung meiner Verhältnisse, die sie mir bringen sollte, zu heiraten, mich selbst erniedrigte und meine Ehre zur Metze machte?«

»Was in des Himmels Namen meinst du nur damit?« schrie der alte Mann.

»Ich will damit sagen, daß es ein gewisses Maß der Niedertracht gibt, über welches ich nicht hinauskann,« antwortete Arthur. »Ich habe keine anderen Worte dafür, und ich bedauere, wenn dieselben Sie verletzen. Ich habe Monate lang schon empfunden, daß 394 mein Benehmen bei dieser Sache gottlos, schmutzig und leichtsinnig gewesen ist. Ich bin mit Recht durch das Ereignis bestraft worden und dadurch, daß ich, nachdem ich mich um Geld und einen Sitz im Parlamente verkauft hatte, beides verloren habe.«

»Was soll das heißen, daß du beides verloren hast?« fragte der alte Herr. »Wer zum Teufel wollte dir dein Vermögen und deinen Sitz im Parlamente wegnehmen? Bei Gott, Clavering soll dir beides geben. Du sollst jeden Schilling von achtzigtausend Pfund haben.«

»Ich werde mein Fräulein Amory gegebenes Versprechen halten, Onkel,« sagte Arthur.

»Und, bei Gott, ihre Eltern sollen das dir gegebene auch halten.«

»So es Gott gefällt, nein,« antwortete Arthur. »Ich habe gesündigt, aber ich werde, und der Himmel helfe mir dabei, nicht mehr sündigen. Ich werde Clavering von jenem Vertrage, der ohne mein Wissen geschlossen wurde, entbinden. Ich will mit Blanche kein Geld nehmen, als das, welches ihr ursprünglich zugedacht war, und ich will versuchen, sie glücklich zu machen. Sie haben dies getan. Sie haben dies über mich gebracht, Onkel. Aber Sie verstanden es nicht besser, und ich verzeihe – –«

»Arthur – um Gottes willen – im Namen deines Vaters, der, beim Himmel, der stolzeste Mann auf Erden war, und dem stets die Ehre der Familie am Herzen lag – in meinem Namen – um eines armen niedergebeugten alten Mannes willen, der dir stets höllisch gut gewesen ist – wirf dieses dein Glück nicht 395 von dir, ich bitte, ich flehe dich inständigst an, mein lieber, lieber Junge, wirf dein Glück nicht von dir! Du wirst dadurch ein gemachter Mann. Du kommst sicher dadurch empor. Du wirst Baronet werden, es sind dreitausend Pfund jährlich, verdammt, da siehst du mich auf meinen Knien vor dir, bitte, tue das nicht!«

Und der Greis sank wirklich auf seine Knie vor ihm nieder, ergriff eine von Arthurs Händen und blickte mit erbarmungswürdiger Miene zu ihm auf. Es war herzzerreißend, die zitternden Hände, das runzlige und zuckende Angesicht, die alten Augen weinend und zwinkernd zu sehen und die gebrochene Stimme zu hören. »Ach, Onkel,« sagte Arthur aufstöhnend. »Sie haben Schmerz genug über mich gebracht, ersparen Sie mir diesen. Sie haben gewünscht, daß ich Blanche heirate. Ich heirate sie. Aber um Gottes willen stehen Sie auf, Onkel! Ich kann das nicht ertragen!«

»Du – Du willst damit sagen, daß du sie als eine Bettlerin nehmen und selbst ein Bettler werden willst?« sagte der alte Herr, indem er sich erhob und heftig hustete.

»Ich sehe sie als eine Person an, die ein großes Unglück betroffen hat und mit der ich versprochen bin. Sie kann nichts zu dem Unglücke tun, und da sie mein Wort hatte, als sie glücklich war, so werde ich es nicht zurücknehmen, nun sie arm ist. Ich werde Claverings Sitz im Parlamente nicht annehmen, es sei denn, er gäbe ihn mir später aus freiem Willen. Ich will nicht einen Schilling mehr haben als ihr ursprüngliches Vermögen.«

»Sei doch so gut und ziehe die Klingel,« sagte der 396 alte Herr. »Ich habe mein bestes getan und gesagt, was ich zu sagen hatte, und ich bin ein höllisch alter Mann. Und – und – es schadet nichts. Und – und Shakspeare hatte recht – und Kardinal Wolsey – bei Gott – und hätte ich nur meinem Gotte so gedient, wie ich dir gedient habe – ja wahrhaftig, bei Gott, auf meinen Knien vor meinem eigenen Neffen – ich würde doch vielleicht nicht so – Gute Nacht, du brauchst dich mit weiteren Besuchen nicht zu bemühen.«

Arthur nahm seine Hand, die der alte Mann ihm überließ, sie war ganz teilnahmslos und kalt. Er sah stark gealtert aus, und es schien, als ob der Widerstand und die Niederlage ihn völlig gebrochen hätten.

Am nächsten Tage hütete er das Bett und weigerte sich, seinen Neffen zu empfangen.



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