Hermann Sudermann
Heimat
Hermann Sudermann

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Zwölfte Szene

Magda. Schwartze.

Magda (sich reckend). So! jetzt bin ich wieder die Alte.

Schwartze (mißt sie eine Weile und verschließt schweigend die drei Türen).

Magda. Glaubst du, Vater, ich werde gefügiger werden, wenn du mich einsperrst?

Schwartze. So! Jetzt sind wir allein. Es sieht uns keiner wie der da! Und der soll uns sehn... Geh nicht immer herum... Wir haben miteinander zu reden, mein Kind.

Magda (setzt sich). Gut! – Es wird jetzt wohl klar werden zwischen der Heimat und mir.

Schwartze. Das wirst du mir doch zugeben, daß ich jetzt ganz ruhig bin?

Magda. Gewiß.

Schwartze. Ganz ruhig, nicht wahr? – Es zittert nicht einmal der Arm. Was geschehn ist, das ist geschehn. Aber ich habe soeben deinem Verlobten –

Magda. Meinem Verlobten? – Lieber Vater!

Schwartze. Ja, ich habe deinem Verlobten mein Ehrenwort gegeben. Und so was muß gehalten werden, das siehst du doch ein?

Magda. Ja, wenn das nun aber nicht in deiner Macht steht, lieber Vater?

Schwartze. Dann muß ich dran sterben... dann muß ich eben – dran sterben... Man kann doch nicht länger leben, wenn man... Du bist doch Offizierstochter. Das ist dir doch klar?

Magda (mitleidig). Lieber Gott!

Schwartze. Aber vor dem Tode muß ich doch mein Haus bestellen, nicht wahr? Sag mal, meine Tochter, etwas Heiliges hat doch jeder. Was ist dir wohl so recht im Innersten heilig auf der Welt?

Magda. Meine Kunst!

Schwartze. Nein, das ist nicht genug. Es muß heiliger sein.

Magda. Mein Kind.

Schwartze. Gut. Dein Kind... Dein Kind... das hast du doch lieb?

(Magda nickt.)

Und das würdest du gern wiedersehn?

(Magda nickt.)

Und – e, ja – wenn du einen Schwur ablegtest beim – auf seinem Haupte (macht eine Bewegung, als lege er die Hand auf ein Kindeshaupt), dann würdest du nicht falsch schwören?

Magda (verneint lächelnd).

Schwartze. Na, das ist gut! (Aufstehend.) Entweder du schwörst mir jetzt bei seinem Haupte, daß du die ehrbare Frau seines Vaters werden willst, oder – keiner von uns beiden geht lebendig aus diesem Zimmer. (Sinkt in den Sessel zurück.)

Magda (nach kurzem Schweigen). Mein armer alter Papa! Was quälst du dich? Und glaubst du, daß ich mich bei verschlossenen Türen gutwillig werde von dir niedermachen lassen?... Das kannst du nicht verlangen.

Schwartze. Du wirst ja sehn.

Magda (in wachsender Erregung). Ja, was wollt ihr eigentlich von mir? Warum klammert ihr euch an mich?... Ich hätte fast gesagt: Was geht ihr mich an?

Schwartze. Das wirst du ja sehn!

Magda. Ihr werft mir vor, daß ich mich verschenkte nach meiner Art, ohne euch und die ganze Familie um Erlaubnis zu fragen. Und warum denn nicht? War ich nicht familienlos? Hattest du mich nicht in die Fremde geschickt, mir mein Brot zu verdienen, und mich noch verstoßen hinterher, weil die Art, wie ich's verdiente, nicht nach deinem Geschmacke war?... Wen belog ich? An wem sündigte ich?... Ja, wär' ich eine Haustochter geblieben wie Marie, die nichts ist und nichts kann ohne das Schutzdach irgendeiner Heimat, die aus den Händen des Vaters schlankweg in die des Mannes übergeht – die von der Familie alles empfängt: Brot, Ideen, Charakter und was weiß ich?... Ja, dann hättest du recht. In der verdirbt durch den kleinsten Fehltritt alles – Gewissen, Ehrgefühl, Selbstachtung... Aber ich?... Sieh mich doch an. Ich war eine freie Katze... Ich gehörte längst zu jener Kategorie von Geschöpfen, die sich schutzlos wie nur ein Mann und auf ihrer Hände Arbeit angewiesen in der Welt herumstoßen... Wenn ihr uns aber das Recht aufs Hungern gebt – und ich habe gehungert –, warum versagt ihr uns das Recht auf Liebe, wie wir sie haben können, und das Recht auf Glück, wie wir es verstehn?

Schwartze. Du glaubst wohl, mein Kind, weil du unabhängig und eine große Künstlerin bist, dich hinwegsetzen zu dürfen über –

Magda. Die Künstlerin laß aus dem Spiel! Ich will nichts mehr sein als irgendeine Nähterin oder Dienstmagd, die sich ihr bißchen Brot und ihr bißchen Liebe notdürftig bei fremden Leuten zusammensucht. – Oh, man weiß ja, was die Familie mit ihrer Moral von uns verlangt... Im Stich gelassen hat sie uns, Schutz und Freuden gibt sie uns keine, und trotzdem sollen wir in unserer Einsamkeit nach den Gesetzen leben, die nur für sie Sinn haben... Wir sollen still in den Winkeln hocken und da hübsch sittsam warten, bis irgend ein braver Freiersmann daherkommt... Ja, bis! Und derweilen verzehrt uns der Kampf ums Dasein Seele und Leib. – Vor uns liegt nichts wie Verwelken und Verbittern, und wir sollen nicht einmal wagen dürfen, das, was wir noch haben an Jugend und überquellender Kraft, dem Manne hinzugeben, nach dem unser Wesen schreit? – – – Knebelt uns meinetwegen, verdummt uns, sperrt uns in Harems und in Nonnenklöster – und das wäre vielleicht noch das beste! – Aber wenn ihr uns die Freiheit gebt, so wundert euch nicht, wenn wir uns ihrer bedienen.

Schwartze. Ah, das ist er! Das ist der Geist der Empörung, der jetzt durch die Welt geht! Mein Kind – mein liebes Kind, sag mir, daß das nicht dein Ernst war – daß du, daß du – erbarm dich – wenn – (Nach dem Pistolenkasten schielend.) Ich weiß nicht, was sonst geschieht... Kind! Erbarm dich meiner!

Magda. Vater, Vater, sei still, das ertrag ich nicht.

Schwartze. Ich tu's auch nicht... (Nach dem Pistolenkasten hin.) Tu das weg! tu das weg!

Magda. Was, Vater?

Schwartze. Nichts, nichts, nichts. – Ich frag dich zum letzten Male –

Magda. Also du bestehst darauf!

Schwartze. Mein Kind, ich warn dich! Du weißt, daß ich nicht anders kann.

Magda. Ja, Vater, du läßt mir keine Wahl. Gut denn... Und weißt du, ob du mich jenem Manne noch auf den Hals laden darfst?...

(Schwartze horcht auf.)

Ob ich nach eurer Auffassung seiner überhaupt noch würdig bin? (Zögernd, in die Weite starrend.) Ich meine, ob er in meinem Leben der einzige war?

Schwartze (tastet nach dem Kasten und zieht eine Pistole hervor). Du Dirne! (Er macht etliche Schritte auf sie zu, indem er versucht, die Waffe gegen sie zu erheben. In demselben Augenblicke noch fällt er jäh in den Sessel zurück, wo er regungslos mit starrem Auge sitzenbleibt, die Pistole in der herabhängenden Hand haltend.)

Magda (schreit gellend auf). Vater! (und flieht gegen den Ofen, um sich vor der Waffe zu schützen, dann geht sie, die Hände vors Gesicht schlagend, etliche Schritte weit auf und nieder) Vater! (und sinkt mit dem Knie auf einen Sessel, das Gesicht an der Lehne verbergend.)

(Draußen Rufe und Poltern. Die Tür wird erbrochen.)


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