William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Einundzwanzigstes Kapitel

Herr und Frau Samuel Huxter

Liebe Blanche,« schrieb Arthur, »Sie lesen und träumen stets niedliche kleine Dramen und spannende Romane im gewöhnlichen Leben, sind Sie jetzt bereit, eine Rolle in einem solchen zu spielen? Und zwar nicht die angenehmste Rolle, liebe Blanche, nicht die Rolle, in der die Heldin Besitz nimmt vom Schlosse und Reichtume ihres Vaters, und, indem sie ihren Gatten ihren getreuen Eingesessenen und Vasallen vorstellt, ihren glücklichen Bräutigam mit dem Ausrufe: »Alles dies ist Mein und Dein!« grüßt, – sondern die entgegengesetzte Rolle, die Rolle der unglücklichen Dame, die plötzlich entdeckt, daß sie nicht die Frau des Prinzen, sondern das Weib Claude Melnottes, des Bettlers, ist, die Rolle von Alnaschars Frau, die gerade eintritt, als ihr Gatte das Porzellanservice umgeworfen hat, das ihn zum reichen Manne machen 412 sollte – doch halt! Alnaschar, der das Porzellan umwarf, war kein Ehemann; er hatte sein Auge auf des Veziers Tochter geworfen, und seine Hoffnungen auf sie fielen mit den zerbrochenen Schüsseln und Teetassen zu Boden.

Wollen Sie die Tochter des Veziers sein und Alnaschar mit spöttischem Lachen zurückweisen, oder wollen Sie die Dame von Lyon sein und den bettelarmen Claude Melnotte lieben? Ich will die Rolle spielen, welche Sie wünschen. Ich will Sie dafür so lieben, wie ich es imstande bin. Ich will alles tun, was ich kann, um Ihr bescheidenes Leben zu einem glücklichen zu machen, denn bescheiden wird es sein; wenigstens spricht der Stand der Dinge gegen jede andere Berechnung; wir werden leben und sterben in ärmlicher, prosaischer und alltäglicher Weise. Es wird keine Sterne und Epauletten für den Helden unserer Geschichte geben. Ich werde noch eine oder ein paar Geschichten schreiben, die bald vergessen sein werden. Ich werde Advokat werden und versuchen, in meinem Berufe vorwärts zu kommen, vielleicht, wenn ich recht viel Glück habe und recht tüchtig arbeite (was abgeschmackt ist), werde ich ein Amt in den Kolonien bekommen, und Sie werden dann die Frau eines indischen Richters sein. Inzwischen werde ich die ›Pall Mall Zeitung‹ zurückkaufen; die Herausgeber haben sie seit dem Tode des armen Shandon satt und werden sie für eine geringe Summe verkaufen. Warrington wird meine rechte Hand sein und sie zu einer respektablen Abonnentenzahl hinaufschreiben. Ich werde Sie Herrn Finucane vorstellen, dem zweiten Redakteur, und ich weiß, wer am Ende 413 Frau Finucane werden wird, – ein sehr hübsches sanftes Geschöpf, welche ein trübes Leben in holder Anmut gelebt hat – und wir wollen drauflos arbeiten, auf bessere Zeiten hoffen und unser täglich Brot auf anständige Weise verdienen. Sie sollen die Rubrik ›Opernloge‹ haben und die Aufsicht über ›Nachrichten aus der vornehmen Welt‹ führen, und Ihr Herzchen im ›Poetenwinkel‹ brechen dürfen. Wollen wir über der Expedition wohnen? Es sind vier sehr gute Stuben, eine Küche und ein Dachstübchen für Laura in der Katharinenstraße am Strand zu haben, oder würden Sie ein Haus in der Waterloo Road vorziehen? Es würde sehr angenehm sein, nur ist dort jener Halbpennyzoll an der Brücke. Die Knaben müssen ins Kingskollege gehen, nicht wahr? Kommt Ihnen dies, wenn Sie es lesen, nicht als ein Scherz vor?

Ach, liebe Blanche, es ist kein Scherz, ich bin ganz nüchtern und sage die reine Wahrheit. Unsere schönen Träume sind dahin. Unsere Kutsche ist davongerollt, uns aus dem Gesichte wie Aschenbrödels Wagen, unser Haus in Belgravia ist von einem böswilligen Genius in die Lüfte entführt worden, und ich bin ebensowenig ein Parlamentsmitglied, wie ich ein Bischof auf seiner Bank im Hause der Lords oder ein Herzog mit einem Hosenband am Knie bin. Sie wissen ziemlich gut, was mein Eigentum ist und wieviel Ihr kleines Vermögen beträgt; beides zusammengenommen können wir genug haben, um in bescheidenem Wohlstande zu leben, um manchmal einen Wagen zu nehmen, wenn wir unsere Freunde besuchen wollen, und um uns nicht eine Fahrt im Omnibus versagen zu müssen, wenn wir müde sind. 414 Aber das ist auch alles, und ist das genug für Sie, mein zierliches Dämchen? Ich bin manchmal zweifelhaft, ob Sie das Leben aushalten können, das ich Ihnen anbiete, – wenigstens ist es billig, daß Sie wissen, was für ein Leben es sein wird. Wenn Sie sagen: ›Ja, Arthur, ich will Ihrem Schicksale folgen, welcher Art es auch sein möge, und Ihnen ein treues und liebendes Weib sein, das Ihnen hilft und Sie aufrichtet‹, wohlan, dann kommen Sie zu mir, meine teure Blanche, und möge Gott mir helfen, daß ich meine Pflicht an Ihnen erfülle. Wenn nicht, und wenn Sie nach einer höheren Stellung ausschauen, darf ich mich dem Glücke Blanches nicht in den Weg stellen. Ich werde dann im Gedränge stehen und Ihre Ladyschaft zu Hofe gehen sehen, wo Sie vorgestellt werden und mir ein Lächeln aus Ihrem Kutschenfenster schenken. Ich sah Lady Mirabel in der letzten Saison zum Empfang im Schlosse gehen, der glückliche Herr Gemahl an ihrer Seite glitzerte von Sternen und Ordensbändern. Alle Blumen des Gartens blühten am Busen des Kutschers. Wollen Sie diese und den Wagen haben oder zu Fuße gehen und Ihrem Gatten die Strümpfe stopfen?

Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen – später tue ich es vielleicht, wenn der Tag kommen sollte, wo wir vor einander keine Geheimnisse mehr haben – was sich innerhalb der letzten paar Stunden ereignet hat, was alle meine Aussichten im Leben verändert hat; aber es ist so, ich habe etwas erfahren, das mich zwingt, die Pläne, die ich mir gemacht hatte, und viele eitle und ehrgeizige Hoffnungen, denen ich mich hingegeben hatte, aufzugeben. Ich habe an Sir Francis Clavering einen 415 Brief geschrieben und abgesandt, in welchem ich ihm sage, daß ich seinen Sitz im Parlament nicht eher als nach meiner Verheiratung annehmen kann, und in gleicher Weise kann und will ich kein größeres Vermögen von Ihnen annehmen, als das, welches Ihnen immer seit Ihres Großvaters Tode und der Geburt Ihres Stiefbruders zugehörte. Ihre gute Mutter weiß nicht im mindesten von den Gründen, – ich hoffe, sie wird diese nie erfahren – die mich zu diesem sehr sonderbaren Entschlusse bestimmen. Sie beruhen auf einem peinlichen Umstande, der keinem von uns begangenen Fehler zuzuschreiben ist, aber da sie einmal eingetreten sind, sind sie so verhängnisvoll und unabänderlich, wie jener Stoß, der das Porzellan des ehrlichen Alnaschar umwarf und all seine Hoffnungen so zerstörte, daß alle Aussicht auf Besserung dahin war. Ich schreibe heiter genug, denn es ist kein Nutzen dabei, solch ein hoffnungsloses Mißgeschick zu beklagen. Wir haben nicht das große Los in der Lotterie gezogen, liebe Blanche, aber ich werde völlig zufrieden ohne dasselbe sein, wenn Sie es nur sein können, und ich wiederhole von ganzem Herzen, ich werde mein bestes tun, Sie glücklich zu machen.

Und was soll ich Ihnen nun Neues erzählen? Mein Onkel ist sehr unwohl und nimmt meine Ablehnung des Parlamentssitzes mit verdrießlicher Miene auf; es war sein Plan, armer alter Herr, und so beseufzt er natürlich sein Fehlschlagen. Aber Warrington, Laura und ich hielten einen Kriegsrat, sie kennen dieses furchtbare Geheimnis und billigen meinen Entschluß. Sie müssen Georg lieben, wenn Sie lieben, was 416 edelmütig, mannhaft und vornehm ist, und was Laura betrifft, so muß sie unsere Schwester sein, Blanche, unsere Heilige, unser guter Engel. Mit zwei solchen Freunden daheim, was brauchen wir uns um die Außenwelt zu kümmern oder zu sorgen, wen man als Mitglied für Clavering aufgestellt oder wen man zu den großen Bällen der Saison eingeladen oder nicht eingeladen hat?«

Auf diese offenherzige Mitteilung kam der Brief von Blanche an Laura, und einer an Pen selbst, welcher vielleicht seinen eigenen Brief rechtfertigte.

»Sie sind von der Welt verdorben,« schrieb Blanche; »Sie lieben Ihre arme Blanche nicht, wie sie geliebt sein möchte, sonst würden Sie ihr nicht so leichthin anbieten, sie zu nehmen oder zu verlassen. Nein, Arthur, Sie lieben mich nicht; als ein Mann von Welt haben Sie sich mit mir verlobt und sind bereit, Ihr Wort einzulösen; aber jene volle und ganze Zuneigung, jene alles durchdringende und bleibende Liebe, wo – ach, wo ist dieser Traum meiner Jugend? Ich bin nur ein Zeitvertreib Ihres Lebens, und ich wollte sein Alles sein; nur ein gaukelnder Gedanke, und ich wollte Ihre ganze Seele füllen. Ich wollte unsere beiden Herzen vereint haben, aber ach! mein Arthur, wie leer ist das Ihre! wie wenig geben Sie mir davon! Sie sprechen von unserer Trennung mit einem Lächeln auf Ihren Lippen, von unserem Zusammentreffen, und Sie sorgen nicht, es zu beschleunigen! Ist denn das Leben bloß eine Enttäuschung, und sind die Blumen unseres Gartens verwelkt? Ich habe geweint, ich habe gebetet, ich habe schlaflose Stunden verbracht, ich habe 417 bittere, bittere Tränen über Ihren Brief vergossen! Ihnen bringe ich die strömende Poesie meines Wesens, das Sehnen der Seele, die Liebe sucht, die nach Liebe, Liebe, Liebe über alles verlangt! – die sich Ihnen zu Füßen wirft und Ihnen zuruft: Liebe mich, Arthur! Ihr Herz schlägt nicht schneller auf das kniende Flehen meiner Liebe! Ihr stolzes Auge wird von keiner Träne des Mitgefühls verdunkelt! Sie nehmen das Kleinod meiner Seele hin, als ob es Spreu wäre! Und nicht die Perlen der unergründlichen Tiefen der Liebe! Nicht die Diamanten aus den Höhlen meines Herzens! Sie behandeln mich wie eine Sklavin und heißen mir, mich vor meinem Herrn zu bücken! Ist dies der Preis einer freien Jungfrau, ist dies der Preis der Leidenschaft eines ganzen Lebens? Wehe mir! Wann war es anders? Wann begegnete Liebe etwas anderem als Enttäuschung? Könnte ich (zärtliche Närrin, die ich bin!) hoffen, eine Ausnahme vom Geschick meines Geschlechts zu sein und meine fiebernde Stirn an eine Brust legen zu können, die das meine versteht? Törichtes Mädchen, das ich war! Eine nach der anderen sind all die Blumen meines jungen Lebens verwelkt, und diese, die letzte, die süßeste, die teuerste, die wahnsinnig geliebte, die unsinnig vergötterte, wo ist sie? Aber nichts mehr davon! Achten Sie nicht auf mein blutendes Herz. – Gottes Segen, Gottes Segen alle Zeit mit Ihnen, Arthur!

Ich werde mehr schreiben, wenn ich mich mehr gesammelt habe. Mein gepeinigtes Hirn macht mir das Denken fast unmöglich. Ich sehne mich danach, Laura zu sehen. Sie wird sogleich zu uns kommen, wenn wir 418 vom Lande zurückkehren, nicht wahr? Und Sie, Kaltherziger?

B.«

Die Worte dieses Briefes waren vollkommen klar und in Blanches nettester Handschrift auf ihr parfümiertes Papier geschrieben, und doch setzte es Pen nicht wenig in Verwirrung, die Bedeutung dieser Komposition zu erraten. Gedachte Blanche sein höfliches Anerbieten anzunehmen oder auszuschlagen? Ihre Phrasen sagten entweder, daß Pen sie nicht liebte und sie ihm einen Korb gäbe, oder daß sie ihn nähme und sich ihm opferte, so kalt er auch war. Er lachte sardonisch über den Brief und über die Sache, die die Gelegenheit zu ihm gegeben hatte. Er lachte bei dem Gedanken, wie Fortuna ihn genarrt hatte und wie er sein ihm entschlüpfendes Glück verdiente. Er wendete und drehte das moschusduftende goldgeränderte Rätsel um und um. Es machte ihm Vergnügen; er freute sich darüber, als ob es eine spaßhafte Geschichte gewesen wäre.

Er saß noch so da, spielte mit dem närrischen Geschreibsel und spottete ingrimmig über sich selbst, als sein Diener mit einer Karte von einem Herrn hereinkam, der ihn sehr angelegentlich zu sprechen wünschte. Und wenn Pen auf den Gang hinausgegangen wäre, so würde er seinen alten Bekannten, Herrn Samuel Huxter, an seinem Stocke saugend, seine Augen rollend und große Merkmale von Aengstlichkeit zeigend, erblickt haben.

»Herr Huxter in besonderer Angelegenheit! Bitte, lassen Sie den Herrn Huxter eintreten,« sagte Pen, ziemlich ergötzt und dies nicht weniger, als der arme Sam selbst vor ihm erschien. 419

»Bitte setzen Sie sich, Herr Huxter,« sagte Pen in seiner vornehmsten Weise. »In welcher Weise kann ich Ihnen zu Diensten sein?«

»Ich möchte nicht gerne vor dem Bummler – vor dem Bedienten da sprechen, Herr Pendennis,« worauf Herrn Arthurs Kammerdiener das Zimmer verließ.

»Ich bin in der Klemme,« sagte Herr Huxter trübselig.

»So?«

»Sie schickt mich zu Ihnen,« fuhr der junge Arzt fort.

»Wie, Fanny? Befindet sie sich wohl? Ich wollte kommen und sie besuchen, aber ich hatte sehr viel seit meiner Rückkehr von London zu tun.«

»Ich hörte von Ihnen durch meinen Alten und Jack Hobnell,« unterbrach ihn Huxter. »Wünsche Glück, Herr Pendennis, sowohl zur Wahl im Burgflecken als zur Dame. Fanny läßt auch gratulieren,« fügte er mit etwas wie einem Erröten hinzu.

»Oft entfällt der Becher vor dem Trinken! Wer weiß, was geschehen kann, Herr Huxter, oder wer nächste Session im Parlament für Clavering sitzen mag?«

»Sie können mit meinem Alten alles mögliche machen,« fuhr Herr Huxter fort. »Sie haben ihm die von Clavering Park verschafft. Der alte Knabe war sehr erfreut darüber, daß Sie ihn hatten rufen lassen. Hobnell schrieb mir das. Meinen Sie, daß Sie zu meinem Alten für mich sprechen könnten, Herr Pendennis?«

»Und was soll ich ihm denn sagen?« 420

»Ich bin hingegangen und habe es getan,« sagte Huxter mit einem bedeutsamen Blicke.

»Sie – Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Sie – daß Sie an dem lieben kleinen Wesen irgendwie unrecht gehandelt haben?« schrie Pen, mit großer Wut aufspringend.

»Ich hoffe nein,« sagte Huxter wie ein begossener Pudel, »aber ich habe sie geheiratet. Und ich weiß, das wird einen fürchterlichen Skandal zu Hause geben. Es war ausgemacht, daß ich Geschäftsteilhaber werden sollte, wenn ich das Kolleg durchgemacht hätte, und es sollte hernach Huxter & Sohn heißen? Aber, hol es der Teufel, ich wollte es einmal so haben. Es ist nun alles vorbei und der Alte hat mir geschrieben, er käme in die Stadt, um Drogen zu kaufen; er wird morgen hier sein, und dann wird alles herauskommen.«

»Und wann fand dieses Ereignis statt?« fragte Pen, höchstwahrscheinlich nicht allzusehr erfreut, daß jemand, der einst einen Teil seines königlichen Wohlwollens auf sich gezogen, seine Neigung auf einen anderen übertragen und sich über seinen Verlust getröstet haben könnte.

»Letzten Donnerstag waren es fünf Wochen – es war zwei Tage, nachdem Fräulein Amory in Shepherds Inn gewesen war,« antwortete Huxter.

Pen erinnerte sich, daß Blanche davon geschrieben und ihren Besuch erwähnt hatte.

»Ich wurde hineingerufen,« sagte Huxter. »Ich war gerade in dem Inn und sah nach dem Beine des alten Costigan und höchstwahrscheinlich auch nach etwas anderem, da traf ich Strong, der mir erzählte, 421 daß ein Frauenzimmer auf seiner Stube krank geworden, und ich ging hinauf, um ihr meinen ärztlichen Beistand zu leisten. Es war die alte Dame, die bei Fräulein Amory ist – ihre Haushofmeisterin, oder so was ähnliches. Sie hatte starke hysterische Anfälle; ich traf sie strampelnd und kreischend aus Leibeskräften in Strongs Wohnung, mit ihm und dem Obersten Altamont und Fräulein Amory, die heulte und so weiß wie'n Blatt Papier aussah, und Altamont raste herum – ein wahrer Höllenspektakel. Sie waren zwei Stunden in der Wohnung, und dann ging das alte Weibsbild heulend in einem Fiaker ab. Sie war viel toller als die Junge. Ich sprach am nächsten Tage in Grosvenor Place vor, um zu sehen, ob ich irgendwie von Nutzen sein könnte, aber sie waren fort, ohne sich auch nur bei mir bedankt zu haben, und am Tage darauf hatte ich meinen eigenen Geschäften nachzugehen, auch ein böses Geschäft,« sagte Herr Huxter trübselig. »Aber es ist mal geschehen und kann nicht ungeschehen gemacht werden, und wir müssen sehen, wie wir am besten dabei wegkommen.«

Sie hat die Geschichte schon einen ganzen Monat gewußt, dachte Pen mit tiefer Bekümmernis und trauervollem Mitleid, das erklärt ihren heutigen Brief. Sie will ihren Vater nicht hineinverwickeln noch sein Geheimnis bekannt werden lassen; sie wünscht mich des Heiratsversprechens ledig zu erklären und findet einen Vorwand, das edelmütige Mädchen!

»Wissen Sie denn eigentlich, wer Altamont ist?« fragte Huxter nach einer Pause, in welcher Pen über seine eigenen Angelegenheiten nachgedacht hatte. 422

»Fanny und ich haben über ihn gesprochen, und wir können die Einbildung nicht loswerden, daß es der erste Mann der Madame Lightfoot ist, der gerade jetzt wieder lebendig geworden ist, wo sie eben einen zweiten geheiratet hat. Vielleicht wird Lightfoot nicht böse darüber sein,« seufzte Huxter, indem er Arthur grimmig ansah, denn der Dämon der Eifersucht saß ihm immer noch in der Seele, und jetzt, und mehr als je, bildete der arme Teufel sich ein, daß Fannys Herz seinem Nebenbuhler gehöre.

»Sprechen wir von Ihren Angelegenheiten,« sagte Pen. »Zeigen Sie mir, wie ich Ihnen irgendwie von Nutzen sein kann, Huxter. Lassen Sie mich Ihnen zu Ihrer Heirat gratulieren. Ich danke Gott, daß Fanny, die ein so gutes, so bezauberndes, so liebreiches Geschöpf ist, einen wackeren Mann und einen Ehrenmann gefunden hat, der sie glücklich machen wird. Zeigen Sie mir, wie ich Ihnen nützlich sein kann.«

»Sie denkt, daß Sie es können,« erwiderte Huxter, der Pens dargebotene Hand ergriff, »und ich bin Ihnen wahrhaftig für die Ehre sehr verbunden; Sie könnten am Ende meinen Vater überreden und ihm die Geschichte beibringen und meiner Mutter auch, die immer den Kopf so hoch trägt, weil sie eine Pfarrerstochter ist. Fanny ist nicht von guter Familie, das weiß ich wohl, und steht uns nicht gleich an Erziehung und so weiter, aber sie ist doch jetzt eine Huxter.«

»Die Frau nimmt natürlich den Rang ihres Gatten ein,« versetzte Pen.

»Und wenn sie ein bißchen in Gesellschaft kommt,« fuhr Huxter fort, indem er an seinem Spazierstock 423 saugte, »wird sie geradeso gut sein wie irgendein anderes Mädel in Clavering. Sie sollten sie singen und auf dem Piano spielen hören. Haben Sie sie mal gehört? Der alte Bows hat es ihr beigebracht! Und sie würde auch auf der Bühne gefallen, wenn der Alte sich von mir lossagen sollte; aber ich möchte sie lieber nicht dort haben. Sie kann nun mal nicht anders, sie muß die Kokette spielen, Herr Pendennis, sie kann es mal nicht anders. Der Teufel soll mich holen, aber ich muß es mal sagen, daß jetzt wohl zwei oder drei von den Kerls aus dem Bartholomäushospital bei ihr sitzen werden, die ich bei mir eingeführt habe; sogar der Jack Linton, den ich als den sichersten mit hinnahm, ist ebenso schlecht wie die übrigen, und sie wird in eins weg singen und ihm verliebte Augen machen. Es ist richtig, was Bows sagt, wenn ihrer zwanzig in einer Stube wären, und ein einziger sie nicht beachtete, so würde sie nicht eher ruhen und rasten, als bis auch der Zwanzigste neben ihr stünde.«

»Sie sollten ihre Mutter zu sich nehmen,« sagte Pen lachend.

»Sie muß in der Portiersstube sein. Sie kann ihre Familie nicht so oft besuchen wie früher. Und wissen Sie, Herr Pendennis, ich kann mit dieser Sorte Leute nicht mehr so vertraut sein wie früher. Bedenken Sie doch meine Stellung im Leben,« sagte Huxter, indem er eine sehr schmutzige Hand ans Kinn führte.

»Au fait,« versetzte Herr Pen, der sich unendlich ergötzte und in bezug auf den mutando nomine (und natürlich in bezug auf niemand weiter in der Welt) dieselbe Geschichte hätte erzählt werden können. 424

Als die beiden Herren mitten in diesem Zwiegespräche waren, klopfte es abermals an Pens Tür, und gleich darauf meldete sein Bedienter den Herrn Bows. Der alte Mann folgte langsam nach, sein bleiches Gesicht errötete, und seine Hand zitterte etwas, als er die von Pen ergriff. Er hüstelte und wischte sich sein Gesicht mit seinem gemusterten baumwollenen Taschentuch; dann setzte er sich nieder, die Hände auf die Knie gestemmt, und die Sonne schien auf seinen kahlen Kopf. Pen blickte auf die unscheinbare Gestalt mit nicht geringer Teilnahme und Freundlichkeit. Auch dieser Mann hat seinen Kummer und seine Wunden gehabt, dachte Arthur. Auch dieser Mann hat sein Genie und sein Herz dargebracht und sie zu den Füßen eines Weibes niedergelegt, von wo diese sie von sich stieß. Der Zufall, der das Leben regiert, ist gegen ihn gewesen, und der Preis ist diesem Geschöpfe dort zugesprochen worden.

Fannys Bräutigam, der auf diese Weise stumm angeredet wurde, hatte inzwischen mit dem einen Auge dem alten Bows zugeblinzelt und bohrte mit seinem geliebten Rohrstocke Löcher in die Diele.

»So haben wir denn verloren, Herr Bows, und hier steht der glückliche Gewinner,« sagte Pen, indem er den alten Mann scharf ansah.

»Hier steht der glückliche Gewinner, Herr Pendennis, ganz wie Sie sagen.«

»Sie kommen vermutlich aus meinem Hause?« fragte Huxter, der, nachdem er Bows mit dem einen Auge zugeblinzelt hatte, nun Pen die Gunst widerfahren ließ, ihm mit dem anderen zuzublinzeln – ein 425 Blinzeln, das ihm zu sagen schien: »Vernarrter alter Knabe – Sie verstehen mich – bis über die Ohren in sie verliebt – armer alter Narr!«

»Ja, ich bin die ganze Zeit über dort gewesen, seit Sie fort sind. Es war Madame Samuel, die mich Ihnen nachschickte; sie könnten am Ende was Dummes anrichten – etwas, das Ihnen ähnlich sieht, Huxter.«

»Es gibt Leute, die ebenso große Narren sind wie ich,« brummte der junge Arzt.

»Einige wenige vielleicht,« sagte der alte Mann; »nicht viele, wollen wir hoffen. Ja, sie schickte mich Ihnen nach aus Furcht, Sie möchten Herrn Pendennis beleidigen; und ich meine, weil sie dachte, Sie würden ihm ihren Auftrag nicht ausrichten und ihn nicht bitten, doch mal auf Besuch zu ihr zu kommen; und sie wußte, ich würde ihre Botschaft übernehmen. Hat er Ihnen das gesagt, Herr Pendennis?«

Huxter wurde scharlachrot und verbarg seine Verwirrung unter einer Verwünschung. Pen lachte. Der Auftritt sagte seiner verbitterten Laune immer mehr zu.

»Ich hege keinen Zweifel, daß Herr Huxter im Begriff war, mir dies zu sagen,« entgegnete Arthur, »und ich fühle mich wirklich sehr geschmeichelt und werde sicherlich demnächst seiner Gattin meine Aufwartung machen.«

»Es ist in Charterhouse Lane, über dem Bäckerladen, auf der rechten Seite, wenn Sie von der St. Johnsstraße hineingehen,« fuhr Bows ohne das mindeste Erbarmen fort. »Sie kennen Smithfield, nicht wahr, Herr Pendennis? Die St. Johnsstraße führt 426 nach Smithfield. Doktor Johnson ist die Straße oftmals hinabgegangen in zerrissenen Schuhen und mit einem Bündel Pfennigschreiberei für ›Gents Magazin‹. Ihr literarischen Herrchens seid jetzt besser daran, – ha? Ihr fahrt jetzt in euren Fiakern und tragt gelbe Glacéhandschuhe.«

»Ich habe gesehen, wie so viele wackere und gute Menschen es zu nichts brachten und so viele Quacksalber und Betrüger Erfolge errangen, daß Sie mich verkennen, wenn Sie meinen, ich wäre auf mein eigenes persönliches Glück stolz, alter Freund,« meinte Arthur traurig. »Glauben Sie denn etwa, die Gewinne des Lebens werden von denen davongetragen, die sie am meisten verdienen? Und stellen Sie das Wohlergehen jemandes in der gewöhnlichen Weise als Beweis für sein Verdienst auf? Sie müssen fühlen, daß Sie so gut sind wie ich. Ich habe das nie in Zweifel gezogen. Sie sind es, der über die Launen des Glücks murrt und sauer zu dem Glücke sieht, das anderen zufällt. Es ist nicht das erste Mal, daß Sie mich unschuldig angeklagt haben, Bows.«

»Vielleicht sind Sie nicht weit von der Wahrheit entfernt, mein Herr,« sagte der alte Bursche, indem er seine kahle Stirn abwischte. »Ich denke über mich nach und murre über mein Geschick; die meisten Menschen tun das, wenn sie auf dies Kapitel geraten. Hier ist das Bürschchen, das das große Los in der Lotterie gewann, hier steht der glückliche Jüngling.«

»Ich begreife nicht, worauf Sie lossteuern,« sagte Huxter, der über die obigen Bemerkungen seiner beiden Gesellschafter sehr verblüfft gewesen war. 427

»Vielleicht nicht,« sagte Bows trocken. »Frau Huxter schickte mich hierher, um nach Ihnen zu sehen und aufzupassen, daß Sie jenen kleinen Auftrag Herrn Pendennis überbrächten, was Sie, wie ich sehe, nicht getan haben, und so hatte sie recht. Weiber haben immer recht, sie haben stets und bei allen Dingen ihre guten Gründe. Ei, Herr Pendennis,« damit wendete er sich mit einem spöttischen Blick zu Arthur um, »sie hatte selbst ihren guten Grund, daß sie mir diesen Auftrag gab. Ich saß, als Sie uns verlassen hatten, sehr ruhig und behaglich mit ihr zusammen; ich plauderte frisch drauf los, und sie besserte Ihre Hemden aus, als Ihre zwei jungen Freunde Jack Linton und Bob Blades vom St. Bartholomäusspital hineingeschneit kamen; und da geschah es, daß ihr plötzlich einfiel, Ihnen diese Botschaft zu senden. Sie brauchen sich nicht zu beeilen, sie will Sie nicht zurück haben; die werden schon ein paar Stunden dableiben, glaub' ich.«

Huxter erhob sich auf diese Nachricht in großer Unruhe, schob seinen Stock in die Tasche seines Paletots und griff nach seinem Hute.

»Sie werden kommen und uns besuchen, nicht wahr, Herr Pendennis?« sagte er zu Pen. »Sie werden meinen Alten überreden, nicht wahr, daß ich von diesem Ort hier wegkommen und nach Clavering ziehen kann?«

»Sie werden mir versprechen, mich gratis zu behandeln, wenn ich jemals in Fairoaks krank werden sollte, wollen Sie das, Huxter?« sagte Pen gutmütig.

»Ich werde alles für Sie tun, was ich vermag. 428 Ich werde sogleich kommen und Madame Huxter besuchen, und wir wollen dann zusammen Kriegsrat halten, was zu tun ist.«

»Dachte es mir, daß ihn das forttreiben würde,« sagte Bows, indem er wieder in seinen Stuhl sank, sobald der junge Arzt das Zimmer verlassen hatte. »Und es ist alles wahr, Herr Pendennis – jedes Wort davon. Sie will Sie wieder zurück haben und schickt ihren Gemahl nach Ihnen. Sie geht jedem um den Bart, der kleine Teufel. Sie versucht es mit Ihnen, mit mir, mit dem armen Costigan, mit den jungen Schlingeln vom Bartholomäusspital. Sie hat schon einen kleinen Hof von denen um sich versammelt. Und wenn weiter niemand da ist, so treibt sie ihre Firlefanzereien mit dem deutschen Bäcker im Laden oder liebäugelt mit dem schwarzen Kaminkehrer gegenüber.«

»Ist sie denn diesem Menschen gut?« fragte Pen.

»Ueber Neigungen und Abneigungen kann man keine Rechenschaft ablegen,« antwortete Bows. »Ja, sie ist ihm gut, und da sie sich das Ding einmal in den Kopf gesetzt hatte, ruhte sie nicht eher, als bis sie seine Frau war. Sie ließen sich in der St. Clemenskirche trauen, und niemand hörte oder wußte irgendeine gerechte Ursache, die ein Hindernis hätte abgeben können. Eines Tages schlüpft sie aus dem Portierstübchen und läßt die Geschichte abmachen, geht mit Lothario nach Gravesend hinunter und läßt für mich ein Billet zurück, ich sollte zu ihrer Mama gehen und ihr alles auseinandersetzen. Guter Gott! Das alte Weibsbild wußte es so gut wie ich, obwohl sie sich stellte, als 429 wüßte sie nichts davon. Und so geht sie denn ihrer Wege, und ich bin wieder allein. Ich vermisse sie, Herr Pendennis, wie sie über den Hof getrippelt kam und zu ihrer Singstunde erschien, und ich habe nicht das Herz, jetzt noch in die Portierswohnung zu sehen, die ohne sie, das kleine gefallsüchtige Ding, sehr öde und leer aussieht. Und ich gehe und sitze und schlendere um ihre Wohnung herum wie ein alter Narr. Sie hält sie aber sehr sauber und nett, bessert Huxters sämtliche Hemden und Kleidungsstücke aus, kocht ihm sein bißchen Essen und singt bei ihrer Arbeit wie eine kleine Lerche. Was nutzt es, sich zu ärgern? Ich lieh ihnen drei Pfund, um davon zu leben, denn sie haben nicht einen Schilling bis zur Versöhnung und bis der Herr Papa herkommt.«

Als Bows sich verabschiedet hatte, trug Pen seinen Brief von Blanche und die Neuigkeiten, die er soeben gehört hatte, zu seiner gewöhnlichen Beraterin, Laura. Es war wunderbar, bei wie vielen Punkten Herr Arthur, der sonst gewöhnlich seiner eigenen Meinung folgte, jetzt anderer Leute Rat bedurfte. Er war kaum imstande, sich eine Weste auszuwählen, ohne sich an Fräulein Bell zu wenden; wenn er sich ein Pferd kaufen wollte, so mußte er erst die Ansicht Fräulein Bells hören; diese Zeichen der Unterordnung gereichten der schlauen alten Dame sehr zum Ergötzen, mit der Fräulein Bell lebte und deren Pläne hinsichtlich ihrer Protégée wir angegeben haben.

Arthur zeigte also Laura Blanches Brief und bat sie, ihm denselben zu deuten. Laura war über den Inhalt des Billets sehr erregt und betroffen. 430

»Es scheint mir,« sagte sie, »als ob Blanche sehr verschlagen verführe.«

»Und die Angelegenheit so zu drehen wünscht, daß sie mich nehmen oder freilassen kann, wie es ihr beliebt. Ist es nicht so?«

»Es ist, fürchte ich, eine Art Doppelzüngigkeit, die nichts Gutes für dein zukünftiges Glück prophezeien läßt, und es ist eine schlechte Erwiderung auf deine eigene offene und ehrliche Weise, Arthur. Weißt du, ich denke, ich denke – ich möchte kaum sagen, was ich denke,« sagte Laura mit tiefem Erröten; aber natürlich gab die errötende junge Dame der Ueberredung ihres Vetters nach und sprach aus, was ihre Gedanken waren. »Es kommt mir vor, Arthur, als ob – als ob jemand anders dahintersteckt,« sagte Laura mit abermaligem Erröten.

»Und wenn das der Fall ist,« unterbrach sie Arthur, »und wenn ich wieder frei bin, will ich die beste und teuerste aller Frauen –«

»Du bist nicht frei, lieber Bruder,« sagte Laura ruhig. »Du gehörst einer anderen an, von der ich leider übel denken muß. Aber ich kann nicht anders. Es ist sonderbar, daß sie in diesem Briefe nicht in dich dringt, ihr den Grund zu sagen, weshalb du die Arrangements aufgegeben hast, die für dich so vorteilhaft gewesen wären, und es vermeidet, von der Sache selbst zu sprechen. Sie scheint irgendwie so zu schreiben, als ob sie ihres Vaters Geheimnis kennte.«

Pen sagte: »Ja, sie muß es wissen,« und erzählte die Geschichte, die er soeben von Huxter gehört hatte, über das Zusammentreffen in Shepherds Inn. 431

»Sie beschrieb die Begegnung nicht in dieser Weise,« sagte Laura und entnahm ihrem Pult jenen Brief Blanches, in dem sie ihren Besuch in Shepherds Inn erwähnte. »Wieder eine Enttäuschung, nur der Chevalier Strong und ein Freund von ihm im Zimmer.« Das war alles, was Blanche gesagt hatte. »Aber sie war freilich verpflichtet, ihres Vaters Geheimnis zu hüten,« fügte Laura hinzu. »Und doch, und doch – es ist sehr sonderbar.« Das Sonderbare lag aber darin, daß drei Wochen lang nach dieser ereignisvollen Entdeckung Blanche nur zu eifrig hinter ihrem teuersten Arthur her gewesen war und so stark, wie dies bei einer so bescheidenen Person nur möglich war, darauf gedrungen hatte, daß die glücklichen Arrangements, die sie für ewig an Arthur fesseln sollten, zur Vollendung gebracht wurden, während es jetzt schien, als ob etwas dazwischen gekommen wäre, um diese glücklichen Arrangements aufzuhalten – als ob Arthur der Arme Blanche nicht ganz so genehm wäre, als Arthur der Reiche mit dem Sitz im Parlamente – kurz, als ob ein Geheimnis dahinter verborgen wäre. Zuletzt sagte sie:

»Tunbridge Wells ist nicht sehr weit von hier, nicht wahr, Arthur? Würdest du nicht am besten tun und sie besuchen?«

Sie waren nun eine Woche in der Stadt, und keiner von beiden hatte an diesen einfachen Plan schon gedacht! 432



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