Hermann Sudermann
Heimat
Hermann Sudermann

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Dritte Szene

Max. v. Keller.

Max (ihm entgegengehend). Nehmen Sie für etliche Minuten mit mir vorlieb, lieber Herr von Keller.

(Händeschütteln.)

Keller. Aber mit Vergnügen, mein Verehrtester.

(Sie setzen sich.)

Unser gutes Nest ist durch die Feier ganz außer Rand und Band geraten. Man könnte beinahe glauben, es läge in der Welt!

Max (lächelnd). Ich rate Ihnen, lassen Sie Ihre Meinung nicht laut werden.

Keller. Was hab ich denn gesagt? Nein, nein, so müssen Sie das nicht auffassen. Ein solches Mißverständnis, wenn man das weiter verbreitet –

Max. Von mir haben Sie nichts zu befürchten!

Keller. Oh, das weiß ich... Das Beste wäre schon, man lernte nie etwas anderes kennen.

Max. Wie lange waren Sie fort?

Keller. Fünf Jahre war ich draußen. Examen, auf Kommissorien 'rumgeschickt usw. – Na, nun sitz ich wieder hier. – Ich trinke heimisches Bier, ich lasse mir sogar bei heimischen Künstlern meine Röcke bauen, ich habe mich mit Todesverachtung durch sämtliche Rehrücken der Saison hindurchgegessen und nenne das: mich amüsieren. Ja, Jugend, Weiber und Wanderschaft sind schöne Dinge. Aber die Welt will regiert sein und braucht ernste Männer dazu. Auch Ihnen wird die Stunde schlagen, mein werter Freund. Die Jahre der Würde kommen. Ja, ja! Besonders, wenn man ins Konsistorium übergeht.

Max. Tun Sie das?

Keller. Ich habe die Absicht. – Und um Fühlung mit dem geistlichen Stande zu gewinnen – ich rede ganz offen mit Ihnen – ist es mir von Wert – kurz – ich interessiere mich für die religiösen Fragen. – Ich habe neulich schon durch meinen Vortrag – Sie wissen vielleicht! – dazu Stellung genommen, und gerade die Vereinigung, der dieses Haus angehört – lassen Sie mich Ihnen sagen, wie stolz ich bin –

Max (halb scherzend). So stolz hätten Sie schon lange sein können.

Keller. Verzeihung, bin ich zu empfindlich? Ich lese einen Vorwurf in diesen Worten.

Max. Durchaus nicht... Aber gestatten Sie mir die Bemerkung: Es hat mir bisweilen geschienen – und nicht mir allein –, als ob Sie die Häuser vermieden, in denen die Familie meines Onkels verkehrt.

Keller. Ah – ah! Nun, daß ich hier bin, beweist wohl das Gegenteil.

Max. Sehr richtig... Und darum will ich auch ganz offen mit Ihnen reden. Sie sind der letzte, der meiner verschollenen Kusine Magda in der Welt draußen begegnet ist.

Keller (verwirrt). Wie meinen –?

Max. Nun, Sie selbst haben ja, wie mir gesagt wurde, davon erzählt. Außerdem hat Sie auch mein Hauptmann, Herr von Heydebrand, der damals auf Kriegsakademie war, mit ihr zusammen getroffen.

Keller. So, so, allerdings – ja.

Max. Es war wohl ein Fehler von mir, daß ich Sie niemals offen nach ihr gefragt habe, aber Sie werden diese Scheu erklärlich finden... Ich fühle mich mit diesem Hause solidarisch und fürchtete, Dinge zu vernehmen, die es beschämen könnten.

Keller. O – o – nicht doch – nein! Die Sache ist einfach die: Es war in der Zeit, als ich in Berlin das Staatsexamen machte, da sah ich eines Tages in der Leipziger Straße ein bekanntes – wenn ich so sagen darf – heimatliches Gesicht... Sie wissen ja, wie man sich dann in der Fremde freut. – Na, wir sprachen dann miteinander – ich erfuhr, daß sie sich für die Oper ausbilde und deshalb aus dem elterlichen Hause gegangen sei.

Max. Ah, das stimmt wohl nicht ganz. Sie verließ das Haus, um bei einer alten Dame Gesellschafterin zu werden. (Zögernd.) Es gab da ein Zerwürfnis mit ihrem Vater.

Keller. Wohl eine Heiratsgeschichte?

Max. So ungefähr... Der Alte, der auf der Seite des Bewerbers war, sagte einfach: Entweder du parierst Ordre oder du gehst aus dem Hause.

Keller. Und sie ging.

Max. Jawohl. Aber erst als sie nach einem Jahre plötzlich schrieb, sie werde zur Bühne gehn, da kam es zu einem vollständigen Bruche. – Ja, aber was wissen Sie nun weiter?

Keller. Das ist wohl alles.

Max. Das ist alles?

Keller. Gott – e! Dann traf ich sie noch hie und da, z. B. im Opernhause, wo sie einen Freiplatz hatte.

Max. Und von ihrem Leben wissen Sie rein nichts?

Keller (zuckt die Achseln). Sie haben auch nie etwas von ihr erfahren?

Max. Niemals! Jedenfalls bin ich Ihnen von Herzen dankbar und bitte Sie, gegen meinen Onkel, ohne daß er Sie direkt fragt, beileibe nichts von dieser Begegnung zu erwähnen. Er weiß zwar darum, aber der Name der verschollenen Tochter wird in diesem Hause nicht genannt.

Keller. Oh, ich hätte selbstverständlich auch ohnedies die Delikatesse gehabt!

Max. Und was glauben Sie, was aus ihr geworden sein kann?

Keller. Ja, wissen Sie, mit der Musik ist das wie mit der Lotterie. Auf zehntausend Nieten kommt ein Gewinst, auf Scharen Untergegangener eine, die Karriere macht... Ja, wenn man eine Patti wird oder eine Sembrich oder – um bei unsrem Musikfest zu bleiben –


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