William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Zweites Kapitel

Genesung

Unsere Pflicht ist es nun, eine Tatsache zu berichten, die Pendennis betrifft und die, so beschämend und schmachvoll sie auch sein mag, wenn sie von der Hauptperson und dem Namensträger eines Romanes erzählt wird, nichtsdestoweniger dem Publikum berichtet werden muß, das seine wahren Memoiren liest. Nachdem er mit Fieber in den Gliedern und bis zu einem gewissen Grade von Liebesleidenschaft gepeinigt, zu Bett gegangen war, und nachdem er seine körperliche Krankheit überstanden, zur Ader gelassen und bepflastert, ihm der Kopf rasiert und er behandelt und nach des Doktors Anordnung mit Medizin versehen war – geschah es tatsächlich, daß, als er sich von seiner körperlichen Krankheit erholte, seine geistige Krankheit ihn gleichfalls verlassen hatte, und er nicht mehr in Fanny Bolton verliebt war, als der Leser oder ich, die wir viel zu klug oder zu moralisch sind, um 21 unseren Herzen zu gestatten, nach Portierstöchtern zu zappeln.

Er lachte über sich selbst, als er auf seinem Pfühle lag und über diese zweite Kur nachdachte, die an ihm bewirkt worden war. Er kümmerte sich jetzt nicht im geringsten mehr um Fanny, er wunderte sich, wie er sich jemals etwas aus ihr gemacht hatte, und stellte nach seiner Gewohnheit eine Autopsie dieser toten Leidenschaft an und anatomisierte seine eigenen verblichenen Gefühle für seine arme kleine Wärterin. Was konnte ihn nur vor ein paar Wochen so heiß und gierig hinter ihr her sein lassen? Nicht ihr Verstand, nicht ihre Erziehung, nicht ihre Schönheit – es gab ja Hunderte von Frauen, die besser aussahen als sie. Aus ihm selbst war die Leidenschaft gekommen, nicht aus ihr. Sie war dieselbe; aber die Augen, welche sie sahen, waren andere geworden, und, ach, daß es so kommen mußte! waren nicht besonders begierig, sie jemals wiederzusehen. Er empfand ein recht freundliches Gefühl für das kleine Ding usf.; was aber die heftige Sehnsucht nach ihrer Person betraf, die er erst vor ein paar Wochen gehabt hatte, so war dieselbe unter dem Einfluß der Pillen und der Lanzette geflohen, die das Fieber in seinem Körper vernichtet hatten. Und es war eine Quelle unermeßlichen Trostes und eine solche der Dankbarkeit für Pendennis (obschon in diesem Gefühle etwas Selbstsüchtiges lag, wie beinahe in allen anderen unseres jungen Mannes), daß er fähig gewesen war, der Versuchung zu einer Zeit zu widerstehen, wo die Gefahr am größesten war, und keine besondere Ursache hatte, sich selbst zu tadeln, wenn er sich seiner 22 Aufführung gegen das junge Mädchen erinnerte. Wie von einer steilen Felsklippe aus, von welcher er hätte herunterfallen können, so warf er von dem Fieber aus, von dem er genesen war, einen Rückblick auf die ihm von Fanny Bolton gelegte Schlinge, jetzt da er ihr entgangen war, aber ich bin nicht gewiß, ob er sich nicht gerade der Genugtuung, die er darüber empfand, schämte. Es ist vielleicht angenehm, aber es ist stets erniedrigend, gestehen zu müssen, daß man nicht mehr liebt.

Inzwischen erfüllten das freundliche Lächeln und die zärtliche Wachsamkeit der Mutter an seinem Bette den jungen Mann mit Frieden und Sicherheit. Zu sehen, daß die Gesundheit wiederkehrte, war alles, was die unermüdliche Wärterin verlangte, jede Laune oder jede Forderung ihres Patienten auszuführen ihre höchste Lust und ihr schönster Lohn. Er fühlte sich umgeben von ihrer Liebe und hielt sich beinahe für so dankbar für dieselbe, als er gewesen, wie er schwach und hilflos in seiner Kindheit gewesen war.

Einige nebelhafte Vorstellungen hinsichtlich des ersten Teils seiner Krankheit, und daß ihn Fanny gepflegt habe, mag Pen wohl gehabt haben, aber sie waren so unklar, daß er sie nicht mit Deutlichkeit als Wirklichkeiten denken oder von Sinnestäuschungen unterscheiden konnte, die sich seiner Erinnerung nach während seines Fieberdeliriums aufgedrängt hatten. So konnte er denn, da er es bei früheren Gelegenheiten nicht für passend gefunden, seiner Mutter irgend welche Andeutungen auf Fanny Bolton zu machen, natürlich auch jetzt seine Empfindungen für Fanny ihr nicht 23 anvertrauen oder diese würdige Dame zu seiner Vertrauten machen. Es waltete auf beiden Seiten eine unglückliche Vorsicht und ein Mangel an Vertrauen ob, und ein Wort oder ein paar Worte zu rechter Zeit würden der guten Dame und denen, die zu ihr gehörten, viel Schmerz und Angst erspart haben.

Ich muß mit Bedauern gestehen, daß Frau Pendennis, als sie Fräulein Bolton als Wärterin bei Pen und zärtlich gegen ihn sah, dem Verhältnisse dieser unglücklichen beiden jungen Personen die übelste Deutung gegeben und es in ihrem Innern für ausgemacht gehalten hatte, daß die Anklagen gegen Pen wahr wären. Warum wartete sie dann aber nicht, um sich zu erkundigen? – Es gibt Geschichten zu Ungunsten eines Mannes, die die Frauen, die ihm am zärtlichsten zugetan sind, immer am bereitwilligsten glauben. Ist nicht die Gattin eines Mannes oft die erste, die eifersüchtig auf ihn ist? Dem armen Pen wurde eine gute Portion von dieser mit Verdacht gewürzten Art von Liebe von der Wärterin zugewendet, die jetzt über ihn wachte, und das gutherzige und reine Geschöpf dachte, ihr Knabe hätte eine viel schrecklichere und herunterbringendere Krankheit durchgemacht, als das bloße physische Fieber, und wäre sowohl durch Vergehen befleckt als durch Krankheit geschwächt. Das Bewußtsein hiervon hatte sie schweigend zu tragen und zu versuchen, ob sie mit der Maske der Heiterkeit und Zuversicht ihren innerlichen Zweifel, ihre Verzweiflung und ihren Abscheu verdecken könnte.

Als Kapitän Shandon in Boulogne die nächste Nummer der »Pall Mall Gazette« las, bemerkte er 24 gegen Frau Shandon, daß Jack Finucanes Hand in den Leitartikeln nicht mehr sichtbar wäre, und daß Herr Warrington wieder am Werke sein müßte. »Ich kenne das Knallen seiner Peitsche unter hundert anderen, und die Striemen, die die Peitschenschnur dieses Burschen zurückläßt. Da ist Jack Bludyer, der wie ein Metzger ans Werk geht und jeden Gegenstand zerhaut. Herr Warrington schlägt seinen Mann tot und zählt ihm seine Hiebe gerade und regelmäßig über den Rücken herunter, und so, daß jede Strieme mit Blut verläuft«, über welches gräßliche Gleichnis Frau Shandon sagte: »Jesus, Charles, wie kannst du nur so reden! Ich dachte immer, Herr Warrington wäre sehr großartig, aber doch ein gutmütiger Herr, und er war ja auch so äußerst freundlich gegen die Kinder.«

Hierauf erwiderte Shandon: »Ja, er ist freundlich gegen die Kinder, aber bösartig gegen die Männer; doch du verstehst allerdings kein Wort von dem, was ich sage, meine Liebe, und es ist recht gut so, denn es kommt bei der Schreiberei für Zeitungen wenig Gutes heraus, es ist besser, gemütlich hier in Boulogne zu leben, wo der Wein in Hülle und Fülle da ist und der Kognak nur zwei Frank die Flasche kostet. Mische uns einen anderen Humpen, Mary, meine Liebe, wir werden bald wieder ins Geschirr zurückgehen, cras ingens iterabimus aequor – hol's der Henker!«

Kurz, Warrington ging aus allen Leibeskräften an Stelle seines aufs Lager gestreckten Freundes an die Arbeit und besorgte Pens Anteil an der »Pall Mall Gazette« mit spitzer Feder, wie man zu sagen pflegt. Er schrieb gelegentliche Artikel und literarische 25 Kritiken; er besuchte Theater und musikalische Produktionen und besprach sie mit seiner gewöhnlichen strengen Energie. Seine Hand war zu schwer für solche kleinen Gegenstände, und es machte ihm Vergnügen, Arthurs Mutter, seinem Onkel und Laura zu erzählen, daß es unter der ganzen Klerisei der Schriftsteller keine anmutigere und leichtere, keine angenehmere und elegantere Hand gäbe, als die Arthurs. »Die Leute in diesem Lande verstehen nicht, was Stil ist, Madame, sonst würden sie die Verdienste unseres Jungen einsehen,« sagte er zu Frau Pendennis. »Ich nenne ihn unseren Jungen, Madame, denn ich habe ihn erzogen und bin so stolz auf ihn wie Sie, und wenn ich ein bißchen Eigenwille, ein bißchen Selbstsucht, ein bißchen Stutzerhaftigkeit abrechne, kenne ich kein wackereres, braveres oder gutherzigeres Geschöpf. Seine Feder ist manchmal gottlos, aber er ist so gut von Gemüt, wie eine junge Dame – wie Fräulein Laura hier – und ich glaube, er würde keinem sterblichen Menschen ein Leid tun.«

Hierauf sprachen Helene, obschon sie einen tiefen, tiefen Seufzer tat, und Laura, obschon auch sie schwer verwundet war, ihren besten Dank für Warringtons gute Meinung von Arthur aus und waren verliebt in ihn, daß er so an ihrem Pen hinge. Und Major Pendennis war laut in seinen Lobpreisungen auf Herrn Warrington, – lauter und begeisterter, als der Major es zu sein gewohnt war. »Er ist ein echter Edelmann, meine liebe Schwägerin,« sagte er zu Helene, »jeder Zoll ein Edelmann, meine Gute – die Warringtons von Suffolk, Baronets Karls des Ersten – was könnte er anderes als ein Edelmann sein, da er 26 aus dieser Familie stammt? – Sein Vater, Sir Miles Warrington, lief davon mit – bitt' um Verzeihung, Fräulein Bell. Sir Miles war ein sehr bekannter Mann in London und ein Freund des Prinzen von Wales. Dieser Herr hier ist ein Mann von den größten Talenten, den allerhöchsten Fähigkeiten, – sicher, in der Welt vorwärts zu kommen, wenn er einen Beweggrund hätte, seine Energie an die Arbeit gehen zu lassen.«

Laura errötete für sich, als der Major lobend von Arthurs Helden sprach. Als sie einen Blick in Warringtons männliches Gesicht und seine dunkeln melancholischen Augen getan, hatte diese junge Person über ihn nachgedacht und war in ihrem Innern darüber klar geworden, daß er das Opfer einer unglücklichen Neigung gewesen sein müßte, und als sie sich auf diesem Gedanken ertappte, errötete Fräulein Bell.

Warrington mietete sich dicht daneben, in Greniers Wohnung in Flag Court ein, und wenn er Pens Arbeit mit großer Energie des Morgens abgetan hatte, so war sein Vergnügen und seine Freude, am Nachmittag zu kommen und sich an sonnigen Herbstabenden als Gesellschafter zu dem Kranken zu setzen; und er hatte mehr als einmal die Ehre, Fräulein Bell seinen Arm zu einem Spaziergang im Tempelgarten zu geben; wenn die offenherzige Laura sich von Helene die Erlaubnis erbat, diese Erholung zu genießen, sagte der Major eifrig:

»Ja, ei ja wohl, weiß Gott – natürlich müssen Sie mit ihm gehen – wissen Sie, es ist wie auf dem Lande draußen – jeder geht mit jedem im Garten 27 spazieren, und da gibt's Aufseher, wissen Sie, und dergleichen mehr – jeder geht im Tempelgarten spazieren.« Wenn der große Sittenrichter nichts dagegen hatte, warum sollte es denn die einfache Helene? Sie war froh, daß ihre Pflegetochter so viel frische Luft haben sollte, als der Fluß geben konnte, und daß sie sie von diesen harmlosen Ausflügen mit erhöhter Wangenfarbe und Laune zurückkehren sah.

Zwischen Laura und Helene, wie der Leser wissen muß, war es zu einer kleinen Erklärung gekommen. Als die Nachricht von Pens beängstigender Krankheit anlangte, hatte Laura darauf bestanden, die erschrockene Mutter nach London zu begleiten, hatte von der abschläglichen Antwort, welche die noch immer zornerfüllte Helene gab, nichts hören wollen und hätte endlich, als eine zweite noch ernstere abschlägliche Antwort erfolgt war und als es schien, als müsse man an dem Leben des armen verlorenen Jünglings verzweifeln, und als man wußte, seine Aufführung wäre der Art gewesen, daß alle Gedanken an eine Verbindung dadurch hoffnungslos gemacht wären, mit vielen Tränen ihrer Mutter ein Geheimnis erzählt, das jede etwas aufmerkende Person, die diese Geschichte liest, schon kennt. Durfte man ihr, nun sie ihn nie heiraten konnte, den Trost verweigern, der in dem Geständnisse lag, wie zärtlich, wie wahrhaft, wie ganz und gar sie ihn geliebt hatte? Die sich vermischenden Tränen der Frauen besänftigten den Schmerz ihres Kummers in etwas, und die Kümmernisse und Aengste während ihrer Reise wurden wenigstens insoweit gemildert, daß sie dieselben teilten. 28

Was konnte Fanny erwarten, wenn sie plötzlich zum Urteil vor ein paar Richter dieser Art gebracht wurde? Nichts, als schnelle Verurteilung, schreckliche Strafe und unbarmherzige Abführung! Die Frauen sind grausame Kritiker in solchen Fällen wie demjenjgen, in den die arme Fanny verflochten war, und wir haben es gern, daß sie so sind; denn hat eine Frau außer der Wache, die ein Mann um seinen Harem stellt, und außer den Schutzwaffen, die sie selbst in ihrem Herzen, ihrer Treue und Ehre besitzt, nicht auch noch ihr ganzes Geschlecht, alle ihre Freundinnen um sich, die darauf achten, daß sie nicht auf Irrwege geht, und bereit sind, sie in Stücken zu zerreißen, wenn sie beim Straucheln betroffen wird? Wenn unsere Mahmuts oder Selims von Baker Street oder Belgrave Square ihre Fatimen mit verdienter Strafe heimsuchen, so nähen ihre Mütter Fatimas Sack für sie, und ihre Schwestern und Schwägerinnen sehen wohlgefällig zu, wenn sie ins Wasser geworfen wird. Und der Schriftsteller, der diese Zeilen schreibt, sagt nicht Nein dazu; er verwahrt sich feierlich dagegen; er ist gleichfalls ein Türke. Er trägt einen Turban und Bart wie ein anderer und ist durchaus für das Insäckenähen, Bismillah! Aber ihr Fleckenlosen, die ihr das Recht der Todesstrafe als Attribut habt, seid wenigstens sehr vorsichtig, daß ihr nur die richtige Person (wenn man sie so nennen darf) abtut. Versichert euch erst genau der Tatsache, ehe ihr die Barke aussendet, und werft eure Sklavin nicht eher in den Bosporus, als bis ihr völlig überzeugt seid, daß sie es verdient. Das ist alles, worauf ich zugunsten der armen Fatima dringen 29 wollte – absolut alles – nicht ein Wort mehr, beim Barte des Propheten! Wenn sie schuldig ist, hinunter mit ihr – den Sack über Bord gehoben, hinunter damit in das Wallen und Rollen des Goldenen Horns, und nachdem Gerechtigkeit geübt ist, fort, Leute, und laßt uns zum Abendessen heimfahren!

So hatte der Major in keiner Weise etwas gegen Warringtons fortgesetzte Promenaden mit Fräulein Laura, sondern ermutigte wie ein wohlwollender alter Herr die Intimität des Paares in jeder Weise. Gab es irgendwo Ausstellungen in der Stadt, so war er dafür, daß Warrington sie hinführte. Wenn Warrington selbst den Vorschlag gemacht hätte, sie nach Vauxhall zu führen, so würde dieser liebenswürdigste der Menschen darin nichts Böses gefunden haben, – auch Helene nicht, wenn Pendennis der Aeltere es so hätte haben wollen; auch würde dort nichts Unrechtes vorgefallen sein zwischen zwei Personen, deren Ehre völlig fleckenlos war, – zwischen Warrington, der zum erstenmal in seinem Leben mit einem reinen, hochherzigen und ungekünstelten Weibe engere Bekanntschaft machte, und Laura, die gleichfalls zum ersten Male zu fortwährendem Umgange mit einem Herrn von großen natürlichen Gaben und bedeutender Befähigung, sich beliebt zu machen, veranlaßt wurde, einem Herrn, der mannigfaltige Kenntnisse, Begeisterung, Einfachheit, Humor und jene Frische des Gemüts besaß, die sein einfaches Leben und seine einfachen Gewohnheiten ihm verliehen, und was so sehr mit Pens stutzerhafter Gleichgültigkeit im Benehmen und seinem welken Spötterlächeln kontrastierte. Selbst in der 30 Ungeschlachtheit Warringtons war eine Feinheit, die der Feintuerei des anderen abging. Was für ein Unterschied zwischen seiner Energie, seinem achtungsvollen Benehmen, seinem Wunsche zu gefallen, seinem herrlichen Lachen oder einfachen zutraulichen Pathos und Sultan Pens gähnender Herrschermiene und seiner gelangweilten Hinnahme der ihm dargebrachten Huldigungen! Was hatte Pen zu Hause zu solch einem Modelaffen und Despoten gemacht? Die Frauen hatten ihn verdorben, wie wir sie gern haben und wie sie es gern tun. Sie hatten ihn mit Beweisen von Gehorsam überschüttet und ihn mit süßer Ehrerbietung und Unterwürfigkeit hochmütig gemacht, bis er die Sklavinnen satt bekam, die ihm aufwarteten, und ihre Hätscheleien und Schmeicheleien ihm kein Vergnügen mehr machten. Von Hause aus war er flott und lebhaft, hastig und leidenschaftlich genug – die meisten Menschen sind's, indem sie so veranlagt und so aufgewachsen sind. Läuft dieser Ausspruch, wie der vorige, Gefahr, falsch ausgelegt zu werden, und untersteht sich jemand, zu vermuten, daß der Verfasser die Weiber zur Revolte anstiften will? Nimmer, beim Barte des Propheten! sagt er abermals. Er trägt einen Bart und will, daß seine Weiber Sklavinnen sind. Welcher Mann wollte das nicht? Welcher Mann möchte gern unter dem Pantoffel stehen? frage ich. Eher wollen wir alle Köpfe in der Christen- und Türkenheit abhauen, als das erleben.

Nun denn, wenn Arthur so gelangweilt, so gleichgültig und teilnahmlos an allen ihm zugewandten Gunstbezeigungen war, wie kam es dann, daß Laura 31 eine solche Liebe und eine solche heftige Neigung zu ihm hatte, daß ein bloßer unangemessener Ausdruck derselben das Mädchen zu fortwährendem Sprechen von Fairoaks bis London veranlaßte, als sie und Helene in der Postchaise reisten? Sobald Helene eine Geschichte von dem lieben Jungen beendigt und mit hundert Seufzern und Ausrufen und Blicken gen Himmel einige spannende Ereignisse erzählt hatte, die sich um die Periode begeben hatten, wo der Held seine ersten Höschen bekam, begann Laura eine andere, gleich interessante und in gleicher Weise mit Tränen geschmückte Erzählung und meldete, wie heldenmütig er sich einen Zahn hätte herausnehmen oder nicht herausnehmen lassen oder wie kühn er ein Vogelnest ausgenommen oder wie großmütig er es verschont oder wie er der alten Frau auf dem Anger einen Schilling gegeben hätte oder ohne seine Butterschnitte gegangen sei, zugunsten des Betteljungen im Hofe und so weiter. Eine dieser beiden seufzenden Weiber sang der anderen Klagelieder über ihren Helden vor, der, wie mein würdiger Leser längst gemerkt hat, nicht mehr von einem Helden hat als einer von uns beiden. Wenn er aber so war, warum sollte ein gescheidtes Mädchen ihm so gut sein?

Dieser Punkt ist in einem vorhergehenden unglücklichen Satze behandelt worden (der neulich dem Verfasser den ganzen Zorn Irlands auf den Hals gezogen hat), und welcher besagte, daß die größten Schurken und Gurgelabschneider auch jemand gehabt hätten, der ihnen gut gewesen wäre, und wenn dies bei solchen Ungeheuern der Fall gewesen, warum dann nicht 32 bei gewöhnlichen Sterblichen? Und in wen sonst soll eine junge Dame sich verlieben, als in die Person, welche sie sieht? Man darf von ihr nicht glauben, daß sie wie eine Prinzessin in »Tausendundeine Nacht« ihr Herz im Traume verlieren oder ihre jugendliche Neigung dem Porträt eines Herrn in der Ausstellung oder einer Skizze in der ›Londoner Illustrierten Zeitung‹ zuwenden werde. Man hat einen Trieb in sich, der uns anregt, sich jemandem anzuschließen, man trifft mit solchem ›Jemand‹ zusammen, man hört den ›Jemand‹ fortwährend loben, man spaziert, walzt, schwatzt oder sitzt im selben Betstuhl mit dem ›Jemand‹, man trifft wieder und wieder mit ihm zusammen, – »Heiraten werden im Himmel geschlossen,« sagt die gute Mama, indem sie der Braut den Kranz von Orangenblüten im Haar befestigt und ihr die gütigen Augen von Tränen verdunkelt sind – es gibt einen Hochzeitsschmaus, und die Verheiratete zieht ihr weißes Atlaskleid aus und begibt sich in die vierspännige Kutsche, und sie und er sind ein glückliches Paar. – Oder, die Angelegenheit wird abgebrochen, und dann, o du armes liebes verwundetes Herz! ei, dann triffst du mit einem anderen ›Jemand‹ zusammen und klammerst dich mit deinen jugendlichen Zuneigungen an Nummer zwei. Es ist deine Natur, so zu handeln. Denkst du, es ist alles um des Mannes willen, und nicht auch ein bißchen deinethalben, daß du liebst? Denkst du, du würdest trinken, wenn du nicht Durst, oder essen, wenn du nicht Hunger hättest?

So liebte denn Laura unseren Pen, weil sie in Fairoaks kaum jemand anderes sah als Doktor 33 Glanders und weil seine Mutter ihren Arthur in einem fort lobte, und weil er ein anständiger, ziemlich hübscher und verständiger Mensch war, und weil es vor allem in ihrer Natur lag, jemanden zu lieben. Und nachdem sie einmal dies Bild in ihr Herz aufgenommen hatte, pflegte und umschloß sie es dort zärtlich, brütete während seiner langen Abwesenheit und ihrer steten Einsamkeit darüber und hegte es liebend, aber was in aller Welt konnte sie, als sie hierauf nach London kam und Gelegenheit hatte, mit Herrn George Warrington ziemlich intim bekannt zu werden, davon abhalten, ihn für einen sehr wunderbaren, originellen, angenehmen und liebenswürdigen Menschen zu halten?

Lange Zeit nachher, als diese Tage vergangen waren und das Schicksal nach seiner eigenen Weise über die verschiedenen jetzt in dem verräucherten Gebäude von Lamb Court versammelten Personen verfügt hatte, blickten einige derselben wohl zurück und dachten daran, wie glücklich die Zeit war und wie angenehm ihre abendlichen Unterhaltungen, ihre kleinen Spaziergänge und einfachen Erholungen um das Sofa des genesenden Pen gewesen waren. Der Major hatte von dieser Zeit an eine günstige Meinung vom September in London und erklärte in seinen Klubs und Gesellschaften, daß die stille Saison, bei Gott, oft angenehm, verteufelt angenehm wäre. Er pflegte des Nachts nach seiner Wohnung in Burg Street zurückzugehen, sich wundernd, daß es schon so spät und daß der Abend so schnell verflossen wäre. Er erschien im Tempel ziemlich regelmäßig am Nachmittag und 34 humpelte die hohe schwarze Treppe mit einer ganz wohlwollenden Geschäftigkeit und Geduld hinauf. Und er gewann den Küchenchef bei Bays (jenen berühmten Koch, den die Durchsicht von seinem Werk über Gastronomie ihn, den begabten Autor, zwang, in London zurückzubleiben), ihm kleine Gelées, delikate klare Süppchen, Aspiks und andere für Kranke passende Kleinigkeiten zu bereiten, welche Morgan, der Bediente, fortwährend der kleinen Kolonie in Lamb Court hinbrachte. Und als Pen von Doktor Goodenough die Erlaubnis erhielt, ein oder zwei Glas reinen Sherry zu trinken, erzählte der Major, beinahe mit Tränen in den Augen, wie sein edler Freund, der Marquis von Steyne, als er auf seinem Wege nach dem Kontinent durch London gereist wäre, angeordnet hätte, jede beliebige Quantität von seinem köstlichen, seinem unschätzbaren Amontillado, einem Geschenk König Ferdinands an den edlen Marquis, zur Verfügung des Herrn Arthur Pendennis zu stellen. Die Witwe und Laura kosteten davon mit Respekt (obwohl ihnen der bittere Beigeschmack nicht im mindesten gefiel), aber der Kranke wurde dadurch sehr gestärkt, und Warrington nannte ihn über die Maßen gut und brachte nach Tische am ersten Tage, wo der Wein aufgesetzt wurde, in einer ironischen Rede die Gesundheit des Majors, die des Lord Steyne und der Aristokratie überhaupt aus.

Major Pendennis sprach seinen Dank mit der größten Würde und in einer Rede aus, in welcher er die Worte »die gegenwärtige Gelegenheit« mindestens die gehörige Anzahl Male gebrauchte. Pen stimmte 35 mit seiner schwachen Stimme von seinem Armstuhle aus in das Hoch ein. Warrington lehrte Fräulein Laura »Hört! hört!« zu schreien und klopfte mit den Knöcheln auf den Tisch. Pidgeon, der Laufjunge, grinste, und der wackere Doktor Goodenough fand die Gesellschaft in recht großer Heiterkeit, als er hereinkam, um seinen pflichtschuldigen gerngesehenen Besuch abzustatten.

Warrington kannte Sibwright, der unten wohnte, und dieser galante Herr schrieb in Beantwortung eines Briefes, den man sich von seiner Wohnung zu schreiben erlaubt hatte, den höflichsten und blumenreichsten Einwilligungsbrief zurück. Er stellte seine Zimmer ihren schönen Inhaberinnen zur Verfügung, sein Bett zu ihren Diensten, seine Teppiche ihren Füßen und so fort. Jedermann war dem Kranken und seiner Familie freundschaftlich gesinnt. Sein Herz (und wir können uns vorstellen, das seiner Mutter auch) schmolz ihm, wenn er an so viel Güte und Gutmütigkeit dachte. Möge es Pens Biographen verziehen werden, wenn er hier auf eine Zeit anspielt, die nicht fern liegt und wo ein ähnliches Mißgeschick ihm einen gottgesandten Freund, einen gütigen Arzt und tausend Beweise der rührendsten und überraschendsten Freundlichkeit und Teilnahme brachte.

In Herrn Sibwrights Wohnung stand ein Piano; dieser Herr, ein Liebhaber aller Künste, spielte zwar selbst – wenn auch außerordentlich schlecht – auf dem Instrumente und hatte auch ein ihm gewidmetes Lied (dessen Worte von ihm selbst waren, die Musik aber von seinem ergebenen Freunde Leopoldo 36 Twankidillo), und an diesem Musikkasten, wie Herr Warrington es nannte, spielte und sang, zuerst unter großem Erbeben und Erröten (das ihr sehr gut stand) Laura manchmal des Abends einfache Melodien und alte Lieder aus der Heimat. Ihre Stimme war ein reicher Kontraalt, und Warrington, der kaum eine Melodie von einer anderen zu unterscheiden verstand und nur eine einzige Melodie oder Weise in seinem Repertoire hatte, eine höchst unmelodische Nachahmung von God save the King nämlich, saß entzückt bei ihr und lauschte diesen Gesängen. Er konnte, wenn auch nicht ihrer Harmonie, so doch ihrem Rhythmus folgen und dabei mit steter und täglich wachsender Begeisterung das reine, zartfühlende und edle Geschöpf, welches musizierte, beobachten.

Ich möchte wissen, ob das arme blasse kleine Mädchen in dem schwarzen Hute, das manchmal abends an dem Laternenpfahl in Lamb Court zu stehen pflegte und nach den offenen Fenstern hinaufschaute, aus denen die Musik kam, dieselbe gern hörte! Wenn Pens Schlafenszeit kam, schwiegen die Lieder. Lichter erschienen im oberen Zimmer, seinem Zimmer, wohin die Witwe ihn zu führen pflegte; und dann spielten der Major und Herr Warrington und manchmal auch Fräulein Laura ein Spielchen Ecarté oder Puff oder sie setzte sich zu ihnen und stickte in Wolle ein Paar Pantoffeln – ein Paar Herrenpantoffeln – sie konnten möglicherweise für Arthur oder Georg oder Major Pendennis bestimmt sein, jeder von diesen dreien würde jedenfalls alles Mögliche für die Pantoffeln gegeben haben. 37

Während drinnen dergleichen Dinge vorgingen, pflegte ein ziemlich ärmlich angezogener alter Herr zu kommen und das bleiche Mädchen im schwarzen Hute wegzuführen, welches kein Recht hatte, in der Nachtluft draußen zu sein, und die Türhüter des Tempels, die wenigen Aufwärterinnen und andere Kunstliebhaber, die dem Konzerte zugehört hatten, pflegten ebenfalls zu verschwinden.

Kurz vor zehn Uhr gab es noch eine musikalische Aufführung, nämlich die der Glocken von St. Clements Uhr am Strande, die die klaren freudigen Noten eines Psalms spielte, ehe sie sich daran machte, ihre zehn bedeutungsvollen Schläge ertönen zu lassen. Sobald sie erklangen, begann Laura ihre Pantoffeln zusammenzupacken, Martha aus Fairoaks erschien mit einem Bettleuchter und einem steten Lächeln auf ihrem Gesichte; der Major sagte: »Sapperlot, ist's denn schon so spät?« Warrington und er verließen ihr unvollendetes Spiel, standen auf und gaben Fräulein Bell die Hand. Martha aus Fairoaks leuchtete ihnen auf den Gang hinaus und die Treppe hinunter, und als sie hinabstiegen, konnten sie hören, wie sie hinter ihnen die Tür verschloß und verriegelte, um mit ihrer jungen Herrin sicher zu sein. Hätte es irgendeine Gefahr gegeben, so würde sie, wie Martha grinsend sagte, den »ollen krummen Säbel, der in dem Herrn seiner Stube hinge, runtergelangt haben« – womit sie den damaszener Scimetar mit dem Namen des Propheten auf der Klinge und der rotsamtnen Scheide meinte, den Percy Sibwright, Esquire, zugleich mit einem Albaneseranzuge von seiner Reise in die 38 Levante zurückgebracht, und den er mit so eleganter Wirkung auf dem Maskenballe der Lady Mullinger, Gloucester Square, Hyde Park. getragen hatte. Er hatte sich in die Schleppe des Fräuleins Kewsey verwickelt, die in dem Kleide erschien, in welchem sie nebst ihrer Mama ihrem Souverän vorgestellt worden war (letzteres bei der Gemahlin des Lordkanzlers), und dieses Verwickeln führte zu Ereignissen, die mit dieser Geschichte nichts zu tun haben. Ist nicht Fräulein Kewsey jetzt Frau Sibwright? Hat Sibwright nicht eine Stelle als Grafschaftsrat bekommen? – Gute Nacht, Laura und Martha von Fairoaks. Schlaf wohl und erwache glücklich, reine und edle Dame!

Manchmal nach diesen Abenden ging Warrington ein Stückchen mit Major Pendennis – nur so ein kleines Stückchen – nur bis zum Tempeltore – bis zum Strande – bis Charing Cross – bis zum Klub – er ginge nicht in den Klub? Nun, bis nach Burg Street, wo er lachend dem Major auf dessen eigenen Türstufen die Hand schüttelte. Sie hatten den ganzen Weg über von Laura gesprochen. Es war wunderbar, wie enthusiastisch der Major, der, wie wir wissen, sie einst nicht leiden konnte, in bezug auf die junge Dame geworden war. – »Höllisch nettes Mädchen, bei Gott! Höllisch fein erzogene Manieren– meine Schwägerin hat die Manieren einer Herzogin und würde jedes Mädel gut erziehen. Fräulein Bell merkt man zwar ein bißchen das Land an. Aber der Geruch der Schlehen ist angenehm, sapperlot. Wie sie errötet! Unsere Londoner Mädels würden für ein Bukett wie dieses manche Guinee geben – natürliche Blumen, bei Gott. 39 Und sie hat auch ein bißchen Geld – nicht der Rede wert – aber doch ein leidliches bißchen Geld.« Warrington stimmte all diesen Meinungen ohne Zweifel bei, und obwohl er lachte, als er dem Major die Hand schüttelte, legte sich doch sein Gesicht, als er seinen alten Begleiter verließ, in Falten; er wandelte in seine Wohnung zurück und schmauchte Pfeife auf Pfeife in die Nacht hinein und schrieb Artikel auf Artikel, boshafter und immer boshafter statt seines dazu unfähigen Freundes Pen.

Nun, es war fast für alle dabei Beteiligten eine glückliche Zeit. Pens Befinden besserte sich täglich. Schlafen und Essen waren seine steten Beschäftigungen. Sein Appetit hatte etwas Fürchterliches. Er schämte sich, denselben vor Laura, ja sogar vor seiner Mutter zu zeigen, die lachte und ihm Beifall zollte. Wenn das gebratene Huhn seines Mittagessens fortgetragen wurde, warf er dem scheidenden Freunde einen trüb-sehnsüchtigen Blick zu und begann, sich nach Gelée oder Tee oder was sonst noch umzuschauen. Er war wie ein Menschenfresser im Verschlingen. Der Doktor schrie: Halt! aber Pen wollte nicht Halt machen. Die Natur rief lauter aus ihm als der Doktor, und dieser gütige und freundliche Arzt übergab ihn mit sehr guter Laune der anderen Heilerin.

Und hier wollen wir sehr zart und im strengsten Vertrauen von einem Ereignis sprechen, das ihn betraf, und auf das er niemals eine Anspielung liebte. Während seines Deliriums hatte der unbarmherzige Goodenough ihm Eis auf den Kopf zu legen und all 40 sein hübsches Haar ihm abzuschneiden befohlen. Es war dies in der Zeit der – der anderen Wärterin geschehen, die natürlich jedes einzelne Haar für die Witwe in einem Papiere aufhob, damit sie es zählte und aufbewahrte. Sie glaubte nie anders, als daß das Mädchen einige davon weggenommen hätte, aber freilich sind die Weiber auch gar so voller Verdacht bei derartigen Angelegenheiten.

Als dieser schreckliche Verlust dem Major Pendennis vor Augen kam, was natürlich das erstemal geschah, wo der Aeltere des armen jungen Mannes geschorenen Kopf sah, und als Pen ganz außer Gefahr war und täglich mehr Kraft gewann, sagte der Major mit etwas, das wie Erröten aussah, und einem wunderlichen Blinzeln seiner Augen, daß er einen – eine Person – einen Friseur kenne, – wirklich – einen guten Mann, den er in den Tempel schicken wollte, und der ihm – ein – ein – ein zeitweiliges Hilfsmittel für dieses Unglück geben werde.

Laura sah Warrington mit den pfiffigsten Blicken ihrer Augen an – Warrington brach geradezu in ein Gelächter aus vollem Halse aus, selbst die Witwe mußte lachen, und der errötende Major verwünschte die Unverschämtheit des jungen Volkes und sagte, wenn er sich die Haare schneiden ließe, so würde er für Fräulein Bell eine Locke aufheben.

Warrington schlug vor, Pen solle die Perücke eines Advokaten tragen. Da wäre die von Sibwright unten, die ihn ungeheuer schön stehen würde. Pen sagte »Blödsinn« und schien so verlegen wie sein Onkel, und das Ende vom Liede war, daß ein Herr aus der 41 Burlington Arcade dem Herrn Pendennis am nächsten Tage seine Aufwartung machte und in seiner Schlafstube mit ihm eine geheime Unterredung hatte; und eine Woche nachher erschien dasselbe Individuum mit einer Schachtel unter dem Arme und einem unbeschreiblich höflichen Grinsen auf seinem Gesichte und zeigte an, daß er »Herrn Pendennis' seine Perücke gebracht hätte«.

Es mußte ein erhabener, aber trauervoller Anblick gewesen sein, Pen in der Verborgenheit seines Gemaches haben sehen zu können, wie er betrübt seine verwüstete Schönheit und die künstlichen Mittel, den Untergang derselben zu verbergen, betrachtete. Er erschien endlich mit der Perücke, aber Warrington lachte so, daß Pen verdrießlich wurde und zurückging, um seine Sammetmütze aufzusetzen, einen schmucken Turban, den die zärtlichste der Mamas für ihn gearbeitet hatte. Dann nahmen Herr Warrington und Fräulein Bell etliche Blumen von den Hüten der Damen und flochten einen Kranz daraus, mit dem sie die Perücke schmückten, sie in feierlicher Prozession herausbrachten und ihr huldigten. Kurz, sie überließen sich hundert Scherzen, Witzen, Neckereien und petits jeux innocents, so daß der zweite und dritte Stock von Nr. 6 Lamb Court Tempel von mehr Heiterkeit und Gelächter wiedertönte, als diese Umgebung seit langer Zeit erfahren hatte.

Endlich, nachdem dieses Leben etwa zehn Tage lang gewährt hatte, erklang, als die kleine Späherin im Hofe herauskam, um ihren gewöhnlichen Posten der Beobachtung an der Laterne einzunehmen, keine Musik 42 mehr aus den Fenstern des zweiten Stocks, gab's keine Lichter mehr in den Fenstern des dritten, die Fenster von beiden waren offen, und die Inhaber waren fort. Frau Flanagan, die Aufwärterin, erzählte Fanny, was geschehen war. Die Damen und die ganze Gesellschaft waren des Luftwechsels wegen nach Richmond gegangen. Der altmodische Reisewagen war wieder herausgebracht und mit einer Menge Kissen für Pen und seine Mutter ausgelegt worden, und Fräulein Laura hatte in der liebenswürdigsten Weise den Omnibus unter Herrn George Warringtons Obhut bestiegen. Er kam zurück und nahm denselben Abend in der öden freudlosen Wohnung von seinem alten Bette, seinen alten Büchern und Pfeifen, aber vielleicht nicht von seinem alten Schlafe Besitz.

Die Witwe hatte auf seinem Tische einen Krug hübsch geordneter Blumen zurückgelassen, und als er eintrat, erfüllten sie den einsamen Raum mit Duft. Sie waren Erinnerungszeichen an die guten, edlen Seelen, die fortgegangen waren, und die diesen öden freudlosen Ort eine kleine Weile geschmückt hatten. Georg fühlte, er hatte die seligsten Tage seines ganzen Lebens genossen – er wußte es, nun sie vorüber waren; er ging, hob die Blumen auf und hielt sie an sein Gesicht, sog ihren Duft ein – vielleicht küßte er sie auch. Als er sie wieder hinstellte, rieb er sich mit seiner rauhen Hand mit einem bitteren Ausrufe und Lachen die Augen. Er würde sein ganzes Leben, seine Seele hingegeben haben, um den Preis zu gewinnen, den Arthur von sich stieß. Wollte sie Ruf und Namen? Er würde ihn für sie gewonnen haben – hingebende 43 Liebe? Ein großes Herz voll erhaltner Zärtlichkeit, männlicher Liebe und edlem Zartgefühl war für sie da, wenn sie es nur annehmen wollte. Aber es sollte nicht sein. Das Geschick hatte es anders beschlossen. »Selbst wenn ich könnte«, dachte Georg, »würde sie mich nicht haben wollen. Was hat ein häßlicher rauher alter Bursche wie ich, um ein Weib zu veranlassen, ihn zu lieben? Ich fange an, alt zu werden, und habe mich im Leben noch nicht ausgezeichnet. Ich habe weder ein hübsches Aussehen, noch Jugend, noch Geld, noch Ruf. Man muß, um ein Weib für sich zu gewinnen, imstande sein, etwas mehr zu tun, als sie anzustarren und ihr auf den Knien seine ungeschlachte Huldigung darzubringen. Was kann ich tun? Eine Menge junger Burschen haben mich im Wettlaufen überholt – was sie die Preise des Lebens nennen, schien mir der Mühe des Ringens nicht wert zu sein. Aber für sie! Wäre sie mein gewesen und sie hätte gern einen Diamant gehabt – ach! würde sie ihn nicht bekommen haben! Bah, was für ein Narr bin ich doch, über Dinge zu faseln, die ich getan haben würde! Wir sind die Sklaven des Schicksals. Unsere Lose werden uns im voraus gestaltet, und das meinige ist längst verordnet. Komm, Warrington, zünde dir 'ne Pfeife an und stelle diese duftenden Blumen aus deinem Bereiche. Arme, kleine, schweigende Blumen! Ihr werdet morgen tot sein. Was für einen Zweck hatte es, eure roten Wangen an diesem verräucherten Orte zu zeigen?«

Neben seinem Bett fand Georg eine neue Bibel, die die Witwe dort hingelegt hatte, mit einem Billet darin, welches besagte, daß sie das Buch in seiner 44 Sammlung in einem Zimmer, wo sie so manche Stunde verbracht und wo Gott auf ihr Gebet ihr das Leben ihres Sohnes geschenkt hätte, nicht gesehen hätte, und daß sie Arthurs Freunde das Beste gäbe, was sie vermöchte, und ihn ernstlich bäte, manchmal in dem Bande zu lesen und es als ein Zeichen der Achtung und Liebe einer dankbaren Mutter aufzubewahren. Der arme Georg küßte wehmütig das Buch, wie er es mit den Blumen getan, und der Morgen fand ihn immer noch auf seinen ehrwürdigen Seiten lesend, in denen so manche zärtliche und treue Seelen Trost in Bedrängnis und Hoffnung in der Not gefunden haben.



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