Rudolph Stratz
Montblanc
Rudolph Stratz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13.

Zum erstenmal in seinem buntbewegten Leben war eine schmerzliche Melancholie über Albrecht Steffen, den marokkanischen Handlungsreisenden, gekommen – und zwar im selben Augenblick, als er ferne durch das Gewühl des Marktplatzes drei Europäerinnen, von ihren Soldaten eskortiert, dahinreiten und ihre Maultiere dem Tor von Tetuan zulenken sah.

Es hatte ihn nicht mehr in dem kleinen maurischen Kaffeehaus gelitten, wo er neben einem negerartig dunklen beturbanten Geschäftsfreund gesessen und sich an dem Lieblingsgetränk der Eingeborenen, dem feurigen Aufguß frischer, grüner Teeblätter, gelabt hatte. Er war aufgestanden und nach einem kurzen Gruß an die rings mit verschränkten Beinen hockenden maurischen Männer ziellos auf den Gassen umhergeirrt, getragen von dem rastlosen Gewühl, das sie bis Sonnenuntergang durchflutet.

Als dann hoch von den Minaretten der letzte dröhnende Mahnruf der Gebetwächter verhallte, war er nach seinem kärglichen Mittagsmahl, an einer Art Strickleiter sich haltend, die steile Hühnertreppe zu einem kahlen, schmutzigen Raum emporgeklommen, wo des Abends einige alte Musikanten das Ohr ihrer Stammesgenossen und mehr noch der etwa in Tetuan befindlichen Fremden durch Zimbelschlag, Gitarregeklimper und langgezogenen näselnden Gesang sich zu ergötzen mühten. Aber plötzlich war ihm die Mohrenmusik unerträglich, die Gesellschaft, zwei junge Engländer, ein Hotelkurier, einige Regierungssoldaten, Treiberjungen und andere Schmarotzer des Fremdentums, widerwärtig, der Zigarettenrauch lästig wie noch nie, und er hatte mitten in dem Wehgesang der alten Barden den Ausgang gewonnen, mit dem festen Vorsatz, sowie der Rauch des Dampfers über dem fernen Silberblinken des Meeres sich kräuseln würde, der Barbarenstadt zu entfliehen.

Das war nun geschehen. Seit mittags befand er sich in Gibraltar und bot den an der Alten Mole lungernden Bootsführern, Kutschern und Matrosen das imposante Bild eines breitschulterigen, blondbärtigen, mit rätselhaften vernarbten Messerschnitten auf der linken Wange verunstalteten Mannes, der, reglos auf das Meer blickend, an einem Holzpfahl lehnte und alle Lockungen der dienstbaren Geister, ihn oder sein Gepäck an Bord eines Schiffes zu befördern, unbeachtet ließ. Erst als schon im Abenddämmern der verspätete Dampfer von Tanger weit draußen Anker warf, wurde der Gentleman lebendig und ging mit großen Schritten auf und ab, ungeduldige Blicke auf die langsam als schwarze Klumpen heranschwimmenden Landungsboote werfend.

Endlich waren sie da. Das Getümmel, das Cook und Sohns Karawane, wo sie ging und stand, umwitterte, begann von neuem, verstärkt durch einen wilden Auftritt des Majors mit dem Impresario. Der alte Herr hatte sich nach schweren Kämpfen entschlossen, die Rundreisegesellschaft zu verlassen und über sein schönes Geld ein Kreuz zu machen. Vorher aber sagte er dem Impresario einmal gründlich seine Meinung. Der verstand zwar kein Wort Deutsch, aber er erriet aus Ton und Gebärden, daß es sich um einen feindseligen Akt handelte, und antwortete in sprudelndem Sizilianisch. Beide schrien gleichzeitig ineinander und erhitzten sich immer mehr, je weniger der zornmütige Ostelbier und der heißblütige Welsche einander begreiflich machen konnten, was sie voneinander wollten.

Der Handlungsreisende hatte inzwischen die drei Damen begrüßt und stand mit Klara und Hilda abseits. An ein Fortkommen war nicht zu denken, ehe es nicht der Gouvernante, die sich als Dolmetscherin ins Mittel gelegt, gelungen war, die Kampfhähne zu trennen. »Hatten Sie eine gute Überfahrt, Fräulein Hilda?« fragte er teilnehmend.

»Herrlich!« In der Kleinen, die fröstelnd, von den Spritzern des Seewassers bei der Kahnfahrt durchnäßt, neben ihm stand, war jetzt allmählich ein bitterer Trotz erwacht. »Das war die größte Erholung auf der ganzen Erholungsreise. Man hat doch was für sein Geld! Für zehn Pesetas darf man den ganzen Tag auf dem Schiff zubringen und sich schaukeln lassen ... wissen Sie ... immer hin und wieder her und wieder hin. Das ist auf die Dauer zu nett! Schade, daß Sie nicht dabei waren! Aber ich will meine Schwestern fragen: vielleicht machen wir morgen die Fahrt noch einmal!«

»Ach, die arme Kleine!« sagte der blondbärtige Abenteurer und sah zärtlich auf die Jüngste herab. »Nun haben Sie's ja überstanden!«

»Wer weiß, was morgen kommt!« Sie wickelte sich zähneklappernd und fester in ihr Mäntelchen. »Ich bin auf alles gefaßt. Wie geht es Ihnen?«

»Danke! Vortrefflich!«

»Und den Blutegeln?«

»Die sind gesund und wohl und lassen grüßen!«

»Und dem Pesetakurs?«

»Der befindet sich so leidlich, als es bei diesem Schwerkranken überhaupt möglich ist! Im Ernst gesprochen, Fräulein Hilda: ich habe diesmal gar keine Blutegel und keinen Honig mit, und in die Pesetakurse, obwohl sie an jeder Wechselbude in Waterport-Street angeschlagen sind, habe ich leichtsinniger Mensch noch keinen Blick geworfen. Ich habe zwei ganz andere Dinge im Kopf!«

»Zwei gleich?«

»Ja, ein großes Ding und ein kleines!«

»Und was sind die?«

»Das kleine Ding ist ganz nahe bei mir. Es könnte kaum näher sein ... besonders wenn ich im Dunkel seine Hand nehme und so ganz leise ein bißchen drücke. Die große Angelegenheit aber ist fern. Die schwimmt dort draußen auf den Wassern, wo die Jacht ›Liberty‹ ankert, und ist ein Geheimnis!«

»Auch vor mir?«

»Oder eigentlich kein Geheimnis, sondern ein kecker Griff, von dem ich noch nicht weiß, ob er glückt oder mißlingt. Aber versucht wird er. Heute noch. Das Glück flitzt nicht alle Tage an einem vorbei!«

»Und was ist es denn?« wollte Hilda fragen. Aber da traten die anderen dazu. Der Streit war durch die schwarze Dame endlich beigelegt, einmal noch maßen sich die Gegner mit bitterem Lächeln, dann drehte sich der Major um und erwartete, kampflustig seinen Knotenstock schwingend, den üblichen Ansturm der bettelnden Krüppel, Blinden und Tagediebe, die den Fremden in ganz Spanien zum Wahnsinn bringen und nach seiner Versicherung selbst unter seinem Bette nächtigten und ihn bis in die Badewanne verfolgten. Aber die abscheuliche Horde blieb aus. Er hatte vergessen, daß er sich auf englischem Boden befand, wo diese Landplage nicht gedieh, und seine Mienen hellten sich auf.

»Na, dann könnten wir ja ins Hotel jondelnl« sagte er. »Da steht ja so ein blondbärtiges Individuum von 'nem Portier oder so was!«

»Das nun nicht!« erwiderte der Fremde zu seiner Bestürzung in fließendem Deutsch. »Aber mit dem Kutscher hier« – er wies auf eine mit Sonnendach überspannte Droschke – »habe ich schon ausgemacht, daß er Sie alle nach dem Hotel bringt. Anderthalb Peseten! Zwanzig Centimes Trinkgeld. Will der Kerl mehr, so lassen Sie ihn ruhig schreien oder holen den nächsten Policeman. Auf Wiedersehen, meine Damen! Schlafen Sie gut, Fräulein Hilda!« Er grüßte und wandte sich dann zu einem der Schiffer, die mit ihren leeren Passagierbooten an der Kaimauer lagen. »Hallo, Caballero!« gebot er, mit einem Satz in den Kahn springend. »Fahrt zu, Herr! Nach dem weißen Schiff dort, das vorhin kam. Und nehmt noch einen zweiten Caballero als Ruderknecht mit, damit es rascher geht!«

*

Die beiden Kerle hatten ihn in der Tat in verhältnismäßig kurzer Zeit an Bord der »Liberty« befördert. Dort aber mußte er warten, bis der Gast des Schiffsherrn sich verabschiedet hatte.

Erst als der Afrikareisende in eine von Matrosen der Jacht geruderte Pinasse gestiegen war und der Petroleumkönig ihm grüßend nachwinkte, trat Albrecht Steffen aus dem Schatten des Verdecks vor, hob den Hut mit einer gewissen Feierlichkeit und sagte laut:

»Guten Abend, Herr Rey!«

Der Angeredete musterte ihn höchst mißtrauisch. »Wer sind Sie denn?«

»Geschäftsmann! Albrecht Steffen mit Namen.«

»Wollen Sie etwas von mir?«

»Herr Rey! Ist schon je ein Mensch zu Ihnen gekommen, der nichts von Ihnen gewollt hat?«

»Nein«, sagte der Millionär trocken. »Da haben Sie recht. Also was wollen Sie? Geld?«

»Herr Rey! Was kann denn ein Mann sonst von Ihnen wollen? Natürlich brauche ich Geld zu einer Unternehmung!«

»Hören Sie mal!« Der Hausherr schüttelte den Kopf. »Sie sind ein merkwürdig ... merkwürdig ungenierter Mensch!«

»Nicht wahr?« fragte der andere erfreut. »Hoffe, daß Ihnen das gefällt. Die Bescheidenheit ist eine herrliche Tugend. Aber man darf nur Sonntag nachmittags davon Gebrauch machen. Deshalb wende ich mich ohne falsche Scheu direkt an Sie.«

»Ja, weswegen denn gerade an mich? Ich kenne Sie gar nicht!«

»Herr Rey! Mich kennt kein Mensch! Das ist's ja eben! Ich stecke fest in dieser weltverlorenen Ecke da drüben, wo Afrika aufhört und das salzige Wasser anfängt, und kriege keinen Finanzmann zu Gesicht, auf den ich einen vorteilhaften Eindruck machen könnte. Schreibe ich aber an Leute wie Sie – lieber Gott, da könnte ich viele hundert Jahre warten, und es käme keine Antwort. Als mir nun mein Glücksstern Ihre Jacht gerade vor die Nase führte und die so einladend und lockend auf dem Wasser dalag, da kam es plötzlich wie eine Erleuchtung über mich, und ich sagte mir: ›Jetzt sei kühn oder nie!‹«

»Ich finde es allerdings kühn, unangemeldet spätabends zu mir an Bord zu kommen!« Der Petersburger starrte den ungebetenen Gast aus seinen kalten grauen Augen an. Aber der Mund lächelte ganz wohlwollend: »Wenn ich Sie nun ersuchte, sich wieder in Ihr Boot zurückzubegeben ...«

»Dann haben Sie eine Million weniger!« sagte der Fremde und tat, als ob er gehen wollte. »Aber dann machen Sie mir, bitte, später keine Vorwürfe ...«

Eine Million! Das interessierte den Großspekulanten. Es war also kein gewöhnlicher Schnorrer, der da vor ihm stand. »Was wissen Sie denn von einer Million?« fragte er, und ein Lächeln spitzbübischer Aufmerksamkeit erhellte jetzt das ganze Knabengesicht.

»Da drüben liegt sie!« sprach der abenteuernde Kaufmann gleichgültig und wies in die Nacht hinaus.

»Das ist die Richtung von Tanger?«

»Richtig, Herr! Sind Sie da nicht einmal über den Strand längs des Meerbusens außerhalb der Stadt gegangen oder geritten?«

»Jeden Tag.«

»Haben Sie nicht gefunden, daß da Geld drin steckt?«

»Wieso?«

»Eine stundenlange, ebene Strandpromenade aus feinstem Sand, herrlichster Blick auf zwei Weltteile und zwei Meere, denkbar pittoreskeste und interessanteste Umgebung, anerkannt vortreffliche, stärkende Seeluft mit kühlen Brisen im Sommer, starker Wellenschlag auf weithin ganz flachem, bequemem Seeboden ...«

»Man meint, Sie reden von Ostende oder Nizza!«

»Eben!« sagte Steffen kaltblütig. »In diesem Strand steckt ein Seebad im großen Stil. Ein afrikanisches Modebad für Frühling und Herbst, wenn es anderswo zu kalt ist – passen Sie auf, wie das bei den Engländern und Yankees zieht! Ich weiß, was Sie sagen wollen: es gibt ein paar solche Plätze in Algier. Aber wie dürftig, wie schwer in ein- bis zweitägiger Seefahrt zu erreichen! Hier aber kann die Verbindung gar nicht bequemer sein. Wöchentlich einmal der schon jetzt bestehende Luxusexpreß Paris–Gibraltar und von da eine Spazierfahrt von ein paar Stunden. Und überhaupt die Nähe von Gibraltar: dieser Knotenpunkt des Weltverkehrs, wo alle Schiffe von London und New York, von Genua und Marseille anlegen. Es wird den Leuten beinahe zu leicht gemacht, unser Seebad Tanger zu überfüllen ...«

»Unser Seebad ...« sagte der Millionär mit hochgezogenen Brauen, aber der andere ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Sie wissen, wie billig alle Lebensmittel drüben sind. Ganz Gibraltar bezieht ja seinen Bedarf von da. Interessante maurische Kaufläden, gute Pferde, Gelegenheit zur Eberjagd ... nun ... es existiert ja jetzt schon ein halbes Dutzend Hotels in Tanger, darunter ein bis zwei ersten Ranges. Und das ohne das Seebad.«

»Sollten Sie denn wirklich der erste sein, der auf diese Idee gekommen ist?«

»Sehr einfach!« sagte der Kaufmann. »Es ist eine Schwierigkeit da, eine große Schwierigkeit, die jeden anderen zurückschrecken würde: der Widerstand der marokkanischen Behörden. Ich bin seit Jahren kreuz und quer durch das Land geritten – ich kenne viele der Würdenträger und stehe gut mit ihnen. Wenn einer die Erlaubnis durchsetzen kann, bin ich es. Vor der deutschen Nation hat außerdem die Schwefelbande Angst, seit wir ihnen ein paarmal energisch mit Kriegsschiffen übern Hals gekommen sind. Sie als Russe können da wenig machen..«

» ...außer Geld geben!« Nikolai Rey lachte herzlich. Die Phantasien seines späten Besuchers amüsierten ihn. Der aber blieb ernst. »Geld, das sich vortrefflich verzinsen wird. Es ist eine große Sache, Herr Rey!«

Sie waren im Eifer des Gesprächs auf dem Verdeck auf und nieder geschritten. Jetzt blieb der Petroleumkönig stehen. »Einleuchtend ist mir das Unternehmen noch nicht«, sprach er kühl, und es zuckte heiter um seine Mundwinkel.

»Ich kann Ihnen Pläne und Berechnungen vorlegen. In wenigen Tagen. Hätte ich geahnt, Sie heute hier zu treffen ...«

»Ich reise morgen abend weiter, nach Marseille. Aber die Geschichte macht mir Spaß. Sie könnten mich einmal besuchen in Chamonix. Dort bleibe ich.«

Der andere stand betroffen da. Die Fahrt kostete ihn einen großen Teil seiner Ersparnisse. Sein Gönner faßte das Schweigen anders auf.

»Chamonix!« wiederholte er. »Über Lyon und Genf. Ganz nahe von hier!«

Über Genf! Damit war Albrecht Steffens Entschluß gefaßt.

»Ich werde kommen, Herr Rey!« sprach er gepreßt. »Freilich ... wenn dann aus der Sache nichts wird ...«

»Dann findet sich vielleicht etwas anderes!« Der kleine Mann blinzelte ihn listig prüfend an. »Ich habe überall auf der Erde meine Geschäfte, und wenn jemand mir Spaß macht und gefällt, dann hab' ich immer für ihn Verwendung.«


 << zurück weiter >>