William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Arthur hätte besser getan, wenn er ein Billet zur Rückfahrt genommen hätte

Der Zug führte Arthur nur zu schnell nach Tunbridge, obschon er Zeit hatte, alle Umstände seines Lebens während der kurzen Reise zu überschauen und anzuerkennen, zu welch traurigem Ende ihn seine Selbstsucht und sein Wankelmut geführt hatten. »Hier ist das Ende alles Hoffens und Strebens,« dachte er, »aller Romantik und allen Ehrgeizes! Wo ich nachgiebig oder wo ich hartnäckig bin, bin ich gleich unglücklich; meine Mutter bittet mich inständig, einen Engel zu nehmen, und ich schlage ihn aus! Angenommen aber, ich hätte sie, aufgedrungen wie sie mir war, genommen, so würde Laura mir nie ein Engel gewesen sein. Ich hätte ihr auf jemand anderes Antrieb nicht mein Herz geben können, ich hätte sie nie als das anerkennen können, was sie ist, wäre ich gezwungen gewesen, einen anderen zu bitten, mir ihre Eigenschaften auseinanderzusetzen und mich auf ihre Tugenden aufmerksam zu machen. Ich gebe den dringenden Vorstellungen meines Onkels nach und nehme auf seine Garantie Blanche, einen Sitz im Parlamente, Reichtum, Ehre und eine glänzende Laufbahn an, und siehe da! – das Schicksal kommt und läßt mir das Weib ohne die Mitgift, die ich für das mangelnde Herz genommen hätte. Weshalb war ich nicht mehr, warum bin ich nicht weniger ehrlich? Es 433 würde meinen armen alten Onkel keine Schmerzen gekostet haben, Blanches Vermögen anzunehmen, gleichviel woher es kam; er kann die Skrupeln, die mich veranlassen, es zurückzuweisen, nicht einmal verstehen, er ist bitter entrüstet und fast niedergebeugt darüber. Ich mache es keinem Menschen recht. Es scheint, daß ich, ein gebrechlicher, unvollkommener, erbärmlicher Wicht, zu gar keinem Glücke fähig bin. Ich mache weder mich noch jemand, der mit mir in Verbindung steht, glücklich. Welche Aussichten hat dieses arme kleine leichtfertige Mädchen, das meinen unbekannten Namen annehmen und mein Vermögen teilen soll? Ich habe nicht einmal den Ehrgeiz, mich anzuspornen, oder Selbstachtung genug, um mich über mein Mißgeschick zu trösten, geschweige denn sie. Wenn ich ein Buch zu schreiben bestimmt wäre, das zwanzig Auflagen erlebte, wahrlich, ich würde der allererste sein, der spöttisch über meinen Ruf lächelte. Gesetzt den Fall, ich könnte als Advokat Erfolg haben und mir durch Zeugenverdummung und Beweisquälerei ein Vermögen erwerben, – ist das ein Ruhm, der meine Selbstsucht befriedigen, oder ein Beruf, in dem mein Leben wohl verbracht sein würde? Oh, wie gern ich der Priester dort mir gegenüber sein möchte, der nie seine Augen von seinem Brevier erhoben hat, außer wo wir im Reigatetunnel waren, wo er nicht sehen konnte, oder jener alte Gentleman da neben ihm, der ihn mit Augen voll Haß über seinem Zeitungsblatte anglotzt. Der Priester verschließt seine Augen vor der gegenwärtigen Welt, hat aber seine Gedanken auf das Buch gerichtet, das sein Wegweiser nach der zukünftigen ist. Sein 434 Nachbar haßt ihn als ein Ungeheuer, einen Tyrannen, einen Verfolger und denkt an verbrennende Märtyrer, wo dieses bleiche Gesicht zusieht und von der Flamme beleuchtet wird. Diese haben keine Zweifel; diese schreiten, mit ihrer Last Logik beladen, zuversichtlich weiter.«

»Möchten Sie vielleicht die Zeitung mal ansehen, mein Herr?« unterbrach hier der dicke Gentleman Pen, (das Blatt enthielt einen flammenden Artikel gegen den Orden des schwarzröckigen Herrn, der mit ihnen in dem Wagen reiste); Pen dankte ihm, nahm es und träumte weiter, ohne auch nur zwei Sätze des Journals zu lesen.

»Und doch, würdest du dich zum Glaubensbekenntnisse eines dieser Männer mit seinen Folgerungen bekennen wollen?« dachte er. »Wehe mir! Du mußt deine eigene Last tragen, dir deinen eigenen Glauben bilden, deine eigenen Gedanken denken und deine eigenen Gebete beten. Welchem sterblichen Ohr könnte ich alles erzählen, wenn ich auch Lust dazu hätte? Oder wer könnte alles verstehen? Wer kann die Fehlgriffe und unbenutzten Gelegenheiten bei einem anderen zählen, wer die Leidenschaften, die die Vernunft überwältigen, die Mängel, die sie unwirksam machen? Bis zu welcher Ausdehnung ist seines Nachbars Gemüt organisiert, die Wahrheit und das Recht zu begreifen und zu tun? Welches unsichtbare und vergessene Ereignis, welcher Schrecken der Jugend, welche Gunst oder Ungunst des Schicksals mag dem Strome seines Lebens eine andere Richtung gegeben haben? Ein Sandkörnchen kann ihn ändern, 435 wie der Wurf eines Kiesels ihm ein Ende machen kann. Wer kann Umstände, Leidenschaften, Versuchungen abwägen, die uns als gut oder böse angerechnet werden, wer als der einzige, vor dessen erhabener Weisheit wir knien und von dessen Gnade wir Lossprechung erflehen? Hier endet es,« dachte Pen; »der heutige Tag oder der morgende wird ausgleichen, was ich in meiner Jugend gefehlt habe; ein trübseliger Rückblick, ach! eine traurige Geschichte mit manchem Blatte, auf das ich lieber nicht zurückschauen möchte! Aber wer ist nicht versucht worden oder nicht gefallen, und wer ist diesem Kampfe ohne Sterben entronnen?« Und sein Kopf fiel auf seine Brust, und das Herz des jungen Mannes warf sich demütig und trauervoll vor jenem Throne nieder, wo Weisheit und Liebe und Erbarmen mit allen sitzt, und legte seine Beichte ab. »Was hat Ruhm oder Armut zu bedeuten?« dachte er. »Möge ich, wenn ich das Weib, das ich gewählt, heirate, Kraft und Willen haben, ihr treu zu sein und sie glücklich zu machen! Wenn ich Kinder habe, so möge Gott mich lehren, das Wahre zu sprechen und zu tun und ihnen einen ehrlichen Namen zu hinterlassen. Es ist kein Glanz bei meiner Heirat; verdient dann aber mein Leben welchen. Ich beginne einen neuen Abschnitt desselben, möge der Himmel wollen, daß es ein besserer sei als der letzte!«

Der Zug hielt in Tunbridge an, als Pen diese Betrachtungen anstellte, und er händigte seinem Nachbar die Zeitung ein und nahm von demselben Abschied, während der fremde Geistliche in der Ecke gegenüber noch immer mit auf sein Buch gehefteten Augen 436 dasaß. Pen sprang dann aus dem Wagen, seine Reisetasche in der Hand und herzhaft entschlossen, seinem Geschicke entgegenzutreten.

Eine Mietskutsche brachte ihn von der Station schnell zu Lady Claverings Haus, und während er dorthin gefahren wurde, machte sich Arthur eine kleine Standrede zurecht, die er Blanche halten wollte, und die wirklich eine so tugendhafte, ehrliche und wohlmeinende Rede war, wie ein Mann von seiner Gemütsart und unter seinen Umständen zu äußern nur fähig sein konnte. Der Sinn derselben war: »Blanche, ich kann aus Ihrem letzten Briefe nicht verstehen, was Ihre Meinung ist, ob mein redliches und offenes Anerbieten Ihnen annehmbar scheint oder nicht. Ich denke, Sie kennen den Grund, der mich die weltlichen Vorteile beiseite setzen heißt, die eine Verbindung mit Ihnen böte, und die ich nicht annehmen könnte, ohne mich, wie mir scheint, zu entehren. Wenn Sie an meiner Liebe zweifeln, so bin ich hier und bereit, sie Ihnen zu beweisen. Lassen Sie Smirke rufen und uns auf der Stelle trauen, und ich nehme mir von ganzem Herzen vor, mein Gelübde zu halten, Sie mein Leben lang zu lieben und Ihnen ein treuer und liebender Gatte zu sein.«

Arthur sprang aus der Mietskutsche heraus und ging nach dem Tor der Halle, wo ihm ein Diener entgegenkam, den er nicht kannte. Der Mensch schien durch die Annäherung des Herrn mit der Reisetasche überrascht und machte keine Anstalt, dieselbe Arthur aus den Händen zu nehmen. »Ihre Ladyschaft ist nicht zu Hause, mein Herr,« sagte der Bediente. 437

»Ich bin Herr Pendennis,« versetzte Arthur. »Wo ist Lightfoot?«

»Lightfoot ist fort,« antwortete der Bediente. »Mylady ist fortgegangen, und ich habe Befehl –«

»Ich höre Fräulein Amorys Stimme im Empfangszimmer,« sagte Arthur. »Schaffen Sie die Reisetasche hier gefälligst in ein Ankleidezimmer,« und indem er am Portier vorbeischritt, wandelte er geradeswegs auf jenes Gemach zu, aus welchem ein Geschmetter melodischer Noten ihm entgegenschallte, als sich die Tür öffnete.

Unsere kleine Sirene saß vor ihrem Piano und sang aus Leibeskräften und mit all ihrem Zauber. Master Clavering lag eingeschlafen auf dem Sofa, gleichgültig gegen die Musik; aber neben Blanche saß ein Herr, der von ihrem Gesange, der leidenschaftlicher und schwermütiger Natur war, ganz hingerissen war.

Als die Tür sich öffnete, sprang der Herr mit einem Halloh! auf, die Musik schwieg, die Sängerin stieß einen kleinen Schrei aus; Frank Clavering erwachte auf dem Sofa, und Arthur kam herzu und sagte: »Was, Foker! wie geht's, Foker?« Er sah nach dem Piano und dort, an der Seite Fräulein Amorys, befand sich genau solch ein Kästchen von Purpurleder, wie er drei Tage zuvor in Harrys Hand gesehen, als der Erbe von Logwood aus einem Juwelierladen auf dem Waterlooplatz gekommen war. Es war offen, und auf einem weißatlassenen Innenkissen ringelte sich ein prachtvolles Schlangenarmband mit einem funkelnden 438 Rubinkopfe und einem diamantengeschmückten Schwanze.

»Wie geht's, Pendennis?« sagte Foker. Blanche zuckte fortwährend mit den Schultern und zeigte Merkmale von Spannung und Aufregung. Sie legte ihr Taschentuch über das Armband, dann trat sie vor und begrüßte Pen, während ihre Hand stark zitterte.

»Was macht meine liebe Laura?« fragte sie. Das Antlitz Fokers schaute aus seiner tiefen Trauer auf – dieses Antlitz, so bemitleidenswert und so verwirrt, daß es des Lesers Einbildungskraft sich selber malen muß, ebenso das von Master Frank Clavering, der mit einer Miene der größten Pfiffigkeit auf die drei interessanten Individuen blickte und sich bloß Zeit ließ, dabei die Worte: »He, das ist eine lustige Pastete!« auszustoßen, und darauf kichernd verschwand.

Pen hatte ebenfalls bis zu dieser Minute an sich gehalten, aber als er fortwährend Foker ansah, dessen Ohren und Wangen einmal über das andere erröteten, brach er in ein Gelächter aus, so toll und laut, daß es Blanche viel mehr entsetzte, als das allerernsteste Benehmen imstande gewesen wäre.

»Und das war also das Geheimnis, nicht wahr? Werde nur nicht rot und dreh dich nicht um, Foker, mein Junge. Ei der Tausend, Mensch, du bist ein wahres Muster von Treue! Könnte ich mich zwischen Blanche und so viel Beständigkeit stellen, könnte ich zwischen Fräulein Amory und fünfzehntausend Pfund Jahresrente treten?«

»Das ist es nicht, Herr Pendennis,« sagte Blanche mit vieler Würde. »Es ist nicht Geld, es ist nicht 439 hoher Rang, es ist nicht Gold, das mich bewegt, sondern es ist Beständigkeit, es ist Treue, es ist ein ganzes treues liebendes Herz, das mir geboten, das ich als einen Schatz achte – ja, als einen Schatz achte!« Und sie ging zu ihrem Taschentuche; aber als sie daran dachte, was darunter verborgen war, hielt sie inne. »Ich leugne nicht, ich verstelle mich nicht, mein Leben ist über Vorstellung erhaben, ihm, dem ich es geschenkt habe, muß mein Herz auf immer klar und offen daliegen – nein, ich leugne nicht, daß ich einst glaubte, ich liebte Sie, – ja, dachte, ich würde von Ihnen geliebt! – ich gestehe es ein. Oh, wie ich an diesem Glauben hing! Wie ich danach strebte, wie ich bat, wie ich danach verlangte, es glauben zu können! Aber Ihr stetes Verhalten, Ihre eigenen Worte, so kalt, so herzlos, so unfreundlich, haben mir diesen Irrtum genommen. Sie spielten mit dem Herzen der unglücklichen Jungfrau! Sie stießen mit Hohn das Gelübde zurück, das ich getan! Ich habe alles – alles Herrn Foker auseinandergesetzt.«

»Ja, das haben Sie,« sagte Foker mit Hingebung und Ueberzeugung in seinen Blicken.

»Was! alles?« fragte Pen mit einem bedeutsamen Blick auf Blanche. »Bin ich es, der schuld hat, wirklich? Nun gut, Blanche, schon gut, meinethalben. Ich werde nicht gegen Ihren Urteilsspruch appellieren, sondern ihn stillschweigend ertragen. Ich kam hierher mit ganz anderen Gedanken, der Himmel weiß es, und mit einem Herzen voll treuester und wohlmeinendster Absichten gegen Sie. Ich hoffe, Sie werden mit einem anderen glücklich sein, wie ich, auf mein Wort, Sie 440 zu machen wünschte, und ich hoffe, mein wackerer alter Freund hier wird ein Weib haben, würdig seiner Treue, seiner Beständigkeit und seiner Liebe. In der Tat, diese Eigenschaften verdienen die Beachtung jedes Weibes – selbst des Fräulein Blanche. Gib mir die Hand, Harry, sieh mich nicht so herausfordernd an. Hat jemand dir gesagt, ich habe einen falschen und herzlosen Charakter?«

»Ich glaube, du bist ein – –« begann Foker in seiner Wut, als Blanche dazwischentrat.

»Harry, kein Wort mehr! – Ich bitte Sie, lassen Sie alles vergeben sein!«

»Sie sind ein Engel, beim Jupiter, Sie sind ein Engel!« sagte Foker, worauf Blanche seraphisch die Augen zum Kronleuchter aufschlug.

»Trotz allem, was vorgegangen ist, um dessentwillen, was vorüber ist, muß ich Arthur stets als einen Bruder betrachten,« fuhr der Seraph fort; »wir haben uns jahrelang gekannt, wir haben dieselben Felder miteinander betreten, dieselben Blumen miteinander gepflückt, Arthur! Harry! Ich flehe euch an, gebt euch die Hände und seid Freunde! Verzeiht euch! Ich verzeihe Ihnen, Arthur, ja von Herzen verzeihe ich Ihnen! Sollte ich das nicht tun, da Sie mich so glücklich gemacht haben?«

»Es gibt unter uns dreien nur eine einzige Person, die ich bemitleide, Blanche,« sagte Arthur ernst, »und ich sage Ihnen nochmals, ich hoffe, daß Sie diesen guten Jungen, dieses redliche und getreue Herz glücklich machen werden.« 441

»Glücklich! O Himmel!« schrie Harry. Er konnte nicht weitersprechen. Sein Glück schoß ihm in einem Tränenstrome aus den Augen. »Sie weiß nicht, sie kann es nicht wissen, wie gut ich ihr bin, und – und wer bin ich denn? Ein armer, kleiner Bettler, und sie nimmt mich an und sagt, sie will es versuchen und mich l–l–lieben. Ich bin soviel Glück gar nicht wert! Gib uns deine Hand, alter Junge, da sie dir nach deinem herzlosen Benehmen verzeiht und sagt, daß sie dich lieb hat. Ich heiße dich willkommen. Ich sage dir, ich will jeden lieben, der sie liebt. Beim – wenn sie mich den Boden küssen heißt, werde ich ihn küssen. Heißen Sie mich den Boden küssen! Ich sage es, heißen Sie mich's. Ich liebe Sie so über alle Maßen, Sie sehen, daß ich Sie so sehr liebe!«

Blanche blickte wieder seraphisch empor. Ihr sanfter Busen hob sich. Sie streckte eine Hand aus, als ob sie Harry segnen wollte, und gestattete ihm dann mit königlicher Huld, sie zu küssen. Sie nahm das Taschentuch und verbarg ihre Augen darin, während die andere schöne Hand des armen Harry tränenvoller Umfassung überlassen blieb.

»Ich schwöre, es ist eine Niederträchtigkeit, solch liebevolles Geschöpf wie dieses zu betrügen,« sagte Pen.

Blanche legte das Taschentuch hin und die Hand Nr. 2 sanft auf Fokers Haupt, das niedergebeugt war, um die Hand Nr. 1 zu küssen und darüber zu weinen. »Närrischer Junge,« sagte sie, »es wird nach Verdienst geliebt werden, wer vermöchte es über sich, solch ein liebes Närrchen nicht zu lieben?« 442

Gerade in diesem Augenblick platzte Frank Clavering zu dem gefühlvollen Kleeblatt herein.

»Hören Sie mal, Pendennis,« sagte er.

»Nun, Frank?«

»Der Mann will sein Geld haben und zurückfahren. Er hat ein Glas Bier getrunken.«

»Ich werde mit ihm zurückfahren,« schrie Pen. »Leben Sie wohl, Blanche, Gott segne dich, Foker, alter Freund! Sie wissen, daß keins von Ihnen mich hier brauchen kann.«

Er sehnte sich, diesen Augenblick fortzukommen.

»Halt – ich muß mit Ihnen noch ein Wort reden. Ein Wort unter vier Augen, bitte,« sagte Blanche. »Sie können uns schon beiden trauen, nicht wahr, Henry?« Der Ton, in dem das Wort Henry gesprochen wurde, und die Bitte rissen Foker vor Entzücken hin. »Ihnen trauen!« rief er. »Oh, wer wollte Ihnen nicht trauen! Komm her, Frank, mein Junge.«

»Wollen uns eine Zigarre anstecken,« sagte Frank, als sie in die Halle gingen.

»Sie hat es nicht gern,« sagte Foker sanft.

»Sind Sie nicht bei Troste, sie macht sich gar nichts daraus. Pendennis rauchte ja immer,« sagte der offenherzige Jüngling.

»Es ist nur ein kurzes Wort, das ich Ihnen zu sagen habe,« sagte Blanche zu Pen mit großer Gelassenheit, als sie allein waren. »Sie haben mich nie geliebt, Herr Pendennis.«

»Ich sagte Ihnen ja, bis zu welchem Grade,« antwortete Arthur. »Ich habe Sie nie getäuscht.« 443

»Ich vermute, Sie werden zurückkehren und Laura heiraten,« fuhr Blanche fort.

»War es das, was Sie zu sagen hatten?« fragte Pen.

»Sie werden diesen selben Abend noch zu ihr gehen, davon bin ich überzeugt. Da hilft Ihnen kein Leugnen. Sie haben sich aus mir nie etwas gemacht.«

»Et vous?«

»Et moi, c'est différent. Ich bin frühzeitig verdorben worden. Ich kann nicht ohne die Welt, nicht ohne Aufregung leben. Ich hätte es gekonnt, aber jetzt ist es zu spät. Wenn ich keine Gefühle haben kann, so muß ich die Welt haben, Sie würden mir weder das eine noch das andere geboten haben. Sie sind blasiert in allem, sogar im Ehrgeize. Sie hatten eine Karriere vor sich, aber Sie wollten sie nicht. Sie geben sie auf! – weshalb? Wegen einer Dummheit, wegen eines abgeschmackten Skrupels. Warum wollten Sie jenen Sitz im Parlament nicht haben und solch ein Puritaner sein? Warum sollten Sie ablehnen, was von Rechts wegen meins ist – von Rechts wegen, entendez-vous?«

»Sie wissen also alles?« fragte Pen.

»Erst seit einem Monat. Aber ich habe meinen Verdacht schon die ganze Zeit in Baymouth gehabt – n'importe, seit wann. Es ist noch nicht zu spät. Er gilt mir, als wenn er noch nie dagewesen wäre; und noch haben Sie eine Position in der Welt vor sich. Weshalb nicht im Parlamente sitzen, Ihr Talent geltend machen und sich und Ihrer Frau einen Platz in der Welt geben? Ich nehme jeden. 444 Il est fou. Il est riche. Il est - vous le connaissez autant que moi, enfin. Glauben Sie, ich würde nicht einem Manne den Vorzug geben, qui fera parler de moi? Wenn das Geheimnis an den Tag kommt, werde ich Millionen im Vermögen haben. Wiefern betrifft es mich denn? Es ist nicht meine Schuld. Es wird nie herauskommen.«

»Sie werden Harry alles erzählen, nicht wahr?«

»Je comprends. Vous refusez,« sagte Blanche erbittert. »Ich werde es Harry, sobald mir's beliebt, erzählen, wenn wir verheiratet sind. Sie werden mich nicht verraten, nicht wahr? Sie sind im Besitze des Geheimnisses eines schutzlosen Mädchens und werden sich nicht gegen sie kehren und sich desselben bedienen? S'il me plaît de le cacher, mon secret; pourquoi le donnerai-je? Je l'aime mon pauvre père, voyez-vous? Ich möchte lieber bei diesem Manne, als bei euch faden Intriganten der großen Welt leben. Ich muß Gefühle haben - il m'en donne. Il m'écrit. Il écrit très-bien, voyez-vous - comme un pirate - comme un Bohémien - comme un homme. Wäre dies nicht so gekommen, würde ich zu meiner Mutter gesagt haben: ›Ma mère! quittons ce lâche mari, cette lâche société - retournons à mon père.««

»Der Pirat würde Sie gelangweilt haben wie die übrigen,« sagte Pen.

»Eh! Il me faut des émotions,« sagte Blanche. Pen hatte sie in all den Jahren ihrer Bekanntschaft nie so gesehen oder so viel von ihr erfahren, als er jetzt sah und erfuhr, obschon er immer noch mehr sah, als in Wirklichkeit existierte. Denn diese junge Dame war 445 nicht imstande, ein einziges Gefühl in voller Wahrheit zu empfinden, sondern hatte einen gemachten Enthusiasmus, einen gemachten Haß, eine gemachte Liebe, einen gemachten Geschmack, einen gemachten Kummer, welche Empfindungen allesamt einen Augenblick glitzerten und glänzten, aber sich bald legten, um der nächsten gemachten Empfindung Platz zu machen.



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