Rudolph Stratz
Montblanc
Rudolph Stratz

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2.

Muley Hassan, der weißbärtige Marokkaner, der dort oben an der Spitze seiner Karawane ritt, schüttelte unwillig das braune, vom weißen Turban gekrönte Haupt, indem er auf drei am Wege sitzende Damen herniederblickte. Die barbeinig neben seinem Pferde trabenden Frauen ließen neugierig über dem Mund und Nase verhüllenden Schleier die schwarzen Augen funkeln. und über die Affenfratzen der mit langen Stecken die Saumtiere und Esel antreibenden Negersklaven lief ein verstörtes Grinsen.

Ja, es schien, als blickten selbst die Kamele, die, stolz auf zottigem Schlangenhals die blitzdummen Schädel wiegend, in dem Gewühl hinwandelten – als blickten selbst diese Trampeltiere peinlich berührt von ihrer Höhe auf die drei Damen am Wege hernieder!

Drei Europäerinnen mit unverschleiertem Angesicht, dessen Züge jeder Mann nach Belieben betrachten konnte – jawohl, in Tanger drüben am Meer war man solche Schamlosigkeit gewohnt! Da ritten die Damen der Gesandtschaften frank und frei, von den Kawassen begleitet, bei lichtem Tage über den Markt oder ließen sich gar nach Sonnenuntergang von maurischen Trägern in einer Sänfte aus dem Hause schleppen, um – es klang unglaublich, aber, bei Allah! viele Rechtgläubige hatten es gesehen! – um in einer fremden Wohnung mit fremden Männern die Nacht durch zu plaudern, zu speisen und zu tanzen! Aber Tanger war weit! Eine kleine Tagereise von dem einsamen El-Fondak entfernt, unter dessen Mauern die Damen ihr Zelt aufgeschlagen hatten.

Was hatten Europäerinnen hier zu schaffen? Noch dazu ohne männlichen Schutz, nur in Begleitung eines braunen Hotelkuriers aus Tanger und zweier alten, höchst zweifelhaft ausschauenden Regierungssoldaten?

Muley Hassan warf – seitlings, um seiner Würde nichts zu vergeben – im Vorbeireiten einen Blick auf die dicht am Wege sitzende Lady und sah mit Schrecken, daß die ihn unverwandt anstarrte – eine Frau einen fremden Mann! Bei Allah, es gab viel Sünden auf der Welt! Dann senkte sie ihren hübschen Blondkopf über eine Art Mappe, die sie mit der Linken auf den Knien festhielt, schrieb oder kritzelte irgend etwas darin und richtete wieder forschend ihren ruhigen Blick auf die malerische, ganz in Weiß gehüllte Gestalt des greisen Wüstenpatriarchen, die sich mit dem gebauschten Turban und der lang darüber ragenden Flinte wie ein schneeiger Schattenriß von dem bleigrauen, regendrohenden Himmel abhob.

Das verdroß den Alten. Er rückte sich im Sattel zurecht, schob die in gelben Pantoffeln steckenden Füße tief in die schuhähnlichen Steigbügel und setzte mit einem Stich des an die bloße Ferse angeschnallten Sporns sein Roß in Galopp. Die Karawane folgte. Eilfertig wanderten mit schaukelndem Halse die Kamele, wie ein Schwarm grauer Mäuse huschten und trippelten die Märtyrer des Morgenlands, die schwerbepackten Eselein, hinter den lehmfarbenen Ungetümen her, die Maultiere spitzten die Ohren und rannten mit, neben ihnen trabten die verschleierten Araberinnen,, ihre Kinder auf dem Rücken, die buntgestickten Pantöffelchen in der Hand, hochgeschürzt, mit ihren braunen, sehnigen Beinen durch den Kot, und hinten scheuchten die blauschwarzen keuchenden Negersklaven alle Nachzügler der Karawane vor sich her, dem Höhenpaß entgegen, von dem der Pfad nach dem Tal des Habesch und nach Tetuan führte.

*

»Schade!« sagte Klara lachend. »Ich hab' ihn nur zur Hälfte!« Dabei wies sie Hilda, dem nußäugigen Nesthäkchen der Gesellschaft, ihr Skizzenbuch. Auf dem Blatt war das ehrwürdige Haupt des Scheichs und der Kopf seines Vollbluthengstes mit sicheren Strichen umrissen, alles andere aber lag noch als eine weiße unberührte Papierfläche da.

»Schade«, meinte auch die Kleine beklommen und schaute der davonpilgernden Karawane nach. Im Grund ihres Herzens war sie froh, daß sich die Marokkaner so rasch verzogen hatten. Sie fürchtete sich vor den wilden Gestalten im Turban und Burnus, sie fürchtete sich vor dem braunen, weltmännisch lächelnden Hotelkurier, sie fürchtete sich vor ihrem Maultier, das heute beinahe einmal scheu geworden wäre, sie fürchtete sich vor ganz Afrika.

So mit einem Sprung aus Dresden in das Innere Marokkos ... ja, wer so viel gesehen und erlebt hatte wie ihre älteste Schwester dort hinten im Zelt, dem mochte das alltäglich vorkommen. Wenn man wie Martha seit zwanzig Jahren Erzieherin in allen Ecken der Welt gewesen war – bei einer deutschen Familie in Schanghai, bei Engländern in Melbourne, bei Deutsch-Amerikanern in San Franzisko, wenn man durch so viele Lebenslagen gegangen und dabei halb zum Mann geworden war, da fand man es beinahe selbstverständlich, nachts bei drohendem Regen ein kleines Leinwandzelt als einzigen Schutz auf der Welt zu besitzen.

Und Klara, die zweite Schwester – du lieber Gott: sie war nun einmal Malerin! Sie hatte ihren Beruf! Dem mußte sie folgen und Geld für all die drei Geschwister verdienen. Wenn es nicht anders ging, eben auch in Marokko! Aber sie, Hilda, kam sich dabei so unendlich nutzlos und so verlassen zugleich vor, mit all den Kenntnissen des eben glücklich bestandenen Lehrerinnenexamens, die ihren Kopf erfüllten, und all den Hoffnungen auf eine glänzende Zukunft, die ihr doch beschert sein mußte, sowie sie sich nächsten Monat als Gouvernante in Genf auf eigene Füße gestellt hatte.

»Na hör' mal, Kleine!« sagte Klara neben ihr lachend und packte, gleichmütig heiter, wie sie immer war, ihr Malgerät zusammen, »was machst du denn wieder für ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter?«

Und Martha, die älteste des Kleeblatts, die herzutrat und mit ihrer tiefen Stimme und dem strengen Schulmeistergesicht wirklich mehr den Eindruck eines alten Junggesellen als den eines noch nicht vierzigjährigen weiblichen Wesens machte, Martha meinte ebenfalls: »Es ist wirklich ein Elend. Nun macht man ihr die Freude und nimmt sie mit auf die schöne Reise ...«

»Es ist ja auch wunderschön!« sagte die Kleine fügsam und suchte die wieder einmal aufsteigenden Tränen gewaltsam zu verschlucken. »Nur ... wenn jetzt noch Regen kommt ...« Sie wies zu den Bergkämmen empor, wo die immer dichter geballten Wolken sich in strömenden Schleiern herniederzusenken begannen. Ein kalter Wind fuhr vor der heranrauschenden Regenwand zu Tal. Die weißbesternten Hecken und niederen Palmbüschel bogen sich unter seinem Hauch. Die Riedgräser zitterten, und ehe man sich's versah, stürzte das eben aufgerichtete Leinenzelt nach kurzem unschlüssigen Hin- und Herschwanken mit einem matten Krach in sich zusammen. Und zugleich fielen schon die ersten schweren, klatschenden Tropfen. Sie kamen rasch dichter und dichter, sie lösten sich zu einem rastlos niederstäubenden Wasserfall auf; der gefürchtete afrikanische Küstenregen war da.

Während Klara in Eile Pinsel, Tuben und Palette im Wachstuchbeutel unterbrachte, spannte ihre Schwester mit der düsteren Ruhe eines vielgeprüften Weltumseglers ihren Schirm auf. »Frage den Führer, was nun werden soll!« gebot sie der Kleinen mit ihrer tiefen männlichen Stimme.

Hilda, der als eben geprüfter Erzieherin der englische Verkehr mit dem Kurier zufiel, übersetzte stockend wie ein Schulkind die Frage. Sie hatte Angst vor dem schönen, sanft lächelnden Mauren, der sie um zwei Kopfeslängen überragte.

»Er sagt, wir müßten in die Karawanserei«, berichtete sie, »und die Nacht dort zubringen!«

»El-Fondak!« bestätigte der Kurier und nickte.

»Gibt's dort Flöhe?« forschte Marthas Baßstimme.

Der Maure bejahte eifrig. »Viel Flöhe!«

»Und Betten?«

»Nein, Betten sind nicht!«

»Sind noch andere Menschen dort?«

»Viele«, bestätigte der freundliche Mann. »Kameltreiber, Pferdeknechte und anderes Mohrenvolk?«

»Ja, wie soll denn das die Nacht werden?«

»Die Ladys werden auf drei Stühlen sitzen, und ein brennendes Licht steht am Boden, bis es Morgen wird. Oh, El-Fondak ist kein guter Platz für Ladys. El-Fondak ist ein schlechter Platz.«

Hilda klapperten die Zähne. »Da geh ich nicht hinein«, sagte sie flehend. »Es wird eine schreckliche Nacht.«

Der Kurier drängte mit einem Blick nach dem Regenhimmel zur Eile. »Es gibt dicke Tage und schmale Tage. Heute ist ein schmaler Tag. Bald ist's Nacht! Wir müssen in das Haus hinein!«

Aber selbst Martha, die Vielerfahrene, zögerte. »Rauchen die Kerle da drin?« fragte sie streng.

Ja, die Leute rauchten alle. Sie hatten aus Tanger Tabak mitgenommen.

»Sind vielleicht auch Maultiere da, die nachts schreien?«

»Ja, viel Maultiere!«

»Und was gibt es dort zu essen?«

»Zu essen gibt es nichts.«

»Und zu trinken?«

»Wasser! Aus der großen Zisterne!«

»Das sind wirklich traurige Aussichten!« sagte die Schwarzgekleidete düster. Aber jetzt verlor die blonde Malerin die Geduld. »Kinder!« sagte sie und lachte hellauf wie ein sorgloser Junge. »Tut mir den einzigen Gefallen und seid nicht so zimperlich! Was sein muß, muß sein! Wir sind nun einmal hier, und von dem Gejammer wird's um kein Haar besser! Was wollt ihr denn überhaupt? Wir sind doch nicht zum Vergnügen in Marokko!«

»Nein!« bestätigte die Älteste knapp, und die Kleine wiederholte mit einem tiefen Seufzer der Überzeugung: »Nein. Zum Vergnügen sind wir nicht in Marokko.«

Sie brach mit einem halblauten Schreckensruf ab und klammerte sich schutzsuchend an die Schwestern an. Dicht vor den dreien drängte sich, lautlos herbeigeschlichen und wie aus der Erde gewachsen ein Trupp Rifkabylen, wildblickende, klapperdürre Gesellen, als einzige Kleidung einen braunen Fetzen umgehängt, unter dem die langen wadenlosen Beine sich mit Katzentritten über das Geröll schoben, die buntverzierte Radschloßflinte in der Rechten, das sonst kahlgeschorene Haupt hinter den Ohren mit seltsam gedrehten und eingefetteten Ringellöckchen und Haarbüscheln geschmückt.

»Ich denke, sie wollen Kaninchen gegen Tabak umtauschen!« erläuterte der Kurier und wies auf die ausgeweideten kleinen Bälge, die zur Linken der schmutzfarbenen Gesellen baumelten. Sehr wohl schien auch ihm bei der unverhofften Begegnung nicht zumute.

Martha allein beherrschte die Situation. »Vorwärts, in die Karawanserei!« befahl sie unter ihrem aufgespannten Schirm, ohne die Wilden eines weiteren Blicks zu würdigen. »Hilda, nimm das Insektenpulver! Gib acht, daß es nicht naß wird. Wir brauchen's. Klara trägt ihren Malkasten, ich das Huhn und die Orangen, der Führer das Zelt. Los! Ich habe keine Lust, hier in aller Stille umgebracht zu werden!«

Sie stapfte, sich nach Kräften schürzend, durch den unergründlichen Schmutz dem Hofraum zu. Die anderen in trübseligem Gänsemarsch hinterher durch Regen und Wind den Flöhen von El-Fondak entgegen.

Um das Innere des Karawanenhofes lief eine Art offene Holzgalerie, die Schutz vor dem Regen und frische Luft bot. Hier ließ sich der Einzug in das gefürchtete, den Oberstock eines turmartigen Vorbaus bildende Nachtquartier noch am längsten hinausschieben. Es dämmerte bereits. Müde, frierend und schläfrig saßen die drei Schwestern, dicht aneinandergekauert wie die Vögel im Nest, auf ihren Holzschemeln, Hühnerknochen und Apfelsinenschalen auf dem Zeitungspapier im Schoß, und schauten in den Hof hinaus.

Viel war da nicht zu sehen. Kein Mensch und Tier auf der weiten Fläche von Urschlamm, in dem der unablässig niederströmende Regen allmählich die hundertfachen Spuren von Menschensohlen, Roßhufen, Kamelballen und Hundepfoten verwischte und mit trübe spiegelnden, von den Ringen der fallenden Regentropfen durchzitterten Schmutzlachen überzog. Es wurde unangenehm kalt. Fern über dem grünen Buschwerk der Berghänge brauten Streifen von dampfendem Nachtnebel.

» ... Wer jetzt in Dresden wäre ...«, sagte plötzlich Hilda sehnsüchtig und verschlafen.

Die anderen erwiderten nichts. Freilich ... Dresden mit ihrem warmen, traulich eingerichteten Nest, mit Klaras Atelier darüber, mit allem Freundlichen und Gewohnten, während hier ... Hier heulte der Wind zwischen kahlem Gestein und rauschte der Regen vom Himmel. Kein Mensch ringsum – denn die schattenhaften, halblaut gurgelnden Gestalten, die ab und zu an der Schwelle des dämmernden Innenraums erschienen, waren doch ganz andere, unheimliche Wesen als die Leute daheim. Sah doch selbst der hochbeinige gelbzottige Hund, der scheu auf sie zuschlich, mehr wie ein Raubtier als wie ein Hausfreund aus ... Es war zu trostlos! In Tanger hatte man doch noch ein Hotel gehabt, Europäer, mit denen man sprechen konnte, ein Schiff, das in wenigen Stunden nach Europa fuhr ...

» ... wenn wir morgen wieder nach Tanger zurückritten?« Die Kleine sagte das halblaut wie vor sich hin, hielt die Augen halb geschlossen und wartete mit klopfendem Herzen die Wirkung ihrer Worte ab.

Zu ihrem Erstaunen erwiderte Martha gar nichts. Aber zu gleicher Zeit fühlte sie von der anderen Seite her einen derben Klaps auf der Wange und sah das hübsche Gesicht der blonden Schwester ihr halb belustigt, halb ärgerlich zugewendet.

»Au!« sagte sie weinerlich. »Du bist recht häßlich, Klara!«

»Ach was – au!« Die junge Malerin stand auf und nahm lachend ihre beiden Hände. » ... Sag' mal, Hilda, ... weißt du nicht, daß wir Waisen sind und kein Geld haben?«

»Ja, Klara.«

» ... und daß ich also für uns alle drei Geld verdienen muß?«

»Ja, Klara!«

»Warum machst du mir dann das unnütz schwer mit deinem Gequengel? Ich wäre auch lieber in Dresden. Aber ich red' nicht davon, denn es hilft ja nichts.«

»Ja, Klara!« Die Kleine küßte sie und trocknete sich die Tränen. »Ich bin eben so ein Schaf. Ich wollt', ich wäre wie du!«

»Lieber Gott!« Die Malerin lachte. »Ich bin kein Wundertier! Ich sag' mir einfach: das und das muß geschehen! Also will ich es tun, und tu's! Das ›Ich will‹ ist das Geheimnis. Damit kommt man überall durch.«

»Das ist das erste vernünftige Wort, das ich seit längerer Zeit höre!« sagte hinter ihr eine Männerstimme. »Der erste Gruß der Kultur! Und noch dazu gleich in deutscher Muttersprache! Guten Abend, meine Damen!«

Klara drehte sich um. Es dämmerte schon so stark, daß sie nur noch die Umrisse des Fremden erkennen konnte, einer mittelgroßen Gestalt in fremdartigem, halb arabischem Reitanzug.

»Guten Abend!« versetzte sie etwas beklommen. »Woher kommen Sie denn auf einmal? Ich hab' Sie gar nicht in den Hof reiten hören.«

»Meine Leute sind auch draußen geblieben. Ich lasse bloß umsatteln. Ich hatte ein kleines Malheur mit meinem eigenen Pferd. Nun nehme ich das eines Berbers, der mit mir ist.«

»Und dann wollen Sie heute noch weiter?«

»Sowie mein englischer Sattel auf dem Gaul liegt. Nach Tetuan.«

»Da kommen Sie aber spät in der Nacht an!«

»Ich habe einen Regierungsaraber mit! Man muß mir öffnen!«

»Ach so ... ja!« sagte die Malerin. Sie fand sich allmählich in die seltsame Lage, im Dämmern mit einem ganz unbekannten Mann zu sprechen. »Sie finden übrigens dort Gesellschaft.«

»Das ist's ja eben!« Der Fremde trat einen Schritt näher. »Deswegen erlaubte ich mir ja, Sie anzusprechen! Ich brach nämlich vor acht Tagen von Fez nach Tanger auf ...«

»Aber dies hier ist doch nicht der Weg von Fez nach Tanger ...«

»Nein. Ich wollte in Tanger die Jacht ›Liberty‹ treffen. Haben Sie sie vielleicht gesehen?«

»Das schöne, schneeweiße Dampfschiff, das dem russischen Petroleumkönig gehört? Ja, gewiß, das liegt dort.«

»Nun hörte ich heute morgen von ein paar Arabern, die Herrschaften von der ›Liberty‹ seien nach Tetuan geritten! Da schlug ich den Haken und jagte von dem Fezweg herüber nach El-Fondak.«

»Ja ... das heißt, der Besitzer der ›Liberty‹, der kleine, glattrasierte Herr, ist nicht mit! Der ist in Tanger geblieben. Aber seine Tochter mit zwei Freunden ist allerdings nach Tetuan unterwegs.«

»Haben Sie sie selbst gesehen?«

»Ja. Aus der Ferne. Sie haben uns schon mittags überholt mit ihren guten Pferden.«

»Ich danke bestens für die Auskunft. Darf ich Ihnen mit irgend etwas dienen?«

»Danke, nein. Wir müssen uns schon die Nacht hier so behelfen. Morgen kommen wir auch nach Tetuan zu Studienzwecken.«

»Ach so ... das heißt ... die Damen sind Malerinnen?«

»Ich habe es für einen Leipziger Verleger übernommen, die aus dem Englischen übersetzte Reisebeschreibung einer Dame zu illustrieren. Unglücklicherweise mußte die Dame gerade durch Marokko reiten. Also muß ich dasselbe tun. Meine älteste Schwester begleitet mich als Reisemarschall, und unser Jüngstes haben wir diesmal auch mitgenommen, damit sie etwas von der Welt sieht.« Sie wies auf das Nesthäkchen, das, völlig erschöpft, mit offenem Munde schlafend dasaß, den Kopf vornübergesunken und mit der Rechten krampfhaft die Schachtel mit persischem Insektenpulver umklammernd.

Die beiden sahen sie an und lachten. »Also auf Wiedersehen in Tetuan!« Der Fremde lüftete den Hut. » ... wenn Sie gegen Mittag da sind, werden wir ja ...« Er stockte plötzlich und fuhr mit der Hand nach der Herzgegend. Es war, als ob er nach Atem ringe.

Klara trat erschrocken auf ihn zu. »Was haben Sie?«

»O nichts!« sagte er schon wieder mit seiner gewöhnlichen Stimme. »Es vergeht sofort. Eine kleine Quetschung von einem Sturz vorhin. Also nochmals, gute Nacht!«

Seine Gestalt verschwand in der Dämmerung, die schon schwer über dem Hofraum lag. Gleich darauf hörte man draußen in arabischen Worten seine befehlende Stimme und das Klappern der Hufe auf dem Steingeröll.

Die blonde Malerin stützte den Kopf auf die Hand.

»Ich möchte wissen, wer das war!« sagte sie nachdenklich. »Nichts Gewöhnliches gewiß. Er spricht arabisch und kommt aus dem Innern. Vielleicht ist es ein berühmter Forscher ...«

» ...und wenn du ihn dir morgen bei Licht besiehst, ist es ein Reisender in Matjesheringen und baumwollenen Phantasiestoffen«, murmelte mit ihrer tiefen Stimme die skeptisch angelegte Älteste, die lang und düster wie ein schwarzer Schatten neben ihr stand.

Klara lächelte nur und erwiderte nichts. Hoch oben verlor sich das Klappern der Hufe, und rastlos rauschte der Regen über Marokko.


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