William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Neuntes Kapitel

Unterhaltungen

Unsere gutmütige Begum war zuerst so ärgerlich über dieses neueste Beispiel der Doppelzüngigkeit und Torheit ihres Gatten, daß sie sich weigerte, Sir Francis Clavering zur Bezahlung seiner Ehrenschulden irgendwie behilflich zu sein, und erklärte, sie würde sich von ihm trennen und ihn den Folgen seiner unverbesserlichen Schwäche und Verkommenheit überlassen. Nach den Geschehnissen jenes 171 verhängnisvollen Derbytages war der unglückselige Spieler in solch einer Gemütsverfassung, daß er geneigt war, jedermann aus dem Wege zu gehen, sowohl seinen Genossen beim Wettrennen, denen er Summen schuldete, die er nicht bezahlen zu können zitterte, wie seiner Frau, seinem langmütigen Bankier, bei dem er aus gutem Grunde nichts mehr erheben zu können meinte. Als Lady Clavering am nächsten Morgen fragte, ob Sir Francis zu Hause wäre, erhielt sie die Antwort, daß er diese Nacht nicht heimgekommen wäre, sondern einen Boten zu seinem Kammerdiener geschickt hätte, mit dem Befehle, ihm durch Ueberbringer Wäsche und Briefe zuzuschicken. Strong wußte, daß er im Laufe dieses oder des folgenden Tages von ihm einen Besuch oder eine Botschaft erhalten würde, und richtig bekam er auch ein Billet, das ihn bat, seinen verzweifelnden Freund F. C. in Shorts Hotel, Blackfriars, zu besuchen und dort nach Herrn Francis zu fragen; denn der Baronet war ein Herr von der eigentümlichen Gemütsverfassung, daß er lieber eine Lüge sagte als keine und stets einen Kampf mit dem Geschick damit begann, daß er davonlief und sich verkroch. Der Hausknecht von Herrn Shorts Etablissement, der Claverings Botschaft nach Grosvenor Place trug und seine Reisetasche zurückbrachte, wußte sogleich, wer der Besitzer der Tasche war, und teilte seine Entdeckung dem Bedienten mit, der den Tisch zum Frühstück deckte und der die Neuigkeit in die Bedientenstube trug, von wo sie an Frau Bonner, die Hausverwalterin und vertraute Dienerin Myladys gelangte, die sie Mylady selbst überbrachte. Und so erfuhr jede einzelne 172 Person in dem Hause auf dem Grosvenor Place, daß sich Sir Francis unter dem Namen Francis in einem Gasthause der Blackfriarsstraße versteckt halte. Und Sir Francis' Kutscher erzählte die Neuigkeit den Kutschern anderer Herren, und diese trugen sie ihren Herren zu und in den benachbarten Tattersall, wo man sehr trübe Prophezeiungen hörte, daß Sir Francis Clavering am Ende eine Tour in die Levante machen könnte.

Die Anzahl von Briefen, die im Laufe dieses Tages an Sir Francis Clavering, Baronet, gerichtet wurden, war wahrhaft merkwürdig groß. Der französische Koch schickte seine Rechnung an Mylady, die Handelsleute, die den Tisch Ihrer Ladyschaft mit allem Nötigen versehen, und die Herren Finer und Grimerack, Schnitt und Putzhändler, und Madame Crinoline, die große Putzmacherin, ließen Ihrer Ladyschaft ebenfalls ihre kleinen Rechnungen zugehen, in Gesellschaft mit denen, die Fräulein Amory privatim und durchaus nicht unbeträchtlich in jedem Etablissement hatte auflaufen lassen.

Am Nachmittage des Tages nach dem Derby, als Strong (nach einem Zwiegespräch mit seinem Gönner in Shorts Hotel, den er flennend und Curaçao trinkend angetroffen) am Grosvenor Place vorsprach, um nach seiner Gewohnheit die Angelegenheit zu vermitteln, fand er all diese verdächtigen Dokumente in des Baronets Studierzimmer in Reihen geordnet und begann sie zu öffnen und mit Böses ahnendem Gesichte zu prüfen.

Frau Bonner, die Kammerfrau und Hausverwalterin Myladys, kam zu ihm herunter, als er hiermit 173 beschäftigt war. Frau Bonner, ein Glied der Familie und ihrer Herrin so notwendig als der Chevalier Sir Francis, war natürlich auf Lady Claverings Seite in dem Streite zwischen ihr und ihrem Gemahl und pflichtmäßig sogar noch ärgerlicher, als Ihre Ladyschaft selbst.

»Sie wird nicht bezahlen, wenn sie auf meinen Rat hört,« sagte Frau Bonner. »Sie werden, Kapitän, gefälligst zu Sir Francis zurückkehren, der in einer gemeinen Schenke herumlungert und sich nicht traut, seiner Frau ins Gesicht zu sehen wie ein Mann, und ihm sagen, daß wir seine Schulden nicht länger bezahlen wollen. Wir haben ihn erst zum Manne gemacht, und wir (und vielleicht noch andere Leute dazu) haben ihn aus dem Gefängnisse herausgezogen und seine Schulden aber- und abermals bezahlt, wir brachten ihn ins Parlament und gaben ihm ein Haus in der Stadt und eins auf dem Lande, wo er sich nicht sehen zu lassen getraut, der schäbige Lump! Wir haben ihm das Pferd gegeben, das er reitet, und das Essen, das er genießt, und sogar die Kleider, die er auf dem Leibe hat, und wir wollen ihm nun nichts weiter geben. Unser Vermögen oder was davon übrig geblieben ist, das ist für uns übrig, und wir wollen nichts mehr davon für diesen undankbaren Menschen wegschmeißen. Wir wollen ihm genug geben, daß er davon leben kann, und ihn sich selbst überlassen, das ist's, was wir machen wollen, und das ist's, was Sie ihm von Susanne Bonner ausrichten wollen!«

Susanne Bonners Herrin, die gehört hatte, daß Strong angelangt wäre, schickte in diesem Augenblick 174 zu ihm, und der Chevalier ging zu Ihrer Ladyschaft hinauf, nicht ohne Hoffnung, sie weniger bärbeißig zu finden, als ihr Faktotum Frau Bonner. Vielmals schon hatte er die Sache seines Klienten vor Lady Clavering geführt und bewirkt, daß ihre Gutherzigkeit nachgab. Er versuchte es noch einmal. Er malte in düsteren Farben die Lage aus, in der er Sir Francis gefunden, und meinte, daß er die Verantwortlichkeit für irgendwelche Folgen nicht auf sich nehmen würde, die sich ergeben könnten, wofern er kein Mittel ausfindig machte, seiner Verpflichtung nachzukommen.

»Sich selber umbringen,« lachte Frau Bonner, »sich selber umbringen, warum denn nicht? Sterben ist das beste, was er tun könnte.« Strong versicherte, er hätte ihn mit den Rasiermessern auf dem Tische gefunden, aber hierüber lachte ihrerseits auch Lady Clavering bitter. »Der wird sich kein Leid antun, solange noch ein Schilling übrig ist, dessen er ein armes Weib berauben kann. Sein Leben ist ganz sicher, Kapitän, darauf können Sie sich verlassen. Ach! es war ein schlimmer Tag, wo ich meine Augen auf ihn warf.«

»Er ist noch schlechter, wie der erste Mann,« schrie Myladys Adjutantin. »Der war doch ein Mann wenigstens, ein wilder Teufel zwar, aber er hatte die Courage eines Mannes, wogegen dieser Mensch – was nutzt es, wenn Mylady seine Wechsel bezahlt und ihre Diamanten verkauft und ihm vergibt? Er wird nächstes Jahr genau ebenso schlecht sein. Bei der ersten besten Gelegenheit, die er hat, wird er sie übers Ohr hauen und sie berauben und ihr Geld weggeben, um eine Bande von Schuften und Schwindlern zu erhalten – 175 ich meine damit nicht Sie, Kapitän – Sie sind uns oft genug ein guter Freund gewesen, obschon wir wünschten, wir hätten Sie niemals gesehen.«

Der Chevalier ersah aus den Worten, die Frau Bonner sich hinsichtlich der Diamanten hatte entschlüpfen lassen, daß die gutmütige Begum geneigt war, sich wenigstens noch einmal erweichen zu lassen und daß doch noch Hoffnung für seinen Prinzipal war.

»Auf mein Wort, Madame,« sagte er mit einem wirklichen Gefühl von Mitleid mit dem Kummer der Lady Clavering und voll Bewunderung über ihre unermüdliche Gutmütigkeit, wobei er eine Begeisterung zeigte, welche die Sache seines undankbaren Gönners nicht wenig förderte, »alles, was Sie gegen Clavering sagen oder was Frau Bonner hier gegen mich ausstößt, ist nichts besseres, als wir beide verdienen, und es war ein unglücklicher Tag für Sie, als Sie uns sahen. Er hat grausam an Ihnen gehandelt, und wenn Sie nicht die edelmütigste und verzeihendste Frau von der Welt wären, so weiß ich, daß für ihn keine Aussicht sein würde. Aber Sie können den Vater Ihres Sohnes nicht in Schande verfallen lassen und den kleinen Frank mit solchem Makel auf sich in die Welt schicken. Binden Sie ihn, binden Sie ihn durch jedes beliebige Versprechen, ich stehe für ihn, daß er es unterschreiben wird.«

»Und brechen,« sagte Frau Bonner.

»Und es diesmal halten,« schrie Strong. »Er muß es halten. Wenn Sie hätten sehen können, wie er weinte, Madame. ›O Strong‹, sprach er zu mir, ›es 176 ist nicht um meinetwillen, das fühle ich jetzt, es ist für meinen Knaben – es ist um des besten Weibes in England willen, die ich niederträchtig behandelt habe – ich weiß es, daß ich es tat‹. Er hatte nicht die Absicht, in diesem Rennen zu wetten, Madame, wahrhaftig nicht. Er wurde durch Betrug dazu verlockt, der ganze Ring war betrogen. Er dachte, er könnte die Wette ganz ruhig eingehen, ohne das mindeste Wagnis. Und es wird ihm fürs ganze Leben eine Lehre sein. Einen Mann weinen zu sehen – oh, es ist furchtbar.«

»Er macht sich nicht viel daraus, meine arme Madame zum Weinen zu bringen,« rief Frau Bonner, »die arme liebe Seele! Oder ist es etwa anders, Kapitän?«

»Wenn Sie die Seele eines Mannes im Leibe haben, Clavering,« sagte Strong zu seinem Prinzipal, als er ihm diese Szene wiedererzählte, »so werden Sie diesmal Ihr Versprechen halten, und, so wahr mir der Himmel helfe! wenn Sie Ihrer Frau Ihr Wort brechen, so schlage ich mich auf die andere Seite und erzähle alles.«

»Was alles?« schrie Herr Francis, dem sein Abgesandter die Nachricht nach Shorts Hotel zurückbrachte, wo Strong den Baronet immer noch heulend und Curaçao trinkend anfand.

»Pah! Bilden Sie sich denn ein, daß ich ein Narr bin?« brach Strong heraus. »Meinen Sie, Frank Clavering, daß ich so lange in der Welt gelebt haben könnte, ohne meine Augen zu gebrauchen? Sie wissen, daß ich nur zu sprechen brauche, und Sie sind morgen 177 schon ein Bettler. Und ich bin nicht der einzige Mensch, der Ihr Geheimnis weiß.«

»Wer denn sonst noch?« ächzte Clavering.

»Der alte Pendennis weiß es, wenn ich nicht sehr irre. Er erkannte den Mann gleich in der ersten Nacht, wo er ihn sah, als er betrunken in Ihr Haus kam.«

»Er weiß es also wirklich?« kreischte Clavering. »Hol ihn der Teufel, ich könnte ihn umbringen.«

»Sie möchten am liebsten uns alle umbringen, nicht wahr, alter Junge?« sagte Strong, mit spöttischem Lächeln seine Zigarre paffend.

Der Baronet schlug sich mit seiner schwachen Hand vor die Stirn, vielleicht hatte jener seinen Wunsch richtig gedeutet. »O Strong,« schrie er, »wenn ich nur den Mut hätte, so machte ich meinem Leben selber ein Ende, denn ich bin der verdammteste elendiglichste Hund in ganz England. Das ist es, was mich so toll und unüberlegt macht. Das ist es, was mich zum Saufen zwingt (und er trank mit zitternder Hand einen Humpen von seinem Stärkungsmittel, dem Curaçao), und mit jenen Dieben umzugehen. Ich weiß, sie sind Diebe, jeder von ihnen, verdammte Diebe! Und – und wie kann ich anders? – und ich wußte es nicht, wie Sie wissen – und, bei Gott! ich bin unschuldig – und bis ich den verdammten Schuft zum ersten Male sah, wußte ich nicht mehr davon als die Toten – und ich werde fliehen und ins Ausland gehen aus dem Bereiche der verfluchten Spielhöllen und mich in einem Walde vergraben, bei Gott! und mich an einem Baume erhängen – und, ach – ich bin der elendeste Lump in ganz England!« Und so, mit weiteren Tränen, Geheul 178 und Flüchen ließ der abgelebte Halunke seinem Kummer freien Lauf, beklagte sein unseliges Schicksal und gelobte unter Schluchzen, Verzweiflungsausbrüchen und Gotteslästerungen seine erbärmliche Reue.

Das altehrwürdige Sprichwort, das den einen für den bösen Wind erklärt, der zu niemandes Gunsten bläst, bewahrheitete sich in dem Falle Sir Francis Claverings, und an einem anderen der Inhaber von Herrn Strongs Wohnung in Shepherds Inn. Der Mann, mit dem Oberst Altamont seine Wette gemacht hatte, war durch einen glücklichen Zufall »gut«, und am Zahltage des Derby, als Kapitän Clinker, der mit der Ordnung von Sir Francis Claverings Buch beauftragt war (denn Lady Clavering wollte nach dem Rate des Majors Pendennis dem Baronet nicht erlauben, seine Geldgeschäfte selbst zu erledigen), die Banknoten an die vielen Gläubiger des Baronets bezahlte, hatte Oberst Altamont die Genugtuung, den Betrag von dreißig gegen eins in Fünfzigpfundnoten einzustreichen, die er gegen das Pferd, das an diesem Tage Sieger gewesen, gewonnen hatte.

Eine Menge von Freunden des Obersten waren bei der Gelegenheit zugegen, um ihn zu seinem Glücke zu gratulieren – alle von Altamonts Leibgarde und die Herrschaften, die sich in dem Privatzimmer des gastlichen Herrn Wheeler, des Wirts vom »Harlekinskopfe« zusammenzufinden pflegten, kamen, um Zeuge vom Glücke ihres Kameraden zu sein, und hätten in großmütiger Teilnahme an seinem Erfolge gar gern mit ihm geteilt. »Jetzt wäre die Zeit gekommen,« hatte Tom Diver dem Kolonel zugeredet, »das Silberschiff 179 heraufzuholen, das im Golf von Mexiko versunken, mit den 380 000 Dollars an Bord, außer den Barren und Dublonen.« »Die Tredyddlum-Aktien stünden sehr niedrig – wären für ein Lumpengeld zu kaufen – nie wäre eine so schöne Gelegenheit gewesen, sich Anteile zu kaufen,« legte ihm Herr Keightley ans Herz, und Jack Holt sprach dringend zugunsten seines Tabakschmuggelplanes, dessen Kühnheit dem Obersten besser als alle anderen ihm vorgeschlagenen Spekulationen gefiel. Dann waren unter den Bürschchen des »Harlekinskopfes« Jack Rackstraw, der ein paar Pferde wußte, die der Oberst kaufen mußte, Tom Flett, dessen satirische Zeitung, der »Swell«, nur zweihundert Pfund Kapital bedürfte, um unter Brüdern ihre tausend Pfund jährlich wert zu sein, »denken Sie sich, Oberst, Sie Bummler, was für eine Macht und was für ein Einfluß, dazu der Eintritt in alle Ankleidezimmer der Londoner Theater,« drängte Tom, während der kleine Moses Abrams den Obersten bat, ja nicht auf diese abgeschmackten Kerls mit ihren betrügerischen Spekulationen zu hören, sondern sein Geld in einigen guten Wechseln anzulegen, die Moses ihm verschaffen könnte und die ihm so sicher wie die Bank von England fünfzig Prozent abwerfen würden.

All und jede dieser würdigen Persönlichkeiten versammelten sich um den Obersten mit ihren verschiedenen Schmeicheleien; aber er hatte Mut genug, ihnen zu widerstehen, seine Noten in seine Rocktasche zu knöpfen und zu Strong heimzugehen und die Außentür der Wohnung zu verschließen. Der ehrenhafte Strong hatte seinem Mitbewohner guten Rat hinsichtlich 180 seiner Bekanntschaften erteilt, und obschon er sich, wenn er in Verlegenheit war, kein Gewissen daraus machte, ohne weiteres selbst zwanzig Pfund von dem Gewinne des Kolonels anzunehmen, war Strong doch viel zu aufrichtig, ihn von anderen betrügen zu lassen.

Er war kein schlechter Mensch, wenn er bei Gelde war, dieser Altamont. Er bestellte eine schmucke Livree für Grady und bewirkte, daß der arme alte Costigan Tränen einer schnell wieder getrockneten Dankbarkeit vergoß, indem er ihm nach einem netten Diner in dem Küchenstübchen eine Fünfpfundnote gab. Und er kaufte ein grünes Tuch für Frau Bolton und ein gelbes für Fanny, die prächtigsten »Ladenhüter« im Fenster eines Schnitthändlers der Regentstreet. Und kurze Zeit nachher empfing Fräulein Amory an ihrem Geburtstage, der in den Monat Juni fiel, von »einem Freunde« ein Paket, das ein gewaltiges mit Messing ausgelegtes Schreibpult enthielt, in dem sich eine Reihe von Amethysten, die abscheulichsten, die jemals menschliche Augen erblickten, eine musikalische Schnupftabaksdose und zwei Taschenbücher vom vorletzten Jahre, begleitet von ein paar Stücken Kleiderstoff in den schreiendsten Farben, befanden; über den Empfang dieser Wertstücke lachte und verwunderte sich die Sylphide unmäßig. Nun ist es Tatsache, daß Kolonel Altamont um diese Zeit bei einigen Trödlern in der Fleetstreet einen Einkauf von Zigarren und französischen Seidenstoffen gemacht hatte und von Strong in den offenen Auktionszimmern in Cheapside betroffen worden war, wie er einiges Geld auf das Erstehen von zwei Pulten, mehreren Paaren reichplattierter Leuchter, einem Speiseschrank und 181 einem Nachttischchen verwendet hatte. Der Speiseschrank blieb in der Wohnung und figurierte dort bei den Diners, die der Kolonel ziemlich häufig gab. Er schien seinen Augen wunderschön, bis Jack Holt sagte, er sähe aus, als ob er »für eine Rechnung angenommen« worden wäre. Und Jack Holt war seiner Sache sicher.

Die Diners in Altamonts Wohnung waren ziemlich häufig, und Sir Francis Clavering ließ sich herab, beständig an ihnen teilzunehmen. Sein eigenes Haus war für ihn verschlossen; der Nachfolger Mirobolants, der seine Rechnungen so voreilig eingesandt hatte, war von der entrüsteten Lady Clavering fortgeschickt, der Luxus der Einrichtung sehr eingeschränkt und auf das richtige Maß zurückgeführt worden. Einer der großen Bedienten wurde kassiert, worauf der andere kündigte, da er nicht ohne seinen Kameraden oder in einer Familie dienen wollte, wo bloß ein Bedienter gehalten würde. Allgemeine und strenge ökonomische Reformen wurden von der Begum in ihrem gesamten Hauswesen getroffen infolge der Ausschweifungen, deren ihr niederträchtiger Gatte sich schuldig gemacht hatte. Der Major war Ihrer Ladyschaft Freund, Strong auf Seiten des unglücklichen Clavering; der Advokat Ihrer Ladyschaft und die würdige Begum selbst führten diese Reformen mit Genauigkeit und Strenge durch. Nachdem sie die Schulden des Baronets berichtigt, deren Bezahlung beträchtlichen öffentlichen Skandal hervorrief und bewirkte, daß der Baronet nur noch tiefer in der Achtung der Welt sank, als er vorher gestanden, verließ Lady Clavering London im höchsten 182 Groll und begab sich nach Tunbridge Wells, indem sie es ablehnte, ihren nichtsnutzigen Mann zu sehen, den niemand bemitleidete. Clavering blieb geduldig in London, durchaus nicht begierig, der gerechten Entrüstung seiner Frau zu begegnen, und schlich sich ins Unterhaus hinein und wieder heraus, wohin er und Kapitän Raff und Herr Marker zu gehen pflegten, um ein Spielchen Billard zu machen und eine Zigarre zu rauchen; oder er zeigte sich in Wirtshäusern, die in der Mode waren oder wurde gesehen, wie er sich um Lincolns Inn und seine Advokaten herumdrückte, wo die Prinzipale ihn stundenlang warten ließen und die Schreiber sich untereinander Winke gaben, während er in ihrem Bureau saß. Kein Wunder, daß er seine Freude an den Diners in Shepherds Inn hatte und dort völlig ergeben in sein Schicksal war. Ergeben? Er war nirgends so glücklich; er fühlte sich unglücklich unter seinesgleichen, die ihn verächtlich über die Achsel ansahen, aber hier war er der vornehme Gast am Tische, wo man ihn fortwährend mit »Ja, Sir Francis« und »Nein, Sir Francis« anredete, wo er seine elenden Witze zum besten gab und wo er sein weinerliches französisches Liedchen abdudelte, nachdem Strong seinen jovialen Chorus gesungen und der ehrenhafte Costigan seine irischen Liedchen gepiepst hatte. Solch eine fröhliche Tafel wie Strongs Tisch, mit Gradys irischem Kartoffelgericht und dem Punschgebräu des Chevaliers nach Tische würde auch manchem besseren Mann als Clavering willkommen gewesen sein, dessen großes einsames Haus dahin ihm Furcht einflößte, wo er nur die alte Frau, die die Hausverwalterin machte 183 und seinen Kammerdiener, der ihn auslachte, zur Aufwartung hatte.

»Ja, verdammt,« sagte er zu seinen Freunden in Shepherds Inn. »Jener Kerl von mir, ich muß ihn fortjagen, nur bin ich ihm zwei Jahre Lohn schuldig, dem verfluchten Schurken, und kann Mylady nicht darum angehen. Er bringt mir morgens kalten Tee mit einem verdammten bleiernen Löffel und sagt, Mylady hätte das ganze Silber zum Bankier geschickt, weil es zu Hause nicht sicher wäre. – Nun, ist es nicht hart, daß sie mir nicht einen einzigen Teelöffel anvertrauen will, ist es nicht unanständig, Altamont? Sie wissen, Mylady ist von niedriger Herkunft – das heißt – bitte um Verzeihung – hm, – das heißt, es ist höchst grausam von ihr, mir nicht mehr Vertrauen zu zeigen. Und sogar die Dienstboten beginnen zu lachen – die verdammten Schurken! Ich werde ihnen alle Knochen in ihren großen plumpen Körpern zerbrechen, ja verflucht, das werde ich. – Sie kommen nicht auf mein Klingeln, und – und mein Bedienter war gestern abend in Vauxhall und hatte eines meiner gestickten Hemden und meine Sammetweste an, – ich weiß, es waren meine Sachen – der verdammte unverschämte Schuft – und er tanzte ruhig weiter vor meinen Augen, hol ihn der Teufel! Ich bin sicher, daß er noch einmal gehängt werden wird – er verdient es, daß er es wird – wie all diese höllischen Schurken von Bedienten!«

Er war jetzt sehr freundlich gegen Altamont; er hörte auf die lauten Geschichten des Obersten, wenn dieser beschrieb, wie – als er sich einst von 184 Neuseeland heimgearbeitet, wo er auf einer Walfischfangexpedition gewesen – er und seine Kameraden sich gezwungen gesehen, nachts an Bord zu entwischen, ihren Weibern fortzulaufen, beim Jupiter – und wie die armen Teufel sich in ihren Kanoes aufgemacht hätten, als sie das Schiff unter Segel gesehen hätten und ihm wie toll nachgerudert wären; wie er sich auf Neu-Süd-Wales einst auf drei Monate im Busche verlaufen, wie er Boney auf St. Helena gesehen und ihm mit den übrigen Offizieren des Indienfahrers, von dem er Steuermann gewesen, vorgestellt worden – auf all diese Geschichten (und über dem Becher erzählte Altamont gar manche derselben und, wie eingestanden werden muß, log und bramarbasierte recht tapfer drauf los) horchte Sir Francis jetzt mit großer Aufmerksamkeit, indem er es sich zur Aufgabe stellte, mit Altamont über Tische Wein zu trinken und ihn mit jeder Auszeichnung zu behandeln.

»Lassen Sie ihn nur machen, ich weiß schon, wo er hinaus will,« sagte Altamont lachend zu Strong, der ihm Vorstellungen machte; »und lassen Sie mich nur machen, ich weiß schon, was ich erzählt, weiß es sehr gut. Ich war Offizier an Bord eines Indienfahrers, das ist die Wahrheit; ich handelte nach Neu-Süd-Wales, das ist auch richtig, und zwar in einem Schiffe, das mir selbst gehörte, und ich verlor es. Ich wurde Offizier beim Nabob, das ist ebenfalls richtig, nur hatten ich und mein königlicher Herr eine Meinungsverschiedenheit, Strong – das ist die Geschichte. Wer kann meine Erzählung besser oder schlechter machen, Strong? – Oder wer weiß irgend etwas über mich? 185 Der andere Bursche ist tot – im Busche erschossen, seine Leiche in Sidney rekognosziert. Wenn ich denken müßte, irgend jemand würde die Sache ausschwatzen, meinen Sie nicht, daß ich ihm den Hals umdrehen würde? Ich habe dergleichen Kunststücke schon früher gemacht, Strong – ich erzählte Ihnen, wie ich mit dem Aufseher verfuhr, ehe ich mich verabschiedete – aber in gerechtem Kampfe meine ich – in gerechtem Kampfe, oder vielmehr, er hatte den besten Stand. Er hatte seine Flinte und Bajonett, und ich hatte nur eine Axt. Fünfzig von ihnen sahen es – ja, und ließen mich hochleben, als ich es tat – und ich würde es wieder tun, – – hm, sicherlich! Ich fürchte mich vor niemandem, und ich würde dem das Leben nehmen, der es ausschwatzen würde. Das ist mein Grundsatz, und nun den Schnaps her – Sie werden niemand ins Unglück bringen. Ich kenne Sie. Sie sind ein ehrlicher Kerl und werden einem anderen Kerl beistehen und haben dem Tod ins Gesicht gesehen wie ein Mann. Aber dieser hasenherzige Schleicher, dieser armselige lügenhafte, schwindlerische, kriechende Schuft von einem Clavering – der in meinen Schuhen steht – in meinen Schuhen steht, hol ihn der Henker! Ich werde ihn noch zwingen, mir die Stiefel auszuziehen und sie zu putzen, wahrhaftig! Ha, ha!« Hier brach er in ein wildes Gelächter aus, bei dem Strong aufstand und die Branntweinflasche wegstellte. Der andere lachte noch immer gutgelaunt.

»Sie haben recht, alter Junge,« sagte er. »Sie halten sich immer den Kopf kühl, das ist richtig – und wenn ich zu sehr ins Blaue hinein zu schwatzen 186 beginne – ich sage, wenn ich zu faseln beginne, so ermächtige ich Sie und heiße und befehle Ihnen, die Rumflasche wegzustellen.«

Das Ereignis, nach welchem Altamont mit zynischer Lust ausgeschaut hatte, kam sehr bald herbei. Eines Tages, als Strong für seinen Prinzipal mit einem Auftrage abwesend war, stellte sich Sir Francis in der Wohnung ein und fand den Gesandten des Nabobs allein. Er schimpfte auf die Welt im allgemeinen, daß sie herzlos und unfreundlich gegen ihn wäre, er schimpfte auf seine Frau, daß sie ungroßmütig an ihm handelte, er schimpfte auf Strong, daß er undankbar wäre – hunderte von Pfunden hätte er Ned Strong gegeben – er wäre sein Freund auf Lebenszeit gewesen und hätte ihn aus dem Schuldturme gezogen, beim Jupiter, – und nun stellte Ned sich auf Seiten Ihrer Ladyschaft gegen ihn und hetze sie zu der höllisch unfreundlichen Behandlung gegen ihn auf.

»Sie haben sich verschworen, mich ohne einen Pfennig zu lassen, Altamont,« sagte der Baronet; »sie gaben mir nicht einmal soviel Taschengeld, wie Frank hat, der doch noch in der Schule sitzt.«

»Warum gehen Sie nicht runter nach Richmond und pumpen ihn an, Clavering?« Altamont lachte toll dabei. »Er würde es nicht mit ansehen können, daß sein armer alter Bettler von Vater ohne Taschengeld wäre, gewiß nicht.«

»Ich sage Ihnen, ich bin gezwungen gewesen, mich schauderhaft zu erniedrigen,« sagte Clavering. »Sehen Sie hier – sehen Sie hier diese Pfandscheine! Stellen Sie sich ein Mitglied des Parlaments und einen 187 altadligen englischen Baronet vor, bei Gott! der gezwungen ist, eine Wanduhr aus dem Empfangszimmer und ein Schreibzeug von Buhl und einen goldenen Briefbeschwerer in Form eines Entenkopfes, der meiner Frau wahrscheinlich fünf Pfund gekostet hat und wofür man mir nur fünfzehn Schilling und sechs Pence geben wollte, zu mausen! Oh, es ist etwas Erniedrigendes, arm zu sein, Oberst, für einen Mann von meinen Gewohnheiten; und ich habe schon Tränen darüber vergossen, Herr, – wirkliche Tränen; und dieser verd– Kammerdiener von mir – der verfluchte Schuft, ich wollte, er hinge am Galgen – hat die verfl– Unverschämtheit gehabt, zu drohen, er wollte es Mylady sagen, als ob die Dinge in meinem eigenen Hause nicht meine eigenen wären, und ich sie nicht verkaufen oder behalten oder aus dem Fenster werfen könnte, wenn es mir beliebte – bei Gott! der verdammte Halunke.«

»Heulen Sie 'n bißchen, heulen Sie ruhig vor mir – es wird Sie erleichtern, Clavering,« sagte der andere. »Ei, hören Sie mal, alter Bursche, für was für einen glücklichen Kerl ich Sie früher gehalten habe, und was für ein armseliger Patron Sie in Wirklichkeit sind!«

»Es ist 'ne Schande, daß sie mich so behandeln, nicht wahr?« fuhr Clavering fort, – denn obschon gewöhnlich schweigsam und apathisch, konnte der Baronet über seinen eigenen Kummer eine ganze Stunde lang winseln. »Und – und, bei Gott, Oberst, ich habe nicht einmal das Geld, um den Fiaker zu bezahlen, der an der Tür auf mich wartet, und die 188 Hausmannsfrau, diese Frau Bolton, borgte mir schon drei Schillinge, und ich mag sie nicht um mehr bitten, und ich ersuchte diesen verd– alten Costigan, den verdammten alten irländischen Lumpenkerl ohne einen Pfennig in der Tasche, und er hatte nicht 'nen Schilling, der Bettler; und Campion ist auf dem Lande, sonst wüßte ich wohl, er würde mir ein kleines Wechselchen abnehmen.«

»Ich dächte, Sie hätten Ihrer Frau bei Ihrer Ehre geschworen, daß Sie Ihren Namen nicht wieder auf Papier setzen wollten,« sagte Herr Altamont, seine Zigarre paffend.

»Warum läßt sie mich denn ohne Taschengeld? Verdamm' mich, ich muß doch Geld haben,« rief der Baronet. »Oh, Am–, oh, Altamont, ich bin der allerelendiglichste Bettler auf Erden.«

»Nicht wahr, es würde Ihnen jetzt lieb sein, wenn ein Kerl käme und Ihnen 'ne Zwanzigpfundnote pumpte?« fragte der andere.

»Wenn Sie es tun würden, so wollte ich Ihnen auf ewig dankbar sein – auf ewig, mein teuerster Freund,« sagte Clavering.

»Was wollen Sie geben? Wollen Sie 'nen Wechsel auf fünfzig Pfund geben, zahlbar in sechs Monaten, für zwanzig Pfund halb bar und halb in Silberzeug?« fragte Altamont.

»Ja, das würde ich, so wahr mir Gott helfe – und es auf den Tag bezahlen,« erwiderte Clavering. »Ich werde es bei meinem Bankier zahlbar machen, ich werde alles tun, was Sie verlangen.« 189

»Na, ich hatte Sie bloß zum Narren. Ich will Ihnen zwanzig Pfund schenken.«

»Sagen Sie ein Viertelhundertchen,« warf Clavering ein; »mein lieber Freund, sagen Sie ein Viertelhundertchen, und ich werde Ihnen ewig verpflichtet sein; aber ich will es nicht als Geschenk annehmen – nur als Darlehen – nur als Darlehen, und es Ihnen in sechs Monaten zurückzahlen. Meinen Eid drauf, ich will es.«

»Schon gut – schon gut – da ist das Geld, Sir Francis Clavering. Ich bin kein schlechter Kerl. Wenn ich Geld in meiner Tasche habe, verdamm' mich, so vertue ich's wie ein Mann. Hier sind fünfundzwanzig für Sie. Verlieren Sie es aber nicht jetzt in den Spielhöllen! Seien Sie nicht wieder ein Narr! Gehen Sie nach Clavering Park, und es wird lange für Sie ausreichen. Sie brauchen kein Fleisch vom Metzger zu essen; ich vermute, dort gibt es Schweine in der Meierei, und, wissen Sie, Sie können sich alle Tage Kaninchen zum Mittagessen schießen, bis die Jagdzeit für anderes Wild kommt. Außerdem, wissen Sie, werden Sie manchmal von den Nachbarn zu Tische geladen werden, denn Sie sind doch mal ein Baronet, wenn Sie auch dem Konstabler entwischt sind. Und Sie haben den Trost, daß Sie mich auf eine hübsche Zeit los sind – vielleicht die nächsten zwei Jahre – wenn ich nämlich nicht spiele; und ich habe mir vorgenommen, das verfluchte Rouge et noir nicht wieder anzurühren, und während dieser Zeit wird Mylady, wie Sie sie nennen – oder Jimmy, wie ich sie zu rufen pflegte – wieder auf die Strümpfe gekommen sein, und Sie 190 werden für mich etwas in Bereitschaft haben, verstehen Sie, und Ihrem getreuen Freunde hübsch etwas Ordentliches aufzählen.«

Als die Unterhaltung bis zu diesem Punkte gediehen war, kehrte Strong zurück; auch lag dem Baronet nichts daran, jetzt, wo er das Geld hatte, das Gespräch fortzusetzen, und er ging seiner Wege von Shepherds Inn nach Hause und fuhr seinen Bedienten in einer so ungewöhnlich hochnäsigen und unverschämten Weise an, daß der Mensch daraus schloß, sein Herr mußte noch etwas vom Hausgerät versetzt haben, oder doch auf jeden Fall in den Besitz von einigem baren Gelde gelangt sein.

»Und doch habe ich mich im Haus umgesehen, Morgan, und ich denke nicht, daß er noch was fortgeschafft hat,« sagte Sir Francis' Kammerdiener zu Major Pendennis' Bedienten, als sie sich bald nachher in ihrem Klub trafen. »Mylady verschloß, ehe sie fortging, beinahe alles, was sich wegtragen ließ, und er könnte die Bilder und Spiegel doch nicht im Fiaker fortbringen, und den Kaminrost und Feuerhaken würde er nicht versetzen – so schlecht ist er doch noch nicht. Aber er hat irgendwie Geld aufgetrieben. Er ist so verflucht großschnauzig, wenn er welches hat. Vor ein paar Abenden sah ich ihn im Vauxhall, wo ich mit Lady Emilie Babewoods Mädels Polka tanzte – ein sehr hübsches Haus das, und eine außerordentlich gute Sorte Leutchen drinnen, mit Ausnahme der Hausverwalterin, die zu den Methodisten gehört – ich tanzte also Polka – Sie sind ein zu alter Filz, Herr Morgan, um noch Polka zu tanzen – und jetzt trinke ich 191 auf Ihre Gesundheit – und ich hatte gerade einige Sachen von Clavering an, und er sah es auch, aber er getraute sich nicht ein Wort zu sagen.«

»Wie steht es in dem Hause in St. Johns Wood?« fragte Herr Morgan.

»Exekution drinnen. – Alles miteinander verkauft, die Ponys, das Piano, der Wagen und alles. Frau Montagne Rivers fort nach Boulogne, – non est inventus, Herr Morgan. Glaube, daß sie selber die Exekution geschickt hat und ihn satt hatte.«

»Spielt viel?«

»Nicht mehr, seit er das Pech hatte. Als Ihr Herr und die Advokaten und Mylady und er diesen fürchterlichen Auftritt hatten, da fiel er, wie Mylady der Frau Bonner erzählte, die es mir wieder erzählt hat, auf die Knie und schwur, daß er nie wieder eine Karte oder einen Würfel anrühren oder seinen Namen unter ein Stück Papier setzen wollte, und Mylady wollte ihm eben die Banknoten geben, um seine Schulden vom Wettrennen damit zu bezahlen, da sagte Ihr Herr (oder schrieb's auf ein Stück Papier und schob dieses über den Tisch dem Advokaten und Mylady hin), daß es besser wäre, wenn jemand anders die Sache für ihn abmachen würde, weil er sonst am Ende was vom Gelde für sich zurückbehielte. Er ist ein schlauer alter Filz, Ihr Herr!«

Der Ausdruck »alter Filz«, von dem jüngeren Bedienten so schnippisch auf ihn selbst und seinen Herrn angewendet, verdroß Herrn Morgan über die Maßen. Bei der ersten Gelegenheit, wo Herr Lightfoot das widerwärtige Wort brauchte, sprach sich der Aerger 192 seines Kameraden nur durch schweigendes Stirnrunzeln aus; bei der zweiten Beleidigung aber nahm Herr Morgan, der mit Eleganz seine Zigarre schmauchte und sie an die Spitze seines Federmessers hielt, die Zigarre aus den Lippen und erteilte seinem jungen Freunde einen gehörigen Rüffel.

»Nennen Sie Major Pendennis gefälligst keinen alten Filz, Lightfoot, und mich auch nicht! Solche Worte sind in guter Gesellschaft nicht üblich, und wir haben in der ersten Gesellschaft gelebt, zu Hause sowohl wie auswärts. Wir sind intime Freunde der ersten Staatsmänner Europas gewesen. Wenn wir verreisen, so speisen wir regelmäßig beim Fürsten Metternich und Louis Philipp. Wir gehen hier in die besten Häuser, in die allerfeinsten, sage ich Ihnen. Wir fahren mit Lord John und dem edlen Viscount, der an der Spitze der Auswärtigen Angelegenheiten steht. Wir dinieren mit dem Grafen von Burgrave und werden vom Marquis von Steyne in allen Sachen um Rat befragt. Wir sollten uns ein bißchen auf die Sache verstehen, meine ich, mein Herr Lightfoot. Sie sind ein junger Mann. Ich bin ein alter Filz, wie Sie sagen. Wir haben beide die Welt gesehen und wissen beide, daß es nicht das Geld macht, auch nicht weil man ein Baronet ist oder ein Haus in der Stadt oder auf dem Lande hat oder lumpige fünf- oder sechstausend Pfund jährlich.«

»Es sind zehntausend, Herr Morgan,« schrie Herr Lightfoot mit großer Aufregung.

»Es mag soviel gewesen sein, mein Herr,« antwortete Morgan mit ruhigem Ernste; »es mag soviel 193 gewesen sein, Herr Lightfoot, aber jetzt sind es nicht sechs, nicht mal fünf. Es ist verteufelt hineingepatscht und zerrissen worden, durch die verfluchte Geldvergeudung Ihres Herrn, mit seinen zittrigen Ellenbogen und seinem Wechselausstellen und seinem Häuschen in Regents Park und all seinen vielen Liederlichkeiten. Er ist ein schlechter Kerl, Herr Lightfoot, – ein elendes Subjekt, und das wissen Sie auch. Und es ist nicht das Geld, mein Herr, – wenigstens nicht solches Geld, das von einem Kalkuttaer Advokaten kommt und vielleicht den armen verhungerten Schwarzen abgepreßt worden ist – was einer Person eine Stellung in der Gesellschaft schafft, wie Sie recht gut wissen. Wir haben kein Geld, aber wir gehen überall hin; es gibt in dieser Stadt kein irgendwie bedeutendes Zimmer der vornehmeren Dienerschaft, wo James Morgan nicht willkommen wäre. Und ich war's, der Sie in diesen Klub brachte, Lightfoot, wie Sie sehr wohl wissen, wenn ich auch ein alter Filz bin, und Sie würden lauter schwarze Kugeln gekriegt haben ohne mich, so wahr Ihr Name Frédéric ist.«

»Das weiß ich, Herr Morgan,« sagte der andere sehr demütig.

»Nun, denn nennen Sie mich keinen alten Filz, Herr! Es paßt sich nicht für anständige Leute, Frédéric Lightfoot, den ich kannte, als er noch ein Fiakerjunge war und als Ihr Vater in Not war, und dem ich die Stelle, die Sie jetzt haben, verschaffte, als der Franzose wegging. Und wenn Sie denken, Herr, weil Sie die Frau Bonner heiraten wollen, die ihre zweitausend Pfund erspart haben mag – und ich 194 glaube, sie hat sich soviel erspart in den fünfundzwanzig Jahren, seit sie vertraute Kammerfrau bei Lady Clavering ist – so müssen Sie sich doch erinnern, mein Herr, wer Sie in den Dienst gebracht und wer da weiß, was Sie einstmals waren; und es schickt sich nicht für Sie, Frédéric Lightfoot, mich einen alten Filz zu nennen.«

»Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Morgan – ich kann nicht mehr tun, als mich entschuldigen – wollen Sie ein Glas haben und mich Ihre Gesundheit trinken lassen, Herr?«

»Sie wissen, daß ich keinen Schnaps trinke, Lightfoot,« entgegnete Morgan besänftigt. »Und so wollen Sie sich denn mit Frau Bonner verheiraten, nicht wahr?«

»Sie ist zwar alt, aber sehen Sie, zweitausend Pfund ist ein hübsches bißchen Geld, Herr Morgan. Und wir werden das ›Schild‹ von Clavering für ein sehr billiges kriegen; und das wird nicht übel sein, wenn die Eisenbahn durch Clavering geht. Und hoffentlich werden Sie, wenn wir dort sind, einmal zu uns auf Besuch kommen, Herr Morgan.«

»Es ist ein einfältiger Ort und keine Gesellschaft dort zu haben,« sagte Herr Morgan. »Ich kenne es ganz gut. Zu Frau Pendennis' Zeit gingen wir immer regelmäßig hin, und die Luft erfrischte mich nach dem Londoner Spektakel.«

»Die Eisenbahn wird Herrn Arthur sein Gut in die Höhe bringen,« bemerkte Lightfoot. »Was bringt's denn etwa ein nach Ihrer Meinung, Herr Morgan?«

»Unter fünfzehnhundert Pfund,« antwortete 195 Morgan, worauf jener, der die Ausdehnung der Aecker des armen Arthur kannte, die Zunge in die Backe schob, aber weislich stille schwieg.

»Taugt sein Bedienter was, Herr Morgan?« nahm Lightfoot die Rede wieder auf.

»Pidgeon ist bis jetzt noch nicht an die Gesellschaft gewöhnt, aber er ist jung und besitzt gute Talente; er hat ziemlich viel gelesen, und ich denke, es wird sich recht gut mit ihm machen,« antwortete Morgan. »Er würde für derartige Dinge nicht ganz passen, Lightfoot, denn er hat bis jetzt die Welt noch nicht gesehen.«

Als die Pinte Xeres, die Herr Lightfoot auf Herrn Morgans Erklärung, er lehne es ab, Schnaps zu trinken, bestellt hatte, von den beiden Herren vertilgt war, die den Wein ans Licht hielten, mit den Lippen schmatzten, mit den Augen darüber zwinkerten und den Wirt in der Weise echter Kenner über die Weinlese, von der sein Getränk wäre, aufgezogen hatten, war der gestörte Gleichmut Morgans ganz wieder zurückgekehrt, und er war bereit, seinen jungen Freund mit vollkommen guter Laune zu behandeln.

»Was denken Sie von Fräulein Amory, Lightfoot – sagen Sie es mir jetzt im Vertrauen – meinen Sie, wir würden gescheit daran tun – Sie verstehen – wenn wir Fräulein A. zu Madame A. P. machten, comprendy vous

»Sie und ihre Mama zanken sich fortwährend,« sagte Herr Lightfoot; »die Bonner wird mit der älteren Dame sehr gut fertig und behandelt Sir Francis wie – wie diesen Span hier, den ich ins Feuer 196 werfe. Aber sie getraut sich nicht, Fräulein Amory ein Wort zu sagen. Auch keiner von uns anderen. Wenn ein Besuch kommt, da lächelt und schmachtet sie, daß man denken sollte, sie wäre das sanfteste Geschöpf von der Welt, und die Minute darauf, wo er fort ist, ist es sehr möglich, daß sie wie ein kleiner Teufel loswettert und Dinge sagt, die einem wild machen können. Wenn Herr Arthur kommt, heißt es: ›Ach, wir wollen doch mal das entzückende Lied singen!‹ oder: ›Kommen Sie doch mal und schreiben Sie mir diese schönen Verse ins Album!‹ und höchstwahrscheinlich hat sie sich eine Minute vorher mit ihrer Mutter herumgezankt oder ihrer Jungfer Stecknadeln ins Fleisch gestochen. Sie sticht sie wirklich mit Stecknadeln und kneift sie. Mariehanne zeigte mir einen ihrer Arme, der ganz schwarz und blau war, und ich entsinne mich, daß Frau Bonner, die so eifersüchtig auf mich ist wie eine alte Katze, ihr dafür, daß sie es mir gezeigt, ein paar Ohrfeigen gab. Und dann sollten Sie das Fräulein mal beim Frühstücke sehen, wo niemand da ist, als die Familie. Sie läßt die Leute glauben, daß sie nichts essen kann, aber, meiner Seel! Sie sollten sie nur mal essen sehen. Sie läßt sich von Mariehanne Pflaumenkuchen und Sahneschnittchen in ihr Schlafzimmer bringen, und der Koch ist der einzige Mensch im Hause, gegen den sie freundlich ist. Die Bonner erzählt, wie in der zweiten Saison in London Herr Soppington im Begriffe war, um sie anzuhalten, und wirklich eines Tages kam und sah, wie sie ein Buch ins Feuer schmiß und ihre Mutter so auszankte, daß er leise zu der Hintertür des Empfangszimmers wieder hinausging, durch 197 die er hineingekommen war, und das Nächste, was wir von ihm hörten, war, daß er mit Fräulein Rider getraut worden wäre. Oh, sie ist ein Teufel, diese kleine Blanche, und das ist meine aufrichtige Apinium, Herr Morgan.«

»Apinion, nicht Apinium, Lightfoot, mein guter Junge,« sagte Herr Morgan mit väterlicher Güte, und dann fragte er sein eigenes Herz mit einem Seufzer. »Warum zum Henker will mein Herr den Monsieur Arthur mit einem Mädel wie dieses verheiraten?« Aber das Tête-à-tête beider Herren wurde durch den Eintritt anderer Herren, ebenfalls Mitglieder des Klubs, unterbrochen, wo Klatschereien aus der vornehmen Welt der Stadt, Politik, Cribbage und andere Vergnügungen folgten und die Unterhaltung allgemein wurde.

Dieser Klub der Herren Bedienten wurde in der Gaststube des Wirtshauses zum »Rad der Fortuna« in einem schmucken kleinen Nebengäßchen, das aus einer der großen Straßen von May Fair führte, gehalten und war von einigen der auserlesensten Herrn Kammerdiener der Stadt besucht. Hier wurden die Angelegenheiten ihrer Herren, die Schulden, Intriguen und Abenteuer derselben, die guten und schlechten Eigenschaften ihrer Herrinnen und ihre Zänkereien mit ihren Ehemännern, kurz alle Familiengeheimnisse vollkommen offenherzig und vertraulich besprochen, und hier konnte ein Herr Bedienter, der im Begriff war, in eine neue Stellung einzutreten, alle erforderliche Belehrung hinsichtlich der Familie bekommen, in die er als Glied einzutreten beabsichtigte. Livreen waren, wie 198 man sich denken kann, von diesem auserwählten Kreise ausgeschlossen, und die gepuderten Häupter der größten Bedienten der Hauptstadt hätten sich umsonst gebeugt, wenn sie die Zulassung in den Klub der Herrn Kammerdiener erbeten hätten. Diese zurückgewiesenen Riesen in Plüschhosen nahmen ihr Bier in einem außenliegenden Zimmer des»Rads der Fortuna« zu sich und konnten ebensowenig Eintritt in das Klubzimmer erhalten, wie ein Handwerker aus Pall Mall oder ein Advokat von Lincolns Inn bei Bays oder Spratt Zutritt erhalten hätte. Und nur, weil die Unterhaltung, die uns anzuhören gestattet war, in gewissem Maße die Charaktere und das Benehmen mancher Leute in unserer Geschichte erklärt, geschah es, daß wir es wagten, den Leser in eine so exklusive Gesellschaft einzuführen.



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